Michael Dyne Mieth

Auf den Trümmern von Guernica

Die monu­men­ta­le Arbeit „G18“ des Ber­li­ner Künst­lers Micha­el Dyne Mieth, deret­we­gen die Aus­stel­lung „Guer­ni­ca – Iko­ne des Frie­dens“ in der Hof­burg Inns­bruck bis zum ver­gan­ge­nen 10. Janu­ar ver­län­gert wur­de, hat ein beacht­li­ches Medi­en­echo erfah­ren. Wer ist die­ser Künst­ler, der sich erst­mals in Tirol prä­sen­tiert hat? Ein Por­trät von Brit­ta Grigull.

Zur Mit­tags­zeit des 22. Novem­ber 1963 zeigt sich die Innen­stadt von Dal­las freund­lich. Die Son­ne scheint, als ein Lin­coln Con­ti­nen­tal lang­sam, bei­na­he im Schritt­tem­po, von der Hous­ton Street nach links in die Elm Street ein­biegt. Es ist 12.30 Uhr. Das Ver­deck des Cabrio­let ist geöff­net. Das Auto ist im Begriff, sei­ne Fahrt in Rich­tung Stem­mons Free­way fort­zu­set­zen, als ein Schuss die Luft durch­schnei­det. Inner­halb der nächs­ten zehn Sekun­den fal­len zwei wei­te­re Schüs­se. Sie tref­fen den Mann, der neben sei­ner Frau auf der Rück­bank des Lin­coln sitzt, und ver­let­zen ihn töd­lich. Die Bil­der des Atten­tats bren­nen sich ins kol­lek­ti­ve Gedächt­nis einer gan­zen Nation.

An einem trü­ben Herbst­tag, fast auf den Tag genau 55 Jah­re nach der Ermor­dung John F. Ken­ne­dys, beginnt Micha­el Dyne Mieth auf einer Bra­che am ehe­ma­li­gen Mau­er­strei­fen im Ber­li­ner Stadt­teil Fried­richs­hain in aller Ruhe, eine gro­ße Lein­wand auf dem Boden aus­zu­brei­ten. Er mischt in einem Eimer Far­be an und schwärzt damit meh­re­re Faser­plat­ten. Dann setzt er sich hin­ter das Steu­er eines Lin­coln Con­ti­nen­tal und lässt ihn zuerst über die Plat­ten, dann über die grun­dier­te Lein­wand rol­len. Was sich so als Rei­fen­ab­druck auf die Lein­wand über­trägt, nennt Dyne „Spu­ren der Ver­wüs­tung“. Sie sehen bei­na­he aus wie die Abdrü­cke von Pan­zern in unweg­sa­mem Ter­rain. „Es sind die Spu­ren der welt­wei­ten Mili­tär­ma­schi­ne­rie, die Cha­os und Zer­stö­rung in den Städ­ten und dem Leben der Men­schen ver­ur­sa­chen“, sagt der Künstler.

Das Tri­pty­chon, das Micha­el Dyne Mieth an die­sem Herbst­tag auf einer Bra­che in Ber­lin beginnt, ist eine Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Krieg, genau­er: mit einem Werk über den Krieg, das sich als Appell für den Frie­den iko­nisch in die Kunst­ge­schich­te ein­ge­schrie­ben hat: Pablo Picas­sos „Guer­ni­ca“. Nur weni­ge Wochen nach die­sem Beginn wird Dynes Arbeit mit den monu­men­ta­len Maßen von 3,50 mal 7,77 Metern im Muse­um der Kai­ser­li­chen Hof­burg in Inns­bruck hän­gen. Als eine von mehr als 30 Posi­tio­nen zeit­ge­nös­si­scher Künst­le­rin­nen und Künst­ler – dar­un­ter bei­spiels­wei­se Xenia Haus­ner und Erwin Wurm – die sich in der von Sere­na Bac­ca­gli­ni kura­tier­ten Aus­stel­lung „Guer­ni­ca – Iko­ne des Frie­dens“ eben­falls mit dem Werk Picas­sos aus­ein­an­der­set­zen. Die Rei­fen­spu­ren des Lin­coln sind nun Teil einer über­bor­den­den abs­trak­ten Kom­po­si­ti­on gewor­den. Das Tri­pty­chon hängt direkt gegen­über dem Herz­stück der Schau: einer Guer­ni­ca-Gou­ache und spä­te­ren Vari­an­te der berühm­ten Lein­wand aus dem Jahr 1937. Das Visa­vis zeigt: Sti­lis­tisch und moti­visch nimmt Dynes Arbeit auf Picas­sos Meis­ter­werk Bezug, ohne die künst­le­ri­sche Hand­schrift ihres Urhe­bers zu ver­leug­nen. Es ist nicht zuletzt die Aus­sicht, einen Appell für den Frie­den mit­zu­ge­stal­ten, die den Ber­li­ner Künst­ler reizt, kurz­fris­tig auf die Ver­an­stal­ter­an­fra­ge zu reagie­ren und einen eige­nen Bei­trag für die Inns­bru­cker Aus­stel­lung zu kre­ieren. Erst ein paar Mona­te zuvor ist Dyne aus Kenia zurück­ge­kehrt. Dort hat der Künst­ler die Auma Oba­ma Sau­ti Kuu Foun­da­ti­on mit dem von ihm initia­li­sier­ten Pro­jekt „ART AS A PERSPECTIVE“ unter­stützt. Die Stif­tung der Schwes­ter von Barack Oba­ma för­dert Kin­der aus armen Ver­hält­nis­sen und ver­sucht, ihnen eine neue Per­spek­ti­ve zu geben. Im Rah­men der Stif­tungs­ar­beit hat Dyne mit einer Grup­pe von Kin­dern und Jugend­li­chen einen Mal-Work­shop durch­ge­führt: „Ich woll­te zei­gen, dass man auch mit ein­fachs­ten Mit­teln Kunst machen kann.“ Wer ler­ne, sei­ne Emo­tio­nen aus­zu­drü­cken, ler­ne auch, sei­ne Aggres­sio­nen zu ver­ar­bei­ten und zu kana­li­sie­ren. „Kunst ver­hin­dert kei­ne Krie­ge, aber kann zu einem per­sön­li­chen Frie­den bei­tra­gen“, so der Künstler.

Der Ber­li­ner Künst­ler Micha­el Dyne Mieth 

Die Rui­nen von Alep­po ste­hen auf den Trüm­mern von Guernica. 

Für Dyne Mieth haben das Guer­ni­ca-Motiv und sei­ne Bot­schaft bis heu­te nichts an Aktua­li­tät ein­ge­büßt. „Krieg und Zer­stö­rung sind nach wie vor eine Bedro­hung für das Leben von Mil­lio­nen Men­schen. Die Rui­nen von Alep­po ste­hen auf den Trüm­mern von Guer­ni­ca“, kon­sta­tiert der Künst­ler. Der Gegen­warts­be­zug in sei­ner eige­nen Guer­ni­ca-Inter­pre­ta­ti­on „G18“ ist Dyne Mieth wich­tig. Bis hin zu den gewal­ti­gen Bild­ma­ßen hat er gestal­te­ri­sche Ele­men­te des Picasso‘schen Ori­gi­nals bewusst über­nom­men. So will er auf die Kon­ti­nui­tät von mili­tä­ri­schen Kon­flik­ten und das damit ver­bun­de­ne Leid hin­wei­sen. Der schach­brett­ar­ti­ge Boden, ein wie­der­keh­ren­des Motiv in Dynes OEu­vre, erin­nert an die Dua­li­tät von Gut und Böse. Als War­nung für die Zukunft ste­hen die Trä­nen des Auges für die dro­hen­den Kon­flik­te um Was­ser. Die Waf­fen, die als Blu­men getarnt sind, ver­an­schau­li­chen die Instru­men­ta­li­sie­rung der Medi­en für Pro­pa­gan­da – die Wahr­heit stirbt im Krieg zuerst.

Doch was hat der Lin­coln Con­ti­nen­tal, was hat John F. Ken­ne­dy mit Guer­ni­ca zu tun? „Wer zu den Guten und wer zu den Bösen gehört, ist stets Sache der Sicht­wei­se“, meint Dyne. JFK sei für die meis­ten Men­schen eine Sym­bol­fi­gur gewe­sen, die für Frei­heit gestan­den habe. Doch zugleich habe der eins­ti­ge Prä­si­dent der Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Ame­ri­ka die Wei­chen für den Ein­tritt sei­nes Lan­des in den Viet­nam­krieg gestellt. „Als Per­son ver­an­schau­licht JFK, wie nah Krieg und Frie­den bei­ein­an­der lie­gen kön­nen“, ist sich Dyne sicher.

WER IST DIESER KÜNSTLER, DER SICH SO MEGALOMAN AN PICASSO HERANWAGT?

Es ist nicht das ers­te Mal, dass sich Micha­el Dyne Mieth inten­siv mit Picas­so befasst. Ein mal­lor­qui­ni­scher Maler, Vater eines Freun­des und frü­her künst­le­ri­scher Men­tor Dynes, stand dem Werk des gro­ßen Spa­ni­ers beson­ders nahe. „Dank Vicen­te, der mich in mei­nen Anfän­gen als Maler unter­stützt und beglei­tet hat, habe ich schon sehr früh ange­fan­gen, mich mit Picas­so zu beschäf­ti­gen“, erin­nert sich Dyne Mieth. Doch zugleich ist es dem Ber­li­ner Künst­ler wich­tig, offen, authen­tisch und viel­sei­tig zu sein. Auf eine bestimm­te Stil­rich­tung will er sich nicht fest­le­gen las­sen. Men­schen, die Natur oder gesell­schaft­li­che The­men inspi­rie­ren ihn zu immer neu­en künst­le­ri­schen Posi­tio­nen und Tech­ni­ken – so wie die, mit dem Auto auf der Lein­wand zu malen. Das aus die­ser Offen­heit resul­tie­ren­de Schaf­fen ist ent­spre­chend viel­ge­stal­tig und umfasst neben Male­rei auch Skulp­tu­ren und Aktionskunst.

So kre­iert Dyne Mieth bei der Akti­on „art meets tech­no­lo­gy“ zur Eröff­nung des Inno­va­ti­on Cen­ter „open­Ber­lin“ im Jahr 2015 aus Ver­pa­ckungs­ma­te­ria­li­en eine über­le­bens­gro­ße Plas­tik in Form eines Robo­ters. Die Beson­der­heit die­ser Kunst­ak­ti­on: Wäh­rend des Schaf­fens­pro­zes­ses wer­den sei­ne Bewe­gun­gen über einen mit Sen­so­ren aus­ge­stat­te­ten Body­su­it auf­ge­zeich­net. Es ent­steht eine 3D-Visua­li­sie­rung, „the data of crea­ti­vi­ty“, die den Aus­stel­lungs­be­su­cher dar­an teil­ha­ben lässt, wie Dyne arbei­tet. Auf­merk­sam­keit erlangt der Künst­ler auch 2014 durch sei­ne Gestal­tung des Old­ti­mers „Hudo“, mit dem die bekann­te Ber­li­ner Unter­neh­me­rin und Renn­fah­re­rin Hei­di Het­zer zu einer zwei­jäh­ri­gen Welt­rei­se aufbricht.

MENSCHEN ALS KONSUMZOMBIES

Gesell­schafts­po­li­ti­schen The­men wid­met sich Micha­el Dyne Mieth kri­tisch, mit­un­ter auch pro­vo­zie­rend. So kommt es nicht von unge­fähr, dass sei­ne zwei für die Ber­li­ner Fashion­week 2016 gestal­te­ten Skulp­tu­ren in Sicht­wei­te zu einem Ort auf­ge­stellt wer­den, der an die Bücher­ver­bren­nung vom 10. Mai 1933 erin­nert. „Mit die­sem Bezug woll­te ich zum Aus­druck brin­gen, dass bil­dungs­fer­ne Men­schen schnell zu Kon­sum­zom­bies wer­den kön­nen. Wir die­nen dem Sys­tem und kau­fen Klei­dung, die in ande­ren Län­dern die moder­ne Skla­ve­rei beför­dert“, sagt Dyne.

Dazu passt es, dass sich der Künst­ler regel­mä­ßig an Bene­fiz­ver­an­stal­tun­gen betei­ligt und Wer­ke für einen guten Zweck stif­tet. Zuletzt spen­det er im Sep­tem­ber 2018 eine Lein­wand, die neben Arbei­ten von Nor­bert Bis­ky und Mar­kus Lüpertz zuguns­ten der Initia­ti­ve „Hil­fe für ALS-kran­ke Men­schen“ ver­stei­gert wird. Zum 20. Jah­res­tag des Mau­er­falls 2009 in Ber­lin folgt er der Ein­la­dung, einen von 1.000 über­di­men­sio­na­len Domi­no­stei­nen zu gestal­ten. Dynes Domi­no­stein wird als ein­zi­ger der Tau­send aus­ge­wählt, um auf einer anschlie­ßen­den Auk­ti­on ver­stei­gert zu werden.

IMMER WIEDER IM FOKUS: BERLIN

Ein uner­schöpf­li­ches Reser­voir an Sujets bie­tet sich dem Ber­li­ner Künst­ler in sei­ner Hei­mat­stadt. Er streift durch die Metro­po­le und hält sei­ne Ein­drü­cke foto­gra­fisch fest. Er fil­tert, retu­schiert, abs­tra­hiert und fokus­siert, bis er aus den Foto­mo­ti­ven sei­ne Bild­ideen kon­den­siert. Dann expe­ri­men­tiert er mit Far­ben, mischt Acryl mit Lack, schnei­det Pin­sel eigens zu oder ver­dünnt die pas­to­se Acryl­far­be der­art, dass sein Farb­auf­trag bei­na­he die Leich­tig­keit von Aqua­rell­ma­le­rei erreicht. Wer sich mit den so ent­stan­de­nen Wer­ken beschäf­tigt, mag einen eigen­tüm­li­chen Sog ent­de­cken. Ein Sog, der dar­aus resul­tiert, dass der Betrach­ter in den Bil­dern mit Leer­stel­len und Wider­sprü­chen kon­fron­tiert wird, die Span­nung erzeu­gen. Dynes Serie natu­ra­lis­ti­scher Por­träts wie­der­um bil­det einen Kon­tra­punkt zu sei­nen abs­trak­ten Arbei­ten und ver­an­schau­licht sei­ne sti­lis­ti­sche Viel­falt eben­so wie sein hand­werk­li­ches Ver­mö­gen als Maler. Bei die­ser Rei­he ste­hen pro­mi­nen­te Men­schen im Zen­trum – Iko­nen der Öffent­lich­keit wie Albert Ein­stein oder Romy Schnei­der. Zwei sei­ner Por­träts, Auf­trags­ar­bei­ten der Oba­mas aus dem Jahr 2016, hän­gen in der per­sön­li­chen Samm­lung des Frie­dens­no­bel­preis­trä­gers und frü­he­ren US-Prä­si­den­ten Barack Obama.

Apro­pos Oba­ma: Dass der eins­ti­ge Prä­si­dent der Ver­ei­nig­ten Staa­ten Picas­sos „Guer­ni­ca“ aus dem Jahr 1937 erst kürz­lich im Madri­der Museo Nacio­nal Cen­tro de Arte Rei­na Sofía besich­tigt habe, weiß Kura­to­rin Sere­na Bac­ca­gli­ni zu berich­ten. Ein Umstand, der Micha­el Dyne Mieth auf­hor­chen las­sen soll­te – schließ­lich ist der künf­ti­ge Ver­bleib sei­nes monu­men­ta­len Werks „G18“ noch ungeklärt…

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Studierte Kunstgeschichte, Psychologie und Neuere Deutsche Literaturwissenschaft. Wurde mit einer Arbeit über den niederländischen Maler Piet Mondrian promoviert. Aktuell im Dienste der darstellenden Kunst, zuvor unter anderem für die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg sowie die Max-Planck-Gesellschaft tätig. Zahlreiche Veröffentlichungen als Autorin und freie Journalistin.

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