Wissenschaft ist kein Kampf gegen Kunstgeschichte

Maurizio Seracini

Prof. Mau­ri­zio Sera­ci­ni bedient sich wis­sen­schaft­li­cher Tech­ni­ken zur Ana­ly­se von Geschich­te und Her­kunft von Gemäl­den sowie zu deren Datie­rung. Damit revo­lu­tio­niert er unser Ver­ständ­nis gros­ser Kunst­wer­ke. Sera­ci­ni hat mehr als 4.000 Wer­ke und his­to­ri­sche Gebäu­de stu­diert. Sein For­schungs­in­sti­tut Edi­te­ch hat Fäl­schun­gen auf­ge­deckt und in einem Kunst­markt, der das Auf­de­ckungs­po­ten­ti­al moder­ner Tech­no­lo­gie hin­sicht­lich des kul­tu­rel­len Erbes und des Werts pri­va­ter Kunst­samm­lun­gen weit­ge­hend unbe­ach­tet lässt, ver­bor­ge­ne Schät­ze aus­ge­gra­ben. Wir haben Prof. Sera­ci­ni in sei­nem Dia­gno­se­zen­trum für Kul­tur­gü­ter im Palaz­zo Cane­gia­ni, einem ele­gan­ten flo­ren­ti­ner Ansitz aus dem 14. Jahr­hun­dert, besucht.

Welche Grund­be­din­gun­gen müs­sen für die Ana­ly­se eines Kunst­werks und des­sen pro­fes­sio­nel­le Eva­lu­ie­rung im Auf­trag eines Kun­den oder einer Ein­rich­tung gege­ben sein?

Zu aller­erst muss geplant wer­den, wel­che Schrit­te erfor­der­lich sind und wel­che Tech­no­lo­gie für wel­chen Typ pro­fes­sio­nel­ler Exper­ti­se anzu­wen­den ist. Der Ansatz der Wis­sen­schaft unter­schei­det sich von jenem der Kunst­ge­schich­te nicht nur, was den Zeit­auf­wand betrifft, son­dern auch, was die Kos­ten anbe­langt. Zuschrei­bung ist ledig­lich eine Mei­nung, Wis­sen­schaft aber gibt uns objek­ti­ve Daten und soll­te über der Zuschrei­bung ste­hen. Es bestehen Wis­sens­lü­cken, die eigent­lich eine aus­rei­chen­de Recht­fer­ti­gung für die Durch­füh­rung und Inan­spruch­nah­me wis­sen­schaft­li­cher Ana­ly­sen sein soll­ten. Lei­der ist das all­ge­mei­ne Bewusst­sein dies­be­züg­lich noch zu gering.

Würden Sie sagen, dass Ihr wis­sen­schaft­li­cher Ansatz revo­lu­tio­när ist?

Es ist zu früh, um den Ansatz revo­lu­tio­när zu nen­nen, denn dazu müss­te er direk­te Aus­wir­kun­gen auf die Kon­ser­vie­rung und den Kunst­markt im All­ge­mei­nen haben. Dem ist lei­der noch nicht so.

Was denkt der Kunst­markt von Wis­sen­schaft­lern und Kunstprüfern?

Der Kunst­markt beruht im Grun­de auf Mei­nun­gen oder Zuschrei­bun­gen. Wie wir alle wis­sen, ist eine Zuschrei­bung recht­lich nicht bin­dend. Kunst­his­to­ri­ker sind auch nur Men­schen und damit dem Druck des Kunst­mark­tes aus­ge­setzt. Da alles auf Mei­nun­gen beruht, gibt es mehr Raum für Spe­ku­la­ti­on und dunk­le Machen­schaf­ten – und gera­de des­halb will kaum jemand die Wis­sen­schaft in die­sem Bereich unterstützen.

Es waren noch nie so vie­le Fäl­schun­gen am Markt: Wie kön­nen sich Inves­to­ren schüt­zen? Gibt es eine 100% siche­re Auswertung?

Das ist nichts neu­es, Fäl­schun­gen gibt es schließ­lich seit Jahr­hun­der­ten. Neu ist heu­te aller­dings, dass das Geschäft mit Fäl­schun­gen noch nie so pro­fi­ta­bel war. Der Wert von Kunst­wer­ken, vor allem zeit­ge­nös­si­schen und moder­nen Wer­ken, schießt der­zeit so schnell in die Höhe, dass er an und für sich schon gro­ßes Inter­es­se an der Pro­duk­ti­on von Fäl­schun­gen aus­löst. In Chi­na ist die Her­stel­lung von Fäl­schun­gen nicht nur im Bereich der Kunst bereits eine regel­rech­te Indus­trie. Inves­to­ren müs­sen sich bewusst sein, dass dies eine Gefahr für ihre poten­ti­el­len Anla­gen dar­stellt. Die 100% siche­re Aus­wer­tung besteht im Grun­de im Ver­gleich der ermit­tel­ten Daten mit einer Daten­bank bestehend aus als abso­lut echt erach­te­ten Wer­ken des­sel­ben Künst­lers. Das Pro­blem ist häu­fig der Zugriff auf eine besag­te Daten­bank, denn den gibt es nur mit der Zustim­mung des Kunst­mark­tes. Muse­en soll­ten als ers­te ihre eige­nen Daten­ban­ken erstel­len und die­se öffent­lich zugäng­lich machen.

Welche Geheim­nis­se, Erfah­run­gen und wel­ches Wis­sen decken Sie bei der Ana­ly­se von Wer­ken gro­ßer Meis­ter auf?

Wenn ich vor einem Meis­ter­werk ste­he, freue ich mich vor allem darüber,einen so wun­der­ba­ren Beruf zu haben. Die gro­ße Her­aus­for­de­rung ist es, alle Geheim­nis­se des Werks auf­zu­de­cken – das ist der schöns­te Teil mei­ner Arbeit. Mir wird bewusst, dass die Wis­sen­schaft nicht nur dazu dient, den Böse­wicht aus­fin­dig zu machen oder gegen die Regeln des Kunst­mark­tes anzu­kämp­fen, son­dern dazu, der Welt zu zei­gen, wie groß­ar­tig ein Werk wirk­lich ist. Wis­sen­schaft kann Schritt für Schritt auf­zei­gen, wie es ent­stand und wie der Künst­ler sei­nen Stil und die Per­fek­ti­on der Dar­stel­lung errei­chen konn­te. Betrach­ten wir zum Bei­spiel Raf­fa­els Dame mit Ein­horn in der Gal­le­ria Borg­he­se in Rom: Wir konn­ten bewei­sen, dass in der ursprüng­li­chen Ver­si­on des Gemäl­des kein Ein­horn vor­kam, wohl aber ein Hund. Ein zwei­ter Künst­ler muss neue Ele­men­te hin­zu­ge­fügt haben. Das Ein­horn wur­de zu einem spä­te­ren Zeit­punkt über den Hund gemalt, und spä­ter erneut über­malt, als das Gemäl­de im 17. Jahr­hun­dert in eine Dar­stel­lung der Hl. Katha­ri­na ver­wan­delt wur­de. Erst 1935, als das Bild restau­riert wur­de, tauch­te das Ein­horn wie­der auf. Sie sehen also, es ist kein Kampf gegen die Kunst­ge­schich­te – dies ist ein Bei­spiel dafür, was Wis­sen­schaft tun kann, um Kul­tur wei­ter aufzuwerten.

Hat eines Ihrer Pro­jek­te für beson­de­res Auf­se­hen in der Kunst­welt gesorgt?

Im Lau­fe einer sechs­mo­na­ti­gen Unter­su­chung von Leo­nard da Vin­cis Anbe­tung der Köni­ge aus dem Mor­gen­land in den Uffi­zi­en in Flo­renz haben wir unter dem Gemäl­de zahl­rei­che Skiz­zen ent­deckt, unter ande­rem von Gebäu­den, einem Ele­fan­ten, erbit­ter­ten Kämp­fen und Lei­chen. Vie­les davon wur­de über­tüncht und von einem ande­ren Künst­ler über­malt. Die Skiz­zen waren über 500 Jah­re lang ver­bor­gen. Nun, 15 Jah­re spä­ter, wird das Gemäl­de restau­riert, und Tag für Tag wird mehr von der ers­ten Schicht frei­ge­legt. Heu­te haben wir den end­gül­ti­gen Beweis dafür, dass ich rich­tig lag.

Welchen Stel­len­wert hat die Ent­de­ckung des angeb­lich ver­lo­re­nen Meis­ter­werks „Die Schlacht von Ang­hia­ri“ von Leo­nar­do da Vinci?

Ich habe nie­mals behaup­tet, ich hät­te die Schlacht von Ang­hia­ri ent­deckt. Wir haben win­zi­ge Mate­ri­al­frag­men­te gefun­den, deren Vor­han­den­sein hin­ter die­ser Mau­er uner­klär­lich ist. Es könn­te sein, dass sie nur Teil der Deko­ra­ti­on sind, aber ich fra­ge mich, war­um ich mei­ne Unter­su­chung nicht wei­ter­füh­ren durf­te. War­um muss­te ich alles abbau­en und mei­ne Arbeit ein­stel­len? War­um sol­che Feind­se­lig­keit, wo doch die gesam­te Finan­zie­rung von Pri­va­ten kam, allen vor­an von einem Bri­ti­schen Spon­sor namens Lord Guin­ness? Wäre der Haupt­an­trieb der Wis­sen­schaft nicht die Neu­gier­de, wür­den wir noch heu­te in der Stein­zeit leben. Die Mona Lisa ist die Haupt­at­trak­ti­on im Lou­vre und war doch so gut wie bedeu­tungs­los, als Leo­nar­do da Vin­ci die Schlacht von Ang­hia­ri mal­te. Zudem gibt es nir­gends Hin­wei­se auf sei­ne Arbeit an der Mona Lisa, denn es han­del­te sich dabei um ein simp­les Por­trät, mit dem er sein täg­lich Brot ver­dien­te. Stel­len Sie sich also vor, was die Ent­de­ckung der Schlacht von Ang­hia­ri bedeu­ten würde!

Sie haben mit Ihrer Arbeit neue Maß­stä­be gesetzt. Wie sehen Ihre Visi­on und Ihre Zie­le für die kom­men­den Jah­re aus?

Ich wäre sehr glück­lich, wenn das Berufs­bild des wis­sen­schaft­li­chen Kunst­kon­ser­va­tors in Muse­en aner­kannt wür­de. Das wäre ein Rie­sen­er­folg. Mein Wunsch für den Kunst­markt ist es, dass in Zukunft eine wis­sen­schaft­li­che Unter­su­chung die Vor­aus­set­zung für jeden Kunst­kauf bil­det. Ich per­sön­lich wür­de lie­bend ger­ne wei­te­re Wer­ke von Leo­nar­do stu­die­ren, da wir aus wis­sen­schaft­li­cher Sicht so gut wie nichts von dem Künst­ler wissen.

Mau­ri­zio Sera­ci­ni (*1946) ist ein ita­lie­ni­scher Mess­tech­ni­ker und Kunst­his­to­ri­ker. Sein Spe­zi­al­ge­biet ist die Unter­su­chung von Kunst­wer­ken, vor allem von Gemäl­den, mit den moderns­ten Tech­no­lo­gien aus der Medi­zin- und Militärtechnik.

Beson­de­res Auf­se­hen erreg­te er mit der Behaup­tung, Leo­nar­do da Vin­cis ver­lo­ren­ge­gan­ge­nes Ori­gi­nal­ge­mäl­de der Schlacht von Ang­hia­ri befin­de sich noch hin­ter der Mau­er eines Vasa­ri-Fres­kos im Palaz­zo Vec­chio in Florenz.

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