Herrin ihrer selbst
Rosa Loy schwärmt, spricht man mit ihr über ihre Arbeit – die Malerei – von der Schönheit der Welt, die ihr manchmal, in besonderen Momenten, begegnet. Schöne Momente – was ist das für sie? Wann erlebt sie sie? Und ist es nicht schmerzhaft, dass sie immer gleich wieder verschwinden? Dass man sie im Grunde nicht halten kann? – Fragen über Fragen stelle ich ihr, und es springt sogleich ein Funke des leidenschaftlichen Schwärmens der Künstlerin auf mich über.
Festhalten, fixieren, behalten kann man sie nicht, diese Schönheit, die der besondere Moment in sich trägt, sagt Rosa, um mit der letzten Frage zu beginnen. Aber man kann sie vorbereiten, die schönen Momente. Man kann ihnen den Weg bahnen, sie gewissermaßen einladen. Ob der ersehnte Augenblick tatsächlich eintritt, ist aber nicht planbar. Im Gegenteil: Je mehr man die Absicht fixiert, je mehr man etwas will, desto geringer wird im Grunde die Chance, dass es passiert. Man kann den schönen Moment nicht erzwingen. Aber worauf wartet man eigentlich, was ist es denn genau, das da eintreten soll? Was ist ein schöner Moment, und was unterscheidet ihn von allen anderen Momenten des Lebens? Wenn er so sehr ersehnt wird, dieser Moment, hat man ihn dann schon einmal erlebt? Dann wäre aber auch nichts Neues daran, und die Erinnerung könnte zur Reproduktion des als Schönheit empfundenen Momentes ausreichen. Seine Einzigartigkeit ist es aber, die den Moment auszeichnet, zum schönen Moment macht. Gerade die Eigenwilligkeit und Freiheit, die überhaupt die Bedingung der Möglichkeit dieser Offenbarung sind, geben dem Moment Ereignischarakter.
Das Ereignis aber hat vor allem eine Eigenschaft: Es tritt ein – oder nicht … unabhängig von unserem Willen. Tritt es ein, sollte man bereit sein, es zu empfangen, und deshalb bedarf es der Vorbereitung. Es kann das gesamte Leben auf einen Schlag von Grund auf verändern. Es gleicht einem Blitz, der in unmittelbarer Nähe einschlägt – er kann uns zerstören, aber er kann auch die existenzielle Chance für den Einzelnen sein, sein Leben neu und selbstbestimmt zu gestalten. Für Rosa Loy sind es diese Momente, die sie als Malerin gestalten will, Momente der Schönheit, und sie sieht ihre Arbeit als Möglichkeit, diese selbstempfundene Macht des schönen Moments in die Welt zu tragen und damit das Leben insgesamt schöner und in diesem Sinne besser und sinnvoller zu machen. Dem Innersten selbstbestimmt Ausdruck zu verleihen, Formen zu schaffen, die es so vorher nicht gegeben hat – das ist die Arbeit, die Aufgabe der Kunst. Künstler sind in diesem Sinne ein Medium. Sie bewegen sich zwischen den Welten: ihrer grenzenlosen, offenen, noch unbestimmten einerseits und auch in der Realität der anderen, in der alles reglementiert vorstrukturiert ist. Das ist die Normalität, die Alltäglichkeit, für die ein Einschlag von wirklich Neuem, das die bekannten und gewohnten Regeln sprengt, eher katastrophal wahrgenommen wird. Das gilt es zu vermeiden!
Des Künstlers Freiheit, sein Träumen und Sehnen, sein Fantasieren hinein in andere Welten: das was die Schönheit des Momentes, dem er Ausdruck verleiht, überhaupt ausmacht, ist dem Normalitätsmenschen Ungeheuer und Gefahr. Spricht er von Freiheit, so meint er immer schon einen Zustand innerhalb heteronom gesetzter Grenzen. Er setzt sich immer in Vergleich zu anderen und wird er den anderen gegenüber nicht offensichtlich nachteilig behandelt, hat er also Freiheit wie jeder, fühlt er sich frei. Die Schönheit des Künstlers ist unvergleichbar. Schönheit entsteht in der Freiheit der Gestaltung seiner Gedanken seines Geistes, seines Lebens. Arbeit ist wesentlich Arbeit an sich selbst, an der Ästhetisierung und Stilgebung des eigenen Lebens. Denken und Existenz sind untrennbar und bedingen einander. Selbstbestimmt leben, die Existenz in diesem Sinne frei zu gestalten – das ist die Schönheit, das gute Leben der Künstler-Existenz. Das Schaffen des Künstlers ist schön, wenn es aus Freiheit geschieht, aus Freiheit in der Gestaltung. Es ist die gelebte Freiheit, die in der Schaffung des Neuen liegt, Sinnstiftung, Weltveränderung durch künstlerische Arbeit.
Die Arbeit des Künstlers an sich selbst, seine Selbstdisziplinierung, ja seine Einübung in Lebensverhältnisse, die die Größe haben, sich offenbarende Ereignisse, Momente der Schönheit zu empfangen und mit ihnen zu arbeiten, ist somit gleichzeitig immer auch noch mehr: Sinnstiftung für die Welt. Wenn der Blitz einschlägt, überträgt sich die „göttliche“ Energie auf den Menschen. Das ist schwer auszuhalten ohne das rechte Maß an Transformation, Weitergabe eigenen Ausdrucks in die Welt. Der göttliche Funke, der das Feuer, die Leidenschaft, das Leben, die Elektrizität durch den Menschen schießt, verbindet ihn gleichzeitig mit ALLEM, aber er muss abgeben und Medium neuer Ausdrucksformen dieser Intensität, die Schönheit sein. Rosa Loy malt ihre Bilder in dieser Blitz-Farbe, diesem Blitz-Klang, sie malt kein Ding vor sich hin, oder ein Objekt, das mit ihr nichts mehr zu tun hätte. Nein, sie tritt mit dem Bild in einen Dialog, verrät sie mir in unserem Gespräch, und setzt sich, über den reinen Akt des Malens hinaus, immer auch kritisch mit dem künstlerischen Schaffen, das sie in dem Moment ausübt, auseinander. Es findet ein Dialog statt, ein gegenseitiges Wachsen aneinander, eine ästhetische Bildung. Damit bleibt sie nie auf einer Stufe bei sich selbst stehen, sondern wächst in diesem (Selbst-)Dialog auch immer ein Stück über sich hinaus.
Künstlerisches Schaffen ist ein Über-sich-hinaus-Schaffen. Friedrich Nietzsche nannte das den Willen zum Leben oder auch: Wille zur Macht, der sich zu allererst in der Ermächtigung des Individuums über sich selbst gründet. Die subjektive Ausdrucksform, die je künstlerische Eigen-Sprache ist, sei es, so Rosa Loy, die von einer Echtheit zeugt und dadurch besonders ist. In ebendieser Besonderheit wirkt dann auch ein Bild von Rosa auf andere. Es spricht die Menschen besonders an. Die Sehnsucht, die Intensität, die sie als Malerin in ihr Bild beim Malen gesteckt hat, spricht den Betrachter ebenso intensiv an – in seiner starken Wahrnehmung, die es bei ihm auslöst. Je mehr sie aus sich ganz selbst heraus ein Werk gestaltet, je subjektiver ihr Motiv und die Intention ist, desto „besser“ werden Rosas Bilder angenommen und verstanden. Vielleicht erfahren ja Menschen, die sonst nicht oder wenig ihr Leben künstlerisch zu gestalten vermögen, im Erfahren dieser Bilder etwas von dem künstlerischen Sein, das auch in ihnen selbst verborgen liegt.
ZEUGUNG IM SCHÖNEN
Ein schönes Leben meint hier ein bejahenswertes Leben im Sinne eines selbstbestimmten Lebens. Freie Selbstbestimmung ist als Wahrheit des Menschseins das höchste Gut, das Schönheit stiftet. Ein wahres, gutes und schönes Leben ist ein selbstbestimmtes Leben. Sich aus sich zu sich selbst zu entwickeln ist die Zeugung in Freiheit, die das Schöne zeugt. Durch Selbstbestimmung zeugt man die Schönheit, und die Schönheit ist Zeugung in Freiheit. Diese Zeugung des Schönen als Zeugung in Freiheit ist nicht zu trennen von der Lust des Menschen an sich selbst. In seiner Selbstmacht zeigt sich der Mensch nicht nur in seiner Schönheit, sondern er zeugt sich in Schönheit. Im Schönen feiert der Mensch die Lust an seiner Selbstbestimmung, an seiner Selbstmacht, und nichts gibt mehr das Gefühl von Anmut und Würde als die Erfahrung, dass die Macht an uns wächst. Das Gefühl für Anmut und Würde, die Wahrnehmung des schönen Vorscheins und des wirklichen Grundes von Schönheit entwickelt sich mit dem Gefühl der Selbstmacht, und mit ihnen wachsen Stolz und Mut in uns. Im Schönen also setzt sich der Mensch einen Maßstab seiner Anmut und Würde; er feiert sich und betet sich an in der Schönheit der Selbstbestimmung.
In diesem Vermögen der Freiheit feiert er seine eigentliche Zeugungskraft und das ist es ja, was wir eigentlich in der Schönheit der Kunst feiern: unsere Zeugungskraft. Unsere Zeugungskraft beweisen wir aber nach Schiller in der spielerischen Arbeit mit uns an uns in der Sublimierung. Das Schöne ist selbst ein Ethos, das in seiner Erhabenheit fasziniert und verführt, es ist das Medium, in dem sich die Autoevolution ereignet und sich perspektiviert, es ist der Grund und das Telos übermenschlichen Seins.
In der Lebens-Kunst wird der Mensch, was er ist. Er erzeugt sich für sich selbst, gibt sich einen ihm wesentlichen Vorschein, indem er sich selbstmächtig zeugt und dadurch sich schön zeigt. Im Willen zur Selbstmacht bejaht der Mensch nicht nur die Schönheit des Lebens, sondern der Wille zur Selbstmacht ist Wille zu einem bejahenswerten, schönen Leben, der sich am Individuum zuvörderst als Wille zum Schönen, Erhabenen, zum anmutigen und würdigen Körper formiert.
Rosa Loy, die ihre Arbeit als Malerin, ja vielleicht ihre Pflicht, im Ausdruck in der Gestaltung des Schönen ansieht, steht damit für Zeugung des Schönen im Schönen. Wenn das auch bedeutet, dass man sich immer weiter entwickeln will in diesem Ausdruck, sich intensivieren und in diesem Sinne über sich hinaus schaffen, so ist doch ganz klar, dass es nicht um die Zeugung von Perfektion, um das starre Verlangen nach dem perfekten Bild, nach dem perfekten Ausdruck geht. Denn dann wäre man ja am Ende, die Bewegung, das Leben wäre erstarrt, und es gäbe keine Steigerung und Sehnsucht mehr in der Welt. Alles wäre sehr langweilig und mehr noch: es wäre Stillstand, Tod.
Das Tolle am Leben ist, dass nie etwas tausend-prozentig gelingt! Jeden Tag ein neuer Versuch…!