Eine unmittelbare Malerei von außergewöhnlicher haptischer Qualität, ein Wühlen in der Farbmaterie gepaart mit einem intensiven Arbeitsprozess, ein intuitives Agieren auf der Bildoberfläche: Es hat den Anschein, als wolle der Künstler Martin Pohl in seiner Arbeit zum Ursprung des Mediums Malerei zurückkehren, die Grenzen ausloten und sich der elementaren bildnerischen Qualitäten bewusst werden.
Pohls Malmaterialen sind reines Pigment, mit Nitro verdünnt und gebunden durch warmes, streichfähiges Wachs, eine in Acryl eingefärbte, monochrome Hartfaserplatte oder Leinwand und verschiedene Spachteln. Die Vorbereitungen für den bildnerischen Arbeitsprozess sind durchdacht und folgen festgelegten Regeln, vor dem Malgrund agiert der Künstler aber intuitiv und frei. Beim Ziehen der Schwünge ist dieser Freiraum unverzichtbar, um unmittelbar auf das Bild und seine haptische Präsenz reagieren zu können, um ein offenes Auge dafür zu haben, wohin die Hand die Spachtel führt, was es auf der Oberfläche zu entdecken gilt.
Pohl experimentiert mit den Möglichkeiten der Malerei, aber auch mit jenen des Raumes, in dem die Malereien zu sehen sind.
Pohl liebt ausladende Bewegungen, starke Formen und spontane Gesten. Die breit geschwungenen, wellenartigen Formen und ihr dynamischer Gestus haben aber auch etwas Leichtes, bisweilen kontemplativ Ruhiges. Mit geübter Hand entscheidet der Künstler, wie viel Druck auf die Spachtel ausgeübt werden soll, mit welcher Intensität – kräftige und weiche Schwünge, dicht gespachtelte und zart transparente Flächen – die Farbpaste auf den Bildgrund aufgetragen wird. Schicht um Schicht wird ein illusionistischer, sehr plastischer Farbraum komponiert, einem visuellem Klangteppich gleich, mit Höhen und Tiefen, stillen und lauten Passagen. Weich überlappen sich einzelne Bahnen, leuchtend reines Kolorit – weiß, grün oder violett – erscheint auf fein durchschimmerndem schwarzen, weißen oder blauen Bildgrund.
Die meist zweifärbig angelegte Malerei ist abstrakt. Der malerische Duktus ist unmittelbar und ohne Beiwerk, die gestische Abstraktion klar und konsequent ausgeführt. Sie reduziert sich auf das Wesentliche: Farbe, Form und Material. Pohl verzichtet auf die traditionellen Funktionen des Bildes wie Nachahmung und Illusion, er will nichts abbilden oder erzählen. Gibt es eine lesbare Bildgeschichte, kann sich der Künstler hinter sie zurückziehen oder vielleicht auch verstecken, wenn aber der abstrakte Gestus offen daliegt, muss dieser allein für sich sprechen. Hier lenkt nichts vom rein Malerischen ab – es ist eine Reduktion auf fundamentale Malvorgänge, eine prozessuale, selbstreflexive Malerei.
Er lässt seine abstrakten Bilder in skizzenhaft dargestellten Museumsräumen – durchaus mit einem gewissen Wiedererkennungswert – auftauchen. Die Zeichnungen wirken in ihrer klaren, reduzierten Zeichensprache wie architektonische Entwürfe, Modell- oder Versuchanordnungen einer geplanten künstlerischen Intervention. Großzügig hängen hier großformatige Arbeiten, nehmen Malereien flächendeckend ganze Ausstellungswände oder gar den gesamten Museumsboden ein. Es sind optische Illusionsräume, wobei die Raummalereien auf die Architektur reagieren: Details wie Maueröffnungen oder Türen werden mit einbezogen, die weiche Malerei stößt auf harte geometrische Formen, die malerische Fläche kontrastiert mit weißen Wänden und perspektivischen Verkürzungen. Dabei gelingt Pohl ein grandioser Kunstgriff: Der Künstler bemächtigt sich des Museumsraums und lässt ihn – nicht ohne Ironie – Teil des Bildes werden. Er entwirft sich seine eigenen, virtuellen Ausstellungen in den großen Kunsthäusern der Welt. Pohl braucht für seine Bilder nicht mehr die aufgeladene „Aura“ eines Museums oder einen institutionalisierten Repräsentationsraum, er erschafft sich seinen Raum selber. Der Bild-im-Bild-Charakter lässt die Grenze zwischen dem Kunstwerk und seiner Präsentationsform verschwimmen. Ein raffiniertes Spiel mit Verdoppelung und Täuschung, vielleicht auch ein Infrage stellen von etablierten Ausstellungs- und Betrachtungsformen. Die Malerei ist zugleich der Kunstraum ihrer Präsentation.
Andere Werke erinnern an Naturlandschaften, so etwa Gebirgsformationen oder auch an Wiesen und Felder. Doch sind es Landschaften, die wir sehen? Oder glauben wir nur, solche zu erkennen, da unser Blick so konditioniert ist? Nicht ein Abbilden und in Folge Wiedererkennen eines bestimmten Berges oder einer Gegend ist intendiert, Pohl transformiert das emotional, historisch und symbolisch stark besetzte Bergmotiv in sehr freie, aber deshalb nicht weniger suggestive Malerei. Vor monochromem Hintergrund türmen sich die Farbberge auf, ein Weiß von enormer Plastizität und dennoch atmosphärisch leicht. Der Malprozess ist ungebrochen auf der Leinwand sichtbar (so sind z.B. Rinnspuren zu sehen), ein vielleicht erkennbarer figurativer Bildgegenstand tritt hinter den Malakt zurück. Wieder sind die Werke in erster Linie von der Farbe und dem Malprozess her gedacht.
Stehe ich als Betrachter vor Pohls Farbräumen, glaube ich zu erkennen, dass es sich nur um einen kleinen Ausschnitt der künstlerischen Wirklichkeit handelt. Das Ende der Leinwand ist nicht das Ende des Bildes. Die Malereien weisen darüber hinaus und rufen das Gefühl des Unendlichen hervor. Dabei fordern die Bilder uns auf, sich im Raum zu bewegen. Im Wechsel von Nähe und Distanz werden die Malereien lebendig und natürlich durch das Licht. Die modellierten Farbschichten fangen das Licht ein, lassen die Bilder leuchten.
Martin Pohl erschafft Malereien von barock verspielter Schönheit und Ernsthaftigkeit, zwischen meditativen Farbräumen und vibrierender Oberfläche, frei und spontan, aber auch durchdacht – seine Kunst operiert nicht mit einer bestimmten lesbaren Botschaft, wirkt aber nie rein zufällig. Die Intensität der ungemischten Farben, die materielle Unmittelbarkeit, der kräftige wie zarte Gestus lassen uns eine Malerei erfahren, die sich selbst genügt und von einer leidenschaftlichen Verehrung für dieses Medium getragen ist.