Ich mochte das Bild schon als Kind nicht. Es hing als billiger Druck auf Strukturpappe in einem güldenen Rahmen über dem Sofa meiner Großeltern und dünstete Armut aus. Der hässliche, alte Mann mit Schlafmütze und in Decken gehüllt, ersinnt mit der Schreibfeder zwischen den Lippen ein Gedicht. Die alte Matratze, auf der er lagert, stinkt bis in unsere Stube und die Feuchtigkeit kriecht mir schon beim Betrachten des Bildes unter die Haut. Er hat einen Schirm aufgespannt, damit der Regen nicht aufs Papier tropft und vor dem Ofen liegen stapelweise beschriebene Blätter, die darauf warten, verheizt zu werden.
Besser kann man einem Kind die Lust am Schreiben nicht austreiben. Sieh her, so ergeht´s einem, wenn man sich für eine Dichterin hält! So mahnend und vorwurfsvoll wie anderswo ein gekreuzigter Jesus aus der dunklen Zimmerecke der Kinderseele Schuld zuraunt, hängt mir noch heute das imaginäre Kratzen der Feder im Ohr. Was mag der Arme Poet geschrieben haben? Große Wortkunst, die im Feuer zu Rauch aufging und statt des Geistes nur die armselige Kammer erwärmte oder Reime voller Herzschmerz und Schüttelschmalz – zum Verheizen gerade recht? Wir werden es nicht erfahren, denn darum ging es nie. Es ging um die Poesie der Armut. DAS hat den Erfolg dieses scheußlichen Gemäldes ausgemacht – die Romantik der brotlosen Kunst, das Idyll der selbstlosen Hingabe an die Kunst und das Ideal des Künstlers aus Leidenschaft! Dieses Bild ist schuld daran, dass es auch heute noch Menschen geradezu unanständig finden, wenn Künstler*innen Geld für ihre Arbeit erwarten, dass Ausstellungsvergütungen immer noch nicht selbstverständlich sind und hemmungslos geschachert wird, wenn es um Kunst geht. Echte Künstler*innen leben von Luft und Liebe, die brauchen nichts, denn die KUNST ist ihre Passion!
Die Unverfrorenheit solcher Zuschreibungen wird einem sofort klar, wenn man sich mal vorstellt, man würde einer beliebigen anderen Berufsgruppe ein solches Selbstverständnis zumuten. Hey Maurer, bau mir mal mein Haus, das machst du doch gerne! Du brennst doch dafür, sonst hättest du das nicht als Beruf gewählt. Und bedenke, welch eine Werbung für dein Handwerk, wenn jeder dein Haus sehen kann! Das ist doch mehr als genug Lohn und du darfst das völlig gratis auf meinem Grundstück tun! Aber kann man Künstler*innen und Kulturschaffende mit Maurern vergleichen? Sind Kunst und Kultur einfach nur Berufszweige mit dem letztendlichen Ziel des Gelderwerbs? Natürlich nicht, denn niemals wären Kunstwerke von so gültiger Größe, Schönheit und Erhabenheit entstanden, wenn es den Erschaffer*innen nur um Geld gegangen wäre. Ganz im Gegenteil, die größte Kunst ist einzig um ihrer selbst willen entstanden. L’art pour l’art heißt es und setzt den unbedingten Drang des Künstlers zur KUNST voraus. In dem Moment, wo er (oder sie) sich Gedanken darüber macht, was beim Publikum ankommt und bezahlt wird, ist die Kunst verwässert, wenn nicht gar vergiftet. Kunst ist, wenn überhaupt, mehr als Handwerk und dieses Mehr wird gespeist von der Passion der Künstlerin. Die Leidenschaft, mit der sie sich der Kunst hingibt, befeuert die Kunst in einem Maße, das aus Idee Ideal werden lässt. Leiden-schaft – allerdings hat, wie der Name schon sagt, ihren Preis. Wer sich einmal einer leidenschaftlichen Affäre hingegeben hat, kann das bestätigen. Was in der Liebe die Ehe kosten kann, fordert in der Kunst einen ganz anderen Tribut. Oft ist es das ganze Leben, das der Kunst untergeordnet und in wichtigen Teilen geopfert wird.
ART – NOTHING ELSE MATTERS
Gleichzeitig kann Kunst so unglaublich beglückend sein, dass sie jeden Verzicht wert ist. Sowohl das Betrachten, Erfühlen, Erfassen und Empfinden von Kunst, als auch das Erschaffen selbst kann eine berauschende Wirkung haben und bleibt, ähnlich wie die Liebe, ein Mysterium. In diesem Mysterium liegt die Erklärung für all die Inbrunst, mit der manche Künstler oder Sammler der Kunst frönen, was sie dafür erdulden, hinnehmen, erleiden. Das Herzblut, das in ihre Werke einfließt und der Verve, mit dem sie zur Vollendung streben, markiert den Grenzübertritt von Fleiß, Talent und Lust zur Passion. Was wäre die Welt ohne diese bedingungslose Hingabe? Umso rätselhafter bleibt der Erfolg des »Armen Poeten« von Spitzweg. Was, zur Hölle, gefällt bloß den Leuten an der Armut von Künstlern? Vielleicht sehen sie in ihnen Idealbilder, die es ablehnen, sich und ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Absurd daran ist, dass dieselben Leute denen, die ihr künstlerisches Talent zur Herstellung dekorationstauglicher Wandbehänge missbrauchen, das Geld in den Hals werfen und genau diejenigen verhungern lassen, deren kompromisslose Hingabe an die Kunst sie zu wahren Meisterwerken befähigt. Das liegt wahrscheinlich daran, dass die meisten wirklichen Künstler*innen ihrer Zeit voraus sind und als Pioniere neue Wege beschreiten. Sie sind Grenzgänger, oft Grenzüberschreiter und ihre Lieblingsgrenze ist die Schmerzgrenze. Dafür gibt’s Anerkennung erst von der überüberübernächsten Generation, also posthum, das ist ja auch billiger. Wie schön könnte es sein, wenn es andersrum wäre: Diejenigen, die ihre Machwerke zu Markte tragen, nutzen ihre Leinwände und Texte zum Heizen und die Künstler*innen schwelgen im Luxus! Ich bin sicher, nicht nur die Künstler – auch die Welt wäre reicher!
Natürlich gibt es sie, die Künstler*innen, die gerade wegen ihrer kompromisslosen und im wahrsten Sinne freien Kunst gefeiert (und bezahlt) werden – aber es ist ein verschwindend kleiner Teil Glücklicher, die von Förderern und Galeristinnen erkannt und gehypt werden. Die absolut überwiegende Zahl der der Kunst leidenschaftlich Verfallenen, die sich im wahrsten Sinne für die Kunst verzehren, wartet vergebens auf Anerkennung, die sich auch monetär manifestiert. Augen auf bei der Berufswahl, denkt sich mancher vielleicht und vergisst dabei, dass Kunst weit mehr ist als ein Studiengang. Wie hemmungslos Liebende, sind Künstler oft Getriebene, die ihrer Passion folgen MÜSSEN. Ebenso gibt es aber auch Mäzeninnen und Gönner, die ihr Augenmerk weniger auf die Romantik der Armut legen, sondern die Leidenschaft für die Kunst teilen und wertschätzen. Mal ehrlich: Was gibt es Schöneres, als zwei in Leidenschaft Verbundene, die besinnungslos ihrer Passion frönen? Nix!