Über die Vollkommenheit der Natur

Über die Vollkommenheit der Natur

Olaf Rip­pe ist The­ra­peut, Autor, Refe­rent und Lieb­ha­ber der Küns­te. Wenn er ein Phä­no­men betrach­tet, sei es eine Heil­sub­stanz oder eine Krank­heit, nimmt er stets unter­schied­li­che Per­spek­ti­ven ein, so auch im Gespräch mit uns. In sei­nen Publi­ka­tio­nen und Vor­trä­gen nutzt er die Kunst als Medi­um, um heil­kund­li­ches Wis­sen zu ver­mit­teln. Kunst und Heil­kunst spei­sen sich für ihn aus den glei­chen Quel­len und sie haben ver­wand­te Zie­le. Sei­ne Vor­ge­hens­wei­se ist ganz­heit­lich und von altem Wis­sen geprägt. Im span­nen­den Inter­view mit ihm erfah­ren wir, wel­che Rol­le der Kunst in die­sen Hei­lungs­pro­zes­sen zukom­men kann, wie Künst­le­rin­nen und Künst­ler ver­schie­dens­ter Epo­chen bewusst Heil­pflan­zen und heil­sa­me Sym­bo­le in ihren Wer­ken zum Aus­druck gebracht haben, war­um Pflan­zen mit Signa­tu­ren »gezeich­net« wur­den und wie der Mensch sich als Teil des Para­die­ses erken­nen kann.

Olaf Rip­pe beim Gespräch, Foto: Hugo V. Astner

Wie ist Ihre Bezie­hung zur Natur? Seit wann füh­len Sie sich der Natur nahe?

OLAF RIPPE: Ich bin in der Natur groß gewor­den. Mein Spiel­platz waren die Wie­sen und Hünen­grä­ber Nord­deutsch­lands. Ich fühl­te mich frei. In der Stadt habe ich dann spä­ter erfah­ren müs­sen, wie wenig ech­te Natur es dort zu erle­ben gibt – Hoch­häu­ser begren­zen den Blick auf das gro­ße Gan­ze. Ein frus­trie­ren­des Gefühl. Viel­leicht war dies sogar eines mei­ner Moti­ve, den Beruf des Heil­prak­ti­kers zu ergrei­fen. Mein Erkennt­nis­weg lebt von der sinn­li­chen Bezie­hung zur Natur. Ich set­ze mich zur Pflan­ze und beob­ach­te still und erfreue mich an der Schön­heit der Natur, denn die­se Schön­heit ist es, was letzt­end­lich das wirk­lich Hei­len­de ist. Außer­dem geht Pro­bie­ren über Stu­die­ren. Selbst habe ich hun­der­te von Pflan­zen gesam­melt, um dar­aus Arz­nei­en her­zu­stel­len und die­se auch meis­tens an mir selbst aus­pro­biert. Mit mei­nem Men­tor Max Amann, einem Meis­ter der Phy­to­the­ra­pie, der mir auch den Weg von der Che­mie zur Alchi­mie zeig­te, war ich als frisch­ge­ba­cke­ner Heil­prak­ti­ker dazu viel in der Natur unter­wegs. »Schau genau hin«, hat er immer gesagt. Er woll­te, dass ich mer­ke, wie ein Baum wirk­lich wächst, wie er sich rhyth­misch bewegt, mit wel­chen Signa­tu­ren er sich uns offen­bart, wel­che Gesich­ter er mir zeigt. Es braucht ein kon­tem­pla­ti­ves Schau­en, kein wis­sen­schaft­li­ches Fixie­ren, um dem Wesen der Natur nahe zu sein.

Welche Par­al­le­len wür­den Sie per­sön­lich zwi­schen Kunst und Natur iden­ti­fi­zie­ren? Wie viel Kunst steckt in der Natur?

OLAF RIPPE: Die Natur schafft die Kunst nur für sich, sie macht Kunst, um zu leben und um das bio­lo­gi­sche Gleich­ge­wicht zu erhal­ten. Die Natur erfreut sich an sich selbst. Sie braucht kei­nen Betrach­ter, sie ist in sich selbst erfüllt und ist von voll­ende­ter Ästhe­tik. Damit aber aus einer Natur­sub­stanz ein Heil­mit­tel wird, muss sie vom Men­schen berührt und umge­wan­delt wer­den. Jede Natur­sub­stanz hat ein hei­len­des Agens in sich, das man mit unter­schied­li­chen Metho­den kunst­voll auf­schlie­ßen und ver­edeln kann – dies ist das Ziel der Alchi­mie. Die Ver­ede­lung nut­zen wir seit Jahr­tau­sen­den bei­spiels­wei­se auch als Gärt­ner. Ein wil­der Wein ist unge­nieß­bar, aber ein von Men­schen­hand ver­edel­ter Wein kann ein groß­ar­ti­ges Kunst­werk sein. Ähn­lich ist es auch bei der Rose: erst die Ver­ede­lung bringt sie zur Voll­endung. Rose und Wein sind nicht ohne Grund Sym­bo­le eines höhe­ren Bewusst­seins und zu Attri­bu­ten von Maria und Jesus geworden.

Ihr Beruf als The­ra­peut hat sehr viel mit Lei­den­schaft zu tun. Wie dür­fen wir uns die­se Beru­fung vorstellen?

OLAF RIPPE: Tat­säch­lich ist mein Beruf eigent­lich ein klas­si­scher Meis­ter­be­ruf und er hat viel mit Beru­fung zu tun. Ein The­ra­peut braucht eine inne­re Bereit­schaft und einen Meis­ter, der einen in die­sen Beruf ein­führt. Mit Max Amann hat­te ich das Glück, einen sol­chen Meis­ter gefun­den zu haben. Alles fängt mit der Theo­rie an und endet in der Pra­xis und die­ser Weg ist sehr lang. Einen Rit­ter­schlag zum Meis­ter gibt es nicht. Aber irgend­wann gibt es eine rela­ti­ve Gewiss­heit, ange­kom­men zu sein. Um eine bestimm­te Qua­li­tät zu errei­chen, benö­tigt man auf jeden Fall Lei­den­schaft. Man kennt kei­nen Aus-Knopf, aber wenn man den Beruf liebt, ist das nicht wirk­lich anstren­gend. Zudem habe ich das Glück, dass ich mei­ne Lei­den­schaft prak­tisch von Anbe­ginn an mit mei­ner Lebens­part­ne­rin Mar­gret Made­js­ky tei­len darf. Die Arbeit als Heil­prak­ti­ker ist zum Glück auch abwechs­lungs­reich. Den Men­schen betrach­te ich dabei nicht als Sum­me von Sym­pto­men. Der Mensch sitzt vor mir als ein Meis­ter­werk der Schöp­fung, aller­dings im Kri­sen­mo­dus, so dass er sich die­ses Zustands nicht mehr bewusst ist. Das Wesen von Krank­heit birgt immer auch ein Gefühl von nicht gebor­gen sein in sich, von Man­gel, von Ver­sa­gen, von Schuld. Dies geht vom Zwei­fel bis zur Ver­zweif­lung. Die Pra­xis­ar­beit hat somit auch seel­sor­ge­ri­sche Aspek­te. Die­se braucht erheb­lich Zeit und Zeit fehlt in der Medi­zin von heu­te viel­leicht am meis­ten – zum Glück ist dies als Heil­prak­ti­ker weni­ger ein Pro­blem. Um eine Krank­heit zu begrei­fen, ist es zudem wesent­lich, den bio­gra­fi­schen Pro­zess des Men­schen zu ver­ste­hen. Jeder Pati­ent bringt sei­ne gan­ze Lebens­ge­sich­te mit und die­se ist immer ein­ma­lig. Der wesent­li­che Aspekt in der Heil­kunst ist ein Ja zur eige­nen Bio­gra­fie, es hat kei­nen Sinn zu hadern, denn Hadern blo­ckiert den Heil­pro­zess. Was es braucht, ist die Aussöhnung.

In Ihren Vor­trä­gen und Büchern bau­en Sie immer wie­der Kunst­wer­ke ein,um Zusam­men­hän­ge zu erklä­ren. Wie sind Sie auf die­se Idee gekom­men  und kön­nen Sie uns das eine oder ande­re Bei­spiel nennen?

OLAF RIPPE: Kunst ist ein idea­les Medi­um zum Begrei­fen eines Heil­pro­zes­ses. Künst­ler haben einen beson­de­ren Blick auf die Phä­no­me­ne. Sie bil­den nicht die Rea­li­tät ab wie ein Foto, son­dern schau­en in das Unsichtbare
hin­ein. Kunst ermög­licht einen Blick hin­ter die Kulis­sen des Sicht­ba­ren. Als The­ra­peut habe ich das glei­che Anlie­gen. Irgend­wann habe ich dann die Heil­pflan­zen auf Bil­dern ent­deckt. Sie sind Infor­ma­ti­ons­trä­ger und als sol­che ver­mit­teln sie Heil­kennt­nis­se der jewei­li­gen Zeit­epo­che. Sie sind Attri­bu­te von Göt­tern oder Hei­li­gen und wir erfah­ren so etwas über deren beson­de­re Qua­li­tä­ten. Wenn Impres­sio­nis­ten wie Monet, Pflan­zen stim­mungs­voll in Sze­ne set­zen, berührt dies unmit­tel­bar die See­le des Betrach­ters. Vie­le Bil­der sind ein per­fek­ter Spie­gel mensch­li­cher See­len­zu­stän­de. In ihnen kann man sich wie­der­fin­den, über sich reflek­tie­ren oder in neue Gefühls­sphä­ren empor­ge­ho­ben wer­den. Neh­men wir von Cas­par David Fried­rich »Der Mönch am Meer«. Die­ses Bild ver­wen­de ich ger­ne, um die Melan­cho­lie zu beschrei­ben. Der Mensch, wie er ein­sam den Schick­sals­mäch­ten aus­ge­setzt ist. Jedes Gemäl­de reprä­sen­tiert eine Fül­le an Ideen, es ist immer ein Gesamt­kunst­werk und Tei­le eines Bil­des las­sen sich eigent­lich nicht weg­den­ken. Genau­so ver­hält es sich mit einer Heil­pflan­ze. Auch sie ist ein Gesamt­kunst­werk und die Bot­schaf­ten, die dar­in ste­cken, las­sen sich nicht auf Wirk­stoff­for­meln redu­zie­ren. Eben­so ist der Pati­ent nicht nur die Sum­me sei­ner Blut­wer­te. Ich set­ze Kunst­wer­ke in mei­nen Vor­trä­gen und Büchern des­we­gen ger­ne als Bot­schaft ein, um die Wir­kun­gen einer Pflan­ze oder See­len­zu­stän­de auf ande­re Wei­se zu beschrei­ben, als dies in Fach­bü­chern sonst üblich ist. Die Wirk­stoff­for­mel von Sapo­ninen im Efeu dürf­te nur für den Che­mi­ker von ästhe­ti­schem Genuss sein, wäh­rend der Efeu auf dem Gemäl­de Pro­ser­pi­na von Dan­te Ros­set­ti viel­fäl­ti­ge Bot­schaf­ten für den Betrach­ter bereit­hält, wenn man sie denn lesen kann (sie­he Bild). Je län­ger ich sol­che Bil­der betrach­te, des­to mehr beschleicht mich das Gefühl, dass der Künst­ler selbst etwas Hei­len­des erle­ben kann, wenn er Pflan­zen malt oder Zustän­de darstellt.

Sie sam­meln auch selbst Kunst? Wel­che Kunst­rich­tung schät­zen Sie besonders?

OLAF RIPPE: Wenn ich das not­wen­di­ge Klein­geld hät­te, wür­de mei­ne Samm­lung aus Arte­fak­ten der Mensch­heits­ge­schich­te bestehen, so wie dem klei­nen Pferd aus Elfen­bein, das man bei Ulm gefun­den hat. Ich wür­de auch anti­ke Kunst­ge­gen­stän­de sam­meln, da hier häu­fig Göt­ter-Mythen im Zusam­men­hang mit Pflan­zen­dar­stel­lun­gen the­ma­ti­siert sind – unver­gleich­lich ist die Scha­le mit Dio­ny­sos als See­fah­rer, umge­ben von Wein und Del­phi­nen. Danach wird es für mich in der Roma­nik und Gotik wie­der inter­es­sant, vor allem in sakra­len Bau­wer­ken. Dort vor allem die Orna­men­tik und Form­ge­bung, die sich auf die Pflan­zen­welt bezieht – Meis­ter­wer­ke fin­det man im Dom zu Naum­burg. Fas­zi­nie­rend in Sachen Pflan­zen­bil­der ist die Kunst der Renais­sance, die Zeit von Dürer und Para­cel­sus. Vie­le Kunst­wer­ke sind wie gemal­te Rezep­te – mein Lieb­lings­bild in die­ser Hin­sicht ist der Isen­hei­mer Altar mit den Heil­pflan­zen­dar­stel­lun­gen zur Behand­lung des Anto­ni­us­feu­ers. In die­ser Epo­che wer­den mit einer genia­len Exakt­heit zum ers­ten Mal Pflan­zen natu­ra­lis­tisch erfasst. Hier fin­det sich auch die Zeit der alten Kräu­ter­bü­cher, der »Väter der Bota­nik«, wie Leon­hard Fuchs. Impres­sio­nis­ten wie Monet, Sym­bo­lis­ten wie Böck­lin und Prä­raf­fae­li­ten wie Bur­ne Jones sind ein Augen­schmaus für die See­le. Im 20. Jahr­hun­dert ver­lang­te die Zeit der Zer­ris­sen­heit auch nach ande­ren Aus­drucks­for­men, bei­spiels­wei­se die Sur­rea­lis­ten: Max Ernst fin­de ich begna­det, sein Bild „Die Lebens­freu­de“ lie­be ich sehr – man schaut in eine magi­sche Pflan­zen­welt, die fas­zi­nie­rend, aber auch unheim­lich und wild erscheint. Bleibt noch der phan­tas­ti­sche Rea­lis­mus eines Ernst Fuchs und die psy­che­de­li­sche Kunst wie die von Fred Weid­mann, des­sen Wer­ke ich sammle.

Der Zugang zur Natur ist eng ver­bun­den mit über­lie­fer­tem Wis­sen, das weit in die Mensch­heits­ge­schich­te zurück­reicht. Wie haben wir Men­schen uns eigent­lich im Lau­fe die­ser Jahr­tau­sen­de ver­än­dert? Inwie­fern kann die­ses Wis­sen heu­te noch ange­wen­det werden?

OLAF RIPPE: Die Mensch­heits­ge­schich­te in Bezug zur Kunst ist lang, sie beginnt bereits bei den spek­ta­ku­lä­ren Höh­len­ma­le­rei­en wie in Las­caux. Ich glau­be, dass Kunst ganz viel damit zu tun hat, in wel­che Dimen­sio­nen wir als Mensch über­haupt hin­ein­schau­en kön­nen. In alter Zeit hat man aus dem Inne­ren der Phä­no­me­ne her­aus­ge­schaut und nicht wie heu­te von außen dar­auf und man hat dabei eine Welt vol­ler Wun­der gese­hen. Im Lau­fe der Ver­städ­te­rung und Indus­tria­li­sie­rung haben wir uns von der Natur immer wei­ter abge­wen­det und ihr ihre Wild­heit genom­men. Die Natur wur­de zu einem Ding. Doch Anfang des 19. Jahr­hun­derts ent­stan­den aber auch die ers­ten Gegen­strö­mun­gen wie die Natur­freun­de, die auf Goe­the, Carus und Hufe­land zurück­ge­hen oder die theo­so­phi­sche Bewe­gung und hier fin­den wir auch die Anfän­ge einer moder­nen Natur­heil­kun­de. Die öko­lo­gi­sche Bewe­gung von heu­te, die man als Wei­ter­ent­wick­lung sehen könn­te, ist aber lei­der immer noch zu ver­ding­licht. Es geht dort nicht um das Wun­der der Schöp­fung, son­dern man möch­te die Cel­lu­lo­se-Mas­se erhal­ten und das Kli­ma ret­ten, aller­dings nicht, um Mut­ter Erde zu ehren. Was es wirk­lich braucht, ist etwas Uni­ver­sa­lis­ti­sches und vor allem eine inten­si­ve Inter­ak­ti­on mit dem Ahnen­wis­sen. Auch die psy­che­de­li­sche Kunst ist ein gutes Vehi­kel, um eine Anbin­dung an die magi­sche Welt zu fin­den. Wir haben uns zu sehr davon ent­fernt und das macht krank – Zivilisationskrank.

Sie haben sich inten­siv mit der Signa­tu­renleh­re von Theo­phras­tus Para­cel­sus beschäf­tigt. Zu wel­chen Erkennt­nis­sen führt die­se Leh­re und wie kön­nen die­se ange­wen­det werden?

OLAF RIPPE: Durch die Natur­ent­frem­dung ken­nen wir die Pflan­ze nur mehr über die Wirk­stof­fidee. Das Ergeb­nis ist eine dünn­darm­lös­li­che Gela­ti­ne­kap­sel-Arz­nei­kul­tur, ohne jede Magie. Die Natur­heil­kun­de geht da einen völ­lig ande­ren Weg und ver­mut­lich liegt da auch der Grund für die neu­er­dings hef­ti­gen Angrif­fe sei­tens der Wis­sen­schaft, die inzwi­schen einen dog­ma­ti­schen Anspruch auf Wahr­heit erhebt und ande­re Sicht­wei­sen nicht tole­rie­ren will. Für mich ist Para­cel­sus hier eine mög­li­che Brü­cke. In ihm ver­bin­den sich unter­schied­li­che Sicht­wei­sen. Auf ihn kön­nen sich eigent­lich alle glei­cher­ma­ßen beru­fen. Er ist der Schöp­fer einer moder­nen wis­sen­schaft­li­chen Labor­me­di­zin, aber sei­ne Welt­sicht ist inte­gra­tiv. In sei­ner Welt ist auch Platz für Ele­men­tar­we­sen und ein gött­li­ches Wir­ken, was er als Licht der Natur bezeich­ne­te. Was ich von Para­cel­sus gelernt habe, ist der Respekt vor dem Erfah­rungs­wis­sen. Wie er schreibt, ist in der Natur nichts ohne Heil­kraft. Damit wir erken­nen kön­nen, wofür, hat das Gött­li­che sie gezeich­net, ihr Signa­tu­ren mit­ge­ge­ben, eine bestimm­te Gestalt, einen Geruch, einen Geschmack, einen Wachs­tums­ort, eine Wachs­tums­ge­mein­schaft, eine Wachs­tums­zeit und so wei­ter. So wie die Natur, ist auch der Mensch vol­ler Signa­tu­ren und jede Krank­heit hat ihr ganz spe­zi­el­les Aus­se­hen. Die Auf­ga­be des The­ra­peu­ten ist es, die Signa­tu­ren des Men­schen mit jenen der Natur in Reso­nanz zu brin­gen. Durch die Reso­nanz erfolgt die Heilung.

Können Sie ein Bei­spiel nennen?

OLAF RIPPE: Neh­men wir die Erz­engel­wurz – sie hat eine stark aus­ge­bil­de­te Wur­zel mit einem inten­si­ven wür­zig-her­ben und leicht schar­fen Geschmack, sym­me­trisch geform­te, fein­ge­zahn­te Blät­ter, die sich wie gro­ße Adler­schwin­gen gebär­den. Im zwei­ten Jahr ent­wi­ckelt sich ein men­schen­ho­her Stamm und in der Kro­ne beschützt die Pflan­ze mit ihren Hüll­blät­tern das Hei­ligs­te und offen­bart schließ­lich, wie bei einer Geburt, eine kuge­li­ge Gestalt mit unzäh­li­gen win­zi­gen Blü­ten, als ob Licht dar­aus strahlt und alle Ster­ne erreicht, wie eine Brü­cke ins Uni­ver­sum. Daher der Name Erz­engel­wurz. Das Volk gibt einer Pflan­ze kei­nen Namen ohne Grund. Die­se Pflan­ze ist geeig­net für Men­schen, die sich schwach und abge­trennt füh­len vom gött­li­chen Strom, die erdrückt wer­den von Ängs­ten und auch von unan­ge­neh­men Gedan­ken der Düs­ter­keit. Die Erz­engel sind die Brü­cke in die höhe­ren Bewusst­seins­sphä­ren, zur höchs­ten Intel­li­genz. Geheilt sein bedeu­tet mit die­ser Intel­li­genz in Schwin­gung, in Reso­nanz zu sein. Die Erz­engel­wurz hat im Volk daher das aller­höchs­te Ansehen.

Wir brau­chen in Sachen Heil­mit­tel­er­kennt­nis also unter­schied­li­che Zugänge?

OLAF RIPPE: Die Fra­ge ist doch: War­um muss­ten wir über­haupt anders als unse­re Ahnen an die Sache her­an­ge­hen? Ich glau­be, dass wir durch die natur­wis­sen­schaft­li­che Betrach­tungs­wei­se unse­re Urangst vor der Wild­heit der Natur kom­pen­siert haben. Wir haben die Natur domes­ti­ziert und ihr danach bei ihre Magie genom­men. Wir konn­ten dadurch sehr ins Detail hin­ein­schau­en, haben jedoch den Über­blick über das gro­ße Gan­ze ver­lo­ren. In der Inte­gra­ti­on alten Wis­sens liegt in mei­nen Augen der Schlüs­sel. Die tech­ni­sier­te Welt ist bequem, macht uns aber nicht wirk­lich glück­lich. Wir brau­chen die Über­win­dung unse­rer mate­ria­lis­ti­schen Welt­sicht, ein Bewusst­sein dafür, dass wir Men­schen uns nicht selbst erschaf­fen haben, ein Ver­ständ­nis dafür, dass es eine geis­ti­ge Sphä­re gibt, die wir nicht benen­nen können.

Viele Natur­völ­ker, die unab­hän­gig von­ein­an­der an unter­schied­li­chen Orten der Erde ihre »hei­len­den« Ritua­le ent­wi­ckelt haben, schei­nen über ein ähn­li­ches Wis­sen ver­fügt zu haben, obwohl kei­ne direk­te Kom­mu­ni­ka­ti­on mög­lich war. Wor­auf ist das zurück­zu­füh­ren – hat das mit »Natur­ge­set­zen « zu tun, die wir in uns haben?

OLAF RIPPE: Das ist eine uni­ver­sel­le Spra­che, das Gesetz der Reso­nanz. Außer­dem unter­lie­gen wir alle seit Urzei­ten den glei­chen Gesetz­mä­ßig­kei­ten. Indi­ge­ne Völ­ker haben ihre Ritua­le, um immer wie­der Teil der Schöp­fung zu wer­den. Krank­heit ent­steht nach alter Vor­stel­lung aus der Ver­let­zung eines Tabus oder dem uner­gründ­li­chen Wir­ken höhe­rer Mäch­te – aber immer trifft es nicht das Indi­vi­du­um, son­dern die gan­ze Sip­pe, daher sind auch die Heil­ri­tua­le immer kol­lek­tiv. Geheilt wer­den muss dem­nach auch die gan­ze Gesell­schaft und nicht der Ein­zel­ne, wie heu­te meist üblich. Um ein Phä­no­men zu ver­wan­deln, brau­che ich also eine bestimm­te geis­ti­ge Hal­tung zum Gegen­über, sei es Mensch, sei es Natur. Auch hier sehe ich unse­re Ahnen viel stär­ker in Reso­nanz, so dass ihnen moder­ne Krank­hei­ten erspart blie­ben. Die­se Form von Reso­nanz ermög­licht ein gemein­sa­mes Wis­sen und das Bild einer Weltgemeinschaft.

Jede Arz­nei fin­det ihren Ursprung in der Natur. Kann denn Ihrer Mei­nung nach auch allein die Kunst ein Heil­mit­tel sein?

OLAF RIPPE: Ja, unbe­dingt. Wir drü­cken durch die Kunst unse­re eige­ne Vor­stel­lung von Schön­heit in die­ser Welt aus und auch unse­re Sehn­sucht. Das ist Aus­druck unse­rer indi­vi­du­el­len Magie. Es ist wich­tig, dass man sich mit Kunst umgibt oder auch selbst Kunst erschafft. Die Kunst wur­de seit jeher in den Heil­pro­zess invol­viert. Krank­heit muss einen künst­le­ri­schen Aus­druck fin­den dür­fen, damit Hei­lung mög­lich ist. Wie Joseph Beuys rich­tig bemerk­te, ist jeder Mensch ein Künst­ler und mei­ner Mei­nung nach auch ein Heilkünstler.

Was wird die Zukunft bringen?

OLAF RIPPE: Ich befürch­te, dass wir uns noch wei­ter von der Natur ent­frem­den. Mei­ne Hoff­nung ist, dass immer mehr Men­schen mer­ken, dass man durch die Natur zum See­len­frie­den fin­det, wenn man zweck­frei mit ihr in Ver­bin­dung tritt. Wenn wir in die­se acht­sa­me Hal­tung der Schöp­fung gegen­über kom­men, bräuch­ten wir vie­les nicht mehr ein­neh­men. Wir wären wie­der Teil des Paradieses.

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