Hallelujah! Die Kunst ist frei und ich bin freie Künstlerin. Das klingt, hat Grösse und riecht nach Revolution. Künstler machen, was sie wollen, denn Kunst ist nicht definierbar und wird allein vom Künstler zu selbiger gemacht. Und Künstler machen, wann sie wollen, und ohne Musenkuss geht mal gar nichts. Ein Glas Rotwein hilft auch. Künstler leben von Luft und Liebe, dürfen alles und werden gefeiert. Kunst ist die schönste Hauptsache der Welt.
Wenn da nur nicht die Galeristen wären, die sich am Erfolg festsaugen und vom Künstler abfallen, sobald nichts mehr zu holen ist. Die fordern und manipulieren und nur das wollen, was man auch zu Geld machen kann. Die machen den Künstler groß und halten ihn klein. Oder die Sammler, die statt Kunst auch gleich ein Wertpapier rahmen könnten. Und erst der Zeitgeist, der polierte Oberflächen fordert. Wobei diese monetären Facetten noch pillepalle sind, im Vergleich zu Abhängigkeiten von Staat und Politik. Man denke nur an die „entartete Kunst“ im NSRegime, an die Kunstförderung genehmer Kunst in der DDR oder an die Kulturprogramme populistischer Parteien, die ausschließlich Kunst für förderungswürdig halten, die die Schönheit der jeweiligen Nation unterstreicht. Apropos Förderung: Ohne die wird’s ganz schwer, mit der Unabhängigkeit. So ganz allein seine Kunst zu verkaufen, ist nämlich komplett aussichtslos. Da wird der freie Künstler ganz schnell zum freien Sozialfall. Entgegen der allgemeinen Annahme braucht es nämlich außer Luft und Liebe auch noch etwas Brot.
Was macht der Künstler? Er schickt seine Kunst auf den Strich. Sie soll anschaffen gehen und bei der Wahl der Freier nicht wählerisch sein. Blumen gehen immer. Die Kunst geht dabei natürlich vor die Hunde, nur der Künstler überlebt. Allerdings nicht als Künstler. Bestenfalls als Zuhälter.
Wo also, ist sie, die freie Kunst? Keine Sorge: Es gibt sie. Und es gibt den freien Künstler, die freie Künstlerin. Die ist so berühmt, dass sie die Regeln macht und sich weder manipulieren noch kaufen lässt. Die Frage ist nur, wie man diesen Ruhm und die damit verbundene Unabhängigkeit erreicht.
Unendlich viele Faktoren spielen da eine Rolle, aber eines ist unabdingbar: ein Striptease, bei dem der Künstler als erstes die Meinung und Erwartung der anderen ablegt. Danach die eigene Angst und zum Schluss die Zweifel. Innovatives, freies Denken und Authentizität lassen Kunst entstehen. Nur ein freier Geist schafft freie Kunst. So einfach ist das. Und so schwer.
Anja Es
Kurpromenade
23669 Timmendorfer Strand
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