VOR NUNMEHR 18 JAHREN WURDE IN MASSA MARITTIMA EINE BRUNNENMAUER FREIGELEGT, AUF DER SICH EIN BEMERKENSWERTES FRESKO BEFAND − „L’ALBERO DELLA FECONDITÀ“ ODER DER PHALLUS-BAUM. ES HANDELT SICH UM EINEN BRUNNEN AUS DEM 13. JH. − ZUFÄLLIG ENTDECKT AM 6. AUGUST 2000, AN DESSEN RÜCKWAND SICH JENES FRESKO MIT SEINER HÖCHST EIGENTÜMLICHEN DARSTELLUNG BEFINDET.
Was an diesem Fresko so seltsam ist, ist das Sujet: Zu sehen sind sieben Frauen, zwei davon in einen handgreiflichen Disput verstrickt, unter einem mächtigen Baum, der von schwarzen Vögeln umschwirrt wird. Die Frauen pflücken offenbar Früchte von diesem Baum, der etwas Unnatürliches oder Übernatürliches ausstrahlt, denn bei den „Früchten“ handelt es sich beim näheren Betrachten um 25 (!) männliche Geschlechtsteile. Wir haben es hier nicht nur mit der besterhaltenen Freskodarstellung eines europaweit zu dieser Zeit offenbar gar nicht so untypischen Bildmotivs profaner Wandmalerei zu tun, das auch wissenschaftlich außerordentliche Beachtung erfuhr, sondern auch mit dem frühesten erhaltenen (nach Ferzoco zwischen 1270 und dem Beginn des 14. Jh. entstanden). Darstellungen dieser Art sind äußerst selten. Bisher sind überhaupt nur zwei weitere freskierte Phallusbäume bekannt, einer heute nur mehr in der Rekonstruktion erhalten, von der Burg Lichtenberg im Vinschgau (um 1400), heute im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, und der andere auf Schloss Moos-Schulthaus, welche später datiert (ca. 1475) in Eppan, Südtirol.
Ich verfolge das Thema nun schon seit mehr als zehn Jahren, und die ausführliche Besprechung wird einige Überraschungen liefern. Die bildlichen Darstellungen auf mittelalterlichen Gemälden sind in der Regel codiert und folgen einer bestimmten Syntax. Es war damals nicht die Intention, Realität abzubilden, sondern der symbolische Gehalt, die „Message“ war das Wesentliche, in einer Welt, wo Analphabetismus die Regel und Bildung nur dem Klerus und dem Adel zugänglich war.
Bildliche Darstellungen des Mittelalters wollen also entschlüsselt werden, − denn es steckt ja mehr dahinter als das, was man in der Abbildung sieht. Nur wer zu deuten weiß, versteht den Sinn. Wir müssen auch bedenken, wie das Mittelalter mit der Sexualität umging. Wir sehen in der bildlichen Darstellung dieser Zeit immer eine Reduktion auf das Wesentliche − der Mann als Ikone der Potenz sozusagen − und die Frau als das fremde, zum Teil gefährliche, undurchschaubare Wesen. − Und daran hat sich im Laufe der Geschichte auch nicht so viel verändert.
Es ist die Zeit des Hexenhammers und der Inquisition. Der Bund mit dem Satan und die Sünde des Fleisches standen im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses, zum Nachteil einer perversen Verfolgung Unschuldiger mit Zustimmung und Billigung der offiziellen Kirche als deren Auftraggeber. Sogenannte „Hexen“, vermutlich alles ehrbare Frauen, wurden für alles Mögliche beschuldigt: für Missernte, Unwetter, Hungersnöte und vor allem auch wegen Behexung des membrum virile, des männlichen Geschlechtsteiles, wie es in der damals gebräuchlichen lateinischen Fachsprache heißt, im Speziellen bei unerklärlicher Impotenz. Dafür wurde ihnen der Prozess gemacht, und hunderte landeten auf dem Scheiterhaufen.
Die Derbheit in Sprache und Sitte kontrastierte mit einer sehr gepflegten Minneliteratur, wo die Polarität des damaligen Weltbildes in Bezug auf die Frau im Kontrast zu der eher sachbezogenen Verwendung ihrer Genitalien zum alleinigen Zwecke der Reproduktion und des Auslebens von „Verbotenem“ in der niederen Prostitution zum Ausdruck kam. Ein im heutigen Sprachgebrauch sogenannter Bestseller seiner Zeit, zumindest unter den Gebildeten sehr bekannt, war der sogenannte „Rosenroman“ aus dem 13. Jahrhundert, um 1235 von Guillaume de Lorris begonnen, reich bebildert, welcher als das einflussreichste Werk der französischen Literatur gilt, und der die Sehnsucht nach der unerfüllbaren Reinheit der Liebe zu einer fiktionalen Geliebten zum Ausdruck brachte.
Erwähnenswert deshalb, weil sich darin auch eine bemerkenswerte Illustration findet: nämlich die erste bildliche Darstellung eines Phallusbaumes, wo eine ältere Nonne (!) zu sehen ist, damit beschäftigt, Phalli von einem Baum zu pflücken und in einem Korb zu verstauen. Bemerkenswert vor allem auch der dazu assoziierte Text: „Inutile de resistier au désir de nature! Même l’habit monastique ne vors sera d’aucun secours! Cueillez donc les Planiert de la die!“ oder frei übersetzt: Es ist sinnlos, den Ruf der Natur zurückzuweisen. Selbst zu leben wie ein Mönch (oder ein Heiliger) würde dich nicht davor schützen. Deshalb ist besser, das Leben und seine Freuden voll zu genießen! Auf einer anderen Seite ein Mönch, der einer Nonne als Präsent oder Weihgabe einen überdimensionierten Phallus überreicht. Auf einem dritten wird ein Mönch von einer Nonne an seinem „besten Stück“ wie ein Hund an der Leine geführt.
Wir müssen uns auch darüber klar sein, dass Sex im Mittelalter viel offener behandelt wurde, auch innerhalb der Kirche, und dass es das Obszöne in der heute konnotierten Bedeutung noch nicht gab. Die Darstellung des Nackten war, wie in der Antike, eben bloß das Gegenteil des Bedeckten, sonst nichts, und das heute so bezeichnete „Obszöne“ mag damals das schlichtweg Normale gewesen sein. Sogar die Kirche hatte sich nicht daran gestoßen, dass damalige Steinmetze Entblößungen, erigierte Phalli, und auch weibliche Geschlechtsorgane in Kirchenkapitelle meißelten.
Nicht zur Abschreckung, − sondern um den bösen Blick zu bannen, der immer (in heutiger Sichtweise) von demjenigen abhängig ist, der es betrachtet. Und als Brautgeschenk gab es so genannte Minnetruhen. Aus dem Raum Basel findet sich eine, welche ebenfalls mit dem Phallusbaum verziert ist.