Die Befreiung vom Diktat der „Ismen“

Im Interview

Oswald Ober­hu­ber und die „Per­ma­nen­te Ver­än­de­rung“, ange­lehnt an Leo Tortzkis Begriff der „Per­ma­nen­ten Revo­lu­ti­on“, gehö­ren zusam­men. Anläss­lich der Retro­spek­ti­ve im 21er Haus in Wien tref­fen wir den ers­ten infor­mel­len Künst­ler Öster­reichs und spre­chen mit ihm über den radi­ka­len Bruch mit einer Idee, wie Kunst gelehrt wer­den kann und war­um aus sei­ner Sicht der Wie­ner­Ak­tio­nis­mus nichts ver­än­dert hat.

Welche Kern­aus­sa­ge steckt in der per­ma­nen­ten Veränderung?

Da spie­len vie­le Momen­te her­ein. Ich möch­te kei­ne Wie­der­ho­lun­gen und ich glau­be auch nicht an Wie­der­ho­lun­gen. Das ist die Aus­gangs­ba­sis mei­ner Kunst, dass ich ver­lan­ge, dass jedes Bild neu erstellt wer­den soll, aber neu auch in der For­mu­lie­rung. Es muss immer eine eige­ne Aus­sa­ge haben und getrennt sein vom Vor­her­ge­hen­den. Die Kunst­his­to­ri­ker suchen nach Zuord­nun­gen, um den Künst­ler sicht­bar zu machen und dar­an glau­be ich nicht. Ich glau­be nicht an den gleich­blei­ben­den Vor­gang, einer Idee nach­zu­hän­gen. Es gibt dann kei­ne neue Mög­lich­keit sich zu äußern, son­dern man bleibt in die­ser glei­chen Aus­sa­ge. Das ist der Grund mich gegen Wie­der­ho­lun­gen zu weh­ren. Ich bin einer Idee gegen­über untreu.

Ihr Kunst­schaf­fen voll­zog sich stets fern jeder Stil­rich­tung. Wie erlebt man das als Künstler?

Es gibt kei­nen Stil. Die­se Begrif­fe, die im 18. und 19. Jhd. ein­ge­führt und auch vor­her­ver­wen­det wur­den, das ist im Grun­de eine Fest­le­gung, damit man einen Faden hat, um die Künst­ler ein­zu­ord­nen. Aber eigent­lich sind die Künst­ler nicht ein­zu­ord­nen. Picas­so hat sich dage­gen gewehrt, indem er ein­fach immer etwas ande­res gemacht hat. Das ist ein inne­rer Vorgang.

Hat der Wie­ner Aktio­nis­mus in Ihren Augen etwas verändert?

Über­haupt nicht. Ich habe die Situa­ti­on mit­er­lebt. Der Wie­ner Aktio­nis­mus hat über­haupt nichts ver­än­dert. Die infor­mel­le Male­rei war eh schon vor­her da und im Grun­de haben die nichts ande­res getan als die­se Zer­stö­rung des Bil­des nach­zu­voll­zie­hen, indem sie es radi­ka­ler gemacht haben als ande­re Maler. Ich sehe das ganz nüch­tern und eher als Nach­fol­ge, als etwas, das schon war und noch­mals zum Aus­druck kommt.

Wie fin­den Sie zu den The­men Ihrer Kunstwerke?

Es gibt alle mög­li­chen Vor­gän­ge wie man zu The­men kommt und man darf das nicht so tief­grei­fend sehen. Das ist mei­ner Mei­nung nach der Feh­ler über­haupt. Es hat auch kei­ne grö­ße­re Bedeu­tung für mich. Es ent­ste­hen Seri­en, aber eher als Expe­ri­ment. Wenn die Serie zu Ende ist, dann ist es aus. Ich rei­se auch viel. Von die­sen Ein­drü­cken rufe ich oft Bil­der ab.

Jede Lösung, jede fer­ti­ge Auf­fas­sung ist nach Fer­tig­stel­lung auf jeden Fall falsch und sofort wie­der in ande­rer Wei­se zu lösen. 

Gab es in Ihrer Kind­heit prä­gen­de Ereig­nis­se für Ihre künst­le­ri­sche Laufbahn?

Ich glau­be nicht, dass man als Kind vie­le Erleb­nis­se hat die vor­zeich­nend auf die Kunst hin­wei­sen. Mit 12 Jah­ren wur­de ich als Minis­trant von den Kapu­zi­nern geför­dert und durf­te auf die Kunst­schu­le gehen. Ob das prä­gend war, weiß ich nicht, aber zumin­dest hat es einen gewis­sen Weg vor­ge­zeich­net. Ich habe auch jeden Tag in einer Buch­hand­lung ein Buch von Picas­so ange­se­hen. Ein Buch kann einem oft mehr sagen als irgend­ein Leh­rer. Die Anre­gung ist wich­tig. Leh­rer woll­ten mich nur behin­dern. Man wehrt sich gegen ein Dik­tat, dem man nicht ent­spricht. Ich habe mich gegen das Dik­tat der „Ismen“ auf­ge­lehnt. Ich hat­te Recht, denn mitt­ler­wei­le wol­len alle Künst­ler anders sein.

Sie haben auch an der Uni­ver­si­tät gelehrt. Wie haben Sie den Unter­richt gestaltet?

Tat­sa­che ist, dass ich mich nie ein­ge­mischt habe in die Tätig­keit der Stu­den­ten, weil ich der Mei­nung bin, jeder soll sich selbst fin­den. Ich habe immer Abstand genom­men von der Ein­brin­gung mei­ner selbst. Mei­ne Haupt­tä­tig­keit war es, den Stu­den­ten Kunst zu zei­gen. Jeder Schü­ler von mir ist eine eige­ne Per­sön­lich­keit geblie­ben, bei­spiels­wei­se Ernst Cara­mel­le, Franz West, Franz Graff, Eva Schle­gel u. a. Vie­le sind durch mei­ne Hän­de gelau­fen, ohne dass sie Ober­hu­bers gewor­den sind. Was mir auch ein Anlie­gen war.

Sie haben sich mit Kunst auch als Samm­ler, Gale­rist und Kura­tor aus­ein­an­der­ge­setzt. 1968–1970 grün­de­ten Sie sogar die Ober­hu­ber-Zei­tung. Wie kam es dazu?

Ja, ich habe damals vie­le Aus­stel­lun­gen gemacht und woll­te eine Art Kata­log dazu. Ich habe die­se Zei­tung immer selbst geklebt und dann dru­cken las­sen. In der Zei­tung ging es um alle mög­li­chen Aus­stel­lun­gen, wie z.B. „Kunst ohne Künst­ler“, eine Aus­stel­lung, die mir per­sön­lich sehr wich­tig war.

Rück­bli­ckend auf Ihre Mei­len­stei­ne, was wür­den Sie als das bedeu­tends­te Ereig­nis in Ihrem bis­he­ri­gen Leben bezeichnen?

Ganz ein­fach, dass ich mei­ne Frau ken­nen­ge­lernt habe. Das ist das Span­nends­te und das Schöns­te für mich. Was die Kunst betrifft, so erlebt man stän­dig Höhen­flug und Depres­si­on. Das geht gar nicht anders.

Ihre Retro­spek­ti­ve im 21er Haus war ein sehr gro­ßer Erfolg, wel­che Emo­tio­nen weckt so eine Aus­stel­lung in Ihnen?

Man hat eine Freu­de, man ist froh, dass es erkannt wird. Es hilft nichts, wenn man nur selbst an sich glaubt, man braucht jeman­den, der das sieht. Es ist so, dass man nichts mehr spürt, aber im posi­ti­ven Sin­ne. Es wäre ja nega­tiv, wenn ich jetzt in Kri­tik aus­ar­ten wür­de. Ich kri­ti­sie­re nicht, weil ich völ­lig zufrie­den bin. Es ist eine ganz gro­ße Leis­tung, die hier voll­bracht wurde.

Zum Künstler

Oswald Ober­hu­ber Foto: Alfred Weidinger

Ober­hu­ber lern­te zunächst von 1945 bis 1949 Bild­haue­rei an der Bun­des­ge­wer­be­schu­le Inns­bruck. Im Anschluss dar­an war Ober­hu­ber an der Aka­de­mie der bil­den­den Küns­te in Wien Schü­ler von Fritz Wotru­ba und an der Aka­de­mie in Stutt­gart von Wil­li Bau­meis­ter. 1972 war Ober­hu­ber der öster­rei­chi­sche Ver­tre­ter auf der Bien­na­le von Vene­dig. 1964/65 war er künst­le­ri­scher Bera­ter der Gale­rie nächst St. Ste­phan, die er 1973 von Otto Mau­er über­nahm und bis 1978 lei­te­te. Ober­hu­ber nahm 1977 an der docu­men­ta 6 und 1982 an der docu­men­ta 7 teil. 1973 wur­de er zum Pro­fes­sor an die Hoch­schu­le für ange­wand­te Kunst in Wien beru­fen, der er bis zu sei­ner Eme­ri­tie­rung 1998 ange­hör­te. Von 1979 bis 1987 und von 1991 bis 1995, lei­te­te er als Rek­tor die Hoch­schu­le. Ober­hu­ber stell­te mit Objekt­mö­bel, Ent­wür­fe, Zeich­nun­gen (1989) und Male­rei (1992) zwei Mal in der Gale­rie Vor­set­zen aus. Die Stutt­gar­ter Aka­de­mie ernann­te ihn 1982 zum Ehren­mit­glied, 2004 zum Ehrensenator.

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