Interview mit Alfred Weidinger, Direktor OÖ Landesmuseum
Alfred Weidinger ist nun seit April Direktor der OÖ Landes-Kultur GmbH. Sein Umzug von Leipzig nach Oberösterreich fand während der Ausnahmesituation aufgrund der Gesundheitskrise statt. Der Umzug konnte nur teilweise erfolgen. Ein großer Teil seiner Bücher befindet sich nach wie vor im Depot einer Spedition in München. Dennoch hat Alfred Weidinger schon begonnen aktiv zu wirken und sieht seine neue Aufgabe im Gestalten der Zukunft des Landesmuseums als einen Kulturauftrag im Sinne der gesamten Region. Wir haben den gebürtigen Oberösterreicher zu einem Gespräch geladen.
Eines hat die Krise bereits gezeigt: Starre Formate haben sich überlebt, aber Kultur ist ein Lebensmittel, auf das wir nicht verzichten können, es ist identitätsstiftend und wichtig für den Zusammenhalt einer Gesellschaft. Dafür werden wir weiter da sein.
Sie sind Oberösterreicher, also hier geboren und aufgewachsen. Welche Kindheitserinnerungen verbinden Sie mit Oberösterreich? Gibt es da auch Erinnerungen im Zusammenhang mit den Landesmuseen?
Der Attersee ist zu einem Sehnsuchtsort geworden. Hier bin ich aufgewachsen, dieser kristallklare See hat mich nachhaltig geprägt. An das OÖ Landesmuseum habe ich leider keine besonderen Erinnerungen. Obwohl ich aus einer sehr kultur- und kunstaffinen Familie stamme, hat mich das Landesmuseum in meiner Kindheit und Jugend nicht angezogen. Damit die jungen Menschen heute wissen, dass wir viel zu bieten haben, sind wir darum auf allen Kanälen aktiv.
Herr Weidinger, seit April sind Sie nun als Geschäftsführer der OÖ Landes-Kultur GmbH tätig. Die GmbH wurde auf Ihren Wunsch hin eingerichtet. Welche Vorteile birgt diese innovative Organisationsstruktur der Landesmuseen jetzt im Hinblick auf das Ergebnis, das Sie erzielen möchten?
Das OÖ Landesmuseum war die letzte Landesinstitution in Österreich, mit allen Vor- und Nachteilen. Die recht späte Umwandlung gibt uns die Möglichkeit, aus den Erfahrungswerten anderer Institutionen zu lernen. Aber bei meinem Antritt wollte ich die Möglichkeiten eines zeitgemäßen Unternehmens zur Verfügung haben und nicht mehr mit veralteten Strukturen kämpfen. Vor allem sind wir ein Museum mit vielen Standorten in der Region und vielen Sparten, von zeitgenössischer Kunst bis zu heimatkundlichen Sammlungen, die wir so viel besser vernetzen und jedes Haus in seiner Bedeutung stärken können. Für unsere Identität ist es wichtig, dass wir aus der Vergangenheit lernen, in der Gegenwart agieren und auf die Zukunft ausgerichtet sind – und zwar in ganz OÖ, nicht nur in Linz.
Die GmbH umfasst eine recht komplexe Museumsstruktur. Die Begrifflichkeiten, die uns ins Auge gesprungen sind lauten ART, CULTURE und NATURE. Können Sie uns bitte kurz umreißen welche Museen, Sammlungen und Forschungsgebiete hier aufeinandertreffen und wo Ihrer Ansicht nach die Schwerpunkte liegen?
Die OÖ Landes-Kultur GmbH vereint eine große Anzahl von Sammlungen und Wissenschaften aus den Bereichen Kunst, Kultur und Natur. Als Dreigestirn sind sie die Pfeiler der programmatischen und interdisziplinären Ausrichtung unserer Institution, jedes mit seiner eigenen Bedeutung. Der spektakuläre Grabfund in Litzlberg bei Seewalchen am Attersee Ende März ist nicht weniger spannend als die aktuelle Ausstellung von Valie Export im FC. Einen Schwerpunkt legen wir vor allem auf Gebiete, die noch nicht so stark vertreten sind, wie etwa Fotografie und Medienkunst, für die wir das Francisco Carolinum neu ausrichten.
Diese Disziplinen und Wissenschaften, die nun in dieser Unternehmung zusammengefasst sind, können wahrscheinlich interagieren. Wie genau wird sich diese Interaktion dann im Programm niederschlagen? Gibt es dazu schon erste Ansätze?
Unsere programmatische Ausrichtung ist interdisziplinär, schließlich haben wir Spezialisten aus allen möglichen Fachrichtungen in unseren Häusern, die sich gegenseitig inspirieren und unterstützen. Die Arbeit in Projektteams aus unterschiedlichen Wissenschaften ist ein großer Vorteil für uns, wie der Grabfund eben gezeigt hat. Das Grab wurde erst vor zwei Monaten entdeckt und bereits seit Mitte Mai wissen wir, kennen wir die Identität der Verstorbenen und können die spannenden Forschungsergebnisse in einem mobilen Museum vor Ort zeigen, weil Archäologen, Anthropologen, Historiker und Kulturvermittler zusammengearbeitet haben – und zwar live und für alle einsehbar in einem öffentlichen Projektblog.
Bis über die Grenzen Deutschlands hinaus sind Sie mittlerweile als „Museumsumkrempler“ bekannt. Sie haben das MdbK Leipzig in kürzester Zeit zu einem „Diamanten“ geschliffen unter höchster Einsatzbereitschaft und mit vollem Engagement. Das durften wir bei diversen Eröffnungen und in Gesprächen mit Ihrem Team auch selbst so erleben. Das Profil eines Museumsdirektors im Jahr 2020 – wie muss das aussehen?
Idealerweise sollte man gerne kommunizieren – und zwar in alle Richtungen. Zumindest für mich war das schon immer wichtig, denn der Austausch öffnet Türen. Ich interessiere mich für die Interessen anderer Menschen und kann mich für Ideen begeistern, das ist wahrscheinlich ganz hilfreich. Allerdings denke ich, dass das nicht nur für auf einen „Museumsdirektor“ zutrifft, sondern ganz allgemein Gültigkeit besitzen sollte.
Was haben Sie sich nun für Oberösterreich vorgenommen – was werden Sie hier „erneuern“ und einem Innovationsschub unterziehen? Wo sehen Sie Chancen?
Oftmals werde ich nach dem Standort meines Büros gefragt. Er ist für mich allerdings nicht besonders relevant. Wie antworte ich also? Die OÖ Landes-Kultur GmbH hat zwar eine Postadresse und ist selbstverständlich auch zu verorten, aber unser Standort ist das ganze Bundesland Oberösterreich. Und genau das ist doch unser Vorteil, man kann uns an vielen Orten finden, ob auf dem Dachstein, auf einem Salzkammergutsee, auf einer Hügelkette im Mühlviertel oder, wie soeben mit einem Projekt in einer kleinen Gemeinde. Wir treffen überall auf unsere Geschichte, wir repräsentieren sie und schreiben gleichzeitig an ihr mit. Das ist die größte Chance überhaupt: An etwas teilzunehmen und mitzugestalten, was man Heimat nennt.
Was denken sie aus heutiger Sicht, werden die Herausforderungen sein, die da auf Sie zukommen?
Die Herausforderung für die nächsten drei Jahre ist, gemeinsam harmonisch zusammenzuwachsen und der Verantwortung gerecht zu werden, die wir alle in den verschiedenen Institutionen tragen.
Wir haben nun ja alle eine „Schockstarre“ erlebt.Vor allem der Kunst- und Kulturbereich ist davon schwer und wahrscheinlich auch langfristiger betroffen. Die Museen müssen nun wohl alle umdenken. Da es sich um lernende Organisationen handelt, werden auch schon einige den Wandel eingeleitet haben. Wie wird sich aus Ihrer Sicht die Post-Corona ‑Museumslandschaft entwickeln?
Sie sollte sich entschieden verändern. Ich fürchte nur, dass die Chancen nicht ergriffen werden. Ich werde aber alles daran setzen, dass wir weiter flexibel auf den Wandel reagieren können. Eines hat die Krise ja bereits gezeigt: Starre Formate haben sich überlebt, aber Kultur ist ein Lebensmittel, auf das wir nicht verzichten können, es ist identitätsstiftend und wichtig für den Zusammenhalt einer Gesellschaft. Dafür werden wir weiter da sein.
Arbeiten Sie hier in Oberösterreich mit einem größeren Team als in Leipzig?
Die OÖ Landes-Kultur GmbH ist bedeutend größer als das MdbK Leipzig, darum arbeiten hier etwa 10 Mal so viele Mitarbeiter*innen.
Wie arbeiten Sie mit diesem Team? Wir nehmen an, nicht nach Hierarchie oder? Verfolgen Sie den Projektansatz, also gibt es Projektgruppen?
Absolut, Teamgeist ist mir wichtig. Ich arbeite gerne mit interdisziplinären Projektgruppen, weil der Austausch viel mehr Ideen befördert als ein Einzelner haben kann. Das ist nicht nur viel spannender, es ist auch viel produktiver und außerdem können wir so rasch auf aktuelle Entwicklungen reagieren.
Ihre Herangehensweise zu Ausstellungsprojekten ist unserer Meinung nach sehr offen und experimentell. Vor allem hatten Sie auch nie ein Problem damit pro Woche gleich mehrere Ausstellungen parallel zu eröffnen und auch nicht damit aus geringen Budgets viel herauszuholen. Die Anekdote mit dem Bootstransport für die Yoko Ono – Ausstellung kommt uns da beispielsweise in den Sinn. Wird dieser kreative Zugang in Oberösterreich auch umsetzbar sein bzw. wird es für diese Struktur Sinn machen?
Sollte es notwendig sein einmal kurz den Lastwagen oder einen Stapler zu fahren, dann werde ich das auch in Oberösterreich tun. Nichts ist schlimmer als Stillstand.
Wir verfolgen regelmäßig die LIVE-STREAM „STORIES“ auf Ihrem Kulturkanal – welches Feedback können Sie da jetzt kurz nach dem Start verzeichnen?
Das Format funktioniert. Die Entwicklungsphase, die wir schon im MdbK Leipzig begonnen haben, ist weitgehend abgeschlossen. Nun kommt die Einführungsphase, in der sich die Community aufbaut. Der Prozess wird etwa zwei bis drei Jahre dauern. Was ist das Besondere an diesem Format? Es ist authentisch, zeitgemäß und wir liefern aktuellsten Content. So berichten wir aus der archäologischen Grabung genauso, wie aus dem Künstleratelier, einer Diskussionsveranstaltung oder auch live aus einer neolithischen Seeufersiedlung, also vom Grund eines Salzkammergutsees. In meiner Laufbahn habe ich von meine Kolleg*innen unendliche viele Geschichten erfahren. Leider schaffen es nur ganz wenige an die Öffentlichkeit. Unsere Live-Streams werden das ändern.
Wir wissen, dass Sie leidenschaftlicher Fotograf sind. Hatten Sie in den letzten Jahren überhaupt Zeit dafür?
In den letzten beiden Jahren war leider kaum Zeit dafür. Ich habe aber vor, mein Dokumentationsprojekt in Afrika demnächst wieder aufzunehmen. Die Sahrawi sind eine maurische Ethnie im nach wie vor von Marokko okkupierten Staat Westsahara. Ich habe mir fest vorgenommen sehr bald die Stammesfürsten der Sahrawis zu treffen.
Zukunftsplanung ist im Augenblick ein heiß diskutiertes Thema. Wir haben nämlich erlebt, wie schnell Pläne durchkreuzt werden können. Dennoch erlauben wir uns die Frage zu stellen: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ich lebe für die Zukunft, sie ist ein wesentlicher Bestandteil meines Denkens, meine Zielsetzung sozusagen, an der ich mein Handeln ausrichte. Ich wünsche mir nicht nur, dass das Potential der OÖ Landes-Kultur sich weiter entfaltet und sichtbar ist, ich gebe dafür ganz aktiv mein Bestes.