Interview mit Angelika Fleckinger
EIN GESPRÄCH MIT MUSEUMSDIREKTORIN ANGELIKA FLECKINGER ÜBER ÖTZI, SEINE KONSERVIERUNG, ERFORSCHUNG UND VERMITTLUNG.
1991 wurde Ötzi in den Ötztaler Alpen entdeckt. Das entsprechende Museum dazu gibt es nun seit ziemlich genau 20 Jahren. Angelika Fleckinger, selbst Archäologin, leitet das Museum seit 2005. Am Herzen liegt ihr vor allem die erlebnisorientierte Vermittlungsarbeit. Dafür beauftragte sie die Paläokünstler Kennis&Kennis, die dem Mann aus dem Eis Leben einhauchten und eine verblüffend lebensechte Skulptur schufen. Sie unterstützt die Besucher nun dabei, die Lebensmomente von Ötzi vorstellbar zu machen, sich ihm emotional als Mensch zu nähern und weniger als Forschungsobjekt.
Ötzi ist ein Kulturgut, ein Phänomen, das weltweit Aufsehen erregt. Für Südtirol ist er mittlerweile ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Viele von den bisher 5 Millionen Besuchern kommen gezielt nach Bozen, um sich den Mann aus dem Eis anzusehen. Fleckinger wünscht sich dafür mehr Platz – ein neues Museum? Es kann gut sein, dass Ötzi in den nächsten Jahren seine Sachen packen und umsiedeln muss. Für ihn sicher eine willkommene Abwechslung.
Frau Fleckinger, wieviel Archäologie steckt in Ihrer Aufgabe als Museumsleiterin?
Das Berufsbild des Archäologen ist natürlich sehr vielfältig, je nachdem, wo man gerade tätig ist. Ein Archäologe, der an einer Universität arbeitet, kann sich der reinen Forschung widmen, im Bereich Bodendenkmalpflege hingegen ist Archäologie z.B. auch mit viel bürokratischen Verwaltungsaufgaben verbunden. Ganz anders ist es, wenn man, wie ich, das Glück hat, in einem archäologischen Museum zu arbeiten. Da spielen neben Betriebsführung auch Kreativität und Kunst eine Rolle: Die Kunst des Vermittelns, also ein Thema so aufzubereiten, dass man das Interesse der breiten Öffentlichkeit gewinnen kann. Wir dürfen etwas vermitteln, das per se die Weltöffentlichkeit interessiert: den Mann aus dem Eis und seine Beifunde. Er ist einmalig auf der Welt. Dennoch arbeiten wir daran, dass seine Entdeckung für die Museumsbesucher zu einem Erlebnis wird.
Als „Ötzi, der Mann aus dem Eis“ gefunden wurde, haben Sie an der Universität Innsbruck Archäologie studiert. Was waren Ihre Erlebnisse mit Ötzi bis zur Museumseröffnung?
Ötzi begleitet mich nun schon mehr als die Hälfte meines Lebens. Ich war damals eine 21-jährige Studentin und peohabe den Fund zuerst über die Medien verfolgt. Der richtige Wow-Effekt war Anfang Oktober, als wir zu Semesterbeginn unser Institut nicht wiedererkannten. Unser Vorlesungsraum war ein Campingplatz für Journalisten, die tatsächlich dort übernachtet und auf Pressekonferenzen gewartet haben. Das Institut für Urund Frühgeschichte war wirklich ab diesem Zeitpunkt und in den Folgejahren primär mit diesem Thema Ötzi beschäftigt. Ich habe dort bis 1995 fertig studiert und fing dann an, für das Amt für Bodendenkmäler in Bozen zu arbeiten. Am 16. Januar 1998 wurden die Mumie und die Beifunde nach der ersten Zeit in Innsbruck nach Bozen in das neue Archäologiemuseum überführt. Ich kann mich an den enormen Sicherheitsaufwand beim Transport erinnern. Vor dem Museum war die Hölle los, zahlreiche Schaulustige, Beamte, Journalisten und ich habe im Haus gewartet… Es war unheimlich leise, und plötzlich ging die Tür auf und die abgedeckte Leiche Ötzi wurde hereingetragen. Die erste Begegnung mit dem Toten war sehr emotional. Von da an sind wir als Team im Museum die Hüter von Ötzi, seine Wächter, und sehen das wirklich als große Verantwortung.
Wie lässt sich wissenschaftlich plausibel erklären, dass man in der Natur einen 5000 Jahre alten mumifizierten Körper finden kann? In der Ägyptologie kennt man die heiklen Prozesse der Mumifizierung – liegt es nur am Eis?
Kurz nach der Auffindung kursierten Theorien, dass hier eine Mumie aus Amerika oder Ägypten deponiert wurde, um diesen Sensationsfund zu inszenieren. Diese haben sich dann sehr schnell aufgelöst, weil durch die wissenschaftliche C14-Methode festgestellt wurde, dass dieser Körper über 5000 Jahre alt ist. Die genetischen Untersuchungen ergaben, dass er jedenfalls ein Mitteleuropäer ist und eben nicht ein Ägypter. Was bei Ötzi besonders ist, ist tatsächlich die Tatsache, dass sich sein Körper über 5000 Jahre im Eis konserviert hat. Es gibt andere Funde von Inuit in Grönland, wo Körper gut erhalten geblieben sind, die zwar wesentlich jünger sind, aber beweisen, dass Eis als Konservierung im Prinzip funktioniert. Ötzi ist in der großen Masse an Mumien, die sich weltweit erhalten haben, eine absolute Ausnahme, weil er augenscheinlich an der späteren Auffindungsstelle gestorben ist, von Eis und Schnee bedeckt wurde und so über 5000 Jahre dort verblieben ist. Nichts an ihm ist verändert worden. Anders in Ägypten, wo die Innereien entfernt und die Mumien mit Chemikalien behandelt und einbalsamiert werden.
Was sind derzeit die wichtigsten wissenschaftlichen Erkenntnisse an der mumifizierten Gletscherleiche Ötzi?
Was letzthin ein wichtiger Aspekt in der Forschung geworden ist, ist der genetische Bereich. Hier haben sich die wissenschaftlichen Möglichkeiten in den vergangenen 20 Jahren enorm weiterentwickelt. Bei Ötzi konnte u.a. festgestellt werden, dass er eine Herz-Kreislauf-Insuffizienz hatte. Außerdem wurden Borreliose und Laktoseintoleranz nachgewiesen, und dass er braune Augen hatte. Der ganze Datensatz ist online zugänglich, sodass Forscher weltweit bestimmte Aspekte behandeln können. In Zukunft werden hier viele Ergebnisse dazukommen.
Gibt es Erkenntnisse, die aus der Forschung an Ötzi resultieren und nicht nur das Leben der Gletschermumie betreffen, sondern unser Wissen über diese prähistorische Epoche erweitern bzw. verändert haben?
Durch Ötzi konnte ein einmaliges Fenster in die Kupferzeit geöffnet werden – eine Epoche, die v.a. in Südtirol bislang archäologisch kaum zu fassen war. Wir haben tatsächlich bis zur Auffindung von Ötzi nicht gewusst, wie damals die Menschen Schuhe herstellten, dass sie Leggings getragen haben, dass sie einen Fellmantel so schneidern konnten bzw. ein Modebewusstsein vorhanden war. Auf Ötzis Körper haben wir 61 Tätowierungen gefunden: Welcher Archäologe hätte gedacht, dass sich die Menschen in Europa vor über 5000 Jahren tätowiert haben? Im Bereich der Genetik stellt sich die Frage, was Ötzi mit uns heute zu tun hat. In Südtirol haben wir die höchste Konzentration von Parkinson in Europa, und da stellt sich die Frage, haben wir Südtiroler das Pech, dass dies bei uns genetisch veranlagt ist? Genau um solche Fragen geht es in der Forschung.
Für mich und das Team war es sehr berührend, dem echten Ötzi zu begegnen.
Sind Sie der Meinung, dass Südtirol hinsichtlich der Vermarktung mit der Sensation „Ötzi, der Mann aus dem Eis“ ausreichend getan bzw. das Potential bereits ausgeschöpft hat, oder wäre diesbezüglich noch Spielraum?
Grundsätzlich gibt es viel Unterstützung von Seiten der Politik oder der IDM, die eben Südtirol international positionieren. Wir haben aber durchaus eine Marge nach oben, auch was die Präsentation von Ötzi anbelangt. Ich glaube, wenn wir mehr räumliche Möglichkeiten zur Verfügung hätten, könnten wir noch wesentlich mehr Menschen anziehen und ins Museum bringen. Weil wir mit dieser Besucherzahl, die wir derzeit haben, am Limit sind.
Es gibt mittlerweile eine Ötzi-Rekonstruktion, welche hochprofessionell hergestellt wurde. Wie kann man sich diese Herstellung als Laie vorstellen – ist es ähnlich einer Figur im Wachsmuseum?
So wie in einem Wachsmuseum haben auch wir bei der Rekonstruktion des lebenden Mannes aus dem Eis größtes Interesse daran, dem Original so nah wie möglich zu kommen. 2011 haben wir die Rekonstruktion bei den niederländischen Paläokünstlern Kennis&Kennis in Auftrag gegeben. Zur Verfügung gestellt wurde ein 3DDruck vom Schädel, und die Kennis Brüder haben dann mit wissenschaftlichen Methoden die Weichteile, das Gesicht etc. rekonstruiert. Wir wissen, dass Ötzi längere Haare und dunkle Augen hatte, dass er einen Bart trug, und all dies sind Details, um dem Abbild des echten Ötzi ziemlich nahe zu kommen. Die Kennis-Brüder gehören zu den führenden Paläo-Künstlern in Europa. Sie sind Künstler und Wissenschaftler gleichzeitig, und wir hatten ungemein viele Gespräche, wie Ötzi ausschauen sollte. – Der wichtigste Ansatz bei der Rekonstruktion war, welches Ötzi-Bild wir vermitteln, wie wir ihn darstellen. Verletzt, sterbend, soll er lachen, aggressiv oder böse sein, soll er sitzen oder stehen? Als Künstler haben sie sich anschließend zurückgezogen und wir haben uns erst dann wieder getroffen, als das Bild von Ötzi bereits fertig war. Für mich und das Team war es sehr berührend, schließlich dem „lebenden“ Ötzi zu begegnen.
Stimmt es, dass die Bedeutung der Tätowierungen auf Ötzis Körper noch nicht erforscht ist? Gibt es dennoch Vermutungen, worauf die 61 Tattoos bzw. Zeichen deuten könnten?
Die Wissenschaft ist sich hier noch nicht ganz einig. Die allermeisten sind der Meinung, dass es sich bei diesen Tätowierungen um therapeutische Maßnahmen handelt. Ötzi hat ebendiese 61 Zeichen an seinem Körper, Linienbündel und Kreuze, wo er laut Röntgenbefunden Schmerzen hatte. Interessant ist: Wo ein moderner Patient stechende Schmerzen hat, hat Ötzi ein Kreuz, und wo ein moderner Patient einen ziehenden Schmerz hat, z.B. bei den Lendenwirbeln, hat Ötzi Linien. Ausgeschlossen wird, dass die Tätowierungen ästhetischer Natur sind, denn er oder seine Gemeinschaft hätten durchaus die Fähigkeiten gehabt, diese entsprechend kunstvoll zu gestalten.