Philipp Weber

Verlockungen der Bilderwelt

Sanf­te Wel­len bis zum Hori­zont. Im seich­ten Was­ser, zwi­schen Nass glän­zen­den und bemoos­ten Stei­nen, zwei Muschel­su­che­rin­nen – jung, schön und von einer Bri­se umweht. Ein Bild, das mit para­die­si­scher Beschau­lich­keit fern­ab der tech­nik­do­mi­nier­ten Zivi­li­sa­ti­on lockt – wie aus einem luxu­riö­sen Reiseprospekt.

Der Künst­ler Phil­ipp Weber spielt mit unse­rer Wahr­neh­mung. Eine Wahr­neh­mung, die geschult ist an vor­der­grün­di­gen Effek­ten; die es gewohnt ist, inner­halb von Sekun­den ein­zu­ord­nen, zu bewer­ten. Doch was auf den ers­ten Blick als pla­ka­ti­ve Glät­te werb­li­cher Hoch­glanz­fo­to­gra­fie erscheint, zeigt sich bei nähe­rer Betrach­tung als groß­for­ma­ti­ges hyper­rea­lis­ti­sches Ölge­mäl­de, das eine alt­meis­ter­li­che Mal­tech­nik in unse­re zeit­ge­nös­si­schen Bild­wel­ten trans­po­niert. Inhalt­lich agie­ren die­se Gemäl­de im Span­nungs­feld zwi­schen der kli­schee­haf­ten Insze­nie­rung schö­ner, jun­ger Frau­en und dem Ver­such, einen inne­ren Wesens­kern zu erfas­sen. „Schön­heit zieht an“, kon­sta­tiert Phil­ipp Weber. „Sie öff­net die Bli­cke, erregt Auf­merk­sam­keit, weckt im bes­ten Fall die Neu­gier­de auf den zwei­ten Blick.“ Es ist die­ser zwei­te Blick, der auch inhalt­lich die Irri­ta­tio­nen und Dicho­to­mien in den Arbei­ten des Künst­lers frei­legt: „In mei­nen Arbei­ten geht es mir um die zwei­te Ebe­ne, um das, was hin­ter der schein­bar glat­ten Ober­flä­che liegt.“

Und so könn­ten die Hip­pie-Mäd­chen der 2015/2016 ent­stan­de­nen Bild­se­rie „New Birth“ durch­aus auf ein eso­te­risch ange­hauch­tes Luxus­re­sort hin­wei­sen; zugleich trans­por­tie­ren die Bil­der aber die zutiefst mensch­li­che Sehn­sucht nach dem Ursprüng­li­chen, Unver­dor­be­nen, nach einem makel­lo­sen Neubeginn.

Mei­ne Art der Male­rei ist für mich essen­ti­ell – eben­so wie mei­ne Unab­hän­gig­keit von schnell wech­seln­den Moden und rasan­ten Arbeitsweisen. 

Bereits die vor­an­ge­gan­ge­ne Serie „Bless“ von 2012/2013 beinhal­tet das Motiv des Was­sers als Ele­ment der Rei­ni­gung und Hei­lung. Wie aus dem Kon­text genom­me­ne Film­stills zei­gen ver­schie­de­ne Sze­nen eine jun­ge Frau aus dem Was­ser eines Sees empor­tau­chen, wäh­rend Rinn­sa­le und Trop­fen − gemalt in voll­ende­ter Trans­pa­renz − über ihr Gesicht lau­fen („Bless 3 – Anto­nia“). Ein ande­res Bild zeigt sie am Ufer ste­hend; umhüllt von einem kost­bar schim­mern­den tief­ro­ten Tuch. Unwill­kür­lich asso­zi­iert man „Bless 6 − Anto­nia“ mit Madon­nen- und Hei­li­gen­dar­stel­lun­gen der christ­li­chen Kunst. Doch da ist auch die­se Sinn­lich­keit, ja Ero­tik des nur unvoll­stän­dig bedeck­ten Kör­pers: Der ver­lo­cken­de Halb­schat­ten um Brust und Len­den­be­reich, die vol­len und etwas rau wir­ken­den Ange­li­na-Jolie-Lip­pen. Hei­lig oder ver­rucht? Eine pikan­te Ver­mi­schung, die sich durch die abend­län­di­sche Kunst­ge­schich­te zieht und auch heu­te noch in viel­fa­cher Gestalt, nicht zuletzt im schö­nen Schein der Wer­be­welt, wei­ter­lebt. Zugleich unter­läuft die Dar­stel­lung mit ein­dring­li­cher Prä­senz die Erwar­tun­gen der tra­dier­ten Dar­stel­lungs­form des Weib­li­chen: Das tie­fe Rot des Umhangs steht in der west­li­chen Sym­bo­lik für Lie­be und Pas­si­on, aber auch für Blut und Opfer­tum. Das Haar der dar­ge­stell­ten Frau ist feucht und wirr; man erkennt Wun­den an der Stirn sowie unter­halb des Schlüs­sel­beins. Nicht zuletzt auf­grund des viel­schich­ti­gen eng­li­schen Titels „Bless“ ver­mit­telt die Serie Emo­tio­nen von Schmerz bis Hei­lung, von Ver­letzt­heit bis Hoff­nung. „Die Dar­stel­lung von Was­ser als Inbe­griff von Leben und Erneue­rung treibt mich wei­ter um. Sie ist auch Basis der Serie, an der ich aktu­ell arbei­te“, erklärt der Maler. Mehr ver­rät er aller­dings noch nicht.

Die Arbei­ten Phil­ipp Webers schaf­fen eine Span­nung zwi­schen Nähe und Distanz, Insze­nie­rung und Iden­ti­tät. Es ist das kul­tu­rell for­mier­te Ide­al­bild der Frau, die Kli­schees weib­li­cher Funk­tio­nen, die er auch in Bild­se­ri­en wie „Riva­lin­nen“ (2009), „Crea­tu­ra“ (2010) oder „Bless“ (2012) in Zusam­men­ar­beit mit pro­fes­sio­nel­len Foto­mo­dels her­aus­stellt. Indem er sie in eine vehe­ment gebro­che­ne Rea­li­tät ver­setzt, ver­leiht er den Gestal­tun­gen eine erhöh­te Sym­bol­kraft und eine Stim­mungs­in­ten­si­tät, die auf Moti­ve der Kul­tur­ge­schich­te sowie zeit­ge­nös­si­scher Bild­wel­ten ver­wei­sen. Einen wei­te­ren Kon­tra­punkt setzt er, indem er die Namen der dar­ge­stell­ten Frau­en in den Titel auf­nimmt. So ver­har­ren die Models nicht in der Funk­ti­on, Objek­te der Betrach­tung zu sein, son­dern unter­wan­dern die Insze­nie­rung, befin­den sich als rea­le Men­schen inner­halb des insze­nier­ten Raums. Immer wie­der fin­det sich die­se Ver­schrän­kung von Inhalt und Tech­nik, durch die sich Phil­ipp Weber als Hyper­rea­list aus­zeich­net, der weni­ger in einer exak­ten Nach­bil­dung, son­dern in einer Über­stei­ge­rung der Rea­li­tät die Fra­ge nach dem Wesen der Din­ge sucht: „Hyper­rea­lis­mus bedeu­tet für mich nicht ein­fach ein Maxi­mum an Details, viel­mehr geht es um ein Maxi­mum des Gefühls.

Gebo­ren wur­de Phil­ipp Weber 1974 in Ros­tock, in der dama­li­gen Deut­schen Demo­kra­ti­schen Repu­blik. Sein künst­le­ri­sches Talent wur­de früh ent­deckt und geför­dert, und so konn­te er sei­ne alt­meis­ter­li­che Mal­tech­nik von Grund auf ent­wi­ckeln und ver­voll­komm­nen. Seit er 2002 sein Stu­di­um der Male­rei an der Uni­ver­si­tät der Küns­te Ber­lin als Meis­ter­schü­ler abschloss, lebt er in Kas­sel und Ber­lin. Mit sei­nen Arbei­ten ist er auf Ein­zel- und Grup­pen­aus­stel­lun­gen sowie nam­haf­ten Mes­sen welt­weit ver­tre­ten. Phil­ipp Weber arbei­tet stets in Seri­en, deren The­men sich aus einer bestimm­ten Kör­per­hal­tung oder einem spe­zi­el­len Gesichts­aus­druck ent­wi­ckeln. Nach ein­ge­hen­der Recher­che und ers­ten Skiz­zen wer­den die so ent­stan­de­nen Moti­ve unter Stu­dio­be­din­gun­gen mit pro­fes­sio­nel­len Models als Foto­sze­ne insze­niert. Danach beginnt der male­ri­sche Arbeits­pro­zess: Auf Grund­la­ge einer genau­en Vor­zeich­nung wird das Gemäl­de auf­wän­dig in zahl­rei­chen teils decken­den, teils lasie­ren­den Schich­ten auf­ge­baut und erhält so sei­ne Farb­bril­lanz und Detail­ge­nau­ig­keit. Der gesam­te Mal­pro­zess benö­tigt Mona­te, bis­wei­len Jah­re. Eine Zeit, in der rascheln­de Stof­fe, atmen­de Haut und flie­ßen­des Was­ser auf der Lein­wand entstehen.

Die­ser lang­wie­ri­ge Arbeits­pro­zess ist kaum prä­de­sti­niert für einen gro­ßen Out­put, mit dem ein schnell­le­bi­ger Bereich des Kunst­markts bedient wer­den könn­te. Viel­mehr ent­ste­hen hier ein­zig­ar­ti­ge Pre­zio­sen, für deren – im dop­pel­ten Wort­sinn – viel­schich­ti­ge Bril­lanz sich immer mehr ernst­haf­te Kunst­samm­ler von Euro­pa bis Asi­en inter­es­sie­ren. „Mei­ne Art der Male­rei ist für mich essen­ti­ell – eben­so wie mei­ne Unab­hän­gig­keit von schnell wech­seln­den Moden und rasan­ten Arbeits­wei­sen“, bekräf­tigt der Maler sei­ne alt­meis­ter­li­che Tech­nik. Die Dar­stel­lun­gen Phil­ipp Webers lösen ihre Moti­ve aus der Schnell­le­big­keit heu­ti­ger Bild­pro­duk­ti­on und ‑kon­sump­ti­on, um sie einer klei­nen Ewig­keit zu überantworten.

www.philippweber.com

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Am Anfang war das Wort. Oder zumindest eine helle Begeisterung für das Geschriebene. Die Kunstwissenschaftlerin Regina Bärthel arbeitete als Kommunikationsleiterin der Kunsthalle Fridericianum, Kassel, im Team von René Block sowie als Pressesprecherin der Autostadt in Wolfsburg. Dann lockte die Selbständigkeit in Berlin: Seit 2007 entstehen im Büro rhobeta. text & ideentransfer Texte zur Bildenden Kunst und Fotografie sowie zu vielen weiteren Themen aus Kultur und Leben.

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