Maria Lassnig – Zwiegespräche

Es sind tief­grei­fen­de Emp­fin­dun­gen, die im Zen­trum des Schaf­fens von Maria Lass­nig ste­hen. Das Sicht­bar­ma­chen von kör­per­li­chen Emo­tio­nen und das Nach­spü­ren der Kör­per­wahr­neh­mung bil­den den Mit­tel­punkt ihrer „BODY AWARENESS PAINTINGS“.

Humor­voll und ernst, sehn­suchts­voll und gna­den­los zugleich bannt die Künst­le­rin ihre Selbst­emp­fin­dun­gen auf das Papier. Nicht, was sie sieht, son­dern wie sie sich spürt, wird zum Bild. Par­al­lel zu ihrer intro­spek­ti­ven Kör­per­wahr­neh­mung bleibt sie im Außen ver­an­kert. Ihre Por­träts basie­ren auf gründ­li­chem Stu­di­um der Rea­li­tät. Den­noch gehen die sen­si­blen Beob­ach­tun­gen von Tie­ren und Men­schen weit über die Wie­der­ga­be des rein Sicht­ba­ren hin­aus, inklu­die­ren Wesent­li­ches der jewei­li­gen Cha­rak­te­re und spü­ren dem Ein­zig­ar­ti­gen im Gegen­über nach.

Man malt, wie man ist. 

Die­se Zwie­spra­che mit innen und außen, mit Gefühls­wel­ten und Rea­li­tä­ten, ent­wi­ckelt Lass­nig beson­ders anschau­lich auf dem Papier. Unmit­tel­bar wird hier die­ses inti­me Medi­um zum Expe­ri­men­tier­feld spon­tan gesetz­ter Lini­en und Farb­fel­der, erge­ben sich neue Per­spek­ti­ven und erschlie­ßen sich neue The­men. Trotz aller Inti­mi­tät des Zeich­ne­ri­schen eröff­nen sich auch auf Papier monu­men­ta­le, bild­glei­che Kom­po­si­tio­nen. Längst ist die Idee der Skiz­ze und des ers­ten Ent­wurfs bei Lass­nig gesprengt und in eine auto­no­me künst­le­ri­sche Aus­sa­ge – auf Papier – ver­wan­delt. Auch in den Gemäl­den wirkt die Inten­si­tät der Zeich­nung, das Vibra­to der ein­zel­nen Linie wie auch die Strahl­kraft der Aqua­rel­le sicht­bar wie spür­bar weiter.

Maria Lass­nig zählt mit Loui­se Bour­geois, Joan Mit­chell und Agnes Mar­tin zu den wich­tigs­ten Künst­le­rin­nen des 20. Jahr­hun­derts. Früh macht sie ihren Kör­per zum Mit­tel­punkt ihrer Kunst, lan­ge bevor Kör­per­be­wusst­sein und das Ver­hält­nis von Mann und Frau zen­tra­le The­men der inter­na­tio­na­len Avant­gar­de wer­den. Für die 1919 in Kärn­ten gebo­re­ne Lass­nig setzt, nach einer auf öster­rei­chi­schen künst­le­ri­schen Tra­di­tio­nen auf­bau­en­den Stu­di­en­zeit an der Wie­ner Aka­de­mie, beson­ders eine Rei­se nach Paris Anfang der 1950er Jah­re wesent­li­che Impul­se. Sie sieht sich dar­in bestä­tigt, die Umset­zung von sicht­ba­rer wie auch spür­ba­rer Wahr­neh­mung mit­hil­fe abs­trak­ter For­men­spra­chen zu inten­si­vie­ren. Davon aus­ge­hend ent­wi­ckelt sie schon bald ihre eige­ne Bild­spra­che und rich­tet ihre Auf­merk­sam­keit auf die Umset­zung von Kör­per­wahr­neh­mun­gen im Bild­ge­fü­ge, bleibt par­al­lel aber auch der sicht­ba­ren Rea­li­tät ver­bun­den. „Man malt, wie man ist“, sagt die Künst­le­rin und bestä­tigt damit auch die ihr inne­woh­nen­de Wider­sprüch­lich­keit, mit den äuße­ren und inne­ren Wirk­lich­kei­ten unab­ding­bar im Gespräch zu sein. Das Selbst­por­trät ist das zen­tra­le The­ma der Künst­le­rin, wobei sie die­sem kunst­his­to­risch ver­an­ker­ten und tra­di­ti­ons­rei­chen Motiv ein völ­lig neu­es Anse­hen ver­leiht. Die Farb­wahl spielt allein schon wegen ihrer inter­pre­ta­ti­ven Mög­lich­kei­ten von Anfang an eine gro­ße Rol­le, kal­te und blau­sti­chi­ge Farb­wer­te ste­hen der war­men, gelb­ton­i­gen Palet­te gegen­über, dif­fe­ren­zier­te Rot­tö­ne ste­chen laut­stark hervor.

Lass­nig ist eine Künst­le­rin, die sehr rasch Anre­gun­gen von Leh­rern und Aspek­te neu­er Stil­rich­tun­gen auf­greift, für sich über­prüft und wei­ter­ent­wi­ckelt. Bereits Ende der 1940er Jah­re ent­ste­hen die ers­ten „Kör­per­ge­fühls­zeich­nun­gen“, die sie damals „Intro­spek­ti­ve Erleb­nis­se“ nennt. Sie stellt somit weit vor allen ver­gleich­ba­ren Posi­tio­nen in Euro­pa und Ame­ri­ka den eige­nen weib­li­chen Kör­per in den Fokus ihres Kunst­schaf­fens. Stu­di­en­rei­sen füh­ren sie zusam­men mit dem Schrift­stel­ler Oswald Wie­ner durch Ita­li­en und Grie­chen­land sowie allei­ne nach Rom, Oslo und Stock­holm. Ende der 1950er Jah­re ent­ste­hen „Kör­per­ge­fühl­s­aqua­rel­le“, „-gou­achen“ und tachis­ti­sche Gemäl­de. 1960 über­sie­delt sie nach Paris und kommt künst­le­risch zur Los­lö­sung von sti­lis­ti­schen „Zwän­gen“. Die für ihre wei­te­re Ent­wick­lung so wich­ti­gen groß­for­ma­ti­gen „Kör­per­ge­fühls­fi­gu­ra­tio­nen“ („Strich­bil­der“) ent­ste­hen. Freund­schaft­lich ver­bun­den ist sie mit Paul Celan und sei­ner Ehe­frau, der fran­zö­si­schen Zeich­ne­rin und Gra­fi­ke­rin Gisè­le Celan-Lestran­ge, mit Jean-Paul Rio­pel­le und der  meri­ka­ne­rin Joan Mit­chell, einer Ver­tre­te­rin des abs­trak­ten Expressionismus.

1964 stirbt die Mut­ter, mit der sie sehr innig ver­bun­den war. Ihr Tod führt zu einer exis­ten­zi­el­len Kri­se der Künst­le­rin, die in den soge­nann­ten Bewei­nungs­bil­dern ihren Aus­druck fin­det. 1968 zieht Lass­nig für ein Jahr­zehnt nach New York. Als Reak­ti­on auf das Unver­ständ­nis, das ihrer Kunst dort ent­ge­gen­ge­bracht wird, ent­wi­ckelt sie einen äußer­li­chen „Ame­ri­ka­ni­schen“ Rea­lis­mus; der Aus­druck „Kör­per­ge­fühl“ wird zu „Body Awa­re­ness“ umfor­mu­liert. Nach dem Besuch eines Kur­ses für Ani­ma­ti­ons­film an der School of Visu­al Arts in New York ent­ste­hen auf der Grund­la­ge von („Kör­per­ge­fühls-„) Zeich­nun­gen meh­re­re Ani­ma­ti­ons­fil­me, mit denen sie bald erfolg­reich wird. Lass­nig wird Mit­be­grün­de­rin der Women/Artist/Filmmakers, Inc. in New York, einer Ver­ei­ni­gung film­schaf­fen­der, femi­nis­ti­scher Künst­lerin­nern mit Caro­lee Schnee­mann, Sil­vi­an­na Golds­mith und Mar­tha Edel­heit u.a. Par­al­lel arbei­tet sie an einer Serie von Selbst­por­träts mit Tierdarstellungen.

Das Selbst­por­trät ist das zen­tra­le The­ma der Künst­le­rin, wobei sie die­sem kunst­his­to­risch ver­an­ker­ten und tra­di­ti­ons­rei­chen Motiv ein völ­lig neu­es Anse­hen verleiht 

Ein Sti­pen­di­um des Deut­schen Aka­de­mi­schen Aus­tausch­diens­tes (DAAD) ermög­licht 1978 einen ein­jäh­ri­gen Ber­lin-Auf­ent­halt. Lass­nig schafft Land­schafts­zeich­nun­gen und Aqua­rel­le sowie gra­fi­sche „Kör­per­ge­fühls-„ und Wahr­neh­mungs­stu­di­en. Ein inten­si­ver Dia­log mit dem Schrift­stel­ler Oswald Wie­ner zum The­ma Denk­psy­cho­lo­gie beein­flusst ihr Werk. Danach kehrt Lass­nig nach New York zurück und nimmt an der 3. Bien­na­le von Syd­ney teil. 1980 wird Lass­nig nach Wien an die Hoch­schu­le für ange­wand­te Kunst beru­fen: Sie lei­tet von 1980 bis 1989 die Meis­ter­klas­se für Gestal­tungs­leh­re – expe­ri­men­tel­les Gestal­ten mit Schwer­punkt Male­rei und Ani­ma­ti­ons­film. Auf der 39. Bien­na­le von Vene­dig ver­tritt sie gemein­sam mit Valie Export das Land Öster­reich. Nach Über­nah­me der Pro­fes­sur malt Lass­nig Selbst­bild­nis­se, die sich mit dem The­ma der Über­be­las­tung und Fremd­be­stimmt­heit aus­ein­an­der­set­zen. Auf Urlaubs­rei­sen im Mit­tel­meer­raum ent­ste­hen in den 1980er Jah­ren Aqua­rel­le von Land­schaf­ten und sol­che mytho­lo­gi­schen Inhalts. 1988 wird an Maria Lass­nig und somit erst­mals im Bereich Bil­den­de Kunst der Gro­ße Öster­rei­chi­sche Staats­preis an eine Frau vergeben. 

Frü­he 1990er Jah­re: Lass­nig ent­wi­ckelt Farb­fi­gu­ra­tio­nen („Bezie­hun­gen“ und „Mal­flüs­se“), die an die Strich­bil­der der 1960er Jah­re anknüp­fen. 1997 nimmt Lass­nig mit Zeich­nun­gen der 1960er und 1990er Jah­re an der docu­men­ta x in Kas­sel teil. Sie been­det offi­zi­ell die Lehr­tä­tig­keit an der Hoch­schu­le für ange­wand­te Kunst in Wien, wo sie aller­dings bereits seit 1989 nicht mehr aktiv ist. 1998 erhält Lass­nig den Oskar-Kokosch­ka-Preis, 2002 wer­den ihr der Ros­wi­tha-Haft­mann-Preis in Zürich eben­so wie der Ehren­ring der Uni­ver­si­tät für ange­wandt Kunst in Wien, der Rubens­preis der Stadt Sie­gen, − der somit erst­mals an eine Künst­le­rin geht −, und der Kunst­preis der NORD/LB ver­lie­hen.

Maria Lass­nig stirbt am 6. Mai 2014 im Alter von 94 Jah­ren in Wien. Die­ser kur­ze Abriss eini­ger Lebens­sta­tio­nen und hoch­do­tier­ter Ehrun­gen führt vor Augen, wie viel dyna­mi­sche Prä­senz ihre Arbeit erzeugt und wie stark Inno­va­ti­on und künst­le­ri­sche Stär­ke ihr Werk aus­zeich­nen. Ich bin über­zeugt, dass Maria Lass­nig in Zukunft in kei­ner Publi­ka­ti­on, die sich mit den bedeu­ten­den Posi­tio­nen der inter­na­tio­na­len Kunst nach 1945 befasst, feh­len wird. Ihr eigen­stän­di­ger Bei­trag, ihre Ent­schlos­sen­heit, ihre Aggres­si­vi­tät, ihre Ver­letz­lich­keit wie auch ihre Bru­ta­li­tät und Här­te sich selbst gegen­über, wer­den erst jetzt auch inter­na­tio­nal rich­tig erkannt, wahr­ge­nom­men und gewürdigt.

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1955 in Linz geboren, studierte Kunstgeschichte und Geschichte an der Universität Wien. Als Leiter des 1985 gegründeten Kunstforums Wien etablierte er von 1988 bis 2000 eine Ausstellungshalle mit wegweisenden Präsentationen von internationalem Zuschnitt, die für Wien wichtige Impulse setzte. Von 1996 bis 2000 wurde Schröder zum Vorstandsmitglied und kaufmännischen Direktor der neu gegründeten Privatstiftung Leopold berufen, und 1999 zum designierten Geschäftsführer der Albertina bestellt. Mit 1. Januar 2000 trat Klaus Albrecht Schröder als Geschäftsführer und Direktor der Albertina an, die eine der drei weltweit bedeutendsten grafischen Sammlungen, die neu gegründete Fotosammlung sowie eine einzigartige Architektursammlung beherbergt. Nach aufwendigen Erweiterungs- und Umbauarbeiten wurde die Albertina 2003 wiedereröffnet und positionierte sich innerhalb kürzester Zeit als das meistbesuchte Museum Österreichs. Sein Vertrag läuft bis Ende 2019. Über 100 Ausstellungen wurden seit 2003 in der Albertina präsentiert, rund 7 Mio. Besucher hat das vielseitige Ausstellungsprogramm seit damals bereits angezogen.

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