Bildtragende Schichtungen in der Malerei
Wenn die Künstlerin Anne Jungjohann ein Bild in Falten zerlegt, Leinen modelliert und der Keilrahmen eine Umfaltung erfährt, subtrahiert und addiert sich der ihn umspannende, zuvor acryl-kolorierte Bildträger: Etwas wird verborgen, anderes hervorgebracht. Die Art der Komposition führt nicht nur zu introspektiven Energiepaketen, sondern tritt zugleich mit dem sie umgebenden Raum in Beziehung. Die Bildwerke von Anne Jungjohann verbinden stark farbintensive Malerei mit konzeptioneller Kunst, die im Raum durch das fließend-skulptural Textile relief- oder objekthaft erscheinen. Eine der prägnantesten Ausdrucks-formen von Jungjohann sind die unregelmäßigen Formate. Mich fasziniert hier die Synchronizität unterschiedlichster künstlerischer Prozesse, die von einer unglaublich frischen Leichtigkeit gekrönt wird. Wahrscheinlich gelingt dies der Künstlerin, weil sie mit uns bekannten Zeichen und Maßen bricht: Warum sind die meisten Bilder eigentlich viereckig? Inspiriert von digitalen Bildwelten und sich unserer heutigen Sehgewohnheiten bewusst, arbeitet Anne Jungjohann mit den klassischen Mitteln der Malerei und schafft es trotzdem, diesbezüglich den konventionellen Weg zu verlassen.
In ihren unikaten Papierarbeiten sorgt sie für eine Aufnahme des Digitalen als Teil unserer Welt in ihre Werke und materialisiert sie ins Analoge: Die Bildräume, die Anne Jungjohann mittels Tusche und Acryl schwarz-weiß realisiert, erinnern ein wenig an Fotogramme, beispielsweise von Jan Kubicek (die Form – die Aktion V) oder Laszlo Moholy-Nagy. Setzt sie in diesen grafischeren Arbeiten Farbe ein, wird der malerische, transformierende Prozess der ursprünglich auf eigenen Fotografien oder Scans basierenden abstrakten Motiventwicklung ins Analoge deutlich. All ihre Werke sind eher nicht als Fenster in eine andere Welt zu verstehen, wie Kunst viel zu oft empfunden wird, sondern durch ihre Offenheit und abstrakte Unvoreingenommenheit als mit unserer Welt existent.
Anne Jungjohann absolvierte nach ihrem Malereistudium (Klasse Prof. Lucander) an der Universität der Künste Berlin 2017 ihren Meisterabschluss in Bildender Kunst. Sie hatte Ausstellungsbeteiligungen z. B. im Freien Museum Berlin, erhielt 2016 das Stipendium der Dorothea-Konwiarz-Stiftung und wurde 2017 mit dem Helmut-Thoma-Preis der UdK ausgezeichnet. Ich bin ihrer Arbeit unlängst in einer wunderbar kuratierten Ausstellung der Galerie KleinervonWiese in der Zionskirche mit dem Titel „Points of Resistance“ begegnet. Gespannt blicke ich kommenden Ausstellungen, die ihre Werke zeigen, entgegen, wenn es wieder möglich sein wird. Und ich freue mich, heute mit ihr ins Gespräch zu kommen:
Liebe Anne, nicht mit klassisch viereckigen Bildgründen zu arbeiten, ist ja bei dir mehr als ein formales Merkmal. Was hat deine Arbeit mit unseren Sehgewohnheiten zu tun?
ANNE JUNGJOHANN: Wir kommunizieren zunehmend digital mit Symbolen und Bildern. Dadurch sind wir es gewohnt, auch die äußere Form mit Assoziationen zu belegen. Ich spiele damit, dass unser Gehirn versucht, permanent Bedeutung zu generieren – und versuche eine Projektionsfläche zu schaffen, die etwas anbietet, aber offen genug bleibt, um zum eigenen Symbol zu werden. Dabei führt der Blick durch die augenfällige Umrissform aber nie ganz aus dem Bild raus.
Die Kraft der Farben und die Entscheidungen zu Material und Form sind auch für dich ganz archaische Momente in der Malerei, richtig?
ANNE JUNGJOHANN: Ich male und baue Bilder. Ja, die ersten Schritte beschäftigen sich mit klassischen, archaischen Materialien der Malerei wie dem Keilrahmen oder Holz, Leinwandstoff und den Farben – allerdings lote ich die Grenzen und Möglichkeiten des Materials aus, setze mich dem sehr bewusst aus und finde einen Umgang damit. Mir geht es um das Materialisieren von – auch flüchtigen – Eindrücken. Ich bewege mich durch die ungeraden oder unregelmäßigen Umrissformen zwischen (nicht besetzten) Zeichen und Bild sowie zwischen Objekt und Malerei. Die Prozesse der Gestaltung bleiben oft anhand der Spuren meiner Bearbeitung sichtbar. Bei den Faltenbildern, den Reliefs durch modellierte Leinwand, kommt durch die Faltung nach dem Bemalen der Lein-wand ein weiterer Kompositionsschritt hinzu.
Welche Farben setzt du wie ein, welche Entscheidungen und Zusammensetzungen bestimmen dein Kolorit?
ANNE JUNGJOHANN: Ich behandele jede Farbe wie ein Element: Die Komponenten werden in Beziehung zueinander gesetzt, es gibt keine Mischung beziehungsweise höchstens durch die Schichtung. So werden auch die Farben direkt aus der Tube oder Flasche aufgetragen. Die aus vorrangig Primärfarben bestehende Farbgebung ist intensiv und leuchtend und verursacht eine fast zeichenhafte Signalwirkung. Es entsteht ein Zusammenspiel von „Zuviel“ oder manchmal auch „Zuwenig“.
Deine Malweise betont die Oberfläche und das Material, dessen Fläche einem bewusst wird, auch gerade durch das „Zuviel“. Welche Relevanz hat dies dann auf die Räumlichkeit eines deiner Werke? Und wirkt in den (Ausstellungs-)Raum hinein?
ANNE JUNGJOHANN: Räumlichkeit und Tiefe des Werkes entstehen durch Überschneidungen und Schichtung – entweder im Malprozess oder im Falle der Faltenbilder durch die konkrete Übereinanderlagerung des Stoffes. Das Werk öffnet sich dem Raum durch seine Außen-form, greift in den Raum und wird Teil davon. Die Motivik und Struktur der Bilder und die Architektur des Ausstellungsraumes treten in einen Dialog. Im Falle der Hängung in der Zionskirche – durch die unterschiedliche Hängung vor, zwischen und an dem Säulenbündel – wirkte das eine Bild eher von den Säulen ein-geschlossen, wohingegen das andere die Säulen visuell auseinanderdrückte. Kurator Stephan von Wiese: „In der Zionskirche hingen drei der bemalten Wandobjekte im Blendsäulenverbund am Mauerwerk der ehemaligen Orgelempore. Organisch verbanden sie sich wie ornamentaler Schmuck mit der Architektur, gaben ihr signalhaft farbige Akzente. Der komprimierte Antagonismus zwischen den runden Windungen des hohen schlanken Baukörpers und den knospenhaft daraufgesetzten Bildzeichen brachte beschwingt einen freien malerischen Rhythmus in den weiten, lichtdurchfluteten Raum.“ (Stephan von Wiese)
Ja, die Kuration war ausgesprochen gelungen. Diesen imposanten Kirchenbau musste jedes einzelne Kunstwerk erst einmal packen! Als ich deine Werke entdeckte, wurde für mich so eine interessierte Offenheit der Künstlerin für den Ausstellungsraum, den ihre Werke umgeben, deutlich: Trotz der Wucht des Raums wollten deine Bilder ‚dabei sein‘ und ragten nahezu neugierig in die Ausstellung. Ich finde, deine ungewöhnlichen Bildformate werden dem Sehen des Betrachters nicht ‚übergestülpt‘, sondern wirken aus ihrer Ästhetik heraus gemeinsam – mental – mit den Ausstellungsbesuchern, den anderen Werken und dem Gebäude.
ANNE JUNGJOHANN: Mir ist wichtig, auch der Außenform des Bildes eine Bedeutung zuzusprechen. Dabei nutze ich die Assoziationsfähigkeit des Betrachters und die zunehmende Kommunikationsgewohnheit durch Bilder, Symbole und Zeichen. Dann werden den digitalen, glatten, revidierbaren, flüchtigen Bildern materialisierte, permanente Kunstwerke entgegengesetzt. Sie verweisen auf den Umraum, jedoch wird der Blick durch die Betonung der Umrissform und Komposition nicht aus dem Bild herausgeführt.
Während Neo Rauch also im jüngsten Interview sagt: „Bilder führen uns im rechten Winkel aus der Realität hinaus in eine andere Welt“, entgegnest du diesem Zitat … ?
ANNE JUNGJOHANN: Ich arbeite nur noch selten mit dem rechten Winkel und erforsche, wie das Bild über seine Form mit dem Umraum in Beziehung tritt. Die Bilder sollen ihre konkrete Präsenz im Hier und Jetzt betonen und bieten eine offene Projektionsfläche. Motiv und Bildträger werden zu einer Einheit. Die motivische Abbildung allein soll nicht im Vordergrund stehen, statt Abgrenzung oder Flucht weitet sich das Bild über seine Bildgrenze aus und tritt in den Dia-log mit Architektur, Umgebung und Betrachter.
Das Thema dieser stayinart ist ‚Connectedness‘ – was bedeutet das für dich?
ANNE JUNGJOHANN: Es gibt zum einen die Verbundenheit und Kommunikation der Kunst und Bilder untereinander – ein ständiges Wahrnehmen, Reagieren und Kommentieren, ein Dialog, der einerseits im aktuellen Moment stattfindet, aber auch über Zeiten und Räume hinweg geschieht. Ebenso beeinflussen die ständige Wahrnehmung und Verarbeitung von Bildern und Gesprächen im Alltag mein Werk – auch wenn es nur das Graffiti an der U‑Bahn ist oder ein zufällig mitgehörtes Gespräch. Im letzten Jahr habe ich die freie Kuratorin und Galeristin Constanze Kleiner kennengelernt und nun zum zweiten Mal an einer von ihr kuratierten Gruppenausstellung teilgenommen. Sie arbeitet nicht nur mit einem festen Stamm an Künstlern zusammen, der ständig erweitert wird, sondern auch regelmäßig mit den beiden Kuratoren Stephan von Wiese und Rachel Rits-Volloch. Durch die kontinuierliche Arbeit mit ihren Künstlern in unterschiedlichen Ausstellungskontexten entsteht ein wertvoller Austausch der Künstler und der Kunstwerke untereinander und der Rezeptionen der Ausstellungsbesucher. Dieser konkrete Austausch kann nicht durch digitale Erfahrung ersetzt werden.
Und ‚connected‘ bist du dann sowohl in digitalen Räumen als auch analog?
ANNE JUNGJOHANN: In meiner Arbeit geht es mir schon darum, etwas Permanentes zu schaffen, zu materialisieren, sich sehr analog mit realen Bedingungen von Material auseinander zu setzen. Dabei bin ich aber durchaus von digitalen Kommunikationsphänomenen inspiriert, etwa das Rein- und Raus-zoomen in Bilddetails. Mir ist es wichtig, das Schnelllebige, Korrigierbare, Immaterielle in etwas Individuelles, Körperliches zu verwandeln und auch den Bogen zur klassischen Malerei zu spannen.
Gut, dann hoffen wir, dass dies ganz bald – live-haftig – stattfinden kann! Informationen, auch zu Ausstellungen, können wir auf deiner Internetseite www.annejungjohann.com erfahren.
Das Interview ist in der Print-Ausgabe 2.21 CONNECTEDNESS erschienen.