Anne Jungjohann

Bildtragende Schichtungen in der Malerei

Wenn die Künst­le­rin Anne Jung­jo­hann ein Bild in Fal­ten zer­legt, Lei­nen model­liert und der Keil­rah­men eine Umfal­tung erfährt, sub­tra­hiert und addiert sich der ihn umspan­nen­de, zuvor acryl-kolo­rier­te Bild­trä­ger: Etwas wird ver­bor­gen, ande­res her­vor­ge­bracht. Die Art der Kom­po­si­ti­on führt nicht nur zu intro­spek­ti­ven Ener­gie­pa­ke­ten, son­dern tritt zugleich mit dem sie umge­ben­den Raum in Bezie­hung. Die Bild­wer­ke von Anne Jung­jo­hann ver­bin­den stark farb­in­ten­si­ve Male­rei mit kon­zep­tio­nel­ler Kunst, die im Raum durch das flie­ßend-skulp­tu­ral Tex­ti­le reli­ef- oder objekt­haft erschei­nen. Eine der prä­gnan­tes­ten Aus­drucks-for­men von Jung­jo­hann sind die unre­gel­mä­ßi­gen For­ma­te. Mich fas­zi­niert hier die Syn­chro­ni­zi­tät unter­schied­lichs­ter künst­le­ri­scher Pro­zes­se, die von einer unglaub­lich fri­schen Leich­tig­keit gekrönt wird. Wahr­schein­lich gelingt dies der Künst­le­rin, weil sie mit uns bekann­ten Zei­chen und Maßen bricht: War­um sind die meis­ten Bil­der eigent­lich vier­eckig? Inspi­riert von digi­ta­len Bild­wel­ten und sich unse­rer heu­ti­gen Seh­ge­wohn­hei­ten bewusst, arbei­tet Anne Jung­jo­hann mit den klas­si­schen Mit­teln der Male­rei und schafft es trotz­dem, dies­be­züg­lich den kon­ven­tio­nel­len Weg zu verlassen.

Anne Jung­jo­hann, „gesimst nr. 6 “ (2014), Acryl auf Lein­wand, 20 x 17 x 5cm 

In ihren uni­ka­ten Papier­ar­bei­ten sorgt sie für eine Auf­nah­me des Digi­ta­len als Teil unse­rer Welt in ihre Wer­ke und mate­ria­li­siert sie ins Ana­lo­ge: Die Bild­räu­me, die Anne Jung­jo­hann mit­tels Tusche und Acryl schwarz-weiß rea­li­siert, erin­nern ein wenig an Foto­gram­me, bei­spiels­wei­se von Jan Kubicek (die Form – die Akti­on V) oder Lasz­lo Moho­ly-Nagy. Setzt sie in die­sen gra­fi­sche­ren Arbei­ten Far­be ein, wird der male­ri­sche, trans­for­mie­ren­de Pro­zess der ursprüng­lich auf eige­nen Foto­gra­fien oder Scans basie­ren­den abs­trak­ten Motiv­ent­wick­lung ins Ana­lo­ge deut­lich. All ihre Wer­ke sind eher nicht als Fens­ter in eine ande­re Welt zu ver­ste­hen, wie Kunst viel zu oft emp­fun­den wird, son­dern durch ihre Offen­heit und abs­trak­te Unvor­ein­ge­nom­men­heit als mit unse­rer Welt existent.

Anne Jung­jo­hann absol­vier­te nach ihrem Male­rei­stu­di­um (Klas­se Prof. Lucan­der) an der Uni­ver­si­tät der Küns­te Ber­lin 2017 ihren Meis­ter­ab­schluss in Bil­den­der Kunst. Sie hat­te Aus­stel­lungs­be­tei­li­gun­gen z. B. im Frei­en Muse­um Ber­lin, erhielt 2016 das Sti­pen­di­um der Doro­thea-Kon­wi­arz-Stif­tung und wur­de 2017 mit dem Hel­mut-Tho­ma-Preis der UdK aus­ge­zeich­net. Ich bin ihrer Arbeit unlängst in einer wun­der­bar kura­tier­ten Aus­stel­lung der Gale­rie Klei­ner­von­Wie­se in der Zions­kir­che mit dem Titel „Points of Resis­tance“ begeg­net. Gespannt bli­cke ich kom­men­den Aus­stel­lun­gen, die ihre Wer­ke zei­gen, ent­ge­gen, wenn es wie­der mög­lich sein wird. Und ich freue mich, heu­te mit ihr ins Gespräch zu kommen:

Liebe Anne, nicht mit klas­sisch vier­ecki­gen Bild­grün­den zu arbei­ten, ist ja bei dir mehr als ein for­ma­les Merk­mal. Was hat dei­ne Arbeit mit unse­ren Seh­ge­wohn­hei­ten zu tun?

ANNE JUNGJOHANN: Wir kom­mu­ni­zie­ren zuneh­mend digi­tal mit Sym­bo­len und Bil­dern. Dadurch sind wir es gewohnt, auch die äuße­re Form mit Asso­zia­tio­nen zu bele­gen. Ich spie­le damit, dass unser Gehirn ver­sucht, per­ma­nent Bedeu­tung zu gene­rie­ren – und ver­su­che eine Pro­jek­ti­ons­flä­che zu schaf­fen, die etwas anbie­tet, aber offen genug bleibt, um zum eige­nen Sym­bol zu wer­den. Dabei führt der Blick durch die augen­fäl­li­ge Umriss­form aber nie ganz aus dem Bild raus.

Die Kraft der Far­ben und die Ent­schei­dun­gen zu Mate­ri­al und Form sind auch für dich ganz archai­sche Momen­te in der Male­rei, richtig?

ANNE JUNGJOHANN: Ich male und baue Bil­der. Ja, die ers­ten Schrit­te beschäf­ti­gen sich mit klas­si­schen, archai­schen Mate­ria­li­en der Male­rei wie dem Keil­rah­men oder Holz, Lein­wand­stoff und den Far­ben – aller­dings lote ich die Gren­zen und Mög­lich­kei­ten des Mate­ri­als aus, set­ze mich dem sehr bewusst aus und fin­de einen Umgang damit. Mir geht es um das Mate­ria­li­sie­ren von – auch flüch­ti­gen – Ein­drü­cken. Ich bewe­ge mich durch die unge­ra­den oder unre­gel­mä­ßi­gen Umriss­for­men zwi­schen (nicht besetz­ten) Zei­chen und Bild sowie zwi­schen Objekt und Male­rei. Die Pro­zes­se der Gestal­tung blei­ben oft anhand der Spu­ren mei­ner Bear­bei­tung sicht­bar. Bei den Fal­ten­bil­dern, den Reli­efs durch model­lier­te Lein­wand, kommt durch die Fal­tung nach dem Bema­len der Lein-wand ein wei­te­rer Kom­po­si­ti­ons­schritt hinzu.

Welche Far­ben setzt du wie ein, wel­che Ent­schei­dun­gen und Zusam­men­set­zun­gen bestim­men dein Kolorit?

ANNE JUNGJOHANN: Ich behan­de­le jede Far­be wie ein Ele­ment: Die Kom­po­nen­ten wer­den in Bezie­hung zuein­an­der gesetzt, es gibt kei­ne Mischung bezie­hungs­wei­se höchs­tens durch die Schich­tung. So wer­den auch die Far­ben direkt aus der Tube oder Fla­sche auf­ge­tra­gen. Die aus vor­ran­gig Pri­mär­far­ben bestehen­de Farb­ge­bung ist inten­siv und leuch­tend und ver­ur­sacht eine fast zei­chen­haf­te Signal­wir­kung. Es ent­steht ein Zusam­men­spiel von „Zuviel“ oder manch­mal auch „Zuwe­nig“.

Deine Mal­wei­se betont die Ober­flä­che und das Mate­ri­al, des­sen Flä­che einem bewusst wird, auch gera­de durch das „Zuviel“. Wel­che Rele­vanz hat dies dann auf die Räum­lich­keit eines dei­ner Wer­ke? Und wirkt in den (Ausstellungs-)Raum hin­ein?

ANNE JUNGJOHANN: Räum­lich­keit und Tie­fe des Wer­kes ent­ste­hen durch Über­schnei­dun­gen und Schich­tung – ent­we­der im Mal­pro­zess oder im Fal­le der Fal­ten­bil­der durch die kon­kre­te Über­ein­an­der­la­ge­rung des Stof­fes. Das Werk öff­net sich dem Raum durch sei­ne Außen-form, greift in den Raum und wird Teil davon. Die Moti­vik und Struk­tur der Bil­der und die Archi­tek­tur des Aus­stel­lungs­rau­mes tre­ten in einen Dia­log. Im Fal­le der Hän­gung in der Zions­kir­che – durch die unter­schied­li­che Hän­gung vor, zwi­schen und an dem Säu­len­bün­del – wirk­te das eine Bild eher von den Säu­len ein-geschlos­sen, wohin­ge­gen das ande­re die Säu­len visu­ell aus­ein­an­der­drück­te. Kura­tor Ste­phan von Wie­se: „In der Zions­kir­che hin­gen drei der bemal­ten Wand­ob­jek­te im Blend­säu­len­ver­bund am Mau­er­werk der ehe­ma­li­gen Orgel­em­po­re. Orga­nisch ver­ban­den sie sich wie orna­men­ta­ler Schmuck mit der Archi­tek­tur, gaben ihr signal­haft far­bi­ge Akzen­te. Der kom­pri­mier­te Ant­ago­nis­mus zwi­schen den run­den Win­dun­gen des hohen schlan­ken Bau­kör­pers und den knos­pen­haft dar­auf­ge­setz­ten Bild­zei­chen brach­te beschwingt einen frei­en male­ri­schen Rhyth­mus in den wei­ten, licht­durch­flu­te­ten Raum.“ (Ste­phan von Wiese)

Ja, die Kura­ti­on war aus­ge­spro­chen gelun­gen. Die­sen impo­san­ten Kir­chen­bau muss­te jedes ein­zel­ne Kunst­werk erst ein­mal packen! Als ich dei­ne Wer­ke ent­deck­te, wur­de für mich so eine inter­es­sier­te Offen­heit der Künst­le­rin für den Aus­stel­lungs­raum, den ihre Wer­ke umge­ben, deut­lich: Trotz der Wucht des Raums woll­ten dei­ne Bil­der ‚dabei sein‘ und rag­ten nahe­zu neu­gie­rig in die Aus­stel­lung. Ich fin­de, dei­ne unge­wöhn­li­chen Bild­for­ma­te wer­den dem Sehen des Betrach­ters nicht ‚über­ge­stülpt‘, son­dern wir­ken aus ihrer Ästhe­tik her­aus gemein­sam – men­tal – mit den Aus­stel­lungs­be­su­chern, den ande­ren Wer­ken und dem Gebäude.

ANNE JUNGJOHANN: Mir ist wich­tig, auch der Außen­form des Bil­des eine Bedeu­tung zuzu­spre­chen. Dabei nut­ze ich die Asso­zia­ti­ons­fä­hig­keit des Betrach­ters und die zuneh­men­de Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ge­wohn­heit durch Bil­der, Sym­bo­le und Zei­chen. Dann wer­den den digi­ta­len, glat­ten, revi­dier­ba­ren, flüch­ti­gen Bil­dern mate­ria­li­sier­te, per­ma­nen­te Kunst­wer­ke ent­ge­gen­ge­setzt. Sie ver­wei­sen auf den Umraum, jedoch wird der Blick durch die Beto­nung der Umriss­form und Kom­po­si­ti­on nicht aus dem Bild herausgeführt.

Während Neo Rauch also im jüngs­ten Inter­view sagt: „Bil­der füh­ren uns im rech­ten Win­kel aus der Rea­li­tät hin­aus in eine ande­re Welt“, ent­geg­nest du die­sem Zitat … ?

ANNE JUNGJOHANN: Ich arbei­te nur noch sel­ten mit dem rech­ten Win­kel und erfor­sche, wie das Bild über sei­ne Form mit dem Umraum in Bezie­hung tritt. Die Bil­der sol­len ihre kon­kre­te Prä­senz im Hier und Jetzt beto­nen und bie­ten eine offe­ne Pro­jek­ti­ons­flä­che. Motiv und Bild­trä­ger wer­den zu einer Ein­heit. Die moti­vi­sche Abbil­dung allein soll nicht im Vor­der­grund ste­hen, statt Abgren­zung oder Flucht wei­tet sich das Bild über sei­ne Bild­gren­ze aus und tritt in den Dia-log mit Archi­tek­tur, Umge­bung und Betrachter.

Das The­ma die­ser stay­in­art ist ‚Con­nec­ted­ness‘ – was bedeu­tet das für dich?

ANNE JUNGJOHANN: Es gibt zum einen die Ver­bun­den­heit und Kom­mu­ni­ka­ti­on der Kunst und Bil­der unter­ein­an­der – ein stän­di­ges Wahr­neh­men, Reagie­ren und Kom­men­tie­ren, ein Dia­log, der einer­seits im aktu­el­len Moment statt­fin­det, aber auch über Zei­ten und Räu­me hin­weg geschieht. Eben­so beein­flus­sen die stän­di­ge Wahr­neh­mung und Ver­ar­bei­tung von Bil­dern und Gesprä­chen im All­tag mein Werk – auch wenn es nur das Graf­fi­ti an der U‑Bahn ist oder ein zufäl­lig mit­ge­hör­tes Gespräch. Im letz­ten Jahr habe ich die freie Kura­to­rin und Gale­ris­tin Con­stan­ze Klei­ner ken­nen­ge­lernt und nun zum zwei­ten Mal an einer von ihr kura­tier­ten Grup­pen­aus­stel­lung teil­ge­nom­men. Sie arbei­tet nicht nur mit einem fes­ten Stamm an Künst­lern zusam­men, der stän­dig erwei­tert wird, son­dern auch regel­mä­ßig mit den bei­den Kura­to­ren Ste­phan von Wie­se und Rachel Rits-Vol­loch. Durch die kon­ti­nu­ier­li­che Arbeit mit ihren Künst­lern in unter­schied­li­chen Aus­stel­lungs­kon­tex­ten ent­steht ein wert­vol­ler Aus­tausch der Künst­ler und der Kunst­wer­ke unter­ein­an­der und der Rezep­tio­nen der Aus­stel­lungs­be­su­cher. Die­ser kon­kre­te Aus­tausch kann nicht durch digi­ta­le Erfah­rung ersetzt werden.

Und ‚con­nec­ted‘ bist du dann sowohl in digi­ta­len Räu­men als auch analog?

ANNE JUNGJOHANN: In mei­ner Arbeit geht es mir schon dar­um, etwas Per­ma­nen­tes zu schaf­fen, zu mate­ria­li­sie­ren, sich sehr ana­log mit rea­len Bedin­gun­gen von Mate­ri­al aus­ein­an­der zu set­zen. Dabei bin ich aber durch­aus von digi­ta­len Kom­mu­ni­ka­ti­ons­phä­no­me­nen inspi­riert, etwa das Rein- und Raus-zoo­men in Bild­de­tails. Mir ist es wich­tig, das Schnell­le­bi­ge, Kor­ri­gier­ba­re, Imma­te­ri­el­le in etwas Indi­vi­du­el­les, Kör­per­li­ches zu ver­wan­deln und auch den Bogen zur klas­si­schen Male­rei zu spannen.

Gut, dann hof­fen wir, dass dies ganz bald – live-haf­tig – statt­fin­den kann! Infor­ma­tio­nen, auch zu Aus­stel­lun­gen, kön­nen wir auf dei­ner Inter­net­sei­te www.annejungjohann.com erfahren.


Das Inter­view ist in der Print-Aus­ga­be 2.21 CONNECTEDNESS erschienen.

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geschrieben von

lebt in Berlin und ist als Sammlungsexpertin, Kritikerin, Autorin und Moderatorin tätig. Ihr Fokus liegt auf dem von ihr gegründeten Collectors Club Berlin – und damit der Pflege von Sammlungen und deren Sichtbarwerdung. In den Ausstellungen der Kunstgesellschaft und den kreativen Projekten des Netzwerks soll Kunst unabhängig vom ‚Kapitalmarkt‘ gezeigt werden. Junge Kunstströmungen verbinden sich hier mit Positionen aus künstlerischen Nachlässen und – unveräußerbaren – Werken in Sammlungen.

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