Im Gespräch mit Kerstin Kuntze

Kerstin Kunt­ze hat es sich nicht aus­ge­sucht: „Die­ser Drang war schon immer da“, sagt sie im Gespräch mit uns. Als Mäd­chen hat Kunt­ze alles ange­malt: die Wän­de, das Fahr­rad, die Schu­he, das Papier und die Haut. Alle Schul­ti­sche waren per­fekt polar­weiß, nur einer nicht: ihrer. – Aus­ufern­de Wel­ten, erst brav mit Blei­stift gezeich­net, dann zeit­fest mit Edding. Kunst war das wich­tigs­te Fach, und schon als klei­nes Mäd­chen wuss­te sie, dass sie nie auf­hö­ren wür­de zu gestal­ten. „Kunst ist etwas zutiefst Per­sön­li­ches und reflek­tiert auch immer den, der ihr Gestalt gibt. Ich bin eine lei­den­schaft­li­che Gestal­te­rin – glü­he für das, was ich tue. Bil­der sind mei­ne Spra­che“, so Kuntze.

An der renom­mier­ten Folk­wang Uni­ver­si­tät der Küns­te in Essen konn­te die jun­ge Kunt­ze Kunst und Gra­fik stu­die­ren. Bis heu­te ist sie enorm dank­bar, dass sie dort ler­nen durf­te. Der gro­ße Zeich­ner Prof. Otto Näscher und die Wer­be­i­ko­ne Prof. Vilim Vasa­ta wur­den ihre wich­tigs­ten Beglei­ter in die­ser Zeit. Alle Gra­fi­ker muss­ten die Grund­la­gen der Foto­gra­fie erler­nen − auch die Zeich­ne­rin Kers­tin Kunt­ze. Geprägt hat sie ein Satz von Otto Näscher: „Lust­voll der eige­nen Ent­wick­lung zuar­bei­ten.“ Das war schon immer ihres. Lust und Lei­den­schaft sind der Impe­tus von Kunt­zes Kunst.

Kers­tin Kuntze

Kunst ist etwas zutiefst Per­sön­li­ches und reflek­tiert auch immer den, der ihr Gestalt gibt. 

Durch den viel zu frü­hen Tod ihres Vaters muss­te sie ihr Stu­di­um als Illus­tra­to­rin und gra­fi­sche Assis­ten­tin selbst finan­zie­ren. Nach dem Abschluss als Diplom­de­si­gne­rin mit Prä­di­kats­examen ging sie die­sen Weg zunächst wei­ter. Als Art­di­rek­to­rin fand Kunt­ze die oft quä­len­den Ent­schei­dungs­pro­zes­se frus­trie­rend: „So wur­de nicht sel­ten aus einer guten Idee eine weich­ge­koch­te Kam­pa­gne“, meint sie rück­bli­ckend. Seit der Geburt ihres ers­ten Kin­des woll­te Kers­tin Kunt­ze dann Mut­ter und Künst­le­rin sein: „Drei wild­gu­te Kin­der am Tag und die Kunst in der Nacht.“ Mit den Kin­dern näher­te sie sich der Digi­tal­fo­to­gra­fie: „Sie erin­ner­te mich an mei­nen Vater und sei­ne Pola­roid­ka­me­ra. Wie oft hab ich sie mir aus­ge­lie­hen, um die­ses Sofort­ge­fühl des Gestal­tungs­akts zu genie­ßen. Sich ein Bild von der Welt zu machen, war auf ein­mal ganz einfach.“

Digi­ta­le Bil­der schrei­en nach Bear­bei­tung, damit aus einem Abbild etwas Eigen­ar­ti­ges wer­den kann. Etwas, das ande­re berührt, mit­reißt und manch­mal auch erschreckt. Als Künst­le­rin soll­te man sei­ne Gestal­tungs­mit­tel beherr­schen, also lern­te Kers­tin Kunt­ze jeden Tag wei­ter. Die Foto­gra­fin liebt das Expe­ri­ment, erar­bei­tet sich dadurch neue Wege der Bild­ge­stal­tung. Krea­ti­on und Destruk­ti­on, Lust und Leid lie­gen dabei oft ganz nah bei­ein­an­der. Kunt­zes The­ma ist das Mensch­sein. Der Aus­druck von Leben, Lust, Lei­den­schaft, Sehn­sucht und allen Emo­tio­nen − von leuch­tend rot bis tief­schwarz, soll sich in ihrer Kunst mani­fes­tie­ren. Es sind drei gro­ße Zyklen, an denen sie seit lan­gem arbei­tet: Kopf – Kon­strukt – Wasser.

Schon als Kind hat Kers­tin Kunt­ze am liebs­ten Köp­fe gezeich­net – anfangs Kopf­füß­ler, bei denen Kopf und Bauch eins waren. Im Grun­de ist sie dabei geblie­ben, zeigt das Gesicht als Kon­zen­trat mensch­li­chen Seins: „Am Kopf sind die Sin­nes­or­ga­ne ange­sie­delt, mit denen wir unse­re Welt wahr­neh­men. Im Minen­spiel kön­nen wir die Reak­ti­on unse­res Gegen­übers auf die Umwelt able­sen. Aus­drucks­kun­de ist uns ange­bo­ren – die Spra­che des Gesichts ist unmit­tel­bar und wird von allen Men­schen ver­stan­den. Das Gesicht als aus­drucks­vol­ler Spie­gel des mensch­li­chen Seins.“ Ihre Köp­fe sind immer auch eine per­sön­li­che Zustands­be­schrei­bung – auch ihre Selbst­por­traits: „Vom klas­si­schen Schwarz-weiß-Por­trait bis hin zur sur­rea­len Über­stei­ge­rung ver-suche ich zu expe­ri­men­tie­ren – den for­mal bes­ten Aus­druck für mei­ne Bild­ideen zu fin­den. Manch­mal spie­le­risch dahin­trei­bend, bis sich etwas ent­wi­ckelt, manch­mal kon­zep­tio­nell, von kla­ren Ideen getrie­ben.

Inner­halb die­ses Zyklus ent­ste­hen eige­ne Seri­en – wie „Die Lust der Lip­pen“, in der Kunt­ze den Mund als Lust­sym­bol zele­briert. Lust, Lei­den­schaft, Sehn­sucht, Sex sind oft Inhal­te ihrer Wer­ke. Teil­wei­se ver­steckt und manch­mal ganz offen. So wie das Rot. Es ist ein Sym­bol für die Lust am Leben, gefüllt mit unge­zü­gel­ter Glut und wil­dem Ver­lan­gen. In der Serie „Kon­strukt“ steht das Ver­hält­nis von Mensch und Archi­tek­tur im Fokus. Dabei ske­let­tiert die Foto­gra­fin das Gefun­de­ne for­mal, um es dann neu auf­zu­bau­en. Kräf­ti­ge Far­ben und For­men ver­stär­ken die Wir­kung und hel­fen ihr dabei, gestal­te­ri­sche Gren­zen zu sprengen.

Seit mehr als fünf Jah­ren ist das The­ma „Was­ser“ sehr prä­gend für Kunt­zes Werk. Die Serie WASSERLUST°/ SWIMPOPLOVE° kün­det von der „Lust sich zu ver­lie­ren“. Als lei­den­schaft­li­che Schwim­me­rin legt Kunt­ze nahe­zu jeden Tag mind. 3.000 m im Was­ser zurück. In den letz­ten drei Jah­ren ist sie über 2.500 km geschwom­men: „Was ich am Schwim­men so lie­be, ist die Kraft des Was­sers auf mei­ner Haut – eine Urkraft, die einen das Leben in aller Wucht spü­ren lässt. Es ent­ste­hen Bil­der, die das Leben spie­geln – von ‚lei­se-zart‘ bis ‚bru­t­al­kraft­voll‘. Sie sol­len ergrei­fen, mit­rei­ßen, berüh­ren – so wie das Was­ser mich berührt.“ Oft sind es ganz unspek­ta­ku­lä­re Sujets, wie das Aus­at­men unter Was­ser. Durch das bild­haf­te Fest­hal­ten nur eines Moments bekommt die­ser Akt etwas Sen­sa­tio­nel­les. Viel­leicht ist es gera­de das, was Kers­tin Kunt­ze so mag und den Betrach­ter fes­selt – die Magie der klei­nen Augen­bli­cke und die Unend­lich­keit, die ein Moment in sich tra­gen kann.

Was ich am Schwim­men so lie­be, ist die Kraft des Was­sers auf mei­ner Haut – eine Urkraft, die einen das Leben in aller Wucht spü­ren lässt. 

Oft sind es ganz unspek­ta­ku­lä­re Sujets, wie das Aus­at­men unter Was­ser. Durch das bild­haf­te Fest­hal­ten nur eines Moments bekommt die­ser Akt etwas Sen­sa­tio­nel­les. Viel­leicht ist es gera­de das, was Kers­tin Kunt­ze so mag und den Betrach­ter fes­selt – die Magie der klei­nen Augen­bli­cke und die Unend­lich­keit, die ein Moment in sich tra­gen kann.

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