In der Tiefe der Zeit

Benedetto Fellin

Male­rei ist dem wahr­neh­men­den Auge aus­ge­lie­fert und muss, als sinn­li­cher Reiz, zu aller­erst vor dem Auge bestehen. Im Alt­grie­chi­schen gibt es ein Wort für ein beson­de­res Erle­ben: thau­maz­e­in (ϑαυμάζειν). Es bezeich­net mehr als nur „stau­nen“. Es meint „ver­blüfft sein, irri­tiert ange­rührt sein“. Und ich schie­be eine pro­vo­kan­te Fra­ge nach: Wie „schön“ darf Male­rei sein? Die Fra­ge ist pro­vo­kant, weil unse­rem Mund zumeist kaum ein ande­res Eigen­schafts­wort als das eben genann­te ent­schlüpft, wenn wir vor einem Bild ste­hen, das uns gefällt. Pro­vo­kant ist die Fra­ge aber auch des­halb, weil wir wis­sen, dass jeder von uns das pri­mär mit sich selbst aus­macht. Ob das immer so war? Es gab Epo­chen in der Geschich­te der Kunst, denen man zumin­dest für eine gewis­se Zeit einen all­ge­mei­ne­ren, einen für eine gan­ze Gesell­schaft gül­ti­gen Schön­heits­be­griff zutrau­en möch­te. Wer z.B. den Gen­ter Altar von Jan Eyck näher betrach­tet, sei­ne Gesamt­ge­stalt, aber auch die bis in die kleins­te Minia­tur durch­ge­hal­te­ne Kon­se­quenz der ästhe­ti­schen Bear­bei­tung und Wir­kung, der möch­te den­ken, nicht nur das Schön­heits­emp­fin­den, son­dern auch den Geist der Zeit in die­sem Kunst­werk zu erleben.

Mit die­sem Anspruch kämpft die Kunst, kämp­fen Künst­ler: Etwas von sich und vom Geist-Kos­mos der Zeit im Medi­um der Kunst zu ver­sinn­li­chen, auch dann, wenn das indi­vi­du­el­le Ver­hält­nis dazu leid­voll ist, von Span­nun­gen, Wider­sprü­chen, oder ein­fach von der Sehn­sucht nach Ver­än­de­rung geprägt ist.

AUSGANGSPUNKTE
Die Hin­ga­be der alten Meis­ter des 15. Jahr­hun­derts an ihre Arbeit zu stu­die­ren ist für Bene­det­to Fellin seit den Anfän­gen sei­ner Aus­bil­dung ein Erfah­rungs­be­reich, den er selbst gesucht hat. Gebo­ren 1956 in Meran, als Sohn des Künst­lers Peter Fellin und der Gra­fi­ke­rin Her­ta Huber, wächst Bene­det­to nach der Tren­nung der Eltern zunächst in Graz, dann ab 1972 in Wien auf. Er selbst sieht sei­nen Wer­de­gang vom Ein­fluss der Begeg­nun­gen und der dama­li­gen Jugend­be­we­gun­gen geprägt. Unter die male­ri­schen Ver­su­che des 12 Jäh­ri­gen reiht sich als Auf­trags­ar­beit ein 7 Meter lan­ges Altar­bild für den Mess­raum des besuch­ten Gym­na­si­ums. Sein Ent­schluss, Maler zu wer­den, fes­tigt sich zunächst in der elek­tri­sie­ren­den Fas­zi­na­ti­on, die vom Sur­rea­lis­mus aus­geht. Er spürt unmit­tel­bar die Aus­strah­lung der Wie­ner Phan­tas­ti­schen Schu­le, befasst sich mit der Kom­ple­men­tär­far­ben­ma­le­rei und kann 1975, nach der Auf­nah­me in die Meis­ter­klas­se unter Prof. Rudolf Haus­ner, ziel­stre­big auf sei­nem Weg Tritt fassen.

BEGEGNUNGEN
Die Aus­bil­dungs­jah­re brin­gen ein­schnei­den­de per­sön­li­che Erfah­run­gen: Die nach­hal­ti­ge und anhal­ten­de Beschäf­ti­gung mit der tibe­ti­schen Phi­lo­so­phie, die kur­ze Ehe mit einer Wie­ne­rin, mit der er eine Ori­ent­rei­se unter­nimmt, ein wei­te­rer Auf­ent­halt in Indi­en, wo er für eini­ge Mona­te mit Tibe­tern zusam­men lebt. Es fol­gen eine Aus­stel­lung in Japan, das Zusam­men­tref­fen mit dem Asi­en­rei­sen­den und Berg­stei­ger Prof. Her­bert Tichy, des­sen Berich­te über die Erleb­nis­se im Tibet den jun­gen Maler bren­nend inter­es­sie­ren. Der Hei­li­ge Berg der Tibe­ter, der Kailash, wird zu einem beherr­schen­den Mal­mo­tiv der 80er Jah­re. In Wien macht Fellin die Bekannt­schaft mit den Kunst­samm­lern Mar­ga­re­the und Peter Infeld, deren freund­schaft­li­che För­de­rung sei­ne künst­le­ri­sche Ent­wick­lung sehr begüns­tigt. Der Kon­takt mit Rein­hold Mess­ner gibt Anre­gung und Bestä­ti­gung. Es zieht den Maler immer wie­der in die Fer­ne, aus der er wie­der zurück­kehrt, um dann in Abge­schie­den­heit zu arbei­ten. Rei­sen nach Bang­kok, nach Ost­afri­ka, nach Mexi­ko, nach Bur­ma und nach Kam­bo­dscha. Als Refu­gi­um für die kon­zen­trier­te Arbeit an sei­nen Bil­dern dient ihm ein Ate­lier an der öster­rei­chisch-unga­ri­schen Gren­ze, im Übri­gen aber lebt und arbei­tet er in Wien.

Wer den Bil­dern Bene­det­to Fellins unvor­be­rei­tet gegen­über­tritt, fällt in den Zustand des thau­maz­e­in, er wird über­rascht, fühlt sich im ers­ten Augen­blick auch befrem­det. Es ist eine Bild­spra­che, die einem Ken­ner der Wie­ner Kunst und ihrer Beson­der­hei­ten nicht unver­traut sein mag, die aber ande­re Betrach­ter ver­un­si­chern kann und Fra­gen her­vor­ruft. Das for­schen­de neu­gie­ri­ge, suchen­de Auge zieht es in die unglaub­li­che Tie­fe des Rau­mes in man­chen Bil­dern, oder er ver­fängt sich im Vor­der­grund, nimmt die schar­fen, leuch­ten­den Farb­kon­tras­te als inten­si­ven Reiz auf, es ent­deckt in der Viel­zahl der abge­bil­de­ten Gegen­stän­de noch weitere.

UMFELDER
Fellin ist künst­le­risch als Schü­ler der Wie­ner Schu­le des Phan­tas­ti­schen Rea­lis­mus her­an­ge­wach­sen, zu deren Ver­tre­tern der ers­ten Gene­ra­ti­on auch sein Leh­rer Rudolf Haus­ner zählt. Die spe­zi­fisch öster­rei­chi­sche Spiel­art die­ser Kunst­rich­tung ist im Zusam­men­hang mit einem kom­ple­xen Sys­tem von Ein­flüs­sen zu sehen, die die mal­tech­ni­schen Errun­gen­schaf­ten des Manie­ris­mus der Male­rei in den Nie­der­lan­den eben­so ein­be­zie­hen wie die the­ma­ti­schen und gestal­te­ri­schen Auf­brü­che im Jugend­stil (Wie­ner Seces­sio­nis­ten) und beson­ders auch die radi­ka­le Posi­ti­on des Sur­rea­lis­mus. Die­se schafft den abso­lu­ten Frei­raum für das Traum­haf­te, Unbe­wuss­te und Phan­tas­ti­sche in der Kunst und eröff­net neue Mög­lich­kei­ten, Geis­ti­ges sinn­lich zu ver­mit­teln. Die Wie­ner Phan­tas­ten set­zen dort an, wo sie die Tra­di­tio­nen der euro­päi­schen Male­rei erken­nen und hochhalten.

VERSINNLICHUNG
Fellin sieht sich selbst in der Linie der rea­lis­ti­schen Mal­tra­di­tio­nen, steht zu sei­nen Wur­zeln in der euro­päi­schen Welt, greift aber auch dar­über hin­aus. Ins­be­son­de­re sein welt­an­schau­li­ches Hin­ge­zo­gen­sein zur tibe­ti­schen Hoch­kul­tur, sei­ne eth­no­lo­gi­schen Inter­es­sen für alte Kul­tu­ren über­haupt las­sen ihn eige­ne Wege gehen. Inso­fern hat er sei­nen künst­le­ri­schen Aus­gangs­punkt, die Schu­le der Wie­ner Phan­tas­ten weit­ge­hend hin­ter sich gelas­sen. Aber er nutzt die erwor­be­ne Kennt­nis der Fein­ma­le­rei alter Meis­ter und deren Genau­ig­keit und Sorg­falt in der Aus­füh­rung für sei­ne Arbeits­wei­se und zielt mit Absicht auf natur­ge­treue Abbil­dung und auf die voll­kom­me­ne Erkenn­bar­keit des Dar­ge­stell­ten. Der male­ri­sche Auf­wand ist groß, die Mal­tech­nik in Öl und Eitem­pe­ra ver­langt lang­sa­mes Arbei­ten, das Prin­zip erlaubt kei­ne Halb­hei­ten in der Dar­stel­lungs­wei­se, Spon­ta­nei­tät ist ausgeklammert.

Was lohnt die­se Mühe? Im Bedach­ten, im Beab­sich­tig­ten des rea­lis­ti­schen Ver­fah­rens liegt eine beson­de­re Form men­ta­ler Frei­heit, die Fellin wich­tig ist: Die Frei­heit des Künst­lers, das Ima­gi­nier­te, das aus der Phan­ta­sie Stam­men­de, oder, wenn man so will, das, was es in der Natur nicht gibt, mit den Mit­teln der natur­ge­treu­en Dar­stel­lung zu ver­an­schau­li­chen und dabei das Geis­ti­ge zu transportieren.

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„Der Horizont des Menschen ist dem Phantasiebegabten und dem Suchenden immer zu eng. Benedetto Fellin ist ein phantasiebegabter Suchender. Ein Suchender in der Energie der Farbe, ein Suchender in der Tiefe der Zeit.“ Georg Mühlberger, (*1945 in Montan), Dr.phil., kunstaffiner Germanist und Historiker.

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