Eine Freude, diesen Bildern zu folgen. Ein multiples Talent mit unglaublicher Bandbreite.
Um es gleich vorweg zu sagen und klare Position zu beziehen: Karin Székessy ist für mich eine der bedeutendsten, wenn nicht die bedeutendste Fotografin Deutschlands. Mal abgesehen von ihrer weltweiten Reputation. Gemeint sind, wenn es eines Beweises bedarf, ihre vielen Ausstellungen in Tokio, Amsterdam, Paris, New York, London und eben auch in Deutschland.
Aber Karin Székessy ist nicht, oder nicht nur, eine „Ausstellungsfotografin“, das wäre ihr zu einseitig; dafür ist sie zu dicht dran am wirklichen Leben, das sich ja nicht zu allererst in Galerien und Museen abspielt; sie ist zu interessiert, zu sehend, zu denkend, als dass sie ihre Kamera nicht mit Leidenschaft auch für Alltägliches einsetzt. Ihre Fotografien für etwas scheinbar so profanes wie den amerikanischen Möbelhersteller Knoll International haben Furore gemacht. Kein Mensch konnte sich vorstellen, dass man Möbel so fotografieren kann. Sie kann. Aber auch der Ullstein Verlag verdankt ihr über 400 Krimititel für die damals so berühmte „Gelbe Reihe“.
Ich erinnere an ihre Reportagen über Uwe Johnson, dessen Spuren sie von „Fischland“, seiner Heimat Mecklenburg-Vorpommern, bis nach New York folgte. Oder ihre Reportage über das ehemalige Scheunenviertel in Berlin, dessen einstigem jüdischen Leben sie kurz nach Maueröffnung mit leicht melancholischen Bildern ein Denkmal setzte. Wenn Bilder literarisch sein können, dann sind es diese. Und da ist sie, die Autorenschaft der Fotografin Karin Székessy. Eine Freude, diesen Bildern zu folgen.
Karin Székessy ist eine Meisterin im Arrangieren. Immer leicht, aber präzise. Nie vordergründig, aber eben auch nicht vernebelt. Und wo sie eigentlich ihr unverwechselbares Licht hernimmt, wissen nur sie und der liebe Gott allein. Wenn ich sie fotografieren sehe, frage ich mich manchmal, was macht sie da eigentlich, da ist doch gar nichts, und bin dann baff, wenn ich das Ergebnis betrachte. Wie durch Magie haben dann die banalsten Gegenstände Tiefe, Raum und Anschauung bekommen. Als Beispiel mögen ihre – leider vergriffenen – Lichtdrucke dienen. Erreicht eben nicht durch fotografischen Firlefanz, technische Kapriolen und Dunkelkammermanipulationen, die dann so leicht das Gütesiegel des Experimentellen bekommen und eigentlich doch nur die Abwesenheit einer Idee deutlich machen. Mit solchem Unsinn hat sie uns nie gequält.
Sie ist die bilderreichste Fotografin, die ich kenne, was sich etwas merkwürdig anhört, da das „Bilderfinden“ ja schließlich ihre Passion ist. Aber ihr Formenreichtum scheint unerschöpflich. Und sie zwingt uns, hinzuschauen.
Um diese Bilder kann man sich nicht herum mogeln. Das macht ihre Präsenz aus, ihre beinahe Überdeutlichkeit aus; da ist kein Rückzugsraum, keine Enklave, um in Unverbindlichkeit zu erstarren. In Allem, was sie umgibt, sieht sie Sehenswertes, Abbildenswertes, wobei das Wort „abbilden“ hier falsch ist. Denn darum geht es ihr gar nicht, ums Abbilden. Das, was sie sich als Vorwurf, nicht Entwurf, sondern Vorwurf nimmt für ihre Bilder, verwandelt sich wie durch Zauberhand in eine eigene, nur von ihr gesteuerte, neue Wahrheit.
Fotografien sind ja nicht das Leben selbst, sie sind auch kein Surrogat, kein Kürzel für das, was uns umgibt, sie sind nur für sich selbst; sie erzählen nur von sich selbst und über die, die sie gemacht haben.
Bei aller kraftvollen Sanftmut, bei aller Delikatesse, die ihre Bilder ausstrahlen, klingt in ihnen doch auch ein anarchischer Grundton auf, klingt etwas auf, was wie eine Art Urerinnerung sich in uns abgesetzt hat, als frühzeitliches Erbe sozusagen. Aus diesem Spannungsbogen von Sanftmut und dem anarchischen Grundton beziehen die Bilder Karin Székessys ihre Kraft. Ein geradezu subversiver Anschlag auf unsere Sehnerven. So zu beobachten in ihren vielen Landschaftsfotografien, die sie in der Provence macht. Das ist eine andere Provence als wir sie zu kennen glauben. Eben anarchisch, unbeugsam und von romanischer Strenge.
Überhaupt ihr geliebtes Südfrankreich: Seit weit über einem Jahrzehnt verbringt sie den Sommer dort, zusammen mit Paul Wunderlich, sowie familiärem und freundschaftlichen Anhang und einem wahren Rudel unterschiedlichster Hunde. Viele ihrer wunderbarsten Bilder sind hier entstanden. Von Menschen in ihrer Umgebung, von Marie Cardinal und Max Bense, aber auch von Pflanzen, Früchten, Schattenspielen, den frei stehenden Skulpturen Paul Wunderlichs; und ganze Werkreihen ihrer berühmten Aktfotografien. Lita heißt eines der immer wiederkehrenden Modelle. Bleich und erfrischend altmo-disch. Mit Kirschmund und leicht geröteter Nase tummelt sie sich als Teil der von Karin Székessy gewählten Umgebung. Und Hunde natürlich. Komische Hunde, mächtige Hunde, traurige Hunde; weiße, schwarze, gefleckte; jedenfalls Hunde mit ausgeprägtem Charakter.
Es wird oft gefragt, wo denn der Schwerpunkt der Arbeit von Karin Székessy eigentlich liegt, bei all dieser Bandbreite. Es sei ein Verwirrung stiftender Versuch gewagt: Karin Székessy ist nicht nur die Aktfotografin, das ist sie auch. Sie ist nicht nur die Stilllebenfotografin, das ist sie auch. Sie ist nicht nur die Landschaftsfotografin, das ist sie auch. Sie ist nicht nur die Portraitfotografin, das ist sie auch. Also finden wir uns ab mit einer multiplen Persönlichkeit.