DIE SELBSTVERSTÄNDLICHKEIT DES RAUMS
Der Hermetik-Konvent wird jährlich von der Hermetik Akademie veranstaltet. Der letzte Konvent fand im Herbst 2019 in München statt, bei dem unter anderem philosophische, mystische oder auch religiöse Themengebiete vorgetragen wurden, die einen Zusammenhang zur Evolution des Menschen aufweisen. Zu den Highlights zählten die Vorträge über die uralten Lehren der Gnosis, Kabbala und Alchemie. Diese Lehren, die auch die Hermetik Akademie unterrichtet, werden als „Zeitlose Weisheit“ bezeichnet, da sich zwar die Kultur, Gesellschaft, Politik, Sprache etc. verändern kann, aber die essentielle Bedeutung dieser Weisheitslehre, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Zukunft davon maßgeblich unbeeinflusst bleibt. Somit repräsentiert die Zeitlose Weisheit eine ewig gültige Lehre – unabhängig aller äußeren kulturellen oder gesellschaftlichen Veränderungen. Gnosis, Kabbala und Alchemie zählten zu den sogenannten „arkanen“ Künsten, da sie im Verborgenen unterrichtet wurden.
Einer der Gründe hierfür waren die damals totalitären politischen und religiösen Strukturen in Europa und Asien, die eine „freie“ Entfaltung der Gedanken zu verhindern suchten. Erst mit dem Zeitalter der Aufklärung konnten bestimmte Machtstrukturen überwunden werden, die mehr Unabhängigkeit in diesen Belangen zuließen.
Bei der Gnosis ging es um die Entfaltung eines höheren Bewusstseins, die auch in einigen mystischen christlichen Strömungen eine große Rolle spielte. Der Begriff Gnosis hat seinen Ursprung im altgriechischen Wortstamm „gnostikos“, was so viel wie „Erkennen“ oder „Wissen“ bedeutet. Demnach steht Gnosis für Selbsterkenntnis, die letztlich mit Gotterkenntnis gleichgesetzt wird. Wenn der spirituell Strebende, der sogenannte Aspirant, eine bestimmte Etappe der Seelenreife erreicht hat, dann begibt er sich auf den „Pfad der Rückkehr“. Hierbei strebt er nach etwas Höherem, jedoch ohne zu erahnen, wie dieses Höhere konkret aussehen könnte. Die Schwierigkeit besteht letztlich darin, dass der Mensch versucht ist, sich dieses Undefinierbare aus der Perspektive seines begrenzten, polaren Bewusstseins vorzustellen. Dies ist jedoch nicht möglich, da dem Menschen die wahre Dimension und Worte hierfür fehlen.
Anhand von Gleichnissen und kraftvollen Bildern, welche die natürliche Sprache der Träume und des Unterbewusstseins sind, wird der Aspirant schrittweise an die Wahrheit hinter den Erscheinungen dieser „profanen“ Welt herangeführt. Der Terminus „profan“ wird für all jenes verwendet, das dem Sakralen, also dem Heiligen gegenübersteht. Dies inkludiert die strikt materialistische und begrenzte Sichtweise über die Realität. Der Aspirant wird ermutigt die Grenzen seines kleinen Alltags-Erfahrungshorizontes zu überschreiten und in die Dimensionen des höheren Bewusstseins einzutauchen. Auf diese Weise lernt der Mensch anhand von Symbolen, die leidvolle Anhaftung und Identifikation mit dem Eigenwillen zu überwinden. Aus der gnostischen Perspektive gibt es fünf Königreiche, namentlich das Mineral‑, Pflanzen‑, Tier- und Menschenreich sowie als höchste Instanz das Reich des „Gottmenschen“.
Das fünfte Reich des Gottmenschen wird in der christlichen Mystik als das Erwachen des Christusbewusstseins interpretiert. Symbolisch entspricht dies der Geburt des Lichtes oder auch der Geburt von Christus (Weihnachten). Dies ist die erste Stufe der Erleuchtung, die dem Aspiranten alsdann Zugang zum ersehnten Himmelsreich gewährt. Auf diese Weise wird der Mensch ein Bürger des fünften Königreichs. Er steht symbolisch mit den Beinen auf der Erde und sein Haupt ist in den Himmel erhoben. Mithilfe der christlich-gnostischen Bildersprache kann erforscht werden, wie der Mensch seinen Weg der Befreiung letztlich gehen kann, um sich aus den Verstrickungen dieser polaren Welt zu befreien, um schließlich die ersehnte Erlösung zu finden.
In vielen Religionen und Kulten sowie den Überlieferungen der Kabbala wird die Aussage gefunden, dass der Mensch weit mehr ist als nur der physische Körper sei. Hiermit ist gemeint, dass er darüber hinaus auch etwas wie eine Seele hat. Die Seele wird als ein zentraler Bestandteil des Menschen betrachtet, die über das Ableben der physischen Existenz hinaus existieren soll. In ihrer Essenz wird die Seele des Menschen als unsterblich angesehen. Die innere Grundlage der Lehren der Kabbala bildet die Suche des Menschen nach der Erfahrung einer unmittelbaren Beziehung zu seinem Schöpfer, also zu Gott.
Über die Seele gibt die Kabbala besonders detaillierte Beschreibungen. Interessant dabei ist, dass im Gegensatz zu vielen populären Vorstellungen die Kabbala von mehreren Seelen berichtet. So hat der Mensch einerseits eine Animalseele (Nefesch), die den physischen Körper in seinen Grundinstinkten belebt. Dann gibt es den sogenannten Geist (Ruach), den Lebensatem (Chajah) sowie das höchste Selbst (Jechidah). Diese Seelen formen die Gesamtheit des Menschen – auch wenn er sich dessen nicht bewusst sein mag, so interagieren diese Seelen stets miteinander.
Der Impuls, dass sich der Mensch auf den spirituellen Pfad begibt, entspringt dem höchsten Selbst (Jechidah). Dieser Impuls entfacht in der Persönlichkeit des Menschen die spirituelle Sehnsucht also die Aspiration. Dementsprechend wird der Mensch zu seinem höheren Lebenssinn geführt bzw. gezogen und somit zum vollen Potenzial all seiner Seelen. Dies der Pfad der Rückkehr zur Einheit mit dem Schöpfer. Eine ähnliche Allegorie wird in der hermetischen Kunst der Alchemie beschrieben, nämlich bei der Transmutation von Blei zu Gold. Sie stellt durch Symbole die Entwicklung des gewöhnlichen Menschen hin zum vollendeten Menschen dar. Diese Form von Alchemie erfolgt nicht in einem äußeren Chemielabor, obwohl viele historische Illustrationen solche Apparate darstellen. Chemie und Alchemie sind zwar wesensverwandt, doch handelt es sich bei der hermetischen Alchemie um eine Form der geistigen Alchemie. Die Alchemie berichtet durch die Bildersprache, wie diese Prozesse der spirituellen Entfaltung vor sich gehen, da der gewöhnlichen Sprache die entsprechenden Worte fehlen.
Alchemie hat demnach nicht, wie die meisten Menschen meinen, mit der Umwandlung von materiellen Metallen zu tun mit denen in einem chemischen Labor experimentiert wird. Wahre Alchemie zählt wie die Gnosis zur „Geheimlehre“, die als eine Lehre Gottes, gewürdigt wird. Sie verfolgt im „Großen Werk“ also im „Opus Magnum“ das Ziel die niederen bleiernen Wesensanteile zu veredeln und zu schleifen, damit das innere Gold des wahren Menschen erstrahlen kann. Das begrenzende irdische Blei transformiert sich stufenweise zum göttlichen und befreiten Gold. Aus dieser Perspektive ist die Alchemie auch ein physischer Vorgang im Menschen selbst, da der menschliche Körper eine untrennbare Verbindung zum Geist aufweist. Beim sogenannten „Kleinen Werk“ oder dem „Opus Minor“ wird die elementare Natur der Persönlichkeit harmonisiert, die symbolisch als Erde, Luft, Wasser und Feuer dargestellt wird. Die Balance der vier Elemente hat einen Einfluss darauf, wie der Mensch auf die Ereignisse des Lebens reagiert und mit dem Leben interagiert. Erst diese Harmonisierung der vier Elemente schafft die Voraussetzung um den göttlichen Geist, also die Quintessenz, zu empfangen.
Martinez de Pasqually, der die Künste der Gnosis, Kabbala und Alchemie beherrschte, beschrieb das Ziel der menschlichen Evolution als die Wiedereinsetzung der Wesen in ihre ursprünglichen geistigen und göttlichen Eigenschaften, Kräfte und Mächte.
Aus dem hier angedeuteten kann geschlossen werden, dass die arkanen Lehren der Gnosis, Kabbala und Alchemie einen mannigfachen Fundus an Weisheit bewahren. Jede einzelne dieser Strömungen eignet sich für ein lebenslanges Studium und kann nicht ausgeschöpft werden. Für den sogenannten Profanen erscheinen diese Worte wie Phantasie oder Träumerei, der Aspirant hingegen, wird davon angezogen wie von einer leuchtenden Fackel in der Finsternis.