Wie Spiegel die Dunkelheit der Nacht erwärmen

Interview mit Davide Medri

Spie­gel, deren Rah­men aus Spie­gel­mo­sai­ken, Lich­ter­ket­ten und Schil­dern bestehen, auf denen der Name jenes mythi­schen „Nar­ziss“ steht, der sich in sein eige­nes Spie­gel­bild ver­liebt haben soll. Die Mono­to­nie einer end­los lan­gen Stra­ße am Stadt­rand irgend­wo in der Roma­gna wird von drei gro­ßen Schau­fens­tern unter­bro­chen, durch die das Glit­zern von Spie­geln und Mosai­ken zu sehen ist, die sich selbst reflek­tie­ren und die umge­ben­de Land­schaft ver­blas­sen las­sen. Dies ist die Werk­statt des Desi­gner-Kunst­hand­wer­kers Davi­de Medri, die man nicht über­se­hen kann. Der 1967 in Cese­na gebo­re­ne Künst­ler absol­vier­te die Aka­de­mie der Bil­den­den Küns­te, das Kunst­in­sti­tut für Mosa­ik und die Alber­tia­ner-Schu­le in Raven­na. Davi­de ist einer der meist­ge­schätz­ten Mosa­ik­künst­ler der Welt.

Als ich in sei­ner Werk­statt ankom­me, die auch sein Zuhau­se ist, begrüßt er mich mit einem Lächeln, dem ich ent­neh­me, dass er es gewohnt ist, die Ver­wun­de­rung in den Augen sei­ner Gäs­te zu sehen. Er bit­tet mich, eini­ge Minu­ten zu war­ten, wäh­rend er extrem dün­ne Spie­gel­strei­fen abschnei­det. Ich beob­ach­te ihn schwei­gend, und mir wird bewusst, dass dies hier ein Pri­vi­leg ist: Ich bin Zeu­ge eines klei­nen Kunst­wun­ders, und es fällt mit leicht, zu ver­ste­hen, war­um sei­ne Krea­tio­nen, obwohl sie als All­tags­ge­gen­stän­de ver­klei­det sind, die exis­ten­ti­el­le Sta­tur eines Ein­zel­stücks anstre­ben können.

Ich möch­te Ihnen eigent­lich zunächst Fra­gen zu Ihren Wer­ken stel­len, aber begin­nen wir mit Raven­na und den Mosai­ken. Sie haben aus­ge­rech­net dort ange­fan­gen, in der ita­lie­ni­schen Haupt­stadt der Mosaikkunst…

Ja, ich ver­dan­ke Raven­na sehr viel. Wenn ich nicht dort stu­diert hät­te, wür­de ich wahr­schein­lich nicht die­se Arbeit machen und ich wäre nicht der, der ich heu­te bin. Dank der Aka­de­mie der Bil­den­den Küns­te und des Kunst­in­sti­tuts für Mosa­ik davor und der Alber­tia­ner-Schu­le danach konn­te ich mir die­se Tech­nik aneig­nen und dem klas­si­schen und byzan­ti­ni­schen Mosa­ik näher­kom­men. Anfangs habe ich mit Mar­mor- und Glas­flie­sen gear­bei­tet, die ich in ver­schie­de­nen Farb­tö­nen ver­wen­det habe, um unter­schied­li­che deko­ra­ti­ve Mus­ter zu erstel­len. Dann ent­deck­te ich den Spie­gel und erkann­te, dass dies mein Mate­ri­al war und ich es nie­mals wie­der auf­ge­ben wür­de. Das Schnei­den des Mate­ri­als, das Spiel von Refle­xen und Gegen­über­stel­lun­gen, die eine nie fla­che und linea­re Sicht der Rea­li­tät wie­der­ge­ben, aber auch das Glit­zern eines jeden ein­zel­nen Teil­chens, dass alles gehört zu mir. Wenn man ein Spie­gel­mo­sa­ik zusam­men­stellt, löst das Emo­tio­nen aus, die in Wor­ten schwer zu erklä­ren sind. An einem bestimm­ten Punkt, wäh­rend ich jedes ein­zel­ne Teil zuschnei­de, sehe ich das Spie­gel­bild mei­nes Auges, das mich anblickt, und ver­ste­he fast nicht mehr, ob ich es bin, der in den Spie­gel schaut, oder ob der Spie­gel mich beob­ach­tet. Der Spie­gel absor­biert alles, was ihn umgibt, und reflek­tiert es auf neue und ori­gi­nel­le Wei­se. Dies ist sei­ne Stär­ke und sei­ne unbe­streit­ba­re Fas­zi­na­ti­on. Mei­ne Arbeit ist das Ergeb­nis davon: Lie­be, Lei­den­schaft und auch sehr viel Geduld, aber was dabei her­aus­kommt, macht sprach­los und bezaubert.

Wie ent­ste­hen Ihre Wer­ke, was dreht sich um Ihr künst­le­ri­sches Denken?

Kunst ist eine direk­te Ent­fal­tung von Lebens­er­fah­run­gen, jedes mei­ner Wer­ke hängt in irgend­ei­ner Wei­se mit mei­nen Erleb­nis­sen zusam­men. Glück­li­cher­wei­se bin ich ein auf­merk­sa­mer Beob­ach­ter: Emo­tio­nen, Begeg­nun­gen und klei­ne Ent­de­ckun­gen des All­tags wer­den zu einer Quel­le der Inspi­ra­ti­on. Ich lie­be es, All­tags­ge­gen­stän­de zu Kunst umzu­for­men, sie in eine ande­re Umge­bung, einen ande­ren Kon­text zu brin­gen und ihnen eine neue See­le zu geben.

Das ist es, was Sie mit Ihren Spie­geln gemacht haben, die von Ver­kehrs­zei­chen inspi­riert wurden…

Ja genau, ich glau­be, dass das Dekon­tex­tua­li­sie­ren und Ver­schö­nern von All­tags­ge­gen­stän­den eine klei­ne Ges­te der Lie­be ist, eine Revo­lu­ti­on gegen die Bana­li­tät. Aber man muss imstan­de sein, das zu sehen, was am Anfang nie­mand sieht.

Davi­de Medri

Mei­ne Arbeit ist das Ergeb­nis davon: Lie­be, Lei­den­schaft und auch sehr viel Geduld, aber was dabei her­aus­kommt, macht sprach­los und bezaubert. 

Was übri­gens Ihre Pop-Spie­gel betrifft, wenn wir sie so defi­nie­ren wol­len: War­um haben Sie sich von der Mosa­ik­tech­nik entfernt?

Ich mache die­se Arbeit nun schon seit 20 Jah­ren, aber ich den­ke, es ist immer wie­der wich­tig, etwas Neu­es zu tun. Jede Krea­ti­on ist irgend­wie ein Neu­an­fang, ich habe nicht das Gefühl, ange­kom­men zu sein, und ich möch­te wei­ter expe­ri­men­tie­ren und wachsen.

Glit­zern­de Spie­gel und kost­ba­re Refle­xe – Ihre Arbei­ten wir­ken wie geschaf­fen, um luxu­riö­se und wert­vol­le Umge­bun­gen zu ver­schö­nern. Den­noch sind die Umge­bun­gen in Ihren Kata­lo­gen alles ande­re als luxuriös…

Mei­ne Krea­tio­nen sind abso­lut viel­sei­ti­ge Ein­rich­tungs­ele­men­te. Ich habe sie in den unter­schied­lichs­ten Umge­bun­gen gese­hen, von Luxus­ho­tels bis hin zu Pri­vat­häu­sern, kom­bi­niert mit opu­len­ten Gegen­stän­den oder Ele­men­ten im Pop- oder indus­tri­el­len Stil. Eini­ge Kata­lo­ge mei­ner Wer­ke wur­den vom Desi­gner Bru­no Rai­nal­di ent­lang der Klip­pen und Stra­ßen der Rivie­ra Roma­gno­la erstellt oder in alten Bau­ern­häu­sern und Rui­nen, mit Spie­geln, die an den abblät­tern­den Wän­den hin­gen und mit Kon­tras­ten spie­len, die ihre Schön­heit her­vor­he­ben. Sie erzäh­len aber auch von mei­nen Ursprün­gen und mei­ner gren­zen­lo­sen Lie­be zur Roma­gna, die ich nie­mals ver­las­sen würde.

Stone red

Aber es geht Ihnen nicht nur um Design, Sie wid­men sich auch der Kunst im engs­ten Sinne…

Ich habe der Welt des Designs schon sehr viel gege­ben und jetzt möch­te ich auch der Kunst viel geben. In gewis­sem Sin­ne sind mei­ne Wer­ke alle ein­zig­ar­tig, weil jedes der Tei­le, aus denen mei­ne Spie­gel­mo­sai­ken bestehen, ein­zig­ar­tig ist. Trotz­dem ist ein Spie­gel, eine Lam­pe oder ein Tisch repro­du­zier­bar. Womit ich mich jetzt beschäf­ti­gen möch­te, ist das Kunst­werk im enge­ren Sin­ne, von dem es nur ein ein­zi­ges Stück gibt. Aus die­sem Grund wid­me ich mich seit 2016 der Schaf­fung monu­men­ta­ler Wer­ke: Totems aus mit Spie­gel­mo­sai­ken über­zo­ge­nen Stei­nen, die ich auf der Möbel­mes­se vor­ge­stellt habe.

Haben Sie Plä­ne für die Zukunft?

Ich unter­rich­te am Kunst­gym­na­si­um in For­lì; dabei habe ich ent­deckt, dass ich ein guter Päd­ago­ge bin. Die jun­gen Leu­te fol­gen mir, und es ist eine wun­der­ba­re Sache, ihnen mei­ne Lei­den­schaft ver­mit­teln zu kön­nen. In Zukunft möch­te ich wie­der in der Kunst­welt arbei­ten, aber im Moment mache ich kei­ne Plä­ne, son­dern möch­te viel­mehr inne­hal­ten; ich befin­de mich in einer Pha­se des Expe­ri­men­tie­rens und der Suche. Ich arbei­te gera­de an einer Skulp­tur, die im Frei­en hin­ter der Kir­che San Mer­cu­ria­le in For­lì auf­ge­stellt wird. Es ist fas­zi­nie­rend, weil ich dann end­lich mei­ne Arbeit an einer Stra­ßen­ecke sehen wer­de. Die Skulp­tur, eine fast drei Meter hohe, zur Kir­che geneig­te Pro­zes­si­ons­ker­ze, hat den Titel „Ich wer­de dein Licht sein“, eben weil das in den Spie­geln reflek­tier­te Licht die Dun­kel­heit der Nacht erwär­men wird.

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Die Italienerin, die umgeben vom Rascheln der Buchseiten und der unberührten Schönheit ihrer Heimat aufwuchs, zog es mit 19 Jahren nach Bologna, wo sie einen Hochschulabschluss in Politikwissenschaften machte. Hier begann sie mit fotografischer Kunst zu experimentieren und spezialisierte sich auf das Schreiben über Tourismus, Kultur, Essen und Kunst. Sie ist Pressesprecherin, arbeitet mit den Hochglanzmagazinen der Riviera zusammen und ist Herausgeberin der Zeitschrift artwave.it. In ihren Schriften und Fotos erzählt sie von Orten und Kunst, um Spuren ihrer leidenschaftlichen Neugier zu hinterlassen. Kontakt zur Autorin ist über die Redaktion von stayinart möglich.

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