Choco: Eine Einladung zum Dialog

Eduar­do Roca Sala­zar – Cho­co – ist zwei­fel­los einer der im Aus­land aner­kann­tes­ten Künst­ler der bil­den­den Küns­te in Kuba, wie sei­ne zahl­rei­chen per­sön­li­chen und kol­lek­ti­ven Aus­stel­lun­gen, die Prä­senz sei­ner Wer­ke in pres­ti­ge­träch­ti­gen Pri­vat­samm­lun­gen oder in kul­tu­rel­len Ein­rich­tun­gen und von ihm erhal­te­ne Prei­se, dar­un­ter der von der Tria­de von Gab­ra­do de Kochi im Jahr 1999 und der der Natio­nal of Pla­s­tic Arts of Cuba im Jahr 2017 belegen.

Das talen­tier­te Kind wur­de 1949 in Sant­ia­go de Cuba im Schoß einer beschei­de­nen schwar­zen Fami­lie gebo­ren und hat­te Eigen­schaf­ten, die unter ande­ren his­to­ri­schen Umstän­den sei­ner künst­le­ri­schen Ent­wick­lung im Wege gestan­den hät­ten. Dank des kul­tur­po­li­ti­schen Kon­zepts der kuba­ni­schen Revo­lu­ti­on hat­te die­ser talen­tier­te Jun­ge nun Zugang zur künst­le­ri­schen Erzie­hung und zwi­schen 1963 und 1975 führ­te er Stu­di­en durch, die ihn mit gro­ßen Per­sön­lich­kei­ten der kuba­ni­schen Kunst ver­ban­den (Fayad Jamís, Adi­gio Bení­tez, Ser­van­do Cabre­ra Moreno, Anto­nia Eiriz) und ihm einen Lehr­stuhl an Kunst­schu­len in Sant­ia­go de Kuba und Havan­na ein­brach­ten. Ab 1976 zeich­ne­te sich eine inten­si­ve beruf­li­che Tätig­keit ab, die mit zuneh­men­der Rei­fe in Schwin­del erre­gen­der Geschwin­dig­keit wei­ter Ihre Früch­te trägt.

Eine Beson­der­heit, die sei­ne Arbeit beglei­tet hat, ist, dass ein Groß­teil der Kri­tik dar­an in ers­ter Linie von Dich­tern und nicht von pro­fes­sio­nel­len Kri­ti­kern der bil­den­den Kunst unter­schrie­ben wur­de. Die Dich­ter waren im Lau­fe der Zeit ganz beson­de­re Beob­ach­ter der Arbei­ten der Künst­ler der bil­den­den Kunst und haben in unzäh­li­gen Fäl­len die kon­zep­tu­el­len und for­ma­len Ergeb­nis­se eines theo­re­ti­schen Gerüsts her­vor­ge­bracht, das nicht auf den star­ren Grund­la­gen der rei­nen und har­ten Theo­rie beruht, son­dern auf dem freund­li­che­ren Erschei­nungs­bild des poe­ti­schen Aktes. In die­sem Fall haben Dich­ter-Kri­ti­ker zur Sozia­li­sie­rung die­ser Pro­duk­ti­on bei­getra­gen, indem sie die meta­pho­ri­schen und sym­bo­li­schen Ver­bin­dun­gen unter­sucht haben, die sie mit der Geschich­te, Sozio­lo­gie, Reli­gi­on, Eth­no­lo­gie und vie­len ande­ren Dis­zi­pli­nen im Zusam­men­hang mit dem Wis­sen des Indi­vi­du­ums und sei­nes Geis­tes her­stel­len. Die­ser Dis­kurs hat in Ver­bin­dung mit denen von spe­zia­li­sier­ten Exege­ten drei grund­le­gen­de Pha­sen in der Arbeit von Cho­co fest­ge­legt: Eine ers­te, die von 1970 bis 1980 reicht, eine der viel­fäl­ti­gen Suchen auf kon­zep­tio­nel­ler und sti­lis­ti­scher Ebe­ne, die von 1981 bis 1995 rei­chen, und eine Drit­te der krea­ti­ven Fül­le, die von 1996 bis heu­te reicht.

Seit sei­ner ers­ten per­sön­li­chen Aus­stel­lung im Jahr 1976 bezeugt Cho­co ein Anlie­gen, die Ver­bin­dun­gen zwi­schen Mensch und Natur zu erfor­schen, einem Ver­lan­gen nach Roman­tik, das der Begeis­te­rung die­ser Peri­ode der Revo­lu­ti­on inne­wohnt und sich in den künst­le­ri­schen Ter­ri­to­ri­en über eine gro­ße Prä­senz in den Wer­ken zu den Arbei­tern und Bau­ern und der Stär­kung ihrer Rol­le beim Auf­bau eines neu­en Gesell­schafts­mo­dells wider­spie­gelt. Dies führ­te zu einem Behar­ren auf sozia­len Fra­gen, in denen das Epos der täg­li­chen Arbeit das Epos der revo­lu­tio­nä­ren Kämp­fe vor dem Sieg des Vol­kes ersetz­te (oder mit die­sem ver­misch­te). In die­sen Zeich­nun­gen von Cho­co erkennt man die Syn­kre­ti­sie­rung des his­to­ri­schen Hel­den mit dem Land­ar­bei­ter, der die täg­li­che Odys­see des Auf­baus des Sozia­lis­mus trägt und das gesell­schafts­po­li­ti­sche Pro­jekt auf den Fel­dern des Bau­ern­hofs unter­stützt, auf denen der anony­me Kampf um die Über­win­dung der Unter­ent­wick­lung aus­ge­tra­gen wird.

Por­trät Edu­ar­do Roca Salazar

Zu die­ser Zeit, als in der kuba­ni­schen Kunst und Lite­ra­tur ver­schie­de­ne Arten von Rea­lis­mus auf­blüh­ten (der tra­di­tio­nel­le, sozia­le und bei man­chen Gele­gen­hei­ten der sozia­lis­ti­sche), wand­ten die meis­ten jun­gen Künst­ler ihre Anlie­gen eher den Ver­fah­ren der natio­na­len bild­his­to­ri­schen Avant­gar­de zu (vor allem Car­los Enri­quez, Vic­tor Manu­el und Edu­ar­do Abe­la), nicht frei von Rea­lis­mus, son­dern durch­drun­gen von Recher­chen aus ande­ren ästhe­ti­schen Berei­chen, die in den sieb­zi­ger und acht­zi­ger Jah­ren in Kuba Anhän­ger ver­lo­ren hat­ten. Es war die glei­che ideo­lo­gi­sche Abkap­se­lung der Peri­ode selbst und ihre Ableh­nung, fast per se, gegen die neu­en Trends der euro­päi­schen und nord­ame­ri­ka­ni­schen Kunst neben der Prä­gung der Avant­gar­de der Meis­ter der dama­li­gen Zeit wie Cabre­ra Moreno, Eiriz und Bení­tez, die zu die­ser Über­ar­bei­tung der Modi der natio­na­len Avant­gar­de führ­ten und ver­an­lass­ten, dass der ver­ar­men­de Ein­fluss des sozia­lis­ti­schen Rea­lis­mus auf dem Gebiet der bil­den­den Kunst weni­ger offen­sicht­lich wur­de, als er es bei ande­ren künst­le­ri­schen Mani­fes­ta­tio­nen hät­te sein können.

Nur zwei Jah­re spä­ter ent­hüllt Cho­co die Arbei­ten, die als Abschluss die­ser ers­ten Pha­se ange­se­hen wer­den könn­ten: Zeich­nun­gen, die von den typi­schen Fri­su­ren der Frau­en Ango­las inspi­riert sind, eines Lan­des, das er besuch­te, um bei der Aus­bil­dung neu­er Künst­ler mit­zu­ar­bei­ten. In die­sem Sin­ne wer­den zwei Schlüs­sel­the­men sei­ner Poe­sie ange­kün­digt, die die fol­gen­den Pha­sen mar­kie­ren: Die Unter­su­chung der afri­ka­ni­schen Kom­po­nen­te der kuba­ni­schen Natio­na­li­tät und der ver­schie­de­nen Sinn­lich­kei­ten des weib­li­chen Körpers.

Obwohl Cho­co auf den Gemäl­den der frü­hen 80er Jah­re immer noch die Figu­ra­ti­on sei­ner Zeich­nun­gen aus dem letz­ten Jahr­zehnt auf­be­wahrt und in die­sen die Erin­ne­run­gen sei­ner Ern­te­hel­fer, Mache­te­ros und Bau­ern auf­ge­grif­fen wer­den, sind sei­ne Sti­che aus die­ser Zeit bereits mehr­fach erforsch­bar: Eine per­sön­li­che Art und Wei­se, räum­li­che Abs­trak­tio­nen, die für sei­ne neu­en Anlie­gen typisch sind, mit Sil­hou­et­ten zu ver­flech­ten, die sich auf sei­ne frü­he­re Lauf­bahn inner­halb des Figu­ra­ti­ven bezie­hen, eine gewis­se Vor­macht­stel­lung von ver­dünn­ten Atmo­sphä­ren, die bereits weit vom Rea­lis­mus ent­fernt sind und eine meta­phy­si­sche Aus­strah­lung besit­zen, die in der nächs­ten Pha­se erstar­ken wird. Die Fes­ti­gung der Ver­wen­dung der Far­be, die von den grü­nen und blau­en Initia­len in die Schwar­ze, Rote, Sepi­as, Ocker und Gel­be sei­ner rei­fe­ren Jah­re über­geht – und Tex­tu­rem, die das Mar­ken­zei­chen sei­ner wei­te­ren Pro­duk­ti­on sein wer­den, nach­dem der Künst­ler sich über die Aus­drucks­mög­lich­kei­ten der Col­la­ge neu erfindet.

Seit den spä­ten 70er und frü­hen 80er Jah­ren begann Edu­ar­do Roca regel­mä­ßig zu rei­sen, nahm an Mes­sen, Bien­na­len und Aus­stel­lun­gen teil, unter­rich­te­te als Leh­rer an ver­schie­de­nen aus­län­di­schen Kunst­hoch­schu­len und tausch­te sich mit ande­ren künst­le­ri­schen Erfah­run­gen aus, die ihn inspi­rier­ten und för­der­ten und ihm ermög­lich­ten, sei­ne kon­zep­tio­nel­le und for­mel­le Stimm­ga­bel über unge­ahn­te Gren­zen hin­aus zu erwei­tern. Das viel­leicht bedeu­tends­te die­ser Erleb­nis­se ist die Col­la­gra­phie, eine Tech­nik, die unter ande­rem von Pierre Roche, Rolf Nesh, Glen Alps, John Ross oder Edmond Casa­rel­la gepflegt wur­de, die Cho­co in den frü­hen 90er Jah­ren anwen­det und per­so­na­li­siert, bis sie sich zu sei­nem kuba­ni­schen Haupt­kul­ti­va­tor ent­wi­ckel­te und in letz­ter Zeit zu einer der reprä­sen­ta­tivs­ten auf inter­na­tio­na­ler Ebene.

Die Wirt­schafts­kri­se der 90er Jah­re in Kuba ver­schärft die Not­wen­dig­keit für Künst­ler, sich ande­ren Roh­stof­fen zuzu­wen­den, um zu arbei­ten, und Cho­co mischt die Ergeb­nis­se der Col­la­ge mit bestimm­ten Über­le­gun­gen der Leh­rer der arte pove­ra auf beschei­de­nen und armen Mate­ria­li­en zur Her­stel­lung ihrer Matri­zen und zur Ver­wen­dung von Pap­pe, Holz, Gum­mi, Metall, Tex­ti­li­en und sogar Abfäl­len, die im Müll gesam­melt wer­den, womit die­ser eine selt­sa­me Wür­de erhält, da er nun das Basis­ma­te­ri­al für die kon­zep­tio­nel­len Dar­stel­lun­gen der Uni­ver­sen der Fami­lie, der afro-kuba­ni­schen Reli­gio­si­tät, Fra­gen der Ras­se und nach dem, was der wei­se Kuba­ner Fer­nan­do Ortiz als Essenz der kuba­ni­schen Iden­ti­tät defi­nier­te, ist.

In der drit­ten Pha­se öff­ne­te sich Cho­co die­sen the­ma­ti­schen Über­le­gun­gen auf höchst eigen­wil­li­ge Wei­se. Er übt kei­ne der Moda­li­tä­ten der afro-kuba­ni­schen Reli­gi­on aus, außer viel­leicht eine Mischung aus Respekt und Kame­rad­schaft, die fast alle Kuba­ner für die Orich­as und ihre magisch-poe­ti­schen Kräf­te emp­fin­den. Er war jedoch fas­zi­niert von der Visua­li­tät die­ses Kos­mos, von den Far­ben, den For­men, den Attri­bu­ten der Regel von Ocha oder San­te­ria (Äxte, Mache­ten, Vögel, Fische, Früch­te, Schne­cken) und den Sym­bo­len (ins­be­son­de­re den Signa­tu­ren) mit denen die Aba­kuás-Kräf­te iden­ti­fi­ziert wer­den oder bestimm­te eso­te­ri­sche Zei­chen, die zu den Regeln der Palo oder Hexen gehö­ren), die neben der Tat­sa­che, dass der Betrach­ter sie kennt oder nicht ent­rät­seln kann, den Stü­cken, in denen sie erschei­nen, eine mit­opoe­ti­sche Aura ver­lei­hen, eine Ein­la­dung, sich ande­ren Arten von Erkennt­nis­sen zu öff­nen, die über die Gren­zen der Rea­li­tät hin­aus­ge­hen und uns in die Irr­we­ge des Unbe­kann­ten zu wagen.

Im Gegen­satz zu ande­ren Künst­lern und Schrift­stel­lern, die das Ras­sen­pro­blem aus kul­tur­wis­sen­schaft­lich gepräg­ten Posi­tio­nen betrach­ten und Reden hal­ten, die von his­to­ri­schen Behaup­tun­gen und mili­tan­ten Ver­pflich­tun­gen geprägt sind, unter­sucht Cho­co lie­ber die Wur­zeln des­sen, was Nicolás Guil­lén als „kuba­ni­sche Far­be“ defi­niert, die­se Essenz unse­rer Natio­na­li­tät, mit der wir alle ras­sisch und kul­tu­rell ver­bun­den sind und die uns viel­leicht rei­cher und soli­da­ri­scher macht, zumin­dest im Bereich der Uto­pien. Die­se eth­ni­sche Sym­bio­se wei­tet sich auch auf ande­re Ebe­nen aus: Die Inti­me und die Öffent­li­che, den Kult und die Popu­lä­re, die Länd­li­che und die Städ­ti­sche, das Hand­werk und die Küns­te, die Ero­ti­sche und die Lie­ben­de, wäh­rend sei­ne Tech­ni­ken um die Kul­ti­vie­rung von Skulp­tu­ren erwei­tert wer­den, die von tra­di­tio­nel­ler Bron­ze oder Holz bis zu sei­nen kurio­sen Skulp­tu­ren rei­chen, ergänzt er dies­mal die Ent­de­ckun­gen, die bereits durch das Mischen von Zeich­nun­gen, Poly­chro­mien und Mate­ri­al­kom­po­nen­ten in der Col­la­ge bewie­sen wur­den, mit der expe­ri­men­tel­len Ergän­zung des Dreidimensionalen.

Das Werk von Edu­ar­do Roca Sala­zar hat vor allem eine inhä­ren­te Gabe, die nur den gro­ßen Künst­lern vor­be­hal­ten ist: Trotz der the­ma­ti­schen, sti­lis­ti­schen und tech­ni­schen Ver­än­de­run­gen behält er in jeder Etap­pe, Serie oder Aus­stel­lung sein unver­wech­sel­ba­res, ein­zig­ar­ti­ges Sie­gel, das die­sen ein­zig­ar­ti­gen dia­lek­ti­schen Strom, die­se Lawi­ne des Über­flus­ses mit der Viel­falt und der Exzel­lenz zusam­men­bringt, mit denen Cho­co uns seit mehr als vier­zig Jah­ren sei­ne Art, sich als Kuba­ner aus­zu­drü­cken und zu den­ken und in den Dia­log mit dem Uni­ver­sum zu brin­gen, näherbringt.

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(Camagüey, Kuba, l965): Dichter, Erzähler, Kritiker, Essayist, literarischer Übersetzer, Redakteur und Universitätsprofessor. Er lehrt Allgemeine Literatur an der Universität der Künste von Havanna und hat mehrere Notizbücher mit Gedichten, drei Romane, drei Sammlungen von Kurzgeschichten und mehrere Bücher mit Essays und Literaturkritiken verfasst, sowie unzählige Publikationen in Zeitschriften. 1999 wurde er mit dem nationalen Kulturpreis ausgezeichnet.

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