BAUHAUS – DIE WELT ANDERS DENKEN

Interview mit Barbara Steiner, Direktorin Stiftung Bauhaus Dessau

Nach einer welt­wei­ten Aus­schrei­bung der Direk­ti­ons­stel­le für die Stif­tung Bau­haus Des­sau fiel die Wahl des Stif­tungs­rats auf Bar­ba­ra Stei­ner. Seit 2016 ist die pro­mo­vier­te Kunst­his­to­ri­ke­rin Direk­to­rin des Kunst­hau­ses Graz, zuvor lehr­te sie an der Hoch­schu­le für Gra­fik und Buch­kunst in Leip­zig und war von 2001 bis 2011 Direk­to­rin der Stif­tung Gale­rie für Zeit­ge­nös­si­sche Kunst in Leip­zig. Wir tref­fen Bar­ba­ra Stei­ner zum Gespräch im Bau­haus Des­sau, wo sie sich ihrer neu­en Posi­ti­on annä­hert«. Am run­den Bespre­chungs­tisch im his­to­ri­schen Direk­ti­ons­bü­ro spürt man einen sehr pro­ak­ti­ven Geist, eine Per­sön­lich­keit, die für die Inhal­te des Bau­hau­ses brennt und ein Gespür dafür mit­bringt, die­ses »mäch­ti­ge« Instru­ment sinn­voll für die Gesell­schaft und die kul­tu­rel­le, sozia­le und öko­lo­gi­sche Ent­wick­lung ein­zu­set­zen. In einem anre­gen­den Gespräch unter­hal­ten wir uns über den Anspruch der Bau­haus Bewe­gung die moder­ne Gesell­schaft mit­zu­ge­stal­ten, das Akti­vie­ren der Ver­gan­gen­heit, den Plu­ral des Gemein­we­sens, das Bau­haus als Motor und Inspi­ra­ti­on die Welt immer wie­der anders zu den­ken und den unend­li­chen Spa­gat zwi­schen Welt­erbe, Mar­ke, Mythos und gegen­wär­ti­ger For­schung und Lehre.

Sie waren Direk­to­rin im Kunst­haus Graz und hat­ten eigent­lich nicht beab­sich­tigt, sich zu ver­än­dern. Nun sind Sie mit 1. Sep­tem­ber 2021 Direk­to­rin der Stif­tung Bau­haus Des­sau. War das Bau­haus aus­schlag­ge­bend dafür, sich zu bewer­ben? Bedeu­te­te dies eine ein­ma­li­ge Chance?

BARBARA STEINER: Ja, es ging ganz klar um die­se ein­zig­ar­ti­ge Chan­ce, ich hat­te nicht aktiv nach einer neu­en Stel­le gesucht. Es waren, wie so oft im Leben, auch Zufäl­le im Spiel. Wenn ich im Janu­ar nicht einer Kol­le­gin begeg­net wäre, die Mit­glied im wis­sen­schaft­li­chen Bei­rat ist, dann hät­te ich von die­ser Aus­schrei­bung gar nichts gewusst. Mein Ver­trag für das Kunst­haus Graz lief ja bis 2026. Das Bau­haus Des­sau ist für mich stets ein wich­ti­ger Ort gewe­sen. Ich hat­te bereits als Jugend­li­che ein Fai­ble für die 1920er Jah­re, und abge­se­hen davon auch wäh­rend mei­ner Zeit in Leip­zig mit­ver­folgt, wie das Bau­haus in der Gegen­wart steht. Zudem hat­te ich mit dem Bau­haus Des­sau am »Pro­jekt Schrump­fen­de Städ­te«, unter der Lei­tung von Phil­ipp Oswalt, gear­bei­tet. Damals war hier im Bau­haus Des­sau noch Omar Akbar Direk­tor, und der Ver­tre­ter des Bau­hau­ses im Pro­jekt Wal­ter Prig­ge. Der dis­zi­plin­über­schrei­ten­de Ansatz ist nach wie vor signi­fi­kant für das Bau­haus Des­sau und kommt mir sehr entgegen.

Diesen dis­zi­plin­über­schrei­ten­den Ansatz hat­ten Sie in Graz auch schon ger­ne umgesetzt.

BARBARA STEINER: In Graz habe ich auch einen trans­dis­zi­pli­nä­ren Ansatz ver­folgt, aber ich war häu­fig mit dem Vor­wurf kon­fron­tiert kei­ne Kunst­aus­stel­lun­gen zu machen. Die­se erwar­te­te man offen­sicht­lich. Aus mei­ner Sicht waren und sind es auch Kunst­aus­stel­lun­gen, aber eben nicht nur. Sie haben den Bereich der Kunst immer wie­der hin zu ande­ren Fel­dern über­schrit­ten und auch erweitert.

Haben Sie bei der Bewer­bung hier in Des­sau schon damit gerech­net, dass die Wahl auf Sie fällt?

BARBARA STEINER: Ich hat­te nicht damit gerech­net und war bei Wei­tem nicht sie­ges­si­cher. Als mich Staats­mi­nis­ter Robra dann ange­ru­fen hat, wur­de mir klar, dass sich mein Leben nun wie­der kom­plett ver­än­dern wird. Der ursprüng­li­che Plan war, dass mein Mann im nächs­ten Jahr nach Graz zieht, und jetzt zie­hen wir nach Dessau.

Ach so – Sie zie­hen hierher…

BARBARA STEINER: Ich zie­he immer an die Orte, an denen ich arbei­te. Der Ort, an dem sich die Insti­tu­ti­on befin­det, wird Teil mei­nes All­tags. Das wei­tet den Blick und das Ver­ständ­nis für den loka­len Kon­text der Institution.

Wie berei­tet man sich auf so eine Auf­ga­be vor, wie läuft die­ser Ein­ar­bei­tungs­pro­zess ab?

BARBARA STEINER: Schon in dem Moment, in dem man sich bewirbt, beginnt die­ser Pro­zess. Bereits im Bewer­bungs­ver­fah­ren muss­te ein Kon­zept prä­sen­tiert wer­den, muss­te for­mu­liert wer­den, wel­che Zie­le und Ent­wick­lun­gen man anstrebt. Dafür bin ich schon tief in die Mate­rie ein­ge­stie­gen. Natür­lich ist es dann noch­mal etwas ande­res, wenn man sich der Insti­tu­ti­on von innen annä­hert. Ich durch­lau­fe gera­de meh­re­re Pha­sen: Zunächst habe ich beob­ach­tet, wie die Abläu­fe in der Insti­tu­ti­on sind, wor­an gear­bei­tet wird, und vor allem war es mir wich­tig zu ver­ste­hen, was die Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter antreibt. Mich inter­es­siert, wo bereits Poten­zia­le vor­han­den sind, und wo ich mei­ne Exper­ti­sen ein­brin­gen kann. In einer nächs­ten Pha­se wird es dann kon­kre­ter wer­den. Dann gilt es an bestimm­ten Stel­len Impul­se zu set­zen. Gene­rell ist zu sagen: Eine Insti­tu­ti­on ist kei­ne Ein­zel­dar­bie­tung, in der Stif­tung Bau­haus Des­sau arbei­ten vie­le Men­schen, die sich im Ide­al­fall gegen­sei­tig posi­tiv ver­stär­ken und gemein­sam für eine dyna­mi­sche Wei­ter­ent­wick­lung sor­gen. Ich bege­be mich in die­ses Gefü­ge, hal­te mei­ne Ohren und Augen offen und bin neu­gie­rig auf das, was auf mich zukommt. Das alles dau­ert sei­ne Zeit und braucht auch Zeit. Mit jeder neu­en Per­son ent­ste­hen Dyna­mi­ken, die eine Insti­tu­ti­on durch­aus braucht, um leben­dig zu blei­ben. Seit­dem ich die Zusa­ge erhal­ten habe, ver­brin­ge ich ein­mal im Monat ein paar Tage hier. Mir war wich­tig, so schnell wie mög­lich hin­ter die Kulis­sen bli­cken zu kön­nen. Denn mit dem Stich­tag des ers­ten Sep­tem­bers wird es tur­bu­len­ter. Dann wer­den vor allem die Außen­ter­mi­ne zunehmen.

Das eine Bau­haus gibt es nicht. Selbst das his­to­ri­sche Bau­haus war plu­ral. Es wur­den sehr ver­schie­de­ne Vor­stel­lun­gen for­mu­liert, die sich auch anein­an­der gerie­ben haben. Das zeich­net das Bau­haus Des­sau bis heu­te aus. 

Bar­ba­ra Steiner

Ihre Vor­gän­ge­rin­nen und Vor­gän­ger waren Archi­tek­tur-Theo­re­ti­ker. Sie haben ein Stu­di­um der Kunst­ge­schich­te absol­viert und brin­gen kura­to­ri­sche und musea­le Erfah­rung mit. Wird Ihr Zugang ein ande­rer sein?

BARBARA STEINER: Kunst­ge­schich­te im klas­si­schen Sin­ne habe ich nie betrie­ben. Ich hat­te in der Ver­gan­gen­heit immer gro­ße Affi­ni­tä­ten zur Archi­tek­tur, zu Raum­theo­rien, zum Aus­stel­len und zum Kura­to­ri­schen. Jetzt gibt es hier ein neu­es Muse­um. Ein Dau­er­bren­ner wird mit Sicher­heit die Fra­ge blei­ben, wie ver­mit­teln wir The­men aus der Ver­gan­gen­heit in der Gegen­wart? Wie kom­mu­ni­zie­ren wir das, was wir hier tun, an ver­schie­de­ne gesell­schaft­li­che Grup­pen? Natür­lich habe ich eini­ges Wis­sen über zeit­ge­nös­si­sche bil­den­de Kunst, und sie wird künf­tig eine wich­ti­ge Rol­le spielen

Einer der his­to­ri­schen Bau­haus-Gedan­ken war die Ver­söh­nung von Hand­werk und Kunst.

BARBARA STEINER: Ja, am Anfang war dies ein Ziel. So hat man in Wei­mar begon­nen. In Des­sau ver­schob sich das Inter­es­se aller­dings mehr in Rich­tung Zusam­men­ar­beit mit der Industrie.

… die­ses hier­ar­chi­sche Den­ken zwi­schen bil­den­der und ange­wand­ter Kunst ist auch gegen­wär­tig noch spür­bar. Ist es auch Ihr Ansin­nen die­se, nen­nen wir es Mal »Ver­söh­nung«, voranzutreiben? 

BARBARA STEINER: Eigent­lich ist die­ses The­ma, hier bil­den­de, dort ange­wand­te Kunst erle­digt, die­se Tren­nung lässt sich nicht auf­recht­erhal­ten. Sol­che Abgren­zun­gen hal­ten einer nähe­ren Über­prü­fung nicht stand, auch wenn sie noch in den Köp­fen vie­ler exis­tie­ren. Hier am Bau­haus Des­sau sind die­se Kate­go­ri­sie­run­gen schon lan­ge vor­bei, das ist ein Aspekt, der mich beson­ders inter­es­siert. Doch Hier­ar­chi­sie­run­gen gibt es nach wie vor – his­to­risch und zeit­ge­nös­sisch. Die Kunst­ge­schich­te ist vol­ler Hier­ar­chi­sie­run­gen. Die­se wir­ken, mehr oder weni­ger stark aus­ge­prägt, ver­steckt oder sicht­bar bis heu­te nach: Tra­di­ti­on und Moder-ne, Kunst und Hand­werk, freie und ange­wand­te Kunst, »High Art« und »Low Art«, euro­päi­sche und außer­eu­ro­päi­sche Kunst. Zwar wur­den genau die­se Oppo­si­tio­nen und zugrun­de­lie­gen­den Defi­ni­tio­nen immer wie­der erfolg­reich her­aus­ge­for­dert und Bewer­tungs­maß­stä­be ver­än­dert, doch sind vie­le die­ser Rang­ord­nun­gen im All­tag, in der insti­tu­tio­nel­len Pra­xis und auf dem Kunst­markt nach wie vor zu fin­den. Das gilt es zu überwinden.

Die von Ihnen kon­zi­pier­te und kura­tier­te Aus­stel­lung Kunst ⇋ Hand­werk, zwi­schen Tra­di­ti­on, Dis­kurs und Tech­no­lo­gien, hat auch schon dazu bei­getra­gen, oder?

BARBARA STEINER: Die Aus­stel­lung war ein Ver­such Kate­go­ri­sie­run­gen zu ver­las­sen. Sie frag­te danach wie heu­te ein frucht­ba­rer Dia­log zwi­schen Kunst und Hand­werk aus­se­hen könn­te und rück­te bei­de in einen grö­ße­ren gesell­schaft­li­chen Zusam­men­hang. Die Bedeu­tung und Wert­schät­zung des Hand­werks als wesent­li­cher Bestand­teil mate­ri­el­ler Kul­tur, kul­tu­rel­ler Iden­ti­tät und Gemein­schaft wur­de dabei mit sozia­len sowie öko­no­mi­schen Ver­hält­nis­sen und Pro­duk­ti­ons­lo­gi­ken in einer glo­ba­li­sier­ten Welt zusam­men­ge­dacht. Die Aus­stel­lung ließ Grenz­zie­hun­gen der Ver­gan­gen­heit hin­ter sich, ver­mit­tel­te zwi­schen moderner/zeitgenössischer Kunst, Hand­werk und neu­en Tech­no­lo­gien, zeich­ne­te Kul­tur­trans­fers über natio­na­le Gren­zen hin­weg nach, erkun­de­te Zwi­schen­be­rei­che, Über­gangs­zo­nen und ließ opa­ke Räu­me zu.

Die Stif­tung Bau­haus Des­sau agiert ja in sehr unter­schied­li­chen Berei­chen. In der Ver­gan­gen­heit gab es Jah­res­the­men, um einen gemein­sa­men Nen­ner zu fin­den. Wird das beibehalten?

BARBARA STEINER: Ja, das nächs­te Jahr ist der Hygie­ne gewid­met. Das Prin­zip wird fort­ge­setzt, jedoch nicht zwin­gend das gesam­te Pro­gramm einem The­ma unter­wor­fen. Ein Jah­res­the­ma macht inso­fern Sinn, weil man aus unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven Aspek­te ver­tie­fen kann.

Der Anspruch der Bau­haus-Bewe­gung war es stets die »moder­ne Gesell­schaft« mit­zu­ge­stal­ten, gibt es dafür ein aktu­el­les Beispiel?

BARBARA STEINER: Seit kur­zem gibt es die Initia­ti­ve des »New Euro­pean Bau­haus«. Das ist eine euro­päi­sche Initia­ti­ve, an der sich auch das Land Sach­sen-Anhalt betei­ligt. Wir sind Part­ner. Es ist nicht nur ein öko­lo­gi­sches, son­dern vor allem ein kul­tu­rel­les Pro­jekt. Und das macht es für uns rele­vant. An der Schnitt­stel­le von Kunst, Kul­tur, sozia­ler Inklu­si­on, Wis­sen­schaft und Tech­no­lo­gie gilt es dabei, Gestal­tung ganz­heit­lich zu den­ken. Spe­zi­ell im »Sach­sen-Anhalt Pro­jekt« geht es um Struk­tur­wan­del, Koh­le­aus­stieg, Dekar­bo­ni­sie­rung und Emis­si­ons­ver­rin­ge­rung. Dabei sol­len Alli­an­zen über die insti­tu­tio­nel­len Gren­zen hin­aus gebil­det und auch zivil­ge­sell­schaft­li­che Initia­ti­ven mit­ein­be­zo­gen wer­den. Das Pro­jekt ist mir noch vor mei­nem Amts­an­tritt zuge­fal­len, aber ich wer­de mich selbst­ver­ständ­lich aktiv einbringen.

Weil Sie die Alli­an­zen ange­spro­chen haben: Gibt es auch akti­ve Koope­ra­tio­nen zwi­schen der Stif­tung Bau­haus Des­sau, der Stif­tung in Wei­mar und dem Bau­haus Archiv in Berlin?

BARBARA STEINER: Ja, die soge­nann­te Bau­haus-Koope­ra­ti­on. Es ist sinn­voll, dass die Bau­haus-Insti­tu­tio­nen in Deutsch­land zusam­men­ar­bei­ten, aber es gibt auch inter­na­tio­nal wich­ti­ge Bau­haus-Akteu­rin­nen und Akteu­re. Mit die­sen gilt es eben­so, eine akti­ve Ver­bin­dung zu leben.

Wird im Muse­um die eige­ne Samm­lung Schwer­punkt bleiben?

BARBARA STEINER: Die­ser Schwer­punkt bleibt. Lan­ge Zeit konn­te die Samm­lung nicht in dem Umfang gezeigt wer­den. Grö­ße­re Wech­sel­aus­stel­lun­gen gibt es im Muse­um zur­zeit nicht, aber ein jun­ges For­mat: die »Zwi­schen­spie-le«, also klei­ne­re Aus­stel­lun­gen inner­halb der Samm­lungs­prä­sen­ta­ti­on, die einen Kon­text zum Bestehen­den haben. Ich pla­ne dar­über hin­aus das Erd­ge­schoss räum­lich zu reor­ga­ni­sie­ren. Ich stel­le mir eine Struk­tur vor, die mit ein­fa­chen Hand­grif­fen für unter­schied­li­che Funk­tio­nen adap­tier­bar ist. Es gibt im Erd­ge­schoß auch einen Kon­fe­renz­raum, der nicht all­zu oft genutzt wird. Die­sen sehe ich als einen geeig­ne­ten Raum für grö­ße­re Wech­sel­aus­stel­lun­gen und damit für inter­na­tio­na­le Aus­stel­lungs­ko­ope­ra­tio­nen. Mei­ne dies­be­züg­li­chen Vor­schlä­ge wer­de ich dem­nächst an den Stif­tungs­rat herantragen.

Es gibt ja sicher­lich eine kla­re Erwar­tungs­hal­tung vom Stif­tungs­rat Ihnen gegen­über. Was den­ken Sie wird aus heu­ti­ger Sicht die größ­te Her­aus­for­de­rung für Sie als Direk­to­rin der Stif­tung sein?

BARBARA STEINER: An das Bau­haus Des­sau wer­den sehr vie­le Erwar­tun­gen geknüpft und die Vor­stel­lun­gen, wofür es inhalt­lich ste­hen soll, sind teil­wei­se sehr wider­sprüch­lich: Welt­erbe, Mar­ke, Mythos, gleich­zei­tig sol­len die For­schung und Leh­re im Hier und Jetzt wei­ter­ge­trie­ben und bren­nen­de gesell­schaft­li­che Anlie­gen bear­bei­tet wer­den. Das fügt sich nicht auto­ma­tisch. In die­ser Hete­ro­ge­ni­tät sehe ich jedoch auch eine gro­ße Chan­ce: Das Bau­haus ist in der Lage unter­schied­lichs­te Men­schen und Grup­pen zu mobi­li­sie­ren. Zum einen gilt es die­se Anzie­hungs­kraft stra­te­gisch ein­zu­set­zen, zum ande­ren braucht es Raum für Expe­ri­men­te, die die »Mar­ke« her­aus­for­dern dür­fen und auch müs­sen. Zwi­schen Mar­ken­pfle­ge und kri­ti­scher Refle­xi­on des Erbes tun sich fast zwangs­läu­fig Rei­bun­gen auf. Fakt ist, das Bau­haus ist ein Attrak­tor, und so gese­hen ein mäch­ti­ges Instru­ment um bestimm­ten Anlie­gen Gehör zu ver­schaf­fen, in die Gesell­schaft hin­ein­zu­wir­ken. Es ist aber auch in der Lage Her­zen zu öff­nen, auch wenn in den Köp­fen ganz unter­schied­li­che Fil­me ablau­fen mögen.

Und wie wer­den Sie die­se Her­aus­for­de­run­gen angehen?

BARBARA STEINER: Wir müs­sen auf meh­re­ren Ebe­nen gleich­zei­tig agie­ren, Alli­an­zen schmie­den, in die Regi­on hin­ein­wir­ken und unse­re glo­ba­len Netz­wer­ke stär­ken. Mich inter­es­siert es aber auch Aus­stel­lungs- und Dis­kurs­for­ma­te zu ent­wi­ckeln, die die unter­schied­li­chen Anfor­de­run­gen, Inter­es­sen und Erwar­tun­gen expo­nie­ren und zwi­schen ihnen ver­mit­teln. D.h. es geht dar-um das Erbe Bau­haus leben­dig zu hal­ten, ohne es auf (zu) weni­ge Merk­ma­le zu redu­zie­ren, und an drän­gen­de Fra­gen der Gegen­wart anzu­bin­den. Ziel ist es einen öffent­li­chen Dis­kurs über die ver­schie­de­nen Inter­es­sen zu füh­ren. Der Kom­mu­ni­ka­ti­on kommt in die­sen Pro­zes­sen eine ent­schei­den­de Rol­le zu. Doch es ist dar­über hin­aus essen­ti­ell, dass ich hier lebe. Man bekommt mehr Ein­blick in die Ver­hält­nis­se einer Stadt, sieht wie es den Men­schen geht, was sie tag­täg­lich beschäftigt.

In Graz haben Sie die­se Erfah­rung auch schon gemacht, oder?

BARBARA STEINER: Ja, es war wich­tig am Ort zu leben und mit den Men­schen ins Gespräch zu kom­men. Wich­tig ist mir jetzt, das Kunst­haus Graz gut zu über­ge­ben. Das ist auch der Grund, wes­halb es eine Über­gangs­pha­se gibt. Ich wer­de bis Dezem­ber 2021 wech­selnd zwei Wochen in Graz und zwei Wochen in Des­sau sein. Das Pro­gramm in Graz steht bis Mit­te 2023. Mei­ne Nach­fol­ge wird im Febru­ar 2022 ent­schie­den und tritt 2023 die Stel­le an. In der Zwi­schen­zeit gibt es eine inte­ri­mis­ti­sche Lei­tung. An sich tun Füh­rungs­wech­sel Insti­tu­tio­nen gut, weil damit Bewe­gung ins Spiel kommt. Aber es braucht auch gewis­se Kon­ti­nui­tä­ten. In der Stif­tung Bau­haus Des­sau waren es höchst unter­schied­li­che Per­sön­lich­kei­ten, die die Stif­tung lei­te­ten, doch trotz aller Unter­schied­lich­kei­ten hat es immer auch eine gewis­se Kon­ti­nui­tät gege­ben. Auch wenn die letz­ten Wech­sel sehr schnell auf­ein­an­der folgten.

Schon vor 100 Jah­ren stell­te sich Gro­pi­us die Fra­ge, wel­che For­men des Gemein­we­sens erstre­bens­wert sind. Das ist mehr denn je eine aktu­el­le Fra­ge. Was, den­ken Sie, ist erstrebenswert?

BARBARA STEINER: Die Vor­stel­lun­gen wel­che For­men des Gemein­we­sens erstre­bens­wert sei­en, gehen weit aus­ein­an­der. Gibt es noch gemein­sa­me Iden­ti­fi­ka­tio­nen oder nimmt die Abschot­tung ein­zel­ner Grup­pen, sprich: nimmt die Bla­sen­bil­dung zu? Wie kommt man in einen Aus­tausch mit ande­ren? Die Fra­ge nach dem Gemein­we­sen, ich wür­de ger­ne das Gemein­wohl ergän­zen, wird uns sicher­lich beglei­ten, aber eine Ant­wort wird sich dar­auf nicht fin­den las­sen. Die Poli­tik stellt die Rah­men­be­din­gun­gen her, die Gemein­we­sen beför­dern kön­nen. Wir brau­chen Räu­me, in denen man sich begeg­nen kann. Die größ­te Gefahr sehe ich dar­in, dass sich sozia­le Grup­pen zuneh­mend von­ein­an­der abgren­zen. Die­se Abschot­tungs­ten­den­zen sind gefähr­lich und füh­ren zur Segre­ga­ti­on. Zum einen nimmt die Lust ab, die eige­ne Kom­fort­zo­ne zu ver­las­sen, weil man lie­ber in sei­ner Com­mu­ni­ty bleibt. Zum ande­ren steigt die Aggres­si­on, wenn jemand eine ande­re Sicht zum Aus­druck bringt. Wir brau­chen dies­be­züg­lich eine neue gesell­schaft­li­che Per­spek­ti­ve. Dies schließt ein, sich auch ande­ren Vor­stel­lun­gen und Sicht­wei­sen aus­zu­set­zen. Für mich stellt sich die Fra­ge, wie wir als Insti­tu­ti­on Räu­me und Mög­lich­kei­ten zum Aus­tausch schaf­fen kön­nen. Auch wir müs­sen die­se Aus­ein­an­der­set­zung suchen, in der Regi­on und über die Regi­on hin­aus. Es geht letzt­lich um Brü­cken­schlä­ge. Es geht dar­um her­aus­zu­fin­den, was wir tei­len, wo die­ser gemein­sa­me Raum sein könn­te, selbst wenn sich die­ser nur tem­po­rär her­stel­len las­sen soll­te. Der Kli­ma­wan­del wird uns nöti­gen mit­ein­an­der in ein Gespräch ein­zu­tre­ten. Da ist eine ech­te Chan­ce, auch wenn die Debat­ten jetzt bereits ein enor­mes Spalt­po­ten­ti­al haben.

Der Leit­ge­dan­ke der Stif­tung Bau­haus Des­sau lau­tet: Das Erbe pfle­gen, die Gegen­wart gestal­ten. Wel­che Visi­on ver­fol­gen Sie inner­halb die­ses Gedankens?

BARBARA STEINER: Das eine Bau­haus gibt es nicht. Selbst das his­to­ri­sche Bau­haus war plu­ral. Es wur­den sehr ver­schie­de­ne Vor­stel­lun­gen for­mu­liert, die sich auch anein­an­der gerie­ben haben. Somit haben wir es mit einem viel­ge­stal­ti­gen Erbe zu tun. Mir ist sehr wich­tig, die­se plu­ra­le Ver­gan­gen­heit nicht nur zu pfle­gen, son­dern immer wie­der zu aktivieren.
Eines ver­bin­det die sehr hete­ro­ge­nen Ansät­ze über die Jahr­zehn­te: Das Bau­haus sti­mu­liert die Ima­gi­na­ti­ons­kraft, es moti­viert bis heu­te, die Welt anders zu den­ken als sie ist. Jen­seits des jewei­li­gen Sta­tus Quo. Für mich ist das Bau­haus auch immer ein Ort für zeit­ge­nös­si­sche Debat­ten gewe­sen. Es muss sich ein­mi­schen, im Sin­ne eines gesell­schafts­po­li­ti­schen Akteurs, auch Poli­tik her­aus­for­dern, Men­schen und Initia­ti­ven einen Raum geben und offen sein für ver­schie­de­ne Dis­kur­se. Mir ist durch­aus bewusst, dass sol­che Pro­zes­se Zeit brau­chen. Ich habe zunächst fünf Jah­re. Das ist viel­leicht zu wenig. Doch in zehn Jah­ren kann man wirk­lich viel erreichen.


Wir sind schon gespannt auf die nächs­ten Jah­re und wün­schen Ihnen und Ihrem Team von Her­zen eine erfolg­rei­che Umset­zung Ihrer bemer­kens­wer­ten Vision.

Das Inter­view ist in der stay­in­art Print-Aus­ga­be 3.21 erschienen

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