Als am 7. November 1807 die Kirchenglocken Roms zu läuten begannen, setzte siche ein prominent besetzer Trauerzug, der eines Staatmanns würdig gewesen wäre in Richtung San Andrea della Fratte in Bewegung. Im Sarg, der von Direktoren verschiedener Kunstakademien, darunter dem Bildhauer Antonio Canova und anderen bekannten Künstlern und Honoratioren aus zahlreichen Ländern getragen und begleitet wurde, lag die sterbliche Hülle einer berühmten Künstlerin, der „von Jedermann geachteten und geliebten“ Angelika Kauffmann.
Unter großem „Zulauf des Volkes“ erwies man der „vielleicht kultiviertesten Frau Europas“, wie Herder sie nannte, die letzte Ehre in einem „Leichenbegängnis, wie es zuletzt Raffael“ erhalten hatte. Zwei ihrer letzten Bilder, Christus und die Samariterin am Brunnen4 und David und Nathan, flankierten ihren Sarg und rührten die große Trauergemeinde zu Tränen. Man nahm Abschied von einer Malerin, die es − selten genug auch noch in heutige Zeiten − zu Ruhm und Reichtum gebracht hatte. Zeitlebens hatte sie sich kompromisslos der Kunst verschrieben und als kluge Netzwerkerin, gebildete Gastgeberin und geschickte Geschäftsfrau einen Kreis von einflussreichen Gönnern und Bewunderern aufgebaut. Von 1766−81 in London und danach in Rom war ihr Atelier und Salon Treffpunkt einer internationalen Klientel. Die geistige Elite der Aufklärungszeit mit Winckelmann, Goethe oder Herder, aber auch Kaiser und Königinnen, Adelige und Bürgerinnen in ganz Europa und Übersee zählten zu ihren Freunden und Auftraggebern, darunter der österreichische Kaiser Joseph II., die russische Zarin Katharina II. oder die englische Königin Charlotte v. Mecklenburg-Strelitz.
Schon im zarten Alter von elf Jahren galt Kauffmann als Wunderkind.
Ihre erste Ausbildung erhielt das Einzelkind von dem aus Schwarzenberg in Vorarlberg gebürtigen Vater, dem Maler Johann Joseph Kauffmann − eine günstige Ausgangslage für eine Künstlerin, deren Kolleginnen in diesen Zeiten kaum Förderung erfuhren. Zunächst im Porträtfach erfolgreich tätig, wurde sie später mit historischen, mythologischen und allegorischen Szenen zu einer gefeierten Größe des Klassizismus. Sie hinterließ ein OEuvre von etwa 800 Ölgemälden, rund 400 Zeichnungen, 41 Radierungen sowie einen Fresko-Zyklus, den sie schon als 15-Jährige in der Kirche zu Schwarzenberg geschaffen hatte. Nach ihren Werken wurden mehr als 600 Reproduktionsstiche sowie unzählige Kopien, Nachahmungen und Fälschungen gefertigt − ein Indiz ihrer bis heute nicht nachlassenden Popularität.
Am 30. Oktober 1741 in Chur in Graubünden geboren, im italienischsprachigen Veltlin aufgewachsen, von 1752−1766 in Italien und Vorarlberg ausgebildet, beherrschte Kauffmann schon früh vier Sprachen und trat zudem als Sängerin auf den Bühnen italienischer Fürstenhöfe auf. Schon ab 1762 wurde sie Mitglied der Akademien von Bologna, Florenz, Rom und Venedig. Da sich ihre Gemälde zur alt-englischen Geschichte, wie Vortigern und Rowena oder Edward und Eleanora, als wegweisend für den Aufbau einer britischnationalen Historienmalerei erwiesen, wurde sie zum Gründungsmitglied der Royal Academy in London ernannt. Zusammen mit der Stilllebenmalerin Mary Moser blieben beide 200 Jahre lang die einzigen weiblichen Mitglieder.
Schon 1764 in Rom legte Kauffmann mit Bacchus und Ariadne3 das Fundament für ihr ehrgeiziges Ziel, als Historienmalerin Karriere zu machen. Die Porträtmalerei blieb ihr schneller Broterwerb, dennoch gelang ihr der Durchbruch zuerst mit dem innovativen Gelehrtenporträt des J. J. Winckelmann5 (Zürich, Kunsthaus). Unter dem Protektorat der englischen Königin entstanden in London großformatige Herrscherinnenbildnisse. Bald gehörte es zum guten Ton, sich von dem jungen Talent porträtieren zu lassen. Schon früh aber trug Kauffmann mit Szenen aus Vergil und Homer zur Wiederbelebung der Antike in der Malerei bei (z.B. Hektors Abschied, Saltram Collection, Nat. Trust; Penelope von Eurykleia7 geweckt). Mit ihren kleinformatigen Stimmungsbildern von liebenden und verlassenen Frauen wurde die Künstlerin zu einer der Wegbereiterinnen der Empfindsamkeit und ihre Kunst zum Inbegriff des sentimental-humanistischen Ideals von der Schönen Seele.
Als zahlreiche Kupferstecher ihre Werke in der neuen Punktiermanier in hohen Auflagen europaweit verbreiteten, war ihr Name in aller Munde. Nun wurden nach ihren Vorlagen Möbel, Textilien, Porzellan und jede Form von Nippes gestaltet. Zusätzlich adaptierte Kauffmann für ihre Porträts geschickt die Van-Dyck- und die Orient-Mode und wurde so zur ersten Adresse für den Porträtmarkt der modebewussten englischen Gesellschaft. Den Höhepunkt ihrer Karriere in England aber erreichte sie 1780 mit den vier Deckengemälden Invention, Composition, Design und Colouring für die Royal Academy. Neben einem versierten Konzept verrät sie hier einmal mehr ihren Sinn für einen delikat abgestimmten Kolorismus und die mit leichtem Pinsel („penello volante“) ausgeführten Stofflichkeiten. Bevor Kauffmann in Rom im einst von Anton Raphael Mengs bewohnten Palazzo an der Spanischen Treppe ein Atelier eröffnete, folgte sie dem Ruf der Königin Maria Karoline nach Neapel und malte das Gruppenbildnis der Königlichen Familie von Neapel im kolossalen Format (1784, Neapel, Museo Capodimonte) sowie eine Reihe von Historienbildern, darunter Cornelia, die Mutter der Gracchen6. Kauffmann stellte also noch vor der Französischen Revolution mutige Frauen als neue Heldinnen in den Mittelpunkt ihrer Historien und prägte früh das neue Weiblichkeitsideal der Aufklärungszeit mit.
In Kauffmanns Salon, als „Tempel des weiblichen Ruhmes“ gepriesen, trafen sich prominente Persönlichkeiten, auch Stegreifdichterinnen wie Teresa Bandettini-Landucci2. Viele hielt Kauffmann in lebendigen Rollen-Porträts für die Nachwelt fest. Kauffmann wurde als weiblicher Raffael der Kunst gelobt, und dennoch war es erstaunlich, dass sie die einzige Frau war, deren Porträtbüste im römischen Pantheon aufgestellt wurde, selbstverständlich neben der des Raffael. Die Rezeption ihres Lebens und Werks ist bis heute von der Geschlechterfrage und von Weiblichkeitsklischees überschattet. Ihre Arbeit wurde nur selten als Ergebnis einer künstlerisch durchdachten Konzeption ernst genommen, sondern vielfach nur als emotionsgeleitetes „Spiel ihrer weiblichen Natur“ eingestuft. Schon zu Lebzeiten bot Kauffmanns Leben reichlich Stoff für Klatsch und Tratsch, auch in Dramen und Romanen. Bis heute gehen viele Biographen hauptsächlich der Frage nach ihren Liebesbeziehungen nach. Dies verstellt den Blick auf ihre Verdienste als eine der bedeutendsten Künstlerinnen der Vergangenheit in Europa. Ein wichtiges Fundament für eine sachgerechte Beurteilung ihrer Leistung bietet sicherlich das kritische Verzeichnis ihrer Werke, das derzeit von der Autorin vorbereitet wird.