Reihe: Wissenschaft an der Kunstgrenze, Teil 6
Herausgegeben von Roland Benedikter, Center for Advanced Studies von Eurac Research
Kunst und Politik zu trennen kann schwer, wenn nicht gar unmöglich sein. Denn wenn Kunst- und Kulturschaffende gesellschaftliche Entwicklungen kommentieren, kritisieren oder reflektieren, ist das nichts Neues und gehört zu den wichtigsten Merkmalen einer freien Gesellschaft. Gesellschaftskritische Bewegungen wie die Beats, die Hippies oder die Punks waren bekannt für originelle und vielfältige künstlerische Produktionen. Und obwohl die Entstehung von aktivistischer Performancekunst eng mit den Protestformen der liberalen Linken verknüpft ist, kann weder Kunst noch Protestkunst einem Links-Rechts-Schema zugeordnet werden. Indessen können Extreme beider Seiten Kunst missbrauchen und damit die gesellschaftliche Polarisierung verstärken.
Immer wieder wird Kunst beschlag-nahmt oder abgebaut, Künstler*innen an-gezeigt und sogar gerichtlich verfolgt. Be-sonders auffallend aber ist derzeit der Druck aus dem rechten und rechtsextremen Milieu gegen liberales und weltoffenes Kunst- und Kulturleben sowie Kunstinstitutionen. Aktionen rechter und rechtsextremer Akteur*innen reichen von Aufrufen zum Boykott von Theaterinszenierungen (»Der Hauptmann von Köpenick« im Theater Altenburg), von Demonstrationen bei Eröffnungsfeiern (wie etwa bei der Eröffnung des Kunstwerks »Monument« des syrischen Künstlers Manaf Halbouni auf dem Dresdner Neumarkt), von Hassmails und Morddrohungen gegenüber Künstler*innen und Politiker*innen bis hin zu öffentlichen Attacken auf Kultureinrichtungen. Rechtsextreme Gruppierungen sind zudem auch selbst aktiv und wollen sich verstärkt im Kunstmilieu bewegen bzw. beweisen.
PROTESTKUNST ODER HETZE?
Die Identitäre Bewegung in Deutschland inszenierte einige Aktionen, die auf den ersten Blick auch als Protestkunst hätten durchgehen können. Wer sich vergegenwärtigt, dass es sich dabei um eine rechte Gruppierung handelt, die auch vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wird, dem wird der Unterschied zu künstlerischer Systemkritik recht schnell klar. Konkret handelt es sich um vermeintliche Mahnmale wie etwa einige Betonklötze, die vor dem Brandenburger Tor in Berlin deponiert wurden und wohl dem Holocaust-Mahnmal ähneln sollen. Sie trugen die Aufschriften »Den Opfern islamistischen Terrors«, »Kein Opfer ist vergessen« und die Städtenamen Paris, Brüssel, Manchester, Berlin, Nizza und Barcelona sowie ein gelbes Kreuz. Obwohl die Polizei solchen Aktionen meist schnell ein Ende setzte, verschafften diese Installationen und ähnliche Mahnmale wie etwa für »Opfer ausländischer Gewalt« der Gruppierung und ihrem Gedankengut Sichtbarkeit im öffentlichen Raum.
Wenngleich Künstler*innen und Künstler*innenkollektive mit provokanten Aktionen immer wieder in Kritik geraten, kann und muss man zwischen Protestkunst, die sich an die Politik oder die Gesellschaft wendet, und Hetze gegen einzelne Bevölkerungsschichten unterscheiden. Die Identitären verbreiten in erster Linie Hass und Propaganda gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen, gegen Muslim*innen, Geflüchtete oder Ausländer*innen.
RECHTSPOPULISTISCHE »NEUINTERPRETATIONEN«
Auch die Alternative für Deutschland (AfD) setzt nicht nur Kunst- und Kulturschaffende unter Druck, sondern hat sich das Schaffen früherer europäischer Künstler*innen selbst zu Nutze gemacht und an die eigene politische Agenda angepasst. Die als rechtspopulistisch eingestufte Partei hat etwa im Rahmen der Europawahl 2019 eine Kampagne mit dem Titel »Aus Europas Geschichte lernen« lanciert und dabei bekannte Werke europäischer Künstler*innen mit rechtskonservativen Slogans versehen. Unter anderem wurden Gemälde von Künstlern wie Giuseppe Arcimboldo, Pieter Bruegel d. Ä. und Jean-Léon Gérôme mithilfe rechtspopulistischer Sprüche ihrer ursprünglichen Bedeutung beraubt. Obwohl die Kritik – die von Pietätlosigkeit, Hetze und Panikmache sprach – an der Kampagne sehr ausgeprägt war, verbuchte die AfD die große Aufmerksamkeit ihrer Plakate als Erfolg.
Beispielsweise hat die Partei das Gemälde »Der Sklavenmarkt« vom französischen Historienmaler Jean-Léon Gérôme mit der Parole »Damit aus Europa kein ‚Eurabien‘ wird!« versehen. Damit wurde das Gemälde nicht nur seinem Entstehungskontext entfremdet, sondern auch zur Befeuerung islamfeindlicher Verschwörungstheorien instrumentalisiert. Die Abneigung der AfD gegenüber der Grünen Partei sowie deren Umwelt- und Klimapolitik zeigen sie mit den Gemälden »Winter« und »Vier Jahreszeiten in einem Kopf« von Giuseppe Arcimboldo, welchen sie den neuen Titel »Lieber Diesel als grüne Spinnereien« gegeben haben.
Wären diese Plakate in erster Linie über das Internet verbreitet worden, könnten sie als Internetmeme durch-gehen. Bei einem Mem handelt es sich um einen kleinen Medieninhalt wie etwa ein Bild, ein Video oder eine kurze Aussage, welcher von Mensch zu Mensch (z. B. Chats, E‑Mail, Foren, soziale Medien) verbreitet wird. Ein Internetmem kann auf einem realen Ereignis beruhen oder von jemandem kreiert werden und veranlasst Menschen ganz grundsätzlich zu Nachahmung und Verbreitung. Das Internetmem kann sich in seiner Originalität verbreiten, es kann aber auch verändert werden.
ALT-RIGHT UND DER »GREAT MEME WAR«
Nachdem der Begriff »Mem« bereits 1976 vom Biologen Richard Dawkins als Bezeichnung für kleine kulturelle Einheiten entwickelt wurde, »die durch Kopie oder Imitation von Mensch zu Mensch weitergegeben werden« (Shifman, 2014), wurde der Begriff viel diskutiert, belächelt und von vielen Akademiker*innen abgelehnt. Mit der Verbreitung von Einheiten wie Witzen, Websites, Videos oder Bildern über das Internet rückten Meme wieder in den gesellschaftlichen und akademischen Diskurs. Im Buch »The world made meme« erklärt Ryan Milner Meme zu einer neuen digitalen lingua franca, die den öffentlichen Diskurs beeinflusst. Denn Meme bedienen sich oft einer eingängigen und einfachen Bildsprache, die in bestimmten Milieus sogar Fakten ab-lösen können. Internetmeme werden sogar eine Rolle im Wahlsieg Donald Trumps im Jahr 2016 zugesprochen. Dahinter stand vor allem die sogenannte Alt-Right-Bewegung, eine Gruppierung in den USA, welche für die Vorherrschaft der Weißen (White Supremacy) kämpft und von rassistischen, islamfeindlichen und antisemitischen Vorstellungen geprägt ist. Sie hat 2016 den ersten sogenannten »Great Meme War« ausgerufen.
Während der ersten Wahlkampagne Donald Trumps ist es der Alt-Right-Bewegung nämlich gelungen, ihre Ideen in die Mainstream-Politik zu integrieren. In erster Linie haben sie dafür visuelle und rhetorische Provokationen in Form von Internetmeme benutzt. Die rechtsextreme Gruppierung, die wiederum in Sub-Gruppen eingeteilt werden kann, beruft sich inhaltlich vor allem auf klassische Feindbilder (in diesem Fall Hispanics, Latinx und Muslim*innen) und möchte provozieren sowie Angst und Hass gegenüber bestimmten gesellschaftlichen Gruppen schüren. Gleichzeitig grenzen sie die eigene Gemeinschaft dadurch stärker ab und fördern das Zugehörigkeitsgefühl innerhalb derselben.
ERST KULT, DANN KU-KLUX-KLAN
Unfreiwillig wurde etwa Pepe der Frosch Symbol der Alt-Right-Meme-Kampagne, die Donald Trumps Präsidentschaftskandidatur unterstützte. Obwohl der Erfinder von Pepe, Matt Furie, den Frosch als fröhliche Amphibie in seinem Comic »Boy’s Club« erschuf und er sich dann zum Internetstar für unterschiedliche Themen verwandelte, wurde seine Reputation eines lustigen Internetmems zerstört, als er von der Alt-Right-Bewegung instrumentalisiert wurde. Auf Reddit, Instagram und Facebook wurden fortan Meme von Pepe als Adolf Hitler, als jüdischer oder islamistischer Terrorist, als Mitglied des Ku-Klux-Klans oder als Donald Trump verbreitet und erhielten viel Aufmerksamkeit. Es entbrannten hitzige Diskussionen, ob einzelne Gruppen ein Internetphänomen auf diese Weise für sich reklamieren dürften und Pepe wurde dadurch wohl noch berühmter. Auch die Thematisierung des neuen diffamierten Pepe durch Trumps politische Gegnerin Hilary Clinton hat zu dessen weiterer Verbreitung beigetragen. Matt Furie hat Pepe schließlich in einem seiner Comics zu Grabe getragen.
Die Alt-Right-Bewegung schafft es jedoch nicht nur durch digitale Reichweite, rassistische, sexistische oder antisemitische Meinungen zu verbreiten. Mit dem Street-Art-Künstler Sabo sind sie auch auf den Straßen von Los Angeles präsent. Von ihm stammt ein Plakat, welches die Schauspielerin Meryl Streep zeigt. Über ihrer Augenpartie zu lesen: »She knew« (»Sie wusste es«). Sabo orientiert sich in seiner grafischen Sprache an der Künstlerin Barbara Kruger, bekannt für die roten Balken auf Portraits. Neben einer Racheaktion, die sich an die Schauspielerin persönlich richtet, sollen Sabos Plakate implizieren, dass auch die Frauen selbst am Missbrauchsskandal rund um den Filmproduzenten Harvey Weinstein eine (Mit)schuld tragen.
DIE GLOBALISIERUNG VON FEINDBILDERN
Rechtsextreme Gruppen wie die Alt-Right in den USA oder die Identitären in Deutschland verfolgen keineswegs das Ziel, eine Gegenkultur zu etablieren, wie es beispielsweise in den 1960er Jahren mit der 68er Bewegung der Fall war. Im Gegenteil. Sie wollen zu veralteten und überholten Gesellschaftsverständnissen zurückkehren, die auf einem rassistischen und sexistischen Rollenverständnis basieren. Die Präsenz und die Aktionen im Kultur- und Kunstmilieu so-wie die Kreierung und Verbreitung von Memen verhelfen diesen Gruppen zu einem rebellischen, trotzigen Image und fördern dadurch auch die Popularität solcher Bewegungen. Der vermeintliche Humor und die Alltagspräsenz von Internetmemen werden schließlich ganz konkret genutzt, um Rassismus, Sexismus und Antisemitismus zu normalisieren. Besonders Internetmeme werden schnell und einfach verbreitet und sind schließlich ein globales Phänomen, welches ganz explizit zu einer Globalisierung von Feindbildern beiträgt.
Rechte und rechtsextreme Akteur*innen kennen die Macht der Bilder und wissen sie oft sehr gut zu nutzen. Aber am Ende sind es besonders die Künstler*innen und Kulturinstitutionen selbst, die sich aktiv dem Rechtsruck entgegenstellen und die Kreativität besitzen, die Aufmerksamkeit der Gesellschaft und Öffentlichkeit wieder auf die gesellschaftliche Mitte zu lenken. Auch die Internetcommunity hat bereits bewiesen, dass Meme, wie etwa jene der #ProudBoys aus einem rechtsextremen Kontext gerissen werden und damit eine Normalisierung von rechtsextremem Gedankengut verhindern können.
Der Artikel ist in der Printausgabe BEYOND BORDERS 3.21 erschienen.