MATTEO ATTRUIA
Oder ist ein Kunstpionier jemand, der durch seine Werke jede Gewissheit umstößt, ewig paradoxe Kurzschlüsse erzeugt, die kein Vorher und kein Nachher kennen, außer einer narrativen Sequenzialität, die aber plötzlich unterbricht, sich verändert, zurückkehrt, vorrückt, sich zurückzieht und ironische Fragen aufwirft, die wir oft nicht beantworten können? Ein Pionier oder ein Künstler, der im Zuge der Zeitlosigkeit jede Art von Definition zerstört, ist der italienische Künstler Matteo Attruia, der laut seiner Biografie „überall lebt und arbeitet“ und von der Marina Bastianello Gallery vertreten wird. Ist ein Pionierkünstler von heute also ein Mann, der keine Grenzen kennt? Auch.
Ich kenne Matteo Attruia schon seit einigen Jahren, als ich mich auf der „ArteFiera“ in Bologna in eines seiner Werke verliebte; dank der sozialen Netzwerke, lernten wir uns persönlich kennen und ich verfolge, mit großer Inbrunst, Emotion und Neugier, sowie einem sarkastischen Lächeln, seine Arbeit, die aus unermüdlicher Forschung und ständigen Denkprozessen besteht, bis ich letzten Sommer die Gelegenheit hatte, mit ihm an dem Projekt LOT zu arbeiten, das für „Fourteen ArTellaro“ entworfen wurde, als Teil der von Gino D’Ugo kuratierten Ausstellung „OSARE PERDERE“.
Es ist kein Zufall, dass im ernsten Spiel der Kunst die Funktion der Beziehung zwischen Bedeutung und Signifikant das Bild des Gedankens umreißt, das Privileg der greifbaren Bezeichnung dessen, was mit Prozessen verbunden ist, die als ideale Synthese von Differenz oder Gleichheit, aber auch des ursprünglichen Chaos der Ideen identifizierbar sind. In diesem Chaos, das sicherlich dem gleicht, vor dem ein Pionier bei seiner Erkundung der Welt – der idealen und der realen – steht, agiert Matteo Attruia in der Nische des Oxymorons, in der ontologischen Spekulation, die eine überraschend tranchantische Aura annimmt, durch die die Reflexion über das Reale zum Wort, zum Bild, zum Licht, zum Schatten und zur Spur von Instanzen wird, die selbst durch seine Introversion verborgen bleiben. Seine Forschungen, seine Werke zu lesen und zu interpretieren, bedeutet, das Unausgesprochene zu übersetzen, wie viel „zwischen den Zeilen“ unsichtbar von einer Textur ruht, die dem Betrachter einen Rebus zeigt, sarkastisch provokativ, ironisch real, dessen kommunikativer Wert sich jedoch in das Bett einer metaphorischen Verwicklung ex ante und ex post des epiphanischen Aktes ein-schleichen kann.
Der Wagemut ist zudem der „fil rouge“ einer viel umfassenderen Handlung, wie sie die Arbeit von Attruia umfasst und sich in jenes Gefühl der Suspension einpfropft, das ontologische Schärfe verlangt. Wenn man seine Werke in ihrer sprachlichen Vielfalt betrachtet, die dennoch durch einen multiplen Faden verbunden sind, der alles auf einen einheitlichen Ursprung zurückführen kann, wird man Blätter erblicken, auf denen er ontologische Paradoxien schreibt und ausradiert, Rebusse, die als störende Vektoren fungieren, in denen Buchstaben, Zeichen und Bedeutungen verschmolzen werden, um redundante Gleichzeitigkeiten zu er-zeugen, scheinbar unsinnige Diarchien, die in Wahrheit Metaphern existenzieller Allegorien verbergen, die uns alle betreffen, seien es Unsicherheiten, Zweifel, Wünsche oder Über setzungen unseres Lebens.
In Matteo Attruias Werk geht der Gebrauch der Rhetorik, der „ars sarcastica“, von den Blättern, den visuellen Verbarbeiten, zu den Leuchtschriften über, die ebenfalls zu reinen Symbolen werden, die sich vom rein ästhetischen Wert lösen können, um eine echte Erzählung zu inszenieren, die von den Titeln und von der Beziehung, die das Werk zum Raum – sei es außerhalb oder innerhalb der Galerie – schafft, geleitet wird. Der Künstler macht Konvention und Antikonvention zu einer Art Dialog, der an das er-innert, was in der dualen Existenz von Materie und Antimaterie erzeugt wird, aber mit einem unglaublichen und chorischen Verweis auf Ironie und Demut. Der Künstler-Schöpfer in der Person von Matteo Attruia stellt sich also als sarkastischer und sogar unsicherer Schöpfer vor – mit anderen Worten, als Bote jener Ungewissheit, die der Goldstandard des zeitgenössischen Künstlers ist – der aber im Bienenstock des Zweifels Worte, Objekte, ungewöhnliche und unerwartete Erscheinungen insinuiert, die das bereits Bekannte überwältigen, um die eigentliche Rolle des Künstlers unserer Zeit zu verteidigen. Aber was ist die Rolle des Künstlers heute? Gibt es ihn auch ohne Sammler? Ohne einen Galeristen? Ohne ein Museum? Ohne Publikum? Attruia verdrängt solche Konventionen aus etablierten Praktiken, um einen Bruch zu erzeugen, der wahrscheinlich zum Ausgangspunkt zurückkehrt oder, im Gegen-teil, den Fluchtpunkt einer solchen Perspektive an einen anderen Ort verlagert, so wie er es in einer seiner beliebtesten Arbeiten feststellt: „Here is elsewhere“ von 2016.
„Matteo Attruias künstlerische Praxis ist geprägt von Paradoxien und einer gesuchten interpretatorischen Mehrdeutigkeit, die sich häufig in einer ironischen, tragischen oder unbekümmerten Herangehensweise ausdrückt. Es ist die Ambivalenz, die Polysemie, die aufhört, ein Verdienst zu sein, und zu einem Labyrinth wird, das nicht durchquert werden kann, eines seiner wichtigsten stilistischen Merkmale“, erklärt der Kurator Daniele Capra, der oft mit Matteo Attruia zusammengearbeitet hat, um seine Sprache und seine bewussten Abweichungen in Richtung einer Andersartigkeit genau zu beschreiben, die die ursprüngliche Bedeutung der Dinge nicht abstreift, sondern vielmehr ihre Besonderheiten hervorhebt, jene, die nicht auftauchen, jene, die durch politisch korrektes Denken oder durch die Bescheidenheit einer zügellosen Heuchelei vermieden werden.
Jedes Werk hat verschiedene Interpretationsebenen, eine Art Abstieg in die Abgründe des Denkens, der jedoch mit plötzlichen Sprüngen oder gemächlichen Schritten erfolgt, ohne einen anderen Leitfaden als den der Wahrnehmung und des Überdenkens von Klischees und dessen, wovon sich unser Leben, unser Fortschritt, nährt. Der Künstler begibt sich auf den Weg der Antithese und in der Ruhe seiner Worte zeigt sich die Kraft seines luziden und ironischen Gedankens. In einer solchen visuellen und intellektuellen Botschaft kommt dem Detail, einem ikonischen Element, einem Emblem, das der Forschung des Künstlers am Herzen liegt, ein primärer Handlungswert zu, der sich in eine Art weltlich-sakrale Reliquie verwandelt, die an einem Ort aufbewahrt wird, der nur den Sinnen, der Wahrnehmung und der emotionalen Illusion zugänglich ist. Und dennoch, obwohl Attruias Werke aus dem akademischen Raster des Schaffens/Verstehens herausfallen, finden sie einen Platz in zahlreichen Privatsammlungen, bis hin zu Installationen von… „aufgeklärten Sammlern“, die es gewohnt sind, etwas zu wagen. Und wie-der kehrt der Begriff des „Wagemuts“ zurück, fast so, als wäre es ein Nicht-Ort, den man mit gebührender Aufmerksamkeit, aber vor allem mit großzügiger Freiheit betreten sollte; sich dem Werk von Matteo Attruia zu nähern, bedeutet vieles, auch die konzeptionellen Ebenen seiner Arbeiten zu entdecken: die erste, die mäeutische, die zweite die der Metamorphose der ersten Handlung in ein Objekt und ein Element neuer Identität und die dritte, in der der Künstler die ultimative kognitive Konstruktion anderen anvertraut. In dieser Nische erscheint jede Idee flüchtig oder wandelbar, auch wenn sie über die Jahre hinweg fest und niemals zufällig bleibt. Das Gefühl der Enttäuschung, das sich unter der Oberfläche seiner Werke abspielt, unterscheidet sich nie von dem – meiner Meinung nach unbegründeten – Bewusstsein der Unzulänglichkeit, das Attruia dazu bringt, sich selbst nie ernst zu nehmen: das heißt, in der Ernsthaftigkeit der Idee, die seinem Denken entspringt, kann er jedes Element einer instabilen Schwäche finden, ein Detail, das in seiner Zerbrechlichkeit bereit ist, in ein Kunstwerk verwandelt zu werden.
Alles ist vorübergehend oder transitorisch, ein ephemerer Apparat der Lebensfälle, der utopischen Zufälle, die Attruia in einer Art Wunderkammer unterbringt, die er oft in eine Ausstellung verwandelt oder besser in das, was er in einem singulären Interview wie folgt definiert hat: „Ich habe nicht zwingend an die Originalität des Projekts gedacht. Ich glaube, dass mein Gefühl der Unzulänglichkeit mich dazu getrieben hat, zwei Ausstellungen zu konzipieren, die die Räume leichter gefüllt hätten. Es ist ein Paradoxon, wenn man bedenkt, dass ich eigentlich an zwei Projekten arbeiten musste, statt an einem. Die Architektur der Galerie erleichterte die Aufteilung. Ich will nicht leugnen, dass es mir ehrlich gesagt sehr positiv und nützlich erscheint, zwei Ausstellungen in das Curriculum aufzunehmen.“ – in Bezug auf „A Flower for Piet“ und „Sold Out“, jeweils kuratiert von Daniele Capra und Nico Covre für Marina Bastianello im Jahr 2018. Matteo Attruia ist kein Künstler, der sich bewusst dafür entscheidet, aus dem Rahmen zu fallen oder der um sich herum das Phänomen des „Charakters“ geschaffen hat, ganz im Gegenteil. Weit gefehlt. Er hält sich fern vom Tourbillon der Zeitgenossen, fern vom Rampenlicht, und wenn er dazu gezwungen wird, lässt er seine Werke, seine Worte, sei-ne Neonlichter seinen Standpunkt vermitteln. Ebenso ist es das visuelle Gedächtnis, das in der Rezeption seiner Forschungen vorherrscht, das sich in die Schattenzone unserer Wahrnehmung einprägt, ohne je wieder herauszukommen, denn es hat etwas wachgerüttelt, es hat etwas gesagt oder gezeigt, das wir insgeheim gerne gesagt hätten, es wird Teil von uns, auch wenn es mit Ironie zwischen dem Hier und Jetzt und der großen Kunstgeschichte vermittelt. Denn schließlich gibt er es selbst zu: „I decided not to bend this neon tube as I have nothing to say“.