Monica Bonvicini
Monica Bonvicini wurde 1965 in Venedig geboren und zog Ende der achtziger Jahre nach Berlin. Sie ist eine vielseitige Künstlerin, die unter Verwendung verschiedener Medien – von den bildhauerischen Installationen, für die sie besonders bekannt ist, über die Zeichnung bis hin zur Fotografie und den Videoinstallationen – Themen im Zusammenhang mit Architektur, geschlechtsspezifischen Unterschieden, Sexualität, Raum, Macht und ihren Verbindungen erforscht. Ihre facettenreiche und doch rigorose praktische, manchmal sarkastische Erfahrung voller historischer und gesellschaftspolitischer Bezugnahmen, die analytische Kraft, die ihre auf die Infragestellung der Bedeutung des Kunstmachens ausgerichtete Arbeit auszeichnet, die Mehrdeutigkeit der Sprache, die Grenzen und Möglichkeiten in Verbindung mit dem Ideal der Freiheit sind die wiederkehrenden Schemen in der Poetik dieser Künstlerin, die sich ab den frühen neunziger Jahren zunehmend und prägnant im internationalen Panorama der zeitgenössischen Kunst zu etablieren wusste. Bonvicini stellte unter den Künstlern diejenige dar, die die italienische Kunst in den 2000er Jahren auf internationalen Ausstellungen und Biennalen auf eindrucksvollste Weise vertrat. Ausgehend von der Biennale di Venezia 48 (Venedig, Italien) im Jahr 1999, dem Jahr, in dem sie den Goldenen Löwen erhielt, gefolgt von Poetic Justice, 8th International Istanbul Biennial (Istanbul, Türkei) im Jahr 2003 und der Komplex Berlin, 3 Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst (Berlin, Deutschland) im Jahr 2004 und How to Live Together, 27th Sao Paulo Biennial (Sao Paulo, Brasilien) im Jahr 2006. Zuletzt wurde ihre Teilnahme an der 17. Kunst-Quadriennale angekündigt, die sie am 1. Oktober 2020 im Palazzo delle Esposizioni in Rom (Italien) eröffnen wird.
Das Thema Architektur steht im Mittelpunkt ihrer Forschung. In großem Umfang und bis in die häuslichsten, intimsten Bereiche eindringend, führt Bonvicini ihre Suche nach den zu oft verborgenen Kräften fort, die die Identität beeinflussen. Seit einigen Jahren arbeitet die Künstlerin an einer fotografischen Dokumentation lombardischer Villen, die Ende der 1960er Jahre für die traditionelle italienische Familie jener Zeit konzipiert und errichtet wurden. Die sich daraus ergebende Fülle der Werke, Italian Homes (2019), wurde anlässlich der Einzelausstellung von Bonvicini mit dem Titel Unrequited Love (20. September bis 9. November 2019) in der Galleria Raffaella Cortese in Mailand ausgestellt und war Protagonist, zum ersten Mal in ihrer Ganzheit, der Ausstellung As Walls Keep Shifting (31. Oktober 2019 bis 9. Februar 2020), die auf dem Bahnsteig 1 des OGR – Officine Grandi Riparazioni – in Turin dargeboten und von Nicola Ricciardi und Samuele Piazza kuratiert wurde. Der Titel der Ausstellung, ein Satz aus dem Roman House of Leaves von Mark Z. Danielewskis, deutete bereits auf ein starkes metaphorisches Bild der Beziehung zwischen dem Menschen und der gebauten Umwelt hin.
Unbestrittener Protagonist auf der OGR war der Skelettbau eines Gebäudes in Originalgröße, das den architektonischen Plan eines Zweifamilienhauses darstellte, wie die Italian Homes der Fotoserie. Die Künstlerin hatte den Plan in zwei Teile geschnitten und nur einen bzw. den Teil rekonstruiert, der für nur eine Familie bestimmt war. Eine einzigartige Installation, die als Wanderausstellung konzipiert wurde: Ab dem 5. September 2020 wird sie auf der Words at a Exhibition – an exhibition in ten chapters and five poems, der Busan Biennial (Busan, Südkorea) und anschließend auf ihrer Einzelausstellung im Kunstmuseum Winterthur (Winterthur, Schweiz) im Januar 2021, immer ortsspezifisch, ausgestellt. In diesen Werken bietet Bonvicini aus dem häuslichen Bereich eine ebenfalls geschlechtsspezifische, feministische Lektüre, die in ihren Studien bei der CalArts (Los Angeles) tief verankert ist, wo 1972 das Womanhouse mit dem ersten Feminist Art Program seinen Anfang setzte. Dieses feministische Kunstprogramm war darauf ausgerichtet, die häuslichen und untergeordneten Rollen, die den Frauen durch eine patriarchalische soziale und kulturelle Struktur auferlegt werden, zu hinterfragen.
Die Italian Homes, die in all ihren Teilen so identisch sind, dass sie sich in der Anonymität verlieren, spiegeln heute den wirtschaftlichen und demografischen Wandel der Gemeinschaften der letzten fünfzig Jahre wider, der zu ästhetischen Dissonanzen und Inkompatibilitäten geführt hat. Eine ausdrucksreiche Entwicklung, die im Laufe der Zeit zu einzigartigen und merkwürdigen Situationen geführt hat, was insbesondere auf die Art der Umwandlung dieser Gebäude zurückzuführen ist, die bisweilen umgebaut oder von ihren Eigentümern einfach nur mit neuen Anstrichen und Verzierungen versehen wurden. Als ob sich jeder Bürger von Natur aus in einen Architekten verwandelt und durch Veränderung und Interpretation seiner eigenen Umgebung den Kontrast zwischen Individualität und Standardisierung, zwischen Singularität und Homogenisierung, zwischen Ordnung und Unordnung ans Licht gebracht hätte. Dies sind substanzielle, nicht nur formale, kritische Handlungen, die auf irgendeine Weise die Realität neu gründen, auf die wir in dem Moment reagieren, in dem sie modifiziert wird. Die Struktur der Doppelhaushälften, typisch für Norditalien in den sechziger und siebziger Jahren, ruft uns irgendwie das Dauerhafte, das Geschlossene, das Einfache ins Gedächtnis. Andererseits verweisen die von ihren Bewohnern vorgenommenen Eingriffe auf die Welt der Mobilität, Offenheit und Komplexität. Die Ordnung impliziert etwas Belastbares, sie ruft etwas hervor, das sich um einen Schwerpunkt dreht und eine Gesamtheit dicht und dauerhaft machen möchte. Die Unordnung ist stattdessen das Ergebnis einer Zentrifugalkraft, die das gleichzeitige Vorhandensein mehrerer Elemente erzeugt, bei denen jede Möglichkeit zur Identifizierung eines Organisationsprinzips aufgehoben wird.
In den Forschungen von Bonvicini wird die Rückkehr in die Vororte und ländlichen Gebiete, die Idee, die Herkunftsorte erneut zu besuchen und den Wandel zu erkunden, der die Bedeutung einer bestimmten Art von Architektur radikal verändert hat, zu einem Grund für eine tiefgreifende Reflexion über den aktuellen Zustand der Fragmentierung der Gesellschaft. Was die Künstlerin erschafft, ist eine Art visuelles Ideogramm einer fließenden, schillernden und vielfältigen Landschaft, das sich auf ganz besondere Weise der Metapher des flüssigen Raums anpasst: eine metamorphe Einheit in ständiger Bewegung.
Darüber hinaus ist das postmoderne Zeitalter durch Intoleranz gegenüber zu starren kollektiven Verhaltensweisen gekennzeichnet. Die sie auszeichnende Polyphonie, die auf die Verbreitung zahlenmäßig begrenzter Klassen, die Träger sektoraler Instanzen, besonderer repräsentativer Bedürfnisse und Identitätsansprüche zurückzuführen ist, hat die Notwendigkeit einer unterschiedlichen Strukturierung auch der Wohnorte entstehen lassen; die Erfordernis einer sowohl funktionalen als auch formalen, weniger starren und definitiven und zugleich vielfältigen und wechselhaften Ausdrucksweise. Der Versuch besteht darin, dem Massenzustand zu entkommen, der die gesamte Geschichte der Moderne geprägt hat, um einzelne Räume zu erobern, spezielle Räume, in denen einzigartige Erzählungen inszeniert und die Dinge des Menschen ihrer seriellen Gleichgültigkeit entrissen werden.
Angesichts des Untergangs der theoretischen und programmatischen Gewissheiten, die die moderne Kultur des Projekts unterstützt haben, stellt sich an mehreren Fronten das Problem einer neuen ethischen Natur der Architektur. Die bedeutenden Migrationen in den Westen verwandeln ihre Städte in multiethnische Orte, indem sie auf das Bild der Architektur selbst drängen, ihr Identitätsgefühl untergraben und es gleichzeitig erneuern. Die Globalisierung ihrerseits scheint jeden lokalen Ausdruck zu standardisieren. Und die ökologische Prophezeiung wirft einen besorgten Blick auf das dritte Jahrtausend. Monica Bonvicini hält nicht nur an den Theorien der amerikanischen Philosophin und Dozentin Donna Haraway fest, die die Cyborg-Theorie leitet – ein Zweig des feministischen Denkens, der die Beziehung zwischen Wissenschaft und Geschlechtsidentität untersucht – sondern auch an der Theorie des Kapitalozäns, nach der der Klimawandel nicht das Ergebnis des abstrakten menschlichen Handelns – Anthropos – darstellt, doch aber die offensichtlichste Folge jahrhundertelanger Herrschaft über das Vermögen. Die Werke der Reihe Hurricanes and Other Catastrophes, die in der Galleria Raffaella Cortese im Rahmen der oben genannten Ausstellung ausgelegt sind, wurden nach der Verwüstung durch den Hurrikan Katrina im Jahr 2005 in New Orleans begonnen und unter Verwendung der Technik der Tempera- oder Sprühmalerei auf Papier geschaffen; deutlich kommt das Gefühl des Verfalls zum Ausdruck, das diese Werke in sich tragen.
Die großen Denkarchitekturen des letzten Jahrhunderts sind zusammengebrochen, und die Überreste dieser theoretischen Konstruktionen scheinen in diesen Werken ein Gegenstück zu finden, in dem der Verzicht auf Form und Struktur offensichtlich erscheint. Eine Arbeit, die die Künstlerin selbst immer als in Fieri bzw. im Werden betrachtet, ein Prozess der kontinuierlichen Transformation sowohl der Art und Weise ihres Handelns – heute begibt sich Bonvicini nicht mehr direkt zu den Orten, um die Fotos zu machen, aus denen sie dann diese Bildwerke erzeugt, sondern sie entnimmt diese Bilder dem Internet oder der Presse – als auch der Inhalte, wenn man die zunehmend wirkenden Kräfte berücksichtigt, die der Klimawandel in Bezug auf solche tragischen Ereignisse hat.
Wenn es stimmt, dass Architektur eine soziale Kunst darstellt, die in der Landschaft und in den Städten verbreitet ist, ohne dass ihre Bewohner sie gewählt haben, dann ist es ebenso wahr, dass Bonvicinis Fertigkeit in der Lage ist, eine Kritik an genau dieser Architektur, an ihrer Geschichte und ihrem Andenken auszuüben. Doch gelingt es ihr gleichzeitig, die Schaffung von individuellem und privatem Raum mit den daraus resultierenden Problemen wie Isolation, Ausschlussdynamiken, Enttäuschungen und Unmut zu erforschen, die dem Anstieg reaktionärer Bewegungen zugrunde liegen.