Die spannende Wechselbeziehung von Produktion und Präsentation
Die Ausstellung „ANDY WARHOL EXHIBITS a glittering alternative“ im mumok in Wien blickt mit bisher kaum gezeigten Arbeiten hinter die Fassade der weltberühmten Pop-Art-Ikone und entdeckt Warhols Fähigkeiten als bahnbrechender Ausstellungskurator und Installationskünstler neu. Andy Warhols Ausstellungen der frühen 1960er-Jahre mit Brillo Boxes, Flowers und Campbell’s Soup Cans sind in die Kunstgeschichte eingegangen. Doch zu diesem Zeitpunkt lag bereits eine rege Ausstellungstätigkeit hinter ihm. In diesen Projekten mit lang unter Verschluss gehaltenen Zeichnungen und Buchprojekten zeigt sich, wie er bereits Anfang der 1950er-Jahre verschiedene Modi der Kunstproduktion und des Ausstellens strategisch plante – der Beginn eines kaum überschaubaren Œuvres mit über 200 Einzelausstellungen in knapp 35 Jahren.
Der Querschnitt seiner Ausstellungspraxis eröffnet neue Perspektiven auf die vielfältigen von Warhol eingesetzten Medien und zeigt, dass seine Präsentationsmodi als wesentliche Bestandteile seines Werkes zu verstehen sind. Es ist ein exemplarischer Überblick über die Ausstellungspraxis des Universalkünstlers, ohne dabei dessen Früh- und Spätwerk außer Acht zu lassen.
Die von Marianne Dobner kuratierte Ausstellung zeigt auf, dass Warhol bereits in den 1950er-Jahren mit künstlerischen Strategien auf dem zweidimensionalen Blatt experimentiert und diese in den folgenden drei Jahrzehnten im dreidimensionalen Raum perfektioniert. So präsentiert sich das Ausstellungsformat in Warhols Oeuvre weniger als finales „Werk“ denn als künstlerisches Medium. Während der traditionelle Werkbegriff einer statischen Auffassung des autonomen Kunstobjekts im Raum entspricht, nähern sich Warhols Einzelausstellungen immer mehr einer raumspezifischen Installation.
Die Ausstellung fungiert als temporär isoliertes Modul, das je nach Kontext variiert und den Betrachter als interpretierende Instanz miteinbezieht. Es stellt sich daher nicht die Frage, ob Warhol als Illustrator, Maler, Bildhauer, Filmemacher, Installationskünstler oder Konzeptkünstler auftritt. Entscheidender ist die wechselseitige Beziehung zwischen Produktion und Präsentation. Warhol geht über das einzelne Bild hinaus – er relativiert es – beschränkt sich nicht auf das Machen und Zeigen, sondern zielt auf eine allumfassende Präsentation ab. Anstatt einen einzelnen Aspekt seines Werkes herauszuarbeiten, setzt sich die Ausstellung zum Ziel, mit über 200 Exponaten Warhols modularen und installativen Arbeitsprozess in den Mittelpunkt zu rücken. Dass Warhol bereits zu Lebzeiten die Präsentation seines Frühwerks – also jener Werke, die vor 1962 entstanden sind – untersagte und deren Wahrnehmung in bewusster Manier steuerte, ist nur Wenigen bekannt. Beginnend mit der Campbell’s Soup Can-Schau in der Ferus Gallery 1962 konzentrierten sich die Folgeausstellungen der frühen 1960er-Jahre auf die Präsentation einzelner serieller Themen: Campbell’s Soup Cans, Brillo Boxes, Flowers, Disasters und Celebrity Portraits. Andy Warhol kreierte ein für die Öffentlichkeit bestimmtes Image, das bis zum heutigen Tag erfolgreich seine Rezeption prägt. Ein Image, das dringend einer kritischen, zeitgenössischen Perspektive bedarf.
Die Ausstellung wirft einen Blick hinter das erwähnte öffentliche Image des Künstlers und rückt bisher kaum beleuchtete Aspekte von Warhols Universum in den Fokus. So werden zwei Seiten seiner „Doppelpersona“ – zum einen eine vielzitierte inszenierte, zum anderen eine von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommene, versteckte Persönlichkeit – auf zwei Ebenen des mumok einander gegenübergestellt. Die Eingangsebene beschäftigt sich mit Warhols kuratorischen Intentionen und vorherrschenden Motiven/Abstraktionen der 1950er-Jahre. Gezeigt werden „Blotted Line“-Drucke und Zeichnungen, die den männlichen Körper, Drag sowie homoerotische Symbole und Gesten thematisieren – ein Themenkomplex, der den Künstler bis an sein Lebensende beschäftigen sollte. Die Spannweite reicht von Werken aus Warhols erster Ausstellung Fifteen Drawings Based on the Writings of Truman Capote (1952) über bisher noch nie gezeigte marmorierte Papierskulpturen (1954) bis hin zu kaum gezeigten Drag-Zeichnungen (1953) und Buchprojekten wie In the Bottom of My Garden (1958). Die ausgewählten Arbeiten verdeutlichen Warhols frühe Beschäftigung mit ikonografisch klar definierten Serien – insbesondere sein Interesse an Varianten der Geschlechterperformance – sowie die Entwicklung einer spezifischen Motivsprache, die in unterschiedlichsten Kontexten immer wieder aufs Neue erscheint. So lässt sich Andy Warhols Frühwerk nicht mehr als rein „kommerziell“ abstempeln. Die zweite Ebene stellt Warhols Ausstellungsmodi der 1960er‑, 1970er- und 1980erJahre mit Schwerpunkt auf die Präsentation einzelner Werkserien in den Mittelpunkt. Thematisiert wird die enge Verwobenheit von Werk und Präsentationsmodus.
1969/1970 kuratierte Warhol die Wanderausstellung RAID THE ICEBOX 1 with Andy Warhol, wobei er keine eigenen Werke zeigte, sondern Objekte aus dem Depot des Museum of Art der Rhode Island School of Design. Der Künstler wurde zum Kurator und brachte fast schon vergessene Objekte zum Vorschein, die nach konventioneller Auffassung als nicht ausstellungswürdig galten: Kleidung und Textilien, Hutschachteln, Möbel oder auch weniger angesehene Skulpturen und Bilder, die er entgegen den Traditionen musealer Präsentation einfach an die Wände lehnte oder im Raum stapelte, ganz so, wie er sie im Depot vorfand. Die Ausstellung stellte in ihrer Gesamtheit ein Installationskunstwerk dar, ein radikales Gegenmodell zu den traditionellen Museumsstandards. In Anlehnung an RAID THE ICEBOX 1 with Andy Warhol zeigt das mumok mit DEFROSTING THE ICEBOX Objekte aus den Depots der Antikensammlung des Kunsthistorischen Museums und des Weltmuseum Wien. Die Objekte und ihr Arrangement werfen Fragen auf nach den unterschiedlichen Präsentationsmodi alter und neuer Kunst, nach den Grenzen zwischen Kunst und Nichtkunst, dem Verhältnis von westlicher und außereuropäischer Kunst sowie dem Status „ethnografischer“ Objekte damals und heute.
ANDY WARHOL EXHIBITS a glittering alternative
bis 31. Jänner 2021
www.mumok.at