Die Handtasche

Interview mit Debra Franses Bean

Hand­ta­schen als Kunst­ob­jekt – anfangs waren wir über­rascht, dann skep­tisch und im nächs­ten Augen­blick wahn­sin­nig neu­gie­rig, wer und was sich dahin­ter ver­birgt. Ein per­sön­li­ches Gespräch mit Künst­le­rin Debra Fran­ses Bean war also eine abso­lu­te Not­wen­dig­keit, um ihr künst­le­ri­sches Kon­zept nach­voll­zie­hen zu kön­nen.  Sie selbst zählt sich zur Künst­ler­grup­pe ‚Beau­ta­list‘, die sich vor­der­grün­dig damit beschäf­ti­gen den Betrach­ter mit Schön­heit zu kon­fron­tie­ren und die­se kann auch durch­aus schmerz­haft sein, wenn ein Sta­chel­draht­beu­tel aus 22 Karat Gold ins Spiel kommt.

Por­trät Debra Fran­ses Bean, © San­dro Hymes

Mei­ne Art­bags erlau­ben es mir, die vie­len Facet­ten mei­ner eige­nen Lebens­er­fah­rung zu erfor­schen und die Gren­zen der visu­el­len Spra­che zu erwei­tern. Von Rei­sen, Sehn­sucht, Ver­lust, Krank­heit, Angst, Schön­heit, Kon­sum, Reich­tum, Nost­al­gie. Das ist mein Lebens­pro­jekt. Ich war schon immer fas­zi­niert von Psy­cho­lo­gie, Phi­lo­so­phie und Anthropologie. 

Wir wür­den ger­ne mehr über dei­nen Wer­de­gang erfah­ren. Hast du klas­sisch eine Aus­bil­dung für bil­den­de Kunst oder bist du Autodidaktin?

Bei­des ist der Fall. Ich wur­de an eini­gen ange­se­he­nen Lon­do­ner Kunst­in­sti­tu­tio­nen aus­ge­bil­det, „City and Guilds“ und „Cen­tral Saint Mar­tins“. Ich beschäf­tig­te mich mit Kunst­phi­lo­so­phie, beson­ders mit Kon­zep­ten, wie die rela­tio­na­le Ästhe­tik von Nico­las Bou­ri­ard, Came­ra Luci­da, Roland Bar­thes und Gil­les Deleu­ze, einem fran­zö­si­schen Phi­lo­so­phen, und Félix Guat­ta­ri, einem fran­zö­si­schen Psy­cho­ana­ly­ti­ker und poli­ti­schen Akti­vis­ten. Die Kunst­schu­le ermög­lich­te es mir, mei­ne Ideen zu tes­ten und mein ästhe­ti­sches Emp­fin­den her­aus­zu­for­dern. Mein ers­ter Abschluss war jener in Wirt­schaft und Poli­tik, wel­cher mir die Augen für die Her­aus­for­de­run­gen im All­ge­mei­nen öff­ne­te. An der Kunst­schu­le schrieb ich eine Diplom­ar­beit mit dem Titel „Die Ästhe­tik der Inti­mi­tät“, die mich nach wie vor inspi­riert. Die hef­ti­gen Kri­ti­ken, die Viel­falt der Natio­na­li­tä­ten und die gespro­che­nen Spra­chen hal­fen mir, mei­ne eige­ne visu­el­le Kodie­rung zu ent­wi­ckeln. Es fas­zi­niert mich eine non-ver­ba­le uni­ver­sel­le Form der visu­el­len Kom­mu­ni­ka­ti­on zu erschaf­fen, die Kul­tu­ren und Öko­no­mien tran­szen­die­ren kann. Die Aus­bil­dung hat mir ein Ver­ständ­nis für die Welt gege­ben, das mir half, mei­ne Ideen und Prio­ri­tä­ten zu for­mu­lie­ren, den Kon­sum und die poli­ti­schen Tur­bu­len­zen vor dem Hin­ter­grund der Rave- und Club­kul­tur in IBIZA auf mei­ne ganz eige­ne Art zu ver­ste­hen. All dies, zusam­men mit einem Jahr Arbeit im Wer­be­be­reich, half mir, mei­nen Weg der Kom­mu­ni­ka­ti­on zu finden.

Und wie kam dann die Hand­ta­sche ins Spiel?

Die Hand­ta­sche als Gegen­stand ist sowohl zutiefst per­sön­lich, pri­vat und intim. Der Inhalt erzählt eine Geschich­te dar­über, wo man gewe­sen ist, wohin man geht und wel­che Bedürf­nis­se jemand hat. Ob ästhe­tisch, prak­tisch, nost­al­gisch oder über­trie­ben. Oft kann es eine Bril­le sein, Geld, Lip­pen­stift, ein Schlüs­sel, ein Duft – es gibt Ver­bin­dun­gen zwi­schen den Objek­ten, die eine Geschich­te erzäh­len oder eine Iden­ti­tät sug­ge­rie­ren. An der Kunst­schu­le wur­den wir gebe­ten, ein bedeu­ten­des Objekt zum Gie­ßen mit­zu­brin­gen, und ich wähl­te eine mei­ner alten unprak­ti­schen klei­nen Desi­gner-Hand­ta­schen aus, sehr zur Über­ra­schung mei­ner Tuto­rin und mei­ner Peer-Group.

Dein neu­es­tes Kunst­werk ist eine Tasche aus Sta­chel­draht, die einen wun­der­schö­nen wei­ßen Prä­pa­ra­ti­ons­vo­gel ent­hält. Kannst du uns ein wenig über die Inspi­ra­ti­on hin­ter die­sem Stück erzäh­len und was es verkörpert?

Die­se Arbeit ist inspi­riert von der aller­ers­ten Tasche, die ich geschaf­fen habe und die nicht aus Harz gegos­sen wur­de. Es war ein Gips­ab­guss mit Reiß­zwe­cken, die den Griff bedeck­ten. Das Gewicht, das beim Auf­he­ben der Tasche auf­trat, ver­ur­sach­te gro­ße Schmer­zen in der Hand­flä­che. Ich nann­te die Arbeit „Haben und hal­ten“. Er greift das The­ma Schmerz auf und fügt ihm Freu­de hin­zu. Ein Sta­chel­draht­beu­tel aus 22 Karat Gold ent­hält einen zar­ten wei­ßen Vogel. Geschützt und gefan­gen, flug­un­fä­hig, gehal­ten, ein­ge­grenzt und doch ver­gol­det. Es ist der „Fang 22“.

Deine Arbei­ten sind dem­nach kon­zep­tu­ell, modern und abs­trakt und evo­zie­ren den­noch eine Aura des Klas­si­schen, vor allem durch die Über­nah­me des Weib­li­chen. Was ist an der Hand­ta­sche, ihrer Ver­bin­dung mit dem Weib­li­chen und ihrer Rol­le als ‚Behäl­ter‘, für dich als ihre Schöp­fe­rin so wichtig?

Ein begrenz­ter Raum, wie eine Lein­wand, nur drei­di­men­sio­nal. Mein Vater war in der Hand­ta­schen­in­dus­trie tätig und mei­ne Schwes­ter und ich beka­men schö­ne Hand­ta­schen und sehnten
uns danach, anspruchs­vol­le Damen zu sein. Wir nah­men das Make-up unse­rer Mut­ter und expe­ri­men­tier­ten mit der Ver­klei­dung. Die Hand­ta­sche war immer schon mein Lieblingsaccessoire.

Deine Kunst­wer­ke haben sich im Lau­fe der Zeit ent­wi­ckelt, kannst du uns ein wenig über die­se Rei­se erzäh­len und auch, wie du dir dei­ne zukünf­ti­gen Arbei­ten vorstellst?

Ich wach­se und ver­än­de­re mich und ler­ne, so auch mei­ne Kunst. Ich habe kei­ne Kris­tall­ku­gel, viel­leicht bin ich in 5 Jah­ren gar nicht mehr hier.

Welche Rol­le spielt dei­ner Mei­nung nach die Kunst in der Gesellschaft?

Kunst ist ein Ort des Stau­nens und der Her­aus­for­de­rung. Sie hilft uns dabei uns auf Din­ge zu kon­zen­trie­ren, die für Künst­ler und auch für die Gesell­schaft wich­tig sind. Ohne Kunst wäre die Welt zu praktisch!

Du bist Mit­glied der ‚Beautalist‘-Kunstbewegung. Kannst du uns etwas über den „Beau­ta­lism“ erzählen?

Wenn der Phi­lo­soph Imma­nu­el Kant über Ästhe­tik nach­denkt, ver­bin­det er Schön­heit mit der mensch­li­chen Vor­stel­lungs­kraft, der Natur und dem Erha­be­nen. Kant erklärt, dass das Erha­be­ne eine Emp­fin­dung ist, die nur im Geist zugäng­lich ist und durch die Begeg­nung mit Din­gen, die wir über­wäl­ti­gend schön und kraft­voll fin­den, her­vor­ge­ru­fen wird. Es kann auch mit Gefüh­len der Ehr­furcht in Ver­bin­dung gebracht wer­den, und Kant argu­men­tiert, dass wir das Erha­be­ne durch das Betrach­ten von Schön­heit in der Natur und in der Kunst erfah­ren. Die Kunst­wer­ke der „Beau­ta­lis­ten“ kon­fron­tie­ren den Betrach­ter mit Schön­heit. Aber Schön­heit hat vie­le For­men und vie­le Gesich­ter. Sie ist klas­sisch, kom­pli­ziert, selt­sam und scho­ckie­rend. Sie ist abs­trakt, sanft und aggres­siv. Eini­ge der Künst­ler des „Beau­ta­lis­mus“ pro­du­zie­ren Schön­heit in ihrer rei­nen und erha­be­nen Form, wäh­rend ande­re die gefähr­li­che oder gar häss­li­che Sei­te der Schön­heit auf­de­cken wol­len. Durch ihre Kunst­wer­ke wer­den sie jedoch die Kraft der Schön­heit erken­nen. Es kann sexu­el­le Schön­heit, dum­me Schön­heit oder der ver­ach­tens­wer­te, aber ver­füh­re­ri­sche Gebrauch von Schön­heit durch den Kapi­ta­lis­mus sein. Schön­heit ist das uner­reich­ba­re Ide­al, ein Mythos, dem wir immer wie­der nach­ja­gen, und doch ist es zwei­fel­los immer wie­der auf­re­gend, sie zu betrach­ten. In der Kunst­be­we­gung der „Beau­ta­lis­ten“ geht es sowohl um den visu­el­len Reiz der Schön­heit als auch um ihre Potenz. Um es ganz offen (oder bru­tal) aus­zu­drü­cken, die „Beau­ta­lis­ten“ sind bru­tal in Bezug auf Schönheit.

Und was bedeu­tet das Kon­zept der Schön­heit für dich persönlich?

Schön­heit ist die inti­me Rei­se, die ich als ima­gi­nä­res Ziel ansteure.

Wie wür­dest du die Bezie­hung dei­ner Kunst­wer­ke zur Mode beschreiben?

Mode schafft Iden­ti­tät, Zuge­hö­rig­keit, Indi­vi­dua­li­tät und Schutz. Wir stre­ben bei­de nach Schön­heit und Ori­gi­na­li­tät. Gute Kunst wie gute Mode ist zeitlos.

Aber wür­dest du Mode als Kunst bezeichnen?

Ich hal­te mich da immer sehr ger­ne an Alex­an­der McQueen’s Zitat: „Mode soll­te eine Form des Eska­pis­mus sein, und kei­ne Form der Gefan­gen­schaft.“ Kunst erklärt und ent­hüllt die Tie­fe hin­ter dem visu­el­len Kar­ne­val der Mode.

Was waren bis­her dei­ne größ­ten Erfolge?

Eini­ge iko­ni­sche Ame­ri­ca­na-Muse­ums­stü­cke für die Coca-Cola-Kol­lek­ti­on zur Fei­er des 100-jäh­ri­gen Bestehens der klas­si­schen Coca-Cola-Fla­schen­form zu kre­ieren. Mei­ne Arbei­ten wur­den zusam­men mit mei­nen Kunst­hel­den Andy War­hol und Ai Wei Wei auf der Welt­aus­stel­lung in Mai­land 2015 gezeigt. Mei­ne Art­bags erlau­ben es mir, die vie­len Facet­ten mei­ner eige­nen Lebens­er­fah­rung zu erfor­schen und die Gren­zen der visu­el­len Spra­che zu erwei­tern. Von Rei­sen, Sehn­sucht, Ver­lust, Krank­heit, Angst, Schön­heit, Kon­sum, Reich­tum, Nost­al­gie. Das ist mein Lebens­pro­jekt. Ich war schon immer fas­zi­niert von Psy­cho­lo­gie, Phi­lo­so­phie und Anthropologie.

Beitrag teilen
geschrieben von

Das Kunstmagazin, das mehr Zeit zum Lesen und mehr Raum zum Schauen beansprucht: ein Gegentrend zu vielen Megatrends. Geeignet für Kunstliebhaber, die tiefer gehen möchten und bereit sind, inspiriert zu werden. Intellektuell anspruchsvolle Inhalte, innovatives Layout und elegantes Design auf höchstem Qualitätsstandard.

Consent Management Platform von Real Cookie Banner

Sie befinden sich im Archiv.
Hier geht's zum aktuellen stayinart Online Magazin.

This is default text for notification bar