Interview mit Maximilian Doerr
MAXIMILIAN DOERR IST DESIGN-DIREKTOR DER HERRENMODEMARKE BERLUTI. IN SEINER WOHNUNG, DIE WIE EINE KLEIDERKAMMER AUSSIEHT, ZIEHEN SICH VIELE KLEIDERSTÄNDER VOLLER HÜLLEN UND SCHUHE BIS INS WOHNZIMMER. DORT SIND FIGUREN MIT SELTSAMEN FORMEN IN DEN REGALEN AUFGESTELLT, ANDERE HÄNGEN AN DEN WÄNDEN NEBEN HYBRIDEN COLLAGEN. ALLE VON MAXIMILIAN DOERR HANDGEFERTIGT. ARTEFAKTE, KLEINE ODER MITTLERE, MONOCHROME ODER IRISIERENDE, DIE DAS ERGEBNIS GENAUIGKEITSBESESSENER ARBEIT SIND. DIESE ZEITVERSCHLINGENDEANSAMMLUNG IST DAS WERK EINES MODEDESIGNERS, DER AUSSERHALB DER MODESTUDIOS IN SEINEN MUSSESTUNDEN ZUM KAMMERKÜNSTLER WIRD.
Kannst du dich vorstellen?
Mein Name ist Maximilian Nikolaus Friedrich Doerr und ich wurde am 16. September 1979 in München, Deutschland, geboren.
Worin besteht deine Arbeit bei Berluti?
Meine Aufgabe ist es, das gesamte Prêt-à-porter Designer Team zu führen und dabei das Beste aus jedem einzelnen herauszuholen. Das gelingt mir, indem ich ihre Inspirationen und ihren Gestaltungstrieb fördere und manchmal auch fordere. Zusätzlich entscheide ich über die Auswahl der Entwürfe, Materialien und Stoffe für die Kollektion.
Wann hast du begonnen, Kunst zu machen?
Mit ca. zehn Jahren fing es an, dass ich in allen Ferien eine Woche bei meiner Großmutter in ihrem Haus in Worms war. Zusammen mit meinem Onkel habe ich dort eine Kreativwerkstatt eingerichtet, in der wir schräge und provozierende Arbeiten gezeichnet oder modelliert haben. Bis ich 17 war haben wir das immer wiederholt.
Warum hast du nicht mit der Kunst weitergemacht?
Als ich 15 war, wollte meine Mutter, dass ich einen soliden Beruf erlerne. Dann habe ich eine Juwelierlehre gemacht.
Wie bist du vom Juwelierhandwerk zum Modedesign gekommen?
Dank der Unterstützung meiner Mutter konnte ich 2001 mit 10.000 Mark in der Tasche nach London gehen, um Englisch zu lernen. Dort habe ich mich beim Central Saint Martins College of Arts beworben, an dem einige der einflussreichsten Modeschöpfer unserer Zeit studiert haben.
Noch als Student hattest du aber schon 2005 deine erste Ausstellung.
Quentin Walesch und ich hatten Lust zur Thematik des Buches „The Face of Human Rights“ in der ein Projekt zu machen, dass wir in der Berliner Zapp Live Gallery realisierten. Im ersten Raum waren die Wände mit Textseiten der Menschenrechte bedeckt. Im zweiten haben wir das Publikum aufgefordert, diese Rechte noch einmal auf die Wände zu schreiben, die hier als schwarze Wandtafeln gestaltet waren. Dabei mussten die Leute sich wie Schüler darum bemühen, auf weißen Linien zu schreiben. Dazu entwarf ich ein T‑Shirt, von dessen Innenseite gedruckte Sätze der Menschenrechte durchschimmerten – eine Raum-Mode Installation sozusagen.
Anschließend nimmst du in Berlin, London, Köln und München an sieben verschiedenen Ausstellungen teil und gehst zugleich deinen Weg in der Mode weiter.
In London habe ich für Hussein Chalayan gearbeitet, dann für Stella Mc-Cartney, bevor ich zu Jil Sander nach Mailand gegangen bin.
Kunst und Mode scheinen für dich gleichermaßen gut zu laufen. Trotzdem hast du deine letzte öffentliche Ausstellung 2008 für Art Cologne gemacht.
Mit dem Künstler Thomas Grundmann habe ich ein Triptychon realisiert, auf dem meine Augen und seine die Zentralfigur Kate Moss einrahmen. Aber die Galerien haben meine Sicht der Dinge nicht geteilt. Meine Arbeit als Designer ist aber zur gleichen Zeit extrem gut gelaufen, weshalb ich keine finanziellen Sorgen hatte. So ist mein persönliches Schaffen zum Hobby geworden.
Wie hat sich das dargestellt?
Ich bin Sammler. Teils nur zum Vergnügen sammle ich Trödel. Diese Objekte werden dann der Rohstoff für meine persönliche Arbeit. 2001 habe ich in London meine ersten Collage-Reihen begonnen, die ich heute noch weiterführe. In meinem Viertel hole ich mir Plakate von Werbungen, Musikgruppen, Ausstellungen, die ich dann weiterverarbeite. Noch heute gehe ich auf die Suche danach, sobald es regnet, denn dann lösen sie sich leichter ab. Ich gehe auch jedes Wochenende auf Trödel-und Flohmärkte. Dort kaufe ich handgearbeitete Stücke, die im aktuellen, religiösen, kulturellen, politischen Kontext für mich immer eine symbolische Bedeutung haben müssen. Das kann mehrere Themen zugleich berühren, deren Sinn aber widersprüchlich sein muss.
Hast du Objekte, die immer wiederkehren?
Meistens kleine religiöse Figuren und Objekte mit Kindheitsbezug wie Plüschtiere oder andere kleine Tiere, die dann die Grundlage meiner Arbeit werden.
Kannst du die verschiedenen Eingriffe beschreiben, die du an diesen kleinen Figuren vornimmst?
Da gibt es mehrere Möglichkeiten. Es kann sein, dass ich eine religiöse oder profane Figur mit Balsaholz umkleide. Obwohl sie versteckt ist, wird die Figur ihr eigenes Markenzeichen. Und indem ich dieses Stück umkleide, bringe ich es wieder in den Anfangszustand als Modell, als Entwurf zurück. Oder ich hülle Bildnisse auch in Jersey ein, den ich mit weißer oder schwarzer Acrylfarbe fixiere. Auch meine alten Uniqlo-T-Shirts verwende ich als Rohmaterial. Und ich beschichte manche religiösen Objekte mit Kerzenwachs, das ich beim Schmelzen darauf tropfen lasse, bis sie komplett davon umklebt sind. Das verweist auf das Vergehen der Zeit, als wären es historische Objekte, die von Stalaktiten bedeckt wären.
Oft gibt es in deiner Arbeit Votivgaben. Was zieht dich so sehr zur Religion?
Als Kind, während der Ferienwochen bei meiner Großmutter, musste ich drei Mal pro Tag beim Läuten der Glocke zur Messe gehen. Wenn sie nicht selbst mitging, hat Großmutter meinen Weg zur Wormser Peterskirche von oben auf dem Balkon in der fünften Etage mit den Blicken verfolgt. Das Schauspiel der Messe hat mich fasziniert, aber der zwanghafte Charakter hat dann dazu geführt, dass ich mit der Kirche gebrochen habe.
Und die Plüschtiere?
Am Anfang habe ich Mischwesen daraus gemacht. Wie bei einer Collage habe ich zum Beispiel einen Kopf von Hello Kitty auf einen Körper von Mini genäht oder einen Kopf von Pluto auf einen Körper von Bambi. Diese Objekte bleiben Plüschtiere, aber von ihrem Dimorphismus geht ein Gefühl der Verlegenheit aus. Als ich dann 2017 sehr krank geworden bin, habe ich begonnen, die Plüschtiere mit Nägeln zu durchbohren. Aber wie ich schon erwähnt, liebe ich widersprüchliche Symbole. Plüschtiere zu attackieren, das ist mein Manifest gegen das Vernachlässigen von Kindern.
Die Collage steht im Mittelpunkt deiner Arbeit. Wie hast du deine Technik weiterentwickelt?
Als ich 2007 in Mailand keine Wohnung gefunden habe, bin ich bei einem Freund untergekommen, der Zeitschriften sammelt: Hello, View, Der Spiegel, Gala … Ich habe immer einen Sketchbook bei mir, in dem ich Dinge, Papiere, Skizzen sammle, die ich finde. Als ich einmal solche Erinnerungsstücke auf einen Stapel Boulevardzeitschriften geklebt habe, ist zufällig ein Stück Klebeband daran hängen geblieben, und die oberste Schicht des Fotos hat sich auf das Klebeband übertragen, ohne dabei das Papier zu zerreißen. Daraufhin habe ich einen ganzen Tag bei Zeitschriftenhändlern zugebracht und alle Zeitschriften heimlich mit verschiedenen Klebebändern getestet, um die richtigen Papiersorten und die richtige Technik zu finden. Seitdem bearbeite ich Porträts, indem ich Stücke von Klebeband darauf klebe, die vorher schon auf dem Glanzpapier einer Zeitschrift geklebt haben. Dadurch entsteht ein Nebeneinander von Gesichtern.
Was sind deine letzten Arbeiten?
Die zerstörerische Energie des Menschen bei öffentlichen Demonstrationen fasziniert mich. Leute benutzen die Anonymität der Masse, um ihre Gewalttätigkeit auszuleben. Die schwarz gestrickte Sturmhaube symbolisiert diesen Akt der Gewalt, da sie den ganzen Kopf vermummt und nur dazu da ist, entweder in einer Tasche zu verschwinden oder ihren Träger unkenntlich zu machen. Ich habe sie in Gips getaucht und dadurch weiß gefärbt, somit unbenutzbar und deutlich erkennbar gemacht. Seiner ursprünglichen Funktionen beraubt wird diese erstarrte Maske das Gespenst des verborgenen Extremismus des Kollektivs. Ich habe auch meine hybriden Plüschtiere radikalisiert, indem ich lauter Plüschtiere gesammelt, zerschnitten und über und untereinander auf einer Leinwand zu großen Bildcollagen zusammengetackert habe. Viele Menschen habe heute Kinder um die sie sich nicht wirklich kümmern. Sie kümmern sich lieber um eine Form der Selbstdarstellung, die sich an einem traditionellen Familienbild orientiert. Ich finde es schockierend, wenn Leute von ihren Kindern sprechen, als ob sie Gegenstände wären.
Wie würdest du deine kreative Arbeit definieren?
Heutzutage muss alles ins Auge springen und sofort verständlich sein. Die Stücke, die ich hervorbringe, sind aber mehrdeutiger. Manche Leute mögen sich provoziert fühlen, aber trotz des gequälten Anscheins mancher Stücke ist der Sinn meiner Arbeit positiv.
Welche Verbindungen gibt es zwischen deinem Designerberuf und deiner Arbeit als Künstler?
Zur Mode bin ich zufällig gekommen, aber kreatives Gestalten ist für mich eine Verpflichtung, für meinen Beruf wie für mein Hobby, und das verbindet sie. Ich bin Gestalter von Konfektionskleidung, aber mein Hobby ist für mich ganz nah bei der Haute Couture. Meine Arbeit kann nicht von einer Maschine gemacht werden. Mein Hobby kennt nicht die Frustration, die von einer Industrie wie der Konfektionskleidung kommen kann, die den Regeln der Industrie unterworfen ist. Für mich ist es wie eine Meditation. Ich kann mir Zeit lassen, alleine, mit niemand in meiner Nähe, um meine Technik weiterzuentwickeln.
Welche Bedeutung möchtest du deiner Arbeit geben?
Das Ziel des Lebens ist es, zu leben, während wir nur davon träumen, etwas zu sein, was wir nicht sind. Wenn man die Leute sensibilisieren will für das, was wirklich auf der Welt geschieht, muss man in der eigenen Umgebung beginnen, bei den Freunden. Ich wünsche mir, dass meine Arbeit wie ein Nadelstich wirkt, der aber immer auch einen Dialog mit dem Objekt aufbaut.
Kannst du dir vorstellen, deinen Job einmal an den Nagel zu hängen, um dich ganz der Kunst zu widmen?
Kann meine Arbeit für sich allein bestehen? Ich bin mir nicht völlig dessen bewusst, was ich mache. Ich weiß nur, woher ich komme und wer ich bin. Wer weiß, wie es weitergeht? Leben ist wie ein Pfeil, den man ins Unbekannte schießt.