Bildgewordene Fantasiewelten. Die Kunstform wird oft übergangen – in Italien wie auch in jedem anderen Land Europas, wo Fantsy-Kunst gleich wie Fantasy-Literatur grossteils als zweitklassig angesehen wird. Im Rest der Welt ist die Lage wenig besser. Auch die Kollegen am amerikanischen Markt berichten, dass das Genre bis auf grössere Hollywoodfilme stösst. Ausserhalb der Gruppe der Fantasy-Fans gilt es als ein Sammelbecken für Erwachsene, die nie gross werden wollten. Nichtsdestotrotz gibt es Künstler, die sich ganz diesem Zweig der Kunst widmen und herausragendes leisten. Heute sprechen wir mit einem von ihnen: dem Italiener Angelo Montanini.
Der Künstler
Sein Name wird häufig in Verbindung mit Tolkien genannt, seit er 1995 von Iron Crown Enterprise mit der Gestaltung des Kartenspiels zu Herr der Ringe beauftragt wurde. Das Spiel war in zahlreichen Ländern erfolgreich, darunter auch Japan. „Einige meiner Karten sind japanisch, und ich musste Karten in den unglaublichsten Sprachen signieren”, so Montanini. „Es ist schmeichelhaft, Autogrammanfragen aus Japan, Lateinamerika, Finnland, etc., zu bekommen – und ziemlich überraschend.
Kaum zu glauben, wie manche Dinge solch universales Interesse erregen können.” Von 1996 bis 1999 war Montanini als Verleger von Stratelibri tätig, wo er die Auswahl der Illustratoren koordinierte und als Art Director für Bildmaterial und Umschlaggestaltung zuständig war. Dabei entstanden Kooperationen mit großen italienischen Verlagen wie Mondadori, Nord und Longanesi. Derzeit lehrt Montanini Anatomie der Illustration und Modedesign am Europäischen Institut für Design Mailand, IED, und ist Dozent für Illustration an der Akademie der schönen Künste Accademia di Belle Arti Aldo Galli in Como. Angelo Montanini stellt bei Lucca Comics & Games 2017 am Stand der Italienischen Tolkien Gesellschaft seine neuesten Werke vor, nämlich die zweite Ausgabe des Kalenders zu Herr der Ringe, den er mit einer Reihe weiterer italienischer Fantasy Artists illustriert hat: Alberto Dal Lago, Paolo Barbieri, Edvige Faini, Ivan Cavini, Dany Orizio und Lucio Parrillo.
Angelo Montanini ist einer der bekanntesten Illustratoren und Vertreter italienischer Fantasy Art.
Montaninis Technik
Montanini teilt seine Zeit zwischen Kunstproduktion und Lehrtätigkeit am Europäischen Institut für Design. Sein Lieblingswerkzeug sind Farbstifte. Faber Castel hat eigens für ihneine Box mit einer Reihe von Farben zusammengestellt, die Montanini persönlich angefordert hatte. Er benutzt die Wachskreiden lieber auf einem klassischen Medium (ocker oder grau) als auf einem weißen Hintergrund und bevorzugt Mischtechniken, Acryl, Öl, Airbrush (die Sprühtechnik ermöglicht Effekte, die beim Freihandzeichnen nicht zu erzielen sind). Außerdem verwendet Montani-ni sowohl bei seiner Arbeit als auch im Unterricht digitale Tools. „CGI ist äußerst praktisch, sollte jedoch immer in Kombination mit gleichermaßen gut ausgebildeten handwerklichen Fähigkeiten eingesetzt werden: Ein Rechner rechtfertigt niemals das Verlernen des handwerklichen Zeichnens.”
Fantasy Art und Tolkien
Tolkien war ein ausgezeichneter „Drehbuchautor“: Wer seine Bücher liest, sieht, was Tolkien beschreibt – es ist, als stünde man in seiner Welt. Jeder Künstler hat seinen eigenen Stil, wenngleich es in jüngerer Zeit schwierig ist, sich dem Einfluss von Peter Jacksons Trilogie zu entziehen. Die Verfilmungen der beiden bekanntesten Werke von Tolkien, Herr der Ringe und Hobbit, sind in die kollektive Vorstellung eingegangen. Die Figur des Aragorn ist heute kaum von Viggo Mortensen zu trennen. Montanini arbeitet besonders am Gesicht, dem Spiegel der Seele, an Ausdruck und Blick, legt aber auch großen Wert auf die Darstellung von Kleidern und Kostümen und den Textileffekt (beispielweise Faltenwurf). Dennoch vernachlässigt er die Landschaft im Hintergrund keineswegs.
Das Tolkien-Kalender-Experiment
Die Idee eines Kalenders, der von Tolkiens Fantasiewelt und dem Herr der Ringe inspiriert ist, kam von Paolo Barbieri, einem weiteren wichtigen italienischen Vertreter dieser Kunstrichtung. Die Italienische Tolkien Gesellschaft war ebenso am Projekt beteiligt. Aufgrund seiner Erfahrung wurde Angelo Montanini als künstlerischer Leiter und Koordinator für die sechs übrigen Künstler engagiert. Die erste Ausgabe des Kalenders, Lords for the Ring 2017, erwies sich als außerordentlich erfolgreich: Die Idee kam so gut an, dass der Kalender sofort ausverkauft war. Der Künstler und die Italienische Tolkien Gesellschaft haben das Projekt daher weitergeführt und bei Lucca Comics & Games den Kalender Lords for the Ring 2018 präsentiert. Das zentrale Thema war diesmal anlässlich des 40. Jubiläums seiner Veröffentlichung (21. September 1977) ein weniger bekanntes Werk des Autors, das Silmarillion. Die 7 Lord Artists (Paolo Barbieri, Ivan Cavini, Alberto Dal Lago, Edvige Faini, Angelo Montanini, Dany Orizio und Lucio Parrillo) wurden wieder damit beauftragt, Legenden und Geschichten aus Mittelerde, von der Entstehung der Welt und ihrer Völker, ihrer frühen Geschichte bis zum Ringkrieg im Herr der Ringe, zu interpretieren.
Hinter den Kulissen des Kalenders „Lords for the Ring 2018„
Das Silmarillion ist das mythologische und legendenreiche Fundament von Mit telerde: Tatsächlich handelt es sich um eine Sammlung von teilweise später veröffentlichten Geschichten,die Christopher Tolkien, der Sohn des großen Autors, erstellte, und auf die sich die 14 Bilder des Kalenders (1 pro Monat, das Umschlagbild und 1 Bild in der Kalendermitte) beziehen. Das Silmarillion besteht aus fünf Hauptteilen und beginnt mit der Kosmogonie, der Entstehung der Welt Arda, der Ankunft mächtiger Wesen, die diese Welt bevölkern, und deren Verfall. Die Herausforderung bestand darin, diese Götter, Valar genannt, nicht als einfache griechisch-römische Gottheiten oder Naturgewalten darzustellen, den Konflikt zwischen Gut und Böse zu veranschaulichen und gleichzeitig dem Künstler die nötige Freiheit zu lassen, sich im Rahmen von Tolkiens Welt auszudrücken.
Der Kalender zeigt eine aktuelle Interpretation der Figuren und The men und verleiht damit dem Silmarillion einen neuen, zeitgemäßen Touch. Das Cover, und damit das erste Bild, stammt von Paolo Barbieri und zeigt den Verfall Ardas: Noch während die Valar die Welt erschaffen, wird sie von Melkor vergiftet. Arda wird als Kugel mit Licht und Schatten, ähnlichYing und Yang, und rund wie der Ring des Schicksals selbst dargestellt. Im Januar zeigt Dany Orizio die Geburt der Elben am Ufer des Sees Cuivienen, wo sie erstmals die Sterneerblicken. Zu jedem Kalenderbild werden auch die Skizzen und frühen Versionen und die dazugehörige Passage aus dem Silmarillion abgedruckt. Für den Monat März hat Montanini selbst die Verdunkelung Valinors durch Ungoliant abgebildet: Die Riesenspinne zerstört die Bäume des Lichts. In seiner düsteren Darstellung konzentrierte sich der Künstler auf Lichteffekte, das Verdunkeln der Bäume, das riesige Monster und die Furcht Melkors, das Böse, das einem noch viel größeren Bösen gegenübersteht und dadurch „fast menschlich“ wirkt.
Von Montanini stammt auch der Wahnsinn Nienors. In einer beinahe Shakespeare-artigen Tragödie wird der unglücklichen Nienor erst mit einem Zauberspruch das Gedächtnis genommen, später erfährt sie, dass der Drachentöter Turin Turambar, ihr Mann und Vater ihres noch ungeborenen Kindes, eigentlich ihr Bruder ist. Daraufhin wirft sie sich in einen Fluss. Dies sind nur einige der Bilder aus dem neuen Kalender, der wieder aufregende Einblicke in Tolkiens Fantasiewelt bietet.
Angelo Montaninis Zukunftspläne
Der Künstler arbeitet derzeit an einem Artbook. Dabei stehen seine beiden Berufe, nämlich Illustration und Unterricht, keineswegs miteinander im Konflikt, da er an einem Institut für Grafikdesign arbeitet und der Trend hin zum Cosplay in den letzten Jahren das Fantasy-Genre und die Modewelt einander weiter angenähert hat. Cosplay ist nicht nur etwas für Nerds, sondern zieht auch Künstler und Designer an. Viele von Montaninis Studenten sind ebenfalls Fantasy-Fans und schätzen seine Werke. Laut Montanini liegen die neuen Herausforderungen der Kunst in der Vermischung von Genres, der Erforschung neuer Medien und der Erschließung neuer Gebiete für künstlerische Performances. Dabei solle man sich stets vor Augen halten, dass sich Fantasy – gleich wie jedes andere Genre – nicht nur auf ein Regal im Buchladen beschränkt.