YOKO ONO | PEACE is POWER

Wer Yoko Ono hört, denkt an John Len­non – auch heu­te noch, nach vie­len erfolg­rei­chen und auto­no­men Jah­ren als Künst­le­rin. Doch sie igno­riert das sou­ve­rän, schließ­lich gibt es Wich­ti­ge­res zu tun: Mit 86 Jah­ren ist Yoko Ono erfolg­rei­cher denn je und ihre The­men haben nichts an Aktua­li­tät ver­lo­ren: Das unaus­ge­wo­ge­ne Kräf­te­ver­hält­nis zwi­schen Krieg und Frie­den, Gefan­gen­schaft und Frei­heit bestim­men ihr künst­le­ri­sches Schaf­fen und las­sen sie nicht zur Ruhe kommen.

Yoko Ono, Blue Room Event “Sogna­re”, 2007; Foto: Ste­phan Cras­ne­an­s­cki © Yoko Ono

„FREE YOU – FREE ME – FREE US – FREE THEM.“ 

Was ein­fach klingt, scheint in der Rea­li­tät unend­lich schwer zu sein, war­um sonst befin­den sich Men­schen, Natio­nen und Reli­gio­nen in per­ma­nen­ter Kon­kur­renz, sind unver­söhn­lich und bekrie­gen sich?

Doch Yoko Ono hat den Glau­ben an die Kraft des Frie­dens nie auf­ge­ge­ben. Das ist in ihrer Leip­zi­ger Aus­stel­lung PEACE is POWER im Muse­um der bil­den­den Küns­te unüber­seh­bar. Die 71 gezeig­ten Arbei­ten aus über 50 Schaf­fens­jah­ren doku­men­tie­ren in Fil­men, Instal­la­tio­nen, Inter­ven­tio­nen, Per­for­maces und Instruk­tio­nen was Kunst ver­mag: Man ist ver­stört und beru­higt zugleich, trau­rig und beseelt, hoff­nungs­los und vol­ler Opti­mis­mus. Denn was wir in der Aus­stel­lung sehen, hören, füh­len und selbst bei­tra­gen, schlägt aus wie ein fou­cault­sches Pen­del – man kann nicht anders, als fort­an die posi­ti­ven Alter­na­ti­ven mit­zu­den­ken, wenn man mit Gewalt, Krieg und Exzes­sen kon­fron­tiert wird.

Das Ver­trau­en in die Schöp­fungs­kraft der Kunst ist tief in Yoko Ono ver­an­kert, wie auch ihr Glau­be an die Kraft des mensch­li­chen Geis­tes, der die Welt ver­än­dern kann. Ihre Wert­schät­zung des Lebens und ihre Über­zeu­gung, dass alles im Uni­ver­sum mit­ein­an­der ver­bun­den ist, sind exis­ten­ti­ell und fin­den so kraft­voll Aus­druck in ihrer Kunst, man teilt nur all­zu ger­ne ihre uner­schüt­ter­li­che Zuver­sicht, dass die Mög­lich­keit einer bes­se­ren Welt real ist. Die Form ist Yoko Ono weni­ger wich­tig, als die Aus­sa­ge ihrer Wer­ke und dabei schreckt sie auch vor radi­ka­len Lösun­gen nicht zurück – wie das Leben nur par­ti­zi­pa­tiv funk­tio­niert, so invol­viert Yoko Ono ihr Publi­kum eben­so wie auch sich selbst. In den frü­hen 60er Jah­ren per­formt sie dafür kniend und regungs­los auf der Büh­ne, das Publi­kum ist ange­hal­ten, ihr mit zwei Sche­ren in klei­nen Stü­cken die Klei­der vom Leib zu schnei­den. Im Kon­text der Pro­tes­te gegen den Viet­nam­krieg war das ihre Form des per­sön­li­chen, fried­li­chen Wider­stands. Zur Leip­zi­ger Eröff­nung wünsch­te sich Yoko Ono eine Wie­der­ho­lung ihrer Per­for­mance von 1964 und wähl­te dafür die chi­ne­sisch-bri­ti­sche Per­for­mance-Künst­le­rin Echo Mor­gan (Xie Rong), die am 3. April 2019 die gro­ße Zeit der Per­for­mance-Kunst wie­der auf­le­ben lies.

Seit die­sem Tag ist Yoko Ono omni­prä­sent in mei­nem Den­ken und Han­deln, im Muse­um ist sie noch bis 7. Juli 2019 mit meh­re­ren Werk­blö­cken zu erleben.

https://mdbk.de/ausstellungen/yoko-ono/

INSTRUCTIONS

Seit 1962 zeigt Yoko Ono kei­ne Kunst mehr im her­kömm­li­chen Sin­ne. In ihren Aus­stel­lun­gen wer­den statt­des­sen mit einer Schreib­ma­schi­ne getipp­te Hand­lungs­an­wei­sun­gen (Ins­truc­tions) gezeigt. Die­sen Ins­truc­tions kommt ein beson­de­rer Stel­len­wert in der Leip­zi­ger Aus­stel­lung zu, auch weil sie nach wie vor der künst­le­ri­schen Hal­tung Yoko Onos ent­spre­chen: „Wenn man die Anlei­tung liest, erhält man schon eine Vor­stel­lung des Bil­des, also war­um noch ein Bild pro­du­zie­ren?“ Die­ses künst­le­ri­sche Prin­zip lässt sich im Wesent­li­chen auf ihre musi­ka­li­sche Aus­bil­dung zurück­füh­ren. 1952 begann sie in New York Musik zu stu­die­ren, unter ande­rem deut­schen klas­si­schen Gesang; ihre ers­ten Kom­po­si­tio­nen ent­stan­den drei Jah­re spä­ter. In einem per­sön­li­chen Gespräch mit dem Autor brach­te sie zum Aus­druck, dass uns Kom­po­nis­ten der klas­si­schen Musik, wie Johann Sebas­ti­an Bach, nicht etwa klin­gen­de Musik hin­ter­lie­ßen, son­dern viel­mehr ihre Par­ti­tu­ren oder Anlei­tun­gen, die wir inter­pre­tie­ren und aus­füh­ren. Die­se Idee adap­tier­te Yoko Ono für die Kunst­welt. In ihrem 1964 her­aus­ge­ge­be­nen Buch Grape­fruit ver­öf­fent­lich­te sie zu den The­men Music, Pain­ting, Event, Poet­ry und Object mehr als 150 die­ser Instruktionen.

SNOW PIECE

Think that snow is fal­ling. Think that snow is fal­ling ever­y­whe­re all the time. When you talk with a per­son, think that snow is fal­ling bet­ween you and on the per­son. Stop con­ver­sing when you think the per­son is cover­ed by snow y.o. — 1963

Eine ‚Anlei­tung‘ für ihr eige­nes Leben ist undenk­bar. Yoko Onos japa­ni­sche Wur­zeln, die Prä­gung in den 60er Jah­ren in New York und ihr spä­te­res Leben in Lon­don – ein Leben zwi­schen fern­öst­li­cher Tra­di­ti­on, ame­ri­ka­ni­schem Frei­heits­stre­ben und Com­mon­wealth; mehr Diver­si­tät ist fast undenk­bar. Die­sem rei­chen Erfah­rungs­schatz haben Yoko Onos Arbei­ten ihre Sen­si­bi­li­tät, Klar­heit und Tie­fe zu ver­dan­ken – ohne Rebel­li­on und Kri­tik aus­zu­gren­zen. In ihrer Kunst zitiert sie kon­ti­nu­ier­lich die uni­ver­sa­len natür­li­chen Ele­men­te wie Luft, Was­ser, Erde und Feu­er. Yoko Ono igno­riert Gren­zen und setzt neue Maß­stä­be in Bezug auf unser Leben und unse­ren Blick auf die Kunst – und macht die Uto­pie von einer bes­se­ren Welt denkbar.

CUT PIECE 

Yoko Onos künst­le­ri­sches Schaf­fen brach­te Zer­stö­rung mit zwi­schen­mensch­li­chen und oft auch inti­men mensch­li­chen Bezie­hun­gen in Ver­bin­dung. Die­ses Ele­ment reg­te beson­ders im Fall von ihrer Per­for­mance Cut Pie­ce zum Nach­den­ken an, einer der vie­len Aktio­nen, die sie beim Des­truc­tion in Art Sym­po­si­um (DIAS) in Lon­don, an dem auch die öster­rei­chi­schen Aktio­nis­ten Gün­ter Brus, Otto Mühl, Her­mann Nit­sch und Peter Wei­bel teil­nah­men vor­stell­te. 1964 hat­te Ono die Per­for­mance in Kyo­to (Japan) erst­mals auf­ge­führt und spä­ter noch ein­mal 1965 in der New Yor­ker Car­ne­gie Reci­tal Hall. Das Werk in sei­ner Andeu­tung von Voy­eu­ris­mus und gegen den weib­li­chen Kör­per gerich­te­ter Gewalt all­ge­mein gilt als wich­ti­ger Vor­läu­fer der spä­te­ren femi­nis­ti­schen Per­for­mance­kunst. Sei­nen Ursprung aber fand Cut Pie­ce in der Idee einer Ton-Per­for­mance, in der es der Künst­le­rin um das Geräusch ging, das die durch den Stoff schnei­den­de Sche­re erzeugte.

FLY

Ein wich­ti­ges Dar­stel­lungs­me­di­um der Flu­xus-Bewe­gung waren Kunst­fil­me. Yoko Ono pro­du­zier­te zwi­schen 1966 und 1972 ins­ge­samt 19 Fil­me. Eine ihrer ers­ten Auf­nah­men, zu Match, dreh­te sie 1966 mit einer Hoch­ge­schwin­dig­keits­ka­me­ra von Geor­ge Maciu­nas. Das Light­ing Pie­ce lie­fer­te dazu die Anwei­sung. In ihrem wohl bekann­tes­ten Film Fly lässt Yoko Ono eine Flie­ge einen weib­li­chen Kör­per erkun­den. Dabei ist der Kör­per der Dar­stel­le­rin radi­kal expo­niert und dem Betrach­ter­blick aus­ge­lie­fert. Die Frau ist nackt, wird aber nicht sexua­li­siert. Der Film gilt als frü­he, klar femi­nis­ti­sche Ges­te Onos.

WAR IS OVER

Ein zen­tra­les The­ma für Yoko Ono ist das Kräf­te­ver­hält­nis zwi­schen Krieg und Frie­den – mit Frie­den als dem Ziel, auf das sie alle ihre Kräf­te rich­tet – in ihrer Kunst und ihrem Leben. Sie gibt der Welt ihre Arbei­ten als Moti­va­ti­on, sich frie­dens­stif­tend zu ver­hal­ten und unter­streicht die Kraft und Bedeu­tung jedes Ein­zel­nen, in allem sei­nem Tun, jeden Tag. Für Ex It, eines ihrer monu­men­tals­ten, in Leip­zig aus­ge­stell­ten Wer­ke, reflek­tiert sie den Kreis­lauf des Lebens. Ihre Anlei­tung dazu ist klar beschrie­ben: 100 ein­fa­che Holz­sär­ge, wie sie in Krie­gen oder bei Kata­stro­phen Ver­wen­dung fin­den. 60 gro­ße für Män­ner, 30 etwas klei­ne­re für Frau­en und 10 für Kin­der. Aus allen Sär­gen sol­len Zitro­nen­bäu­me wach­sen. Vogelgezwitscher.

PARTIZIPATION

Ein gro­ßer Teil der von Yoko Ono für das MdbK Leip­zig aus­ge­wähl­ten Wer­ke sind zur Betei­li­gung an ihrer künst­le­ri­schen Arbeit bestimmt. Die Grund­la­ge der Betei­li­gung sind durch die Künst­le­rin for­mu­lier­te Anwei­sun­gen, die als Spiel­re­geln oder Teil­nah­me­be­din­gun­gen fun­gie­ren. Der Gedan­ke zur Par­ti­zi­pa­ti­on ent­stand vor allem unter dem Ein­druck der brei­ten gesell­schaft­li­chen Pro­test- und Reform­be­we­gun­gen der 1960er Jah­re in den USA, bei denen mar­gi­na­li­sier­te Grup­pen in sämt­li­chen gesell­schaft­li­chen Berei­chen ihr Recht auf Gleich­be­rech­ti­gung, Reprä­sen­ta­ti­on und Mit­be­stim­mung einforderten.

PEACE IS POWER

Die 71 im Muse­um der bil­den­den Küns­te Leip­zig gezeig­ten Arbei­ten und Werk­rei­hen hat Yoko Ono gemein­sam mit ihrem lang­jäh­ri­gen Freund Jon Hendricks und Alfred Wei­din­ger aus­ge­wählt. In den Räu­men des MdbK Leip­zig fin­det die Werk­schau die idea­le Prä­sen­ta­ti­ons­flä­che: Die mini­ma­lis­ti­sche Spra­che und die gewal­ti­gen Volu­mi­na des von den Ber­li­ner Archi­tek­ten Karl Huf­na­gel, Peter Pütz und Micha­el Rafaeli­an geplan­ten und 2004 eröff­ne­ten Muse­ums bie­ten mit den für die­se Aus­stel­lung aus­ge­wähl­ten 15 Gale­rien, drei tages­licht­durch­flu­te­ten Ter­ras­sen, drei Innen­hö­fen auf ins­ge­samt 3.750 m² den idea­len Rah­men für Yoko Onos zutiefst beein­dru­cken­den Werken.

Das Inners­te, den See­len­aus­druck, fremd­welt­lich und nach frem­den Maß­stä­ben bewer­ten zu las­sen, bedeu­tet: sein pochen­des Herz auf den Tisch zu legen und zuzu­las­sen, dass ande­re mit dem Ham­mer drauf­schla­gen. Als Künst­ler sei­ne Gro­ße Sehn­sucht zu leben heißt aber, weder Gott noch per­fekt zu sein. Es heißt viel­mehr: das Uner­reich­ba­re ernst zu neh­men, als Weg­wei­ser. Und man braucht Mut – allen Mut sei­nes je eige­nen Künst­ler­seins, der weg­wei­sen­den Ahnung ins Zukünf­ti­ge, Unge­wis­se, Offe­ne zu fol­gen. Denn es ist ein Sich-Mes­sen mit dem Abso­lu­ten und man ist immer der ers­te der die­sen Weg geht.

Yoko Ono, Half A Room, 1967; Foto: Clay Per­ry ©Yoko Ono

Das Ver­trau­en in die Schöp­fungs­kraft der Kunst ist tief in Yoko Ono ver­an­kert, wie auch ihr Glau­be an die Kraft des mensch­li­chen Geis­tes, der die Welt ver­än­dern kann. 

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Dr. Alfred Weidinger ist ein österreichischer Kunsthistoriker, Museumsmanager und Fotograf. Weidinger studierte von 1985 bis 1998 Kunstgeschichte und Klassische Archäologie an der Universität Salzburg. 2000 wurde er Vizedirektor und Prokurist der Albertina. Seine Forschungsschwerpunkte sind bildende und angewandte Kunst sowie Fotografie des 20. und 21. Jahrhunderts. Seit dem 1. April 2020 ist er Geschäftsführer der OÖ Landes-Kultur GmbH. Zuvor leitete er als Direktor das Museum der bildenden Künste Leipzig.

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