Wer Yoko Ono hört, denkt an John Lennon – auch heute noch, nach vielen erfolgreichen und autonomen Jahren als Künstlerin. Doch sie ignoriert das souverän, schließlich gibt es Wichtigeres zu tun: Mit 86 Jahren ist Yoko Ono erfolgreicher denn je und ihre Themen haben nichts an Aktualität verloren: Das unausgewogene Kräfteverhältnis zwischen Krieg und Frieden, Gefangenschaft und Freiheit bestimmen ihr künstlerisches Schaffen und lassen sie nicht zur Ruhe kommen.
„FREE YOU – FREE ME – FREE US – FREE THEM.“
Was einfach klingt, scheint in der Realität unendlich schwer zu sein, warum sonst befinden sich Menschen, Nationen und Religionen in permanenter Konkurrenz, sind unversöhnlich und bekriegen sich?
Doch Yoko Ono hat den Glauben an die Kraft des Friedens nie aufgegeben. Das ist in ihrer Leipziger Ausstellung PEACE is POWER im Museum der bildenden Künste unübersehbar. Die 71 gezeigten Arbeiten aus über 50 Schaffensjahren dokumentieren in Filmen, Installationen, Interventionen, Performaces und Instruktionen was Kunst vermag: Man ist verstört und beruhigt zugleich, traurig und beseelt, hoffnungslos und voller Optimismus. Denn was wir in der Ausstellung sehen, hören, fühlen und selbst beitragen, schlägt aus wie ein foucaultsches Pendel – man kann nicht anders, als fortan die positiven Alternativen mitzudenken, wenn man mit Gewalt, Krieg und Exzessen konfrontiert wird.
Das Vertrauen in die Schöpfungskraft der Kunst ist tief in Yoko Ono verankert, wie auch ihr Glaube an die Kraft des menschlichen Geistes, der die Welt verändern kann. Ihre Wertschätzung des Lebens und ihre Überzeugung, dass alles im Universum miteinander verbunden ist, sind existentiell und finden so kraftvoll Ausdruck in ihrer Kunst, man teilt nur allzu gerne ihre unerschütterliche Zuversicht, dass die Möglichkeit einer besseren Welt real ist. Die Form ist Yoko Ono weniger wichtig, als die Aussage ihrer Werke und dabei schreckt sie auch vor radikalen Lösungen nicht zurück – wie das Leben nur partizipativ funktioniert, so involviert Yoko Ono ihr Publikum ebenso wie auch sich selbst. In den frühen 60er Jahren performt sie dafür kniend und regungslos auf der Bühne, das Publikum ist angehalten, ihr mit zwei Scheren in kleinen Stücken die Kleider vom Leib zu schneiden. Im Kontext der Proteste gegen den Vietnamkrieg war das ihre Form des persönlichen, friedlichen Widerstands. Zur Leipziger Eröffnung wünschte sich Yoko Ono eine Wiederholung ihrer Performance von 1964 und wählte dafür die chinesisch-britische Performance-Künstlerin Echo Morgan (Xie Rong), die am 3. April 2019 die große Zeit der Performance-Kunst wieder aufleben lies.
Seit diesem Tag ist Yoko Ono omnipräsent in meinem Denken und Handeln, im Museum ist sie noch bis 7. Juli 2019 mit mehreren Werkblöcken zu erleben.
INSTRUCTIONS
Seit 1962 zeigt Yoko Ono keine Kunst mehr im herkömmlichen Sinne. In ihren Ausstellungen werden stattdessen mit einer Schreibmaschine getippte Handlungsanweisungen (Instructions) gezeigt. Diesen Instructions kommt ein besonderer Stellenwert in der Leipziger Ausstellung zu, auch weil sie nach wie vor der künstlerischen Haltung Yoko Onos entsprechen: „Wenn man die Anleitung liest, erhält man schon eine Vorstellung des Bildes, also warum noch ein Bild produzieren?“ Dieses künstlerische Prinzip lässt sich im Wesentlichen auf ihre musikalische Ausbildung zurückführen. 1952 begann sie in New York Musik zu studieren, unter anderem deutschen klassischen Gesang; ihre ersten Kompositionen entstanden drei Jahre später. In einem persönlichen Gespräch mit dem Autor brachte sie zum Ausdruck, dass uns Komponisten der klassischen Musik, wie Johann Sebastian Bach, nicht etwa klingende Musik hinterließen, sondern vielmehr ihre Partituren oder Anleitungen, die wir interpretieren und ausführen. Diese Idee adaptierte Yoko Ono für die Kunstwelt. In ihrem 1964 herausgegebenen Buch Grapefruit veröffentlichte sie zu den Themen Music, Painting, Event, Poetry und Object mehr als 150 dieser Instruktionen.
SNOW PIECE
Think that snow is falling. Think that snow is falling everywhere all the time. When you talk with a person, think that snow is falling between you and on the person. Stop conversing when you think the person is covered by snow y.o. — 1963
Eine ‚Anleitung‘ für ihr eigenes Leben ist undenkbar. Yoko Onos japanische Wurzeln, die Prägung in den 60er Jahren in New York und ihr späteres Leben in London – ein Leben zwischen fernöstlicher Tradition, amerikanischem Freiheitsstreben und Commonwealth; mehr Diversität ist fast undenkbar. Diesem reichen Erfahrungsschatz haben Yoko Onos Arbeiten ihre Sensibilität, Klarheit und Tiefe zu verdanken – ohne Rebellion und Kritik auszugrenzen. In ihrer Kunst zitiert sie kontinuierlich die universalen natürlichen Elemente wie Luft, Wasser, Erde und Feuer. Yoko Ono ignoriert Grenzen und setzt neue Maßstäbe in Bezug auf unser Leben und unseren Blick auf die Kunst – und macht die Utopie von einer besseren Welt denkbar.
CUT PIECE
Yoko Onos künstlerisches Schaffen brachte Zerstörung mit zwischenmenschlichen und oft auch intimen menschlichen Beziehungen in Verbindung. Dieses Element regte besonders im Fall von ihrer Performance Cut Piece zum Nachdenken an, einer der vielen Aktionen, die sie beim Destruction in Art Symposium (DIAS) in London, an dem auch die österreichischen Aktionisten Günter Brus, Otto Mühl, Hermann Nitsch und Peter Weibel teilnahmen vorstellte. 1964 hatte Ono die Performance in Kyoto (Japan) erstmals aufgeführt und später noch einmal 1965 in der New Yorker Carnegie Recital Hall. Das Werk in seiner Andeutung von Voyeurismus und gegen den weiblichen Körper gerichteter Gewalt allgemein gilt als wichtiger Vorläufer der späteren feministischen Performancekunst. Seinen Ursprung aber fand Cut Piece in der Idee einer Ton-Performance, in der es der Künstlerin um das Geräusch ging, das die durch den Stoff schneidende Schere erzeugte.
FLY
Ein wichtiges Darstellungsmedium der Fluxus-Bewegung waren Kunstfilme. Yoko Ono produzierte zwischen 1966 und 1972 insgesamt 19 Filme. Eine ihrer ersten Aufnahmen, zu Match, drehte sie 1966 mit einer Hochgeschwindigkeitskamera von George Maciunas. Das Lighting Piece lieferte dazu die Anweisung. In ihrem wohl bekanntesten Film Fly lässt Yoko Ono eine Fliege einen weiblichen Körper erkunden. Dabei ist der Körper der Darstellerin radikal exponiert und dem Betrachterblick ausgeliefert. Die Frau ist nackt, wird aber nicht sexualisiert. Der Film gilt als frühe, klar feministische Geste Onos.
WAR IS OVER
Ein zentrales Thema für Yoko Ono ist das Kräfteverhältnis zwischen Krieg und Frieden – mit Frieden als dem Ziel, auf das sie alle ihre Kräfte richtet – in ihrer Kunst und ihrem Leben. Sie gibt der Welt ihre Arbeiten als Motivation, sich friedensstiftend zu verhalten und unterstreicht die Kraft und Bedeutung jedes Einzelnen, in allem seinem Tun, jeden Tag. Für Ex It, eines ihrer monumentalsten, in Leipzig ausgestellten Werke, reflektiert sie den Kreislauf des Lebens. Ihre Anleitung dazu ist klar beschrieben: 100 einfache Holzsärge, wie sie in Kriegen oder bei Katastrophen Verwendung finden. 60 große für Männer, 30 etwas kleinere für Frauen und 10 für Kinder. Aus allen Särgen sollen Zitronenbäume wachsen. Vogelgezwitscher.
PARTIZIPATION
Ein großer Teil der von Yoko Ono für das MdbK Leipzig ausgewählten Werke sind zur Beteiligung an ihrer künstlerischen Arbeit bestimmt. Die Grundlage der Beteiligung sind durch die Künstlerin formulierte Anweisungen, die als Spielregeln oder Teilnahmebedingungen fungieren. Der Gedanke zur Partizipation entstand vor allem unter dem Eindruck der breiten gesellschaftlichen Protest- und Reformbewegungen der 1960er Jahre in den USA, bei denen marginalisierte Gruppen in sämtlichen gesellschaftlichen Bereichen ihr Recht auf Gleichberechtigung, Repräsentation und Mitbestimmung einforderten.
PEACE IS POWER
Die 71 im Museum der bildenden Künste Leipzig gezeigten Arbeiten und Werkreihen hat Yoko Ono gemeinsam mit ihrem langjährigen Freund Jon Hendricks und Alfred Weidinger ausgewählt. In den Räumen des MdbK Leipzig findet die Werkschau die ideale Präsentationsfläche: Die minimalistische Sprache und die gewaltigen Volumina des von den Berliner Architekten Karl Hufnagel, Peter Pütz und Michael Rafaelian geplanten und 2004 eröffneten Museums bieten mit den für diese Ausstellung ausgewählten 15 Galerien, drei tageslichtdurchfluteten Terrassen, drei Innenhöfen auf insgesamt 3.750 m² den idealen Rahmen für Yoko Onos zutiefst beeindruckenden Werken.
Das Innerste, den Seelenausdruck, fremdweltlich und nach fremden Maßstäben bewerten zu lassen, bedeutet: sein pochendes Herz auf den Tisch zu legen und zuzulassen, dass andere mit dem Hammer draufschlagen. Als Künstler seine Große Sehnsucht zu leben heißt aber, weder Gott noch perfekt zu sein. Es heißt vielmehr: das Unerreichbare ernst zu nehmen, als Wegweiser. Und man braucht Mut – allen Mut seines je eigenen Künstlerseins, der wegweisenden Ahnung ins Zukünftige, Ungewisse, Offene zu folgen. Denn es ist ein Sich-Messen mit dem Absoluten und man ist immer der erste der diesen Weg geht.
Das Vertrauen in die Schöpfungskraft der Kunst ist tief in Yoko Ono verankert, wie auch ihr Glaube an die Kraft des menschlichen Geistes, der die Welt verändern kann.