Wolfgang Klähn

Wege des Lebens. Das komplexe Werk des Malers und Dichters.

Viel zu sehr sind wir es gewöhnt, die Wich­tig­keit von Kunst unse­rer Zeit ihrer Reso­nanz in der Öffent­lich­keit zu mes­sen. Gera­de weil der in Ham­burg leben­de Maler und Dich­ter Wolf­gang Klähn in den sie­ben Jahr­zehn­ten sei­nes Wir­kens einen viel­fäl­ti­gen und hoch­qua­li­fi­zier­ten Wider­hall im Kunst­be­trieb gefun­den hat, taugt er als Bei­spiel dafür, dass es dar­um nicht gehen kann. Denn er hat sich die­sem Betrieb zu Guns­ten der Ent­wick­lung sei­nes kom­ple­xen Wer­kes auch ent­zo­gen, indem er schon früh die Ange­bo­te bedeu­ten­der Kunst­händ­ler kapp­te, auf die Her­stel­lung von Druck­gra­phik ver­zich­te­te und ganz auf die Netz­wer­ke ihm ver­bun­de­ner Kunst­his­to­ri­ker aus Muse­en und Uni­ver­si­tä­ten und die von die­sen ver­mit­tel­ten Samm­ler setz­te. Sein Ent­de­cker Mar­tin Gose­bruch konn­te in Über­ein­stim­mung mit Hans Sedl­mayr sagen: „Kunst ist Zen­trum oder sie lohnt des Auf­he­bens nicht.“ Damit sind wir dazu auf­ge­for­dert, die­ses Zen­trum da aus­zu­lo­ten, wo wir es ver­mu­ten, um sei­ner gewiss zu werden.

Klähn, des­sen 90. Geburts­tag in die­sem Jahr mit der Ver­ga­be des mit € 7.500,- dotier­ten Wolf­gang-Klähn-Prei­ses. Kunst­preis des Ham­bur­ger Hand­werks an den Ber­li­ner Maler Chris­to­pher Lehm­pfuhl sowie Aus­stel­lun­gen in Nord­deutsch­land (Pin­ne­berg, Dros­tei 26.5. bis 7.7., Keitum/Sylt, Muse­um bis Ostern 2020) gefei­ert wird, gehört zu der Gene­ra­ti­on, die im Natio­nal­so­zia­lis­mus auf­wuchs, ohne die Mög­lich­keit einer Begeg­nung mit moder­ner Kunst zu haben. Die nach dem Krieg durch­ge­führ­ten Aus­stel­lun­gen von Künst­lern wie Chagall, Picas­so, Klee haben ihm sofort tie­fen Ein­druck gemacht. Die Ansicht des Bahn­hofs von Tor­nesch (1952) zeigt die­ses Poten­ti­al der Klas­si­schen Moder­ne in den kan­ti­gen For­men und küh­nen, leuch­ten­den Far­ben. Das Gegen­über von Baum, Bahn­hofs­uhr und Archi­tek­tur wird von einem Him­mel über­spannt, der Neu­es ankün­digt. Hef­ti­ge Drei­ecke und ein wie von Paul Klee gesand­ter Pfeil bezeich­nen den Raum und wir­ken auf das Gestirn ein.

Das Bild Raum als Glei­ches wie Raum zur Zeit (1953) lässt schon den Dich­ter erken­nen, des­sen Bil­der­ti­tel eige­ne Schöp­fun­gen sind. Wie eine mathe­ma­ti­sche For­mel klingt das und ent­behrt doch nicht der poe­ti­schen Schwin­gung. Die voll­ende­te Abs­trak­ti­on des Bil­des geht mit einer voll­kom­me­nen Musi­ka­li­tät der For­men ein­her, wel­che inein­an­der grei­fen und ein­an­der durch­drin­gen. Bis ins Kleins­te ist alles durch­rhyth­mi­siert, teil­wei­se ohne Pin­sel mit den Fin­gern gemalt. Dem The­ma des Leben­di­gen und sei­ner gründ­li­chen Erfor­schung hat­te sich der Künst­ler früh gestellt. Von der ein­fachs­ten Ein­heit, der bio­lo­gi­schen Zel­le ging er aus und ließ aus die­ser Ein­heit über ein Wachs­tum eine Evo­lu­ti­on ent­ste­hen, wel­che For­men der Natur nie wie­der­holt, son­dern ihre Geset­ze in neu­en For­men bringt.

In Wege des Lebens (1954) wird deut­lich, dass es nach den Zell­struk­tu­ren pflanz­li­ches Wach­sen gibt. Man macht die Ele­men­te Chlo­ro­phyll, Erde, Was­ser und Luft aus. Ein gewal­ti­ger Berg aus dun­kel­blau­en For­men kul­mi­niert in einer Spit­ze, doch wird sein Umriss immer wie­der durch­bro­chen und man möch­te an einer Stel­le an die Kraft des Gras­halms den­ken, der eine Asphalt­de­cke auf­spren­gen kann. Die Weich­heit und flüs­si­ge Geschmei­dig­keit die­ser durch­weg erfun­de­nen For­men ent­behrt dabei nicht einer ele­men­ta­ren Kraft. Für die inno­va­ti­ve Kunst, die sich in die­ser Zeit ganz auf abs­trak­te Flä­chen und ästhe­ti­sche Rei­ze gewor­fen hat­te, ist dies, recht ver­stan­den, etwas Neu­es, das man ein­mal als bahn­bre­chend wie die Erfin­dung des Kubis­mus anse­hen wird.

Wolf­gang Klähn, Foto Ulrich Mack, Hamburg

Das hef­ti­ge Ele­ment soll­te leib­haft in Klähns Bil­der ein­drin­gen, und als das Ziel die­ser Evo­lu­ti­on in Bil­dern wird bald die mensch­li­che Figur erkenn­bar. Lebens Tanz und Stie­res Bewe­gen (1954) über­rascht schon mit der mehr­fach auf­ge­ru­fe­nen Men­schen­fi­gur und dem sich her­über wer­fen­den Stier.

Nir­gends in der Zeit von Infor­mel und Tachis­mus ist die oft gefor­der­te mensch­li­che Figur so orga­nisch aus der unge­gen­ständ­li­chen Welt her­aus­ge­wach­sen. Bei die­sem Bild von archai­schem Cha­rak­ter möch­te man an kul­ti­sche Tän­ze in Afri­ka denken.

Die soge­nann­te moder­ne Kunst, gele­gent­lich auch „Avant­gar­de“ genannt, hat­te sich mit dem Auf­wei­sen von Struk­tu­ren abge­ge­ben und sich von der leben­di­gen Natur ent­fernt. Die­se schien über­wun­den und Sache der ver­gan­ge­nen Kunst zu sein. In den sym­bo­li­schen Figu­ren­kom­po­si­tio­nen Beck­manns, den auf­glü­hen­den Land­schaf­ten Nol­des, den spit­zi­gen Figu­ren­bil­dern der Brü­cke-Künst­ler und nicht zuletzt im über­aus vita­len Werk Picas­sos wur­de das The­ma der Natur ein letz­tes Mal aus­ge­führt. Dann kam um 1950, der Zeit des Auf­tre­tens Klähns, eine Pau­se, die mit Vor­stel­lun­gen von neu­en Bewusst­seins­ebe­nen, vom Geis­ti­gen und Kos­mi­schen, das in der rein unge­gen­ständ­li­chen Kunst lie­ge, gefüllt wur­de. Klähns Anfän­ge kann man durch­aus aus Kan­din­sky und Klee her­lei­ten und sei­nen frü­hen Bil­dern eine gewis­se Nähe zu Pol­lock anse­hen. Den ent­schei­den­den Unter­schied macht das beherzt und kennt­nis­reich auf­ge­grif­fe­ne Natur­the­ma, das er in neu­er Bild­spra­che zu strah­len­den und geheim­nis­vol­len Wer­ken führt.

Die­se über­ra­schen immer wie­der durch ganz neue Kon­zep­tio­nen. In dem dun­kel leuch­ten­den Bild Früch­te Ent­stie­ge­nes (1954, 1960) wird eine Gesamt­na­tur gezeigt, wel­che zwar Figu­ren, einen klei­nen Stier und zwei gro­ße Gesich­ter zeigt, doch dies alles in eine pflanz­li­che Ord­nung fügt. Die Figu­ren sind ein­zeln oder als Paar auf hül­len­de Scha­len bezo­gen, die in den Raum agie­ren. Zu der Fül­le der Ein­zel­er­fin­dun­gen und dem Glanz der Far­ben­er­schei­nung gehört ein Ernst im Aus­druck der Gesich­ter, der jeden Gedan­ken an einen luxu­rö­sen Prunk verdrängt.

Ernst bei höchs­ter Pracht ist auch das auf Gold­grund gemal­te Oster­bild (1958/60), das die christ­li­che The­ma­tik umsetzt. Hän­de und Arme wer­den aus­ge­reckt, um Schmerz aus­zu­drü­cken oder Schutz zu gewäh­ren. Ein Gesche­hen vol­ler Erre­gung, beglei­tet vom geheim­nis­vol­len Rau­nen eines Königs, spielt um den Auf­er­ste­hen­den, der gera­de das qual­vol­le Reich des Todes ver­las­sen hat und davon gezeich­net ist. Die Bil­der erfor­dern ein gründ­li­ches Betrach­ten, ja gera­de­zu ein Lesen, das die Gebär­den­spra­che, die Ver­knüp­fun­gen und Kon­fi­gu­ra­tio­nen deu­ten hilft – gewiss unge­wohn­te Vor­gän­ge im Umgang mit Gegen­warts­kunst, die ent­we­der rein deko­ra­tiv oder in ihrer Reduk­ti­on all­zu knapp daherkommt.

Noch war von der Male­rei nicht die Rede. Erstaun­li­cher­wei­se hat sich Klähn früh von der Ölma­le­rei ver­ab­schie­det und sei­ne Kunst nahe­zu aus­schließ­lich in Was­ser­far­ben aus­ge­führt. Damit ist sein unge­stü­mes Tem­pe­ra­ment ein hohes Risi­ko ein­ge­gan­gen, denn die Aqua­rell­tech­nik ver­bie­tet fast jede Kor­rek­tur. Die lasie­rend über ein­an­der geleg­ten Far­ben erzeu­gen die­se zau­ber­haf­te Leucht­kraft und die nach Jahr­zehn­ten nicht nach­las­sen­de Far­ben­fri­sche, könn­ten sich aber auch leicht zu einem dunk­len Brei addie­ren. Sol­chem Absturz zu ent­ge­hen, bie­tet der Maler alle Dis­zi­plin und Über­le­gung auf, die ihn sein Feu­er ein­zu­he­gen und zugleich zu ent­fal­ten anhält. Muse­en wie die Kunst­hal­le zu Kiel ver­zeich­nen sei­ne auf Papier oder Kar­ton gemal­ten Aqua­rel­le zu Recht als Gemäl­de, denn sie sind dem leicht­fü­ßi­gen Bereich des Aqua­rells ent­wach­sen und haben damit hand­werk­li­ches Neu­land erschlos­sen. Edu­ard Barg­heer, der bekann­te, zum Aqua­rell „Du“ zu sagen und zum Ölge­mäl­de „Sie“, hat die Was­ser­far­ben­bil­der Klähns selbst­ver­ständ­lich gesiezt.

In die­sem Bei­trag ist die Ent­wick­lung der Kunst Klähns am Bei­spiel weni­ger frü­her Bil­der auf­ge­zeigt wor­den. Spä­te­re, teil­wei­se archi­tek­tur­be­zo­ge­ne und reli­giö­se Wer­ke (dar­un­ter Madon­na, Kreuz­ab­nah­me, Auf­er­ste­hung, Jona, Noah, Pau­lus) müs­sen bei ande­rer Gele­gen­heit vor­ge­stellt oder in Publi­ka­tio­nen auf­ge­sucht wer­den (www.wolfgang-klaehn.de). Zusam­men­fas­send lässt sich sagen, dass Klähn den Kreis­lauf des gött­lich gestif­te­ten Lebens dar­stellt, der vom Auf­bre­chen des Keims über das Auf­wach­sen, Blü­hen, Frucht Aus­bil­den zum Her­ab­fal­len der Frucht und dem Aus­schüt­ten neu­er Samen reicht. Einen Kreis­lauf schil­dert er auch in sei­nen Land­schaf­ten von der Insel Sylt, wel­che den Zusam­men­hang von aus­düns­ten­dem Meer, den Gewal­ten des Him­mels und frucht­ba­rem Land auf­zei­gen. Eige­ne Schaf­fens­be­rei­che gel­ten der Welt Dan­tes in Feder­zeich­nun­gen sowie The­men der Bibel in spon­ta­nen Pin­sel- und Federzeichnungen.

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Geboren 1953 in Braunschweig. Studium der Kunstgeschichte in Würzburg, München und Braunschweig. Forschungen und Publikationen zur Architektur und Skulptur des Mittelalters in Frankreich, Italien und Deutschland sowie zu Kunst, Fotografie und Kunsthandwerk des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart. Seit 1986 am Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf in Schleswig. Kommissarischer Direktor 2009 und 2011 - 2013.

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