EIN BESUCH IM ATELIER VON KLAUS MOSETTIG
Die Eindeutigkeit ist Klaus Mosettig fremd. Das ist nur eine von vielen Erkenntnissen, die wir erlangen, als wir den Künstler in seinem Atelier in der Zacherlfabrik in Wien besuchen. In dem ab 1888 nach einem Entwurf von Hugo Wiedenfeld von Karl Mayreder errichteten Gebäude befand sich ursprünglich eine Mottenmittelfabrik. Hier kann Mosettig in einem großzügigen lichtdurchfluteten Raum mit hoher Decke und Blick auf den Garten zurückgezogen arbeiten. Betritt man das Atelier, taucht man in eine Welt der endlosen Grautöne, die uns neugierig machen.
Das Motiv ist letztlich egal. Durch die Übertragung in diese Schraffuren bekommt auch eine Kinderzeichnung diese Präzision, die sie zu einer starken formalen Aussage macht, selbst wenn diese im ursprünglichen Motiv nicht vorhanden ist.
Mosettig hat Bildhauerei in der Klasse von Bruno Gironcoli studiert. Nicht, weil er Bildhauer werden wollte, sondern weil er diese Klasse am Spannendsten fand. Im Studium hat sich der Künstler nicht mit klassischer Bildhauerei beschäftigt, sondern vorwiegend mit 16mm Film. »Ich habe versucht das Räumliche der Skulptur durch das Zeitliche des Films zu ersetzen«, erklärt er uns. Mosettigs Gedanken drehten sich schon früh um Zeitlichkeit. Nach dem Studium hat er sie in seinen Arbeiten mit der Natur verbunden. Das Kultivieren von Apfelbäumen, die nach diversen Themen geformt wurden, stand im Zentrum. Jeder Ast trägt eine eigene Sorte. Jeder Baum hatte sein Thema. Mosettig bezieht sich in diesen Arbeiten auf sozialutopische Ansätze von Charles Fourier. Er schuf sogenannte »Communities« von Sorten, die thematisch verbunden waren und langsam heranwuchsen. Es ging eben auch hier um die Zeit, denn durch den Wachstumsprozess und die Pflege konnte sich die »Holzplastik« über die Zeit entwickeln. »Es waren zwar immer die gleichen Skulpturen, aber trotzdem haben sie anders ausgesehen, je nach Jahreszeit beispielsweise konnte der Baum blühen, Blätter tragen oder eben nur aus Geäst bestehen.« Dokumentiert hat Mosettig diesen Prozess durch regelmäßige lineare Zeichnungen, um die Entwicklung fest-zuhalten. Fast 10 Jahre war das seine Hauptarbeit. Während dieser Zeit hat er auch einen lebendigen Ameisenhaufen in einen Plexiglaswürfel gehüllt. Die Skulptur hat sich durch die Aktivität der Ameisen ständig verändert. Der Künstler baute auf seine »Mitarbeiter«: Apfelbäume und Ameisen.
Schließlich entschied sich Mosettig zu einem radikalen Schritt. Er widmete sich quasi ausschließlich der Zeichnung. Zeuge dieses Übergangs zur Zeichnung ist die Serie der Kuhfladen. Aus seiner Sicht glichen die Arbeiten einer Verweigerungszeichnung. Es gab keine Linie mehr, es gab nur mehr Schraffur. Der Diaprojektor wurde zu seinem zentralen Arbeitsobjekt. »Ich ersetzte das Naturstudium durch die Projektion. Eine radikale Umkehr der Mittel, die somit auch im Dialog mit-einander stehen«, sagt Mosettig.
In einem nächsten Schritt entstand die Zeichnung einer großen Jackson Pollock Arbeit. Mosettig hat sich entschlossen, Kunst zu zeichnen. Wie es für Andere Bäume oder Menschen sind, so sind für mich Kunst-werke Motive. Das ist das Spannungsfeld. Wenn ich abstrakte Kunst zeichne, ist dieser Vorgang dem Grunde nach eine naturalistische Zeichnung. Es geht um diese Wechselwirkung.« Pollock war der Auftakt und es fand sich ein Gegensatzpaar. Pollock schüttet auf den Boden, die Arbeiten entstehen in schnellen Bewegungsabläufen. Klaus Mosettig schraffiert an großen Formaten auch bis zu drei Monate. Auch das ist eine Reibungsfläche, aber genau darum geht es dem Künstler.
So hat jede Serie die nächste ergeben. »Einmal ist eine Serie eine Erweiterung, das nächste Mal eine Infragestellung, dann ein Kommentar.« Die Zeichnungen auf Basis der Motive der Werke von Josef Albers folgten auf die Pollock Serie. In Albers Werk geht es nur um Farbe, die Form ist nicht ausschlaggebend. Seine Farbquadrate sind angelegt wie der Blick durch ein Fenster. Das, worum es Albers geht, also die Farbe, entzieht Mosettig ihm kurzerhand. »Ich mache daraus diese grauen Bilder. Das war mitunter die schwierigste Serie, weil ich sehr große homogene Flächen schraffieren musste, die erst in mehreren Schichten ganz harter Bleistifte entstanden. Und man kann es sehen, im Laufe der Serie sind diese Flächen immer homogener geworden.« Durch die Verbesserung der Technik dauert auch die Fertigstellung einer Zeichnung immer länger. »Alle Sammler finden es beeindruckend, dass ich so lange an Serien arbeite, aber sie sind auch gierig auf das Neue. Das ist ein schmaler Grat zwischen Frustration und Neugier.«
Die Kunst wird also zum Motiv, so auch die Kinderzeichnungen seiner Tochter. »Das Motiv ist letztlich egal. Durch die Übertragung in die-se Schraffuren bekommt auch eine Kinderzeichnung diese Präzision, die sie zu einer starken formalen Aussage macht, selbst wenn diese im ursprünglichen Motiv nicht vorhanden ist.« Eine Eltern-Kind- Beziehung ist so angelegt, dass die Eltern dem Kind etwas vorgeben. Klaus Mosettig hat dieses Prinzip umgedreht. »Meine Tochter gibt mir vor, was ich zeichne, ich richte mich nach ihr.« Aber egal wie inhaltlich aufgeladen seine Zeichnungen auch sind, »am Ende ist es eine Zeichnung. Am Ende ist es ein Blatt mit Schraffur und das muss gut sein«, unterstreicht der Künstler.
Klaus Mosettig sieht nicht was er zeichnet, er will es ganz bewusst nicht wissen, sondern nur Lichtwerte in Grautöne übersetzen. »Denn wenn ich wüsste, ich zeichne ein Auge, dann würde ich beginnen das zu akzentuieren. Wenn ich es nicht weiß, übertrage ich nur das, was ich sehe.« Sein Werk ist folglich dann beendet, wenn er rechts unten am Bildrand angekommen ist.
Im Atelier steht die Serie The David Plates, die in einer Ausstellung im Kunsthistorischen Museum in Wien zu sehen war. Es handelt sich um die Schraffur der Röntgenaufnahmen von Caravaggios David. »Ich wollte immer schon ein Röntgen zeichnen, ich habe das gesehen und das war perfekt für mich. Auch hier ist es die Zeitlichkeit. Für mich sind alle meine Zeichnungen wie Abschnitte meines Lebens. Es wächst, es baut sich auf über Wochen und Monate. Die Zeichnung hat diese Zeit in sich. Röntgen arbeitet mit Licht, das ich nicht verstehe. Es ist mir ein Rätsel, wie das Röntgen funktioniert. Ich weiß nur, dass sich durch dieses Licht alle zeitlichen Ebenen des Objekts auf eine Ebene reduzieren«, erklärt Mosettig. Es ist nachvollziehbar, das Prinzip eines Röntgenbildes fügt sich in die Arbeitsweise des Künstlers ein. In den Werken The David Plates sieht man hauptsächlich das mittelmäßige noch anonyme Gemälde, das unter dem David liegt, man sieht die Risse, die Restaurationsspuren, die Verfallsgeschichte, alle diese Ebenen werden in einer Bildebene verdichtet.
Manchmal wirft sich Klaus Mosettig auch über sich selbst. »Ich schmiere auf meinen Diarahmen herum und dadurch entstehen Motive. Diese sind selbst nicht ästhetisch interessant, sie werden es erst durch die Übertragung.« Genau so entsteht seine aktuelle Serie Typeface Corona. Angelehnt an das Thema, gibt es hier nur Schwarz oder Weiß. Der Künstler muss sich also für eines von beiden entscheiden, es gibt keine Grautöne. Mosettig arbeitet in dieser Serie auch mit Text, der ebenfalls schraffiert ist. Die Schriftart, die er verwendet, heißt Corona. Und wieder trifft er keine ästhetische Entscheidung, sondern wählt den Schrifttyp aufgrund seines Namens. Jede Woche produziert Mosettig eine Zeichnung. »Es ist wie ein Tagebuch dieser Zeit.«
Das Schöne an Mosettigs Arbeitsweise ist, dass er sich am Entstehungsprozess erfreut und selbst immer wieder Momente des Erstaunens erlebt. »Das erste Blatt einer Serie ist immer spannend, weil ich mir denke, dass das nicht funktionieren wird. Du hast keine Ahnung, was das wird und du weißt nicht, was entsteht.« Und dennoch ist die Motivwahl ein jahrelanger Prozess. Die inhaltliche Entwicklung und diese unermüdliche Schärfung werden nie zu Ende sein. »Die Technik wird immer feiner. Die Auflösung immer schärfer. Es gibt keine Linie, es gibt nur Schraffur.« Es geht dem Künstler um die Reduktion und in dieser Reduktion zugunsten der Präzision liegt die Einzigartigkeit.
Im Atelier hängt ein großes Werk aus der Serie Handwriting. Das Motiv ist die Oberfläche eines Tisches, der auf der Insel Leros eingesetzt wurde, um Geflüchteten die Fingerabrücke abzunehmen. Es sieht aus wie ein Gemälde, man könnte glauben von einem amerikanischen informellen Künstler, und in Wirklichkeit ist es »nur« ein Tisch. »Das Motiv ist zweitrangig. Ich habe in einer Serie auch nur den leeren Projektor verwendet, die Staubpartikel darauf schraffiert und es ist genauso ein interessantes Werk. Das ist eine leere Projektion von Licht, es ist nichts da, aber trotzdem viel Energie und der Betrachter kann es als Projektionsfläche verwenden, kann sich die Zeit nehmen ins Nichts zu schauen.«
Es scheint der Versuch zu sein, die Kunst auf den Nullpunkt zu reduzieren, um zu entdecken, dass da immer noch so viel ist. Mosettigs Arbeit soll nie eindeutig sein. Sie muss auf verschiedenen Ebenen funktionieren: »Eine Eindeutigkeit ist mir fremd.«
Der Artikel ist in der Printausgabe collector’s choice edition SAMMLUNG HAINZ im Mai 2021 erschienen.