Eine venezianische Villa in den Hügeln von Asolo

(…)und den­noch über herr­schaft­li­che Land­häu­ser oder Vil­len eine star­ke Fas­zi­na­ti­on auf uns aus, da sie über die Jahr­hun­der­te hin­weg zur Ver­kör­pe­rung der Stand­punk­te und Ideen ver­schie­de­ner Kul­tu­ren zu Bezie­hung zwi­schen Stadt und Land, Natur und vom Men­schen geform­ter Land­schaft, dem For­mel­len und dem Infor­mel­len gewor­den sind. Die Vil­la ver­leiht den uni­ver­sel­len Fra­gen der Mensch­heit Form“. Dies ist ein Aus­zug aus einem Text, den James S. Acker­man für den Kata­log zur 2005 vom Cen­tro Inter­na­zio­na­le di Stu­di di Archi­tet­tu­ra Andrea Pal­la­dio in Zusam­men­ar­beit mit dem Roy­al Insti­tu­te of Bri­tish Archi­tects (RIBA) in Vicen­za abge­hal­te­nen Aus­stel­lung Andrea Pal­la­dio e la vil­la Vene­ta da Petrar­ca a Car­lo Scar­pa ver­fasst hat.

Bei der Ver­an­stal­tung han­del­te es sich nicht ledig­lich um eine Aus­stel­lung zur Vil­la Vene­ta als eine in die Archi­tek­tur­ge­schich­te ein­ge­gan­ge­ne fes­te Form, son­dern viel­mehr um eine Stu­die der Vil­la als leben­der Orga­nis­mus, der Jahr­hun­der­te über­lebt hat und gewis­ser­ma­ßen ein Sinn­bild gesell­schaft­li­cher Ver­än­de­run­gen ist, die ihrer­seits wie­der von den Auf­trag­ge­bern und ihren Archi­tek­ten ver­kör­pert wurden.

Die Geschich­te hat uns ein Kon­zept der Vil­la als aus archi­tek­to­ni­scher Sicht epo­chen­ty­pi­sches, in die Natur ein­ge­bet­te­tes herr­schaft­li­ches Land­haus vermittelt. 

Natur und Archi­tek­tur sind seit jeher Teil eines Gan­zen in der Defi­ni­ti­on des­sen, was wir als „Land­schaft“ ver­ste­hen – dies trifft beson­ders auf die his­to­ri­sche Ent­wick­lung der Vil­la Vene­ta zu, deren cha­rak­te­ris­ti­sche Merk­ma­le über die Zeit uns heu­te immer noch begeg­nen: Die for­mel­le und visu­el­le Bezie­hung zur umlie­gen­den Land­schaft, unab­hän­gig davon, ob die­se eben oder hüge­lig ist, die Art der Aus­rich­tung und die so gewähr­te Aus­sicht auf die Umge­bung, der monu­men­ta­le Cha­rak­ter der Arbeit, das ein­ge­setz­te Bau­ma­te­ri­al und­vie­les mehr. Alle­samt sind Pla­nungs­lö­sun­gen, die kon­zep­tu­ell ähn­lich aber sti­lis­tisch für ihre Zeit typisch sind. Eine moder­ne Vil­la soll­te, wie auch in der Ver­gan­gen­heit, etwas über uns selbst, die Archi­tek­ten und ihre Auf­trag­ge­ber aus­sa­gen, die gemein­sam am Land ein idea­les archi­tek­to­ni­sches Modell für das Leben suchen.

Im Her­zen des Vene­to zwi­schen Dolo­mi­ten und Adria liegt ein ein­zig­ar­ti­ges Gebiet, das im Nor­den vom Fluss Pia­ve und im Süden vom Fluss Bren­ta begrenzt wird: Die Mar­ca di Tre­vi­so ist eben­so alt wie wun­der­schön und wur­de bereits um 1200 als „mar­ca gio­io­sa et amo­ro­sa“ (ein fröh­li­ches und lieb­li­ches Gebiet) beschrie­ben. Die alte Mar­ca ent­spricht mehr oder weni­ger der heu­ti­gen Pro­vinz Tre­vi­so und wur­de im Zuge des bedeu­ten­den wirt­schaft­li­chen Wachs­tums der ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­te durch den Bau zahl­rei­cher, mög­li­cher­wei­se zu vie­ler, Hand­werks- und Gewer­be­ge­bie­te land­schaft­lich stark ver­än­dert. Den­noch behaup­tet sich in gera­de­zu roman­ti­scher Beharr­lich­keit die Schön­heit in klei­nen, alten Ört­chen, die selbst kunst­ver­stän­digs­te Rei­sen­de noch zu über­ra­schen ver­mö­gen. Hier lie­gen zahl­rei­che Dör­fer und Städt­chen ein­ge­bet­tet in die außer­ge­wöhn­li­che Hügel­land­schaft mit ihren Oli­ven­bäu­men und Wein­ber­gen, die von einem ein­zig­ar­ti­gen Mikro­kli­ma pro­fi­tie­ren: Das Grap­pa­mas­siv schützt das Gebiet vor den kal­ten Win­den aus den Dolo­mi­ten und der Mon­te Grap­pa selbst gibt mit sei­nem schnee­be­deck­ten Gip­fel jenes beson­de­re Licht, das die Wer­ke von Gior­gio­ne di Cas­tel­fran­co Vene­to und Cima di Cone­glia­no aus­zeich­net. Vor die­sem herr­li­chen Hin­ter­grund ent­stand ein beson­de­res Archi­tek­tur­pro­jekt: Ein ver­las­se­ner Hügel wur­de wie­der­be­lebt, und Vil­la und Hang ver­schmel­zen durch den Ein­satz von For­men und umwelt­freund­li­che Mate­ria­li­en, die sich aus­ge­zeich­net in die Umge­bung einfügen.

Durch die Aus­rich­tung nach den Kon­tu­ren des Hügels erhielt das Gebäu­de eine sym­me­tri­sche Fächer­form, die durch ihre Dre­hung sich stän­dig ändern­de Blick­win­kel auf die Umge­bung eröff­net. Die Vil­la hat zwei Eta­gen, die bei­de teil­wei­se in den Hügel gebaut wur­den und deren obe­re nach hin­ten ver­setzt ist und so der Linie des Hügels folgt. Die Fas­sa­de weist auf bei­den Ebe­nen eine Nei­gung auf, die eben­falls jener des Hügels folgt. Das Ergeb­nis ist, dass die Vil­la unab­hän­gig vom Blick­punkt stets mit ihrer Umge­bung ver­schmilzt und das Auge ohne Unter­bre­chung der Linie des Hügels fol­gen kann.

Der Grund­riss eröff­net drei Berei­che: Ein groß­zü­gi­ger zen­tra­ler Bereich mit teil­wei­se dop­pel­ter Höhe wird sym­me­trisch von zwei wei­te­ren Zonen flan­kiert. Dies ist eine der heu­ti­gen Zeit und dem spe­ziel­mo­to­len Stand­ort ange­pass­te Hom­mage an die klas­si­sche Vil­la von Andrea Pal­la­dio. Für den Betrach­ter gehen das Dach des Erd­ge­schos­ses und die Land­schaft inein­an­der über, da der Bereich aus zwei gro­ßen, von einer Glas­struk­tur getrenn­ten Ter­ras­sen besteht. Das Dach des Ober­ge­schos­ses ist mit dem­sel­ben Gras bepflanzt, das auf dem Hügel wächst, und geht damit naht­los in die­sen über. Die Vor­der­sei­te des Gebäu­des wird von vier gro­ßen Holz­bal­ken domi­niert, die senk­recht aus dem Boden auf­stei­gen und in die Linie des Dachs über­ge­hen. Sie tei­len die Vor­der­an­sicht sym­me­trisch auf, umrah­men den Ein­gang und ver­wei­sen so wie­der auf das tra­di­tio­nel­le Modell der klas­si­schen Vil­la mit einem soli­den, drei­di­men­sio­na­len Block, an dem die Fas­sa­de ange­bracht wird (Pal­la­dio wür­dig­te mit die­ser Tech­nik die klas­si­schen Tem­pel der Anti­ke). Aus seit­li­cher Sicht wird klar, dass die Bal­ken als Trä­ger für die Holz­plat­te die­nen, wel­che die Decke des offe­nen Raums im Erd­ge­schoss bil­det. Die Holz­ele­men­te bestehen aus belast­ba­rem Brett­schicht­holz, das von einem Hohl­raum zur unsicht­ba­ren Unter­brin­gung der Abfluss­roh­re sowie der Trä­ger­ele­men­te für die Außen­ver­klei­dung aus wär­me­be­han­del­ter Esche umge­ben ist.

Im Geis­te einer bei­na­he ver­ges­se­nen uralten Bau­tra­di­ti­on stammt der ein­ge­setz­te Stein aus den Fels­bro­cken, die beim Bau des Fun­da­ments aus dem Hügel gebro­chen wur­den. In der alten Kunst von Mar­mor­schnitt und ‑ver­ar­bei­tung gewand­te Stein­met­ze aus dem Grap­pa­ge­biet form­ten mit Hil­fe von Was­ser­sä­gen die gold­far­be­nen Blö­cke aus uraltem Glet­scher­se­di­ment. So ent­stan­den Stein­ele­men­te ver­schie­de­ner Grö­ße, die anschlie­ßend hän­disch bear­bei­tet wur­den, um die raue, iri­sie­ren­de Ober­flä­che zu schaf­fen, die innen wie außen die Wän­de der Vil­la ziert. Die Vor­der­sei­te der Vil­la ist mit vier motor­be­trie­be­nen Fens­tern aus Stahl und Glas in vol­ler Höhe aus­ge­stat­tet, die den­sel­ben Nei­gungs­win­kel wie die Fas­sa­de auf­wei­sen. Die­se Lösung ist das Ergeb­nis eines beson­de­ren Pro­jekts des Archi­tek­ten und kom­ple­xer Fer­ti­gungs­ver­fah­ren eines Zusam­men­schlus­ses bekann­ter Fach­hand­wer­ker aus der Umgebung.

Im Ein­klang mit der Idee einer leben­di­gen Ver­bin­dung zu den klas­si­schen Land­häu­sern wur­de sym­me­trisch zwi­schen den bei­den mäch­ti­gen mitt­le­ren Bal­ken ein klar moder­ner ver­glas­ter Raum geschaf­fen. Zusam­men mit den boden­mon­tier­ten Glas­ele­men­ten sichert die­ser sich über zwei Geschos­se erstre­cken­de Bereich eine aus­rei­chen­de Durch­flu­tung des Erd­ge­schos­ses mit natür­li­chem Licht von oben. Die Struk­tur aus Glas und Stahl dient als Win­ter­gar­ten für die Pflan­zen, die ihren Som­mer auf den gro­ßen Ter­ras­sen im Schat­ten der höl­zer­nen Bri­se­sol­eils ver­brin­gen. Im Innen­be­reich fin­den sich wei­te­re Bei­spie­le von Exzel­lenz im loka­len Hand­werk: Sämt­li­chen Ver­zie­run­gen sind aus Stuc­co Vene­zia­no, einer vom bekann­ten ita­lie­ni­schen Archi­tek­ten Car­lo Scar­pa bevor­zug­ten Tech­nik, gefer­tigt. Die maß­ge­fer­tig­ten Ein­rich­tungs­lö­sun­gen im Innen­be­reich stam­men von einer Tisch­le­rei aus der Umge­bung, wäh­rend die Trep­pen und Gelän­der aus Stahl und Holz in einer Fach­werk­statt ange­fer­tigt wurden.

Das Gebäu­de ent­spricht hin­sicht­lich sei­nes Ener­gie­ver­brauchs der Klas­se A, was neben den sorg­fäl­ti­gen Unter­su­chun­gen zur Wär­me­däm­mung des Gebäu­des auch dem zeit­ge­mä­ßen, offe­nen Gerä­te­haus mit sei­ner hoch­mo­der­nen dach­mon­tier­ten Pho­to­vol­ta­ik­an­la­ge zu ver­dan­ken ist. Das Gerä­te­haus wur­de eigens für die Unter­brin­gung der land­wirt­schaft­li­chen Maschi­nen und Gerä­te ent­wor­fen, die zur Pfle­ge des alten, einst ver­wil­der­ten Oli­ven­hains gebraucht wer­den. Die Wie­der­be­le­bung des Hains ist ein grund­le­gen­der Teil des Gesamt­pro­jekts, mit dem den Hügeln von Aso­lo ein Stück tra­di­tio­nel­ler Land­schaft zurück­ge­ge­ben wer­den soll.

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ist eine italienische Architektin und Mitglied des Architects Registration Board UK (ARB) sowie des Royal Institute of British Architects (RIBA). Cattaneo ist auf zeitgenössische Projekte und deren Anpassung an ihre jeweilige natürliche und kulturelle Umgebung spezialisiert. Seit Kurzem arbeitet sie an Infrastrukturprojekten in der Landschaftsgestaltung nach den Prinzipien der Smart City. Sie ist diplomierte Flötistin mit Abschluss am Conservatorio Venezze in Rovigo und hat ein technisches Diplom für Akustisches Design am Institut für Akustik der Fakultät für Design, Universität Ferrara (Italien), erlangt.

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