Ute Rakobs

Ikonen aus Abfall

Verdorr­te Natur, ros­ten­des Metall oder zer­schlis­se­ne Stoff­res­te und die The­men der Male­rin Ute Rakob, die sich der Bedeu­tung des Frag­ments, aber auch dem Wesen der Din­ge wid­met. Was an Kunst­theo­rie zum Vani­tas-Still­le­ben erin­nert, ist aber kri­ti­sche Posi­ti­on im Heu­te, eine Arbeit an der Meta­ma­le­rei und der Viel­deu­tig­keit in der zwei­ten Moder­ne. Mit Enthu­si­as­mus trans­for­miert sie Fund­stü­cke aus ihrem Archiv in schmerz­lich­schö­ne Alle­go­rien des Erinnerns.

Ute Rakob

Die Zufalls­fun­de wer­den nahe ihres Ate­liers in der Tos­ka­na und in Wien vom Boden auf­ge­le­sen. Der Abfall unse­rer Über­fluss­ge­sell­schaft an den Rän­dern der Zivi­li­sa­ti­on beinhal­tet auch Glas- und Kera­mik­scher­ben aus vie­len Jahr­hun­der­ten, ver­wit­ter­te Blech- und Plas­tik­tei­le aus dem 20. Jahr­hun­dert, zu bizar­ren For­men kor­ro­dier­te Eisen­tei­le und ver­brann­tes Holz. Ver­gäng­lich­keit längst abge­leg­ten Lebens wird in kost­ba­re Augen­bli­cke trans­for­miert und im halt­ba­ren Bild dau­er­haft „ein­ge­fro­ren“.

Rakob gelingt durch den vita­len schöp­fe­ri­schen Akt dem zer­stö­re­ri­schen Tod zu widerstehen. 

Auf drei Stein­plat­ten eines tos­ka­ni­schen Küchen­ka­mins ent­deck­te die Künst­le­rin auf­fäl­li­ge Spu­ren von Feu­er, Fett und Russ, die auf Bra­ten von Jagd­beu­te der vor­ma­li­gen Besit­zer zurück­ge­hen. Statt acht­los wei­ter dar­an vor­über­zu­ge­hen, ver­wan­del­te sie ihre Ent­de­ckung im Som­mer 2011/12 in das Tri­pty­chon „Alta­re degli Ani­ma­li“. Wie in Las­caux oder Alta­mi­ra tre­ten die unge­sühn­ten Jagd­op­fer nun aus ihrem Bild her­vor – Vögel, Hir­sche oder Füch­se woll­ten gebannt wer­den. Drei Tei­le ent­spre­chen dem frü­hen scha­ma­nis­ti­schen Kos­mos und der christ­li­chen Über­welt, Daseins­welt und Unter­welt. Zu „Feu­er­spu­ren“ (Trac­cia del fuo­co), „Reich der Geis­ter“ (Reg­no del­lo spi­ri­to) und „Vor­höl­le“ (Pur­ga­to­rio) kommt eine schma­le Pre­del­la als Abschluss, auf deren neu­tra­le Erd­far­be die Künst­le­rin ein Video pro­ji­ziert. Es lässt im lang­sa­men Loop die Schä­del von Klein­tie­ren, die sie im Wie­ner Natur­his­to­ri­schen Muse­um foto­gra­fier­te, als beweg­ten Fries vor­über­zie­hen. Rakob gelingt durch den vita­len schöp­fe­ri­schen Akt dem zer­stö­re­ri­schen Tod zu wider­ste­hen, sie erin­nert zwar an die Grau­sam­keit sinn­lo­sen Tötens in unse­rer Gesell­schaft, öff­net aber die Augen auf eine ande­re Ebe­ne, in der Rauch und Stil­le mehr bedeu­ten als das Mate­ri­el­le. Die Ver­bin­dung von Male­rei und vir­tu­el­lem Bild ist in die­ser Varia­ti­on, die Skulp­tu­ra­les zu Eph­eme­rem wan­delt, ein­ma­lig. Trompe‑l’oeil-Kunst erhebt sich über die Wis­sen­schaft, die den süh­ne­lo­sen Jagd­trieb am Weg der „Zivi­li­sa­ti­on“ recht­fer­tigt; denn Natur­zer­stö­rung kann nicht kul­ti­viert werden.

2007 ent­deck­te sie Res­te eines teils gebleich­ten roten Bro­kat­vor­hangs, der sich, acht­los weg­ge­wor­fen am Grund­stück eines ver­fal­le­nen Schlos­ses in der Tos­ka­na, durch Feuch­tig­keit und Mot­ten im Zustand der Auf­lö­sung befand. Sei­ne Siche­rung und Über­tra­gung in das Bil­d­oval „Die gro­ße Wun­de“ 2007/08 mach­te die Samm­le­rin und Archi­va­rin zur Theo­lo­gin, denn dem sorg­fäl­ti­gen Col­la­gie­ren des Fund­stücks als Reli­quie und Mal­be­helf auf eine Holz­ta­fel, folg­ten Schrit­te der male­ri­schen Aus­füh­rung. Von einer „Theo­lo­gie natu­rel­le“ in die „Pein­ture spi­ri­tu­el­le“ war die Annä­he­rung im ova­len Bild­feld auf mat­tem Grau ähn­lich den Stoff­fal­ten einer Pie­tà Rogier van der Wey­dens. Auch baro­cke Fal­ten­wirr­nis beschäf­tigt Rakob bis heu­te. Die Fund­form vom Stra­ßen­rand wird im Ate­lier in Art einer pri­va­ten Kunst- und Wun­der­kam­mer neben Klein­tier­ske­let­ten bewahrt. In die­sem Muse­um pri­va­ter Din­ge kommt jedes Fund­stück vor die Staf­fe­lei, wird ins Licht gerückt, genau in Augen­schein genom­men und oft in Bild­paa­ren und Seri­en umge­setzt. Der lan­ge Mal­pro­zess, dem neben der Per­fek­ti­on des Hand­werks Kon­zept wie Geis­tes­rei­se der Fan­ta­sie inne­wohnt, bewirkt eine „Pas­si­on der Din­ge“ – so die Künst­le­rin –, die acht­los Weg­ge­wor­fe­nes, Ver­wor­fe­nes, zu Iko­nen, Geset­zes­ta­feln, Welt­kar­ten, schwar­zen Son­nen oder Schwin­gen umwandelt.

Dem steht die Musik nahe, ins­be­son­de­re Oli­vi­er Mes­siaens musi­ka­li­sche Male­rei voll fran­zis­ka­ni­scher Mys­tik und Licht­spiel der Natur; mys­ti­sches Leuch­ten, Farb­ma­gie und die imi­tier­ten Vogel­stim­men bil­den eine Par­al­le­le zu Rakobs Inhal­ten. Die beson­de­re Vogel­be­ob­ach­tung mani­fes­tiert sich im groß­for­ma­ti­gen Gemäl­de „Nikes Schwin­ge“. Eine Nach­er­zäh­lung der Flü­gel der Nike von Samo­thra­ke 1998/99 mit hoff­nungs­vol­ler Erwar­tung des Men­schen selbst flie­gen zu kön­nen – doch spricht aus dem gebo­ge­nen Blech und sei­nem Knick, dass kein Sieg ohne Ver­bren­nung und Ver­let­zung mög­lich ist.

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geschrieben von

Dr.phil.mag.art, geb.21.9.1955 in Wien, Studium der Malerei und Grafik an der Angewandten, Kunstgeschichte, Archäologie und Byzantinistik an der Uni Wien. Dissertation 1987. Kunstwissenschaftlerin, Journalistin und Ausstellungskuratorin in Wien, München, Passau, Ulm, St. Pölten, Krems. Lehrtätigkeit an der Uni Wien, Akademie der bildenden Künste und seit 2007 am Max Reinhardt-Seminar, Wien. Art Critic Award 2007. Jury- und Beiratsmitglied für zahlreiche Institutionen und Museen. Seit 2009 im Aufsichtsrat des Kunsthistorischen Museums.

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