Überzeichnete Drolligkeit und zitierte Schwermut

Interview mit Florian Bühler

Self Por­trait with Tri­an­gu­lar Sand­wich, 2010, Oil on can­vas, 60 x 40 cm

Anläss­lich der Aus­stel­lung „Her­ren­witz und Kat­zen­tisch“ in Zürich haben wir Künst­ler Flo­ri­an Büh­ler kon­tak­tiert und zu einem Gespräch gela­den. Für uns gehört er als 1983 Gebo­re­ner zu jener Gene­ra­ti­on der Kunst­schaf­fen­den, die durch ihr Werk den Beginn einer neu­en nach­hal­ti­gen Qua­li­täts­ori­en­tie­rung im gesam­ten Kunst­be­trieb mar­kie­ren. „Was man macht, wiegt ja immer schwe­rer, als das, was man sagt“, meint Büh­ler im Gespräch mit uns. Die­sen Satz las­sen wir auf uns wir­ken, denn er ist von einer enor­men Aus­sa­ge­kraft, wie es auch die Bild­wel­ten Büh­lers sind.

Bereits wäh­rend sei­nes Stu­di­ums der Bil­den­den Kunst an der Zür­cher Hoch­schu­le der Küns­te und dem anschlie­ßen­den Tuto­rat für Male­rei­tech­nik wur­den sei­ne Wer­ke in Ein­zel- und Grup­pen­aus­stel­lun­gen gezeigt. Unmit­tel­bar nach sei­nem Abschluss 2009 erfolg­te die Auf­nah­me im Pro­gramm der Gale­rie KATZ CONTEMPORARY in Zürich. Dies war ein bedeu­ten­der Kar­rie­re­schritt. 2020, elf Jah­re spä­ter, wird er nach wie vor von der­sel­ben Gale­ris­tin Fré­dé­ri­que Hut­ter beglei­tet und konn­te sei­nen Samm­ler­kreis ste­tig erweitern.

Wer­ke von Flo­ri­an Büh­ler fin­den sich in renom­mier­ten Pri­vat- und musea­len Samm­lun­gen, wie bei­spiel­wei­se der Hort Coll­ec­tion in New York, der Samm­lung Kunst­haus Zürich, der Samm­lung Bank Juli­us Bär und vie­len mehr. Büh­lers Stil zeich­net sich durch eine Male­rei aus, die vor­gibt, rea­lis­tisch zu sein. Er bewegt sich inner­halb des Por­träts, des Still­le­bens und der Gen­re­ma­le­rei, wobei sich die ein­zel­nen Gat­tun­gen immer wie­der über­ein­an­der lagern. Die auf­wän­di­ge Arbeits­wei­se Büh­lers ist bemer­kens­wert: Etap­pen­wei­se legt der Künst­ler meh­re­re Farb­auf­trä­ge über­ein­an­der, bis sich die Schich­ten zur fer­ti­gen Ober­flä­che schließen.

Im Gespräch mit stay­in­art offen­bart Büh­ler sei­ne Fas­zi­na­ti­on für Kom­post, spricht über die „über­lan­ge“ Aus­ar­bei­tungs­pha­se sei­ner Bil­der und sein Inter­es­se für das Abgrün­di­ge am Menschen.

Wie erlebst du die­se Zeit des Social Distancing? Wor­über machst du dir Gedanken?

Als dis­kre­ter Ate­lier­ar­bei­ter habe ich die Struk­tu­ren von Home-Office bzw. Social Distancing gene­rell eta­bliert und bin von Iso­la­ti­ons­maß­nah­men wenig betrof­fen. Anders als Künst­ler, die auf eine Büh­ne mit Publi­kum davor ange­wie­sen sind, ist man als Maler mit sei­nen Gemäl­den unter dem Arm in der Pha­se der Prä­sen­ta­ti­on dann auch deut­lich fle­xi­bler. Wäh­rend eine wirt­schaft­lich unsi­che­re Lage auch für den Kunst­markt eine Her­aus­for­de­rung ist, bie­ten Zei­ten, in denen The­men wie Coro­na-Hoax und diver­se Ver­schwö­rungs­theo­rien in aller Mun­de sind, auch eine inter­es­san­te Atmo­sphä­re, in der sich mei­ne Bil­der recht wohl fühlen.

Deine Bil­der spie­geln eine hyper­rea­le Welt wider. Ober­fläch­lich betrach­tet scheint es Rea­li­tät zu sein, doch dann ist da doch viel mehr, als man im ers­ten Moment zu sehen glaubt. Wie ent­steht so ein Werk in dei­nem Ate­lier? Ent­steht das Bild schon in dei­nem Kopf oder ent­steht es im Malprozess?

Das fer­ti­ge Gemäl­de ist ein klas­si­scher Kom­pro­miss zwi­schen Kopf und Hand – der Moment, in dem ich ein Bild abschlie­ße, ist fast immer von äuße­ren Umstän­den beein­flusst. Dass ich mei­ne Ölbil­der meis­tens in meh­re­ren Schich­ten auf­baue, führt zu einer „über­lan­gen“ Aus­ar­bei­tungs­pha­se im Ver­hält­nis zum Ent­wurf des Bil­des, was einen gro­ßen Ein­fluss auf das Werk hat. Was man macht, wiegt ja immer schwe­rer, als das, was man sagt.

Es gibt nicht sehr vie­le Künstler*innen dei­ner Gene­ra­ti­on, die sich so stark mit klas­si­scher Male­rei aus­ein­an­der­set­zen. Wie kam es dazu, dass du die­sen Aus­druck gewählt hast?

Mei­ne Lei­den­schaft für die Male­rei ent­springt ursprüng­lich einem weit­ge­hend antiaka­de­mi­schen Affekt, den abzu­ar­bei­ten und zu ent­wi­ckeln mir im Rah­men mei­nes Stu­di­ums der bil­den­den Kunst an der ZHdK mög­lich war, an des­sen Ende ich eine eige­ne Bild­spra­che für mich ent­deckt hat­te. Ich schät­ze das Tem­po und die Laut­stär­ke, die die­sem etwas aus der Zeit gefal­le­nen Medi­um eigen sind.

Auch wenn wir tech­nisch von klas­si­scher Male­rei spre­chen, so ist dein Werk alles ande­re als klas­sisch. Gera­de so ein Still­le­ben, als eine Moment­auf­nah­me der Rea­li­tät, kann unheim­lich medi­ta­tiv sein. Bei dei­nen Bil­dern ist es anders: In die­ser medi­ta­ti­ven Pha­se erhebt sich plötz­lich ein inne­rer „Auf­schrei“ – „was ist das los?“. Und dann kommt die­se Span­nung auf. Ist die­ses Phä­no­men für dich als Künst­ler nachvollziehbar?

Natür­lich erle­be ich beim Betrach­ten von Bil­dern manch­mal Ähn­li­ches, sel­ber wür­de ich mei­nen Bil­dern auch kein medi­ta­ti­ves Poten­ti­al zutrau­en. Ich emp­fin­de sie als unmit­tel­bar kom­mu­ni­ka­tiv, was für mich auch Sinn macht, denn, selbst bei lang­wie­ri­ger Arbeit, bin ich nie in einem medi­ta­ti­ven oder gar rausch­haf­ten Zustand, son­dern stets in ange­reg­ter Betrieb­sam­keit. Oder anders aus­ge­drückt: Bei mir im Ate­lier gibt‘s Kaf­fee und Bier, nicht Tee und Absinth.

Es gibt in Zürich eine Aus­stel­lung von dir zu sehen. Die Pro­duk­ti­ons­zeit für ein Bild von dir ist ja bekannt­lich umfang­reich. Wie lan­ge hast du gear­bei­tet, um die Wer­ke für die­se Aus­stel­lung zu erschaffen?

In der kom­men­den Aus­stel­lung mit dem Titel „Her­ren­witz und Kat­zen­tisch“ zei­gen wir Bil­der, an denen ich seit 2017 gear­bei­tet habe und bis zu die­sem Anlass abschlie­ßen konn­te. Es han­delt sich um ca. 15 klein- bis mit­tel­for­ma­ti­ge Gemäl­de und eini­ge Helio­gra­vu­ren aus 2017.

Gibt es einen spe­zi­el­len Schwer­punkt bei die­ser Ausstellung?

Einen the­ma­ti­schen Schwer­punkt habe ich bei Ein­zel­aus­stel­lun­gen nie, viel­mehr führt die zeit­lich begrenz­te „Schaf­fens­pha­se” und die Aus­wahl der Bil­der zu einer Art inhalt­li­chem Rah­men. Durch die aktu­el­len Bil­der zieht sich ein Froh­sinn, der sich aus einer Mischung aus über­zeich­ne­ter Drol­lig­keit und zitier­ter Schwer­mut speist, stets bemüht, nicht zu sehr in eines davon zu kippen.

Die Wähe, 2020, Oil on can­vas, 50 x 70 cm
Le chat, 2020, Oil on can­vas, 32 x 41 cm

Die Rea­li­tät, die du in dei­nen Bil­dern erzeugst, for­dert den Betrach­ter. Spielst du mit die­sem Ele­ment oder spielt sich die Rea­li­tät genau­so in dei­nem Kopf ab?

Die Rea­li­tät in den Bil­dern ist Ergeb­nis eines gewis­sen Blicks auf die Din­ge, der sich dann im Gemäl­de mani­fes­tiert. Die­ser kann manch­mal durch­drin­gend und fast hyp­no­tisch, manch­mal auch sehr ober­fläch­lich oder intui­tiv sein. Die Zeit, die man dann in ein Bild hin­ein­gibt, wenn man ein biss­chen län­ger dar­an arbei­tet, zeigt sich bes­ten­falls in einer gewis­sen Dich­te und Intensität.

Deine Arbei­ten grei­fen viel­fach Gegen­stän­de des All­tags auf. Dar­un­ter auch oft Lebens­mit­tel, die auf den zwei­ten Blick skur­ril insze­niert erschei­nen. Ist es rich­tig, wenn wir das als Pro­vo­ka­ti­on interpretieren?

Natür­lich! Aller­dings nicht zum Kauf der dar­ge­stell­ten Pro­duk­te. Pro­vo­ka­ti­on im Wort­sinn ist ver­mut­lich das Ziel der meis­ten künst­le­ri­schen Äuße­run­gen, wovon jemand pro­vo­ziert ist, liegt dann gänz­lich beim Betrach­ter und ist dem Wan­del der Zeit aus­ge­setzt. Ich den­ke da zum Bei­spiel an die wun­der­ba­ren Wer­be­gra­fi­ken eines Niklaus Stöck­lin, die heu­te im Muse­um zu fin­den sind, oder an die pola­ri­sie­ren­den Illus­tra­tio­nen von Gott­fried Heln­wein werden.

Eie ist dei­ne Hal­tung dem Kon­sum gegenüber?

Eigent­lich eine ziem­lich wert­neu­tra­le, im per­sön­li­chen Kon­sum­ver­hal­ten an man­chen Stel­len eine aske­ti­sche, an ande­ren eine unter­wür­fi­ge. Eine gesell­schaft­li­che Kon­sum­kri­tik kommt in mei­ner Arbeit kaum vor, allen­falls dort, wo die Vor­zei­chen sich umkeh­ren und die Pro­duk­te selbst zu Kon­su­men­ten ihrer Erschaf­fer werden.

Denkst du per­sön­lich, es wird nach die­ser glo­ba­len Pan­de­mie zu einem Wer­te­wan­del kom­men? Auch bezo­gen auf die Kunst, die „Kunst­in­dus­trie“ und den Kunstkonsum?

Der Mensch ver­gisst ja rasch – vor allem die unan­ge­neh­men Sachen. Ich den­ke, in der Schweiz wird im Ver­gleich zu ande­ren Län­dern eine rasche­re Gene­sung statt­fin­den. Ich den­ke schon, dass Men­schen bei einem Ankauf viel­leicht nun ver­mehrt Nut­zen und Ertrag abwä­gen wer­den, wobei der Nut­zen neu auch gel­ten könn­te: Das gön­ne ich mir jetzt, solan­ge ich kann, schließ­lich habe ich nun die Erfah­rung gemacht, dass mor­gen die Welt plötz­lich ganz anders aus­se­hen kann. Dies wohl­ge­merkt nur Men­schen, deren Exis­tenz nicht gera­de auf der Kip­pe steht… Auch wird es sicher­lich eine gesun­de Schrump­fung der Kunst­viel­falt geben – Qua­li­tät und Nach­hal­tig­keit wer­den mehr gewich­tet werden.

Beschäf­tigst du dich als Künst­ler mit Zukunfts­sze­na­ri­en oder kon­zen­trierst du dich, wie auch in dei­nen Bild­wel­ten, auf das Hier und Jetzt?

Gemäl­de haben zwar einen Arm in die Ver­gan­gen­heit und einen in die Zukunft, gene­rell aber emp­fin­de ich mei­ne Arbeit als sehr an Ort und Zeit ange­bun­den. Beim Malen kämp­fe ich oft­mals gegen flie­gen­den Staub und Dreck an, der sich in der fri­schen Farb­schicht abset­zen möch­te. Mei­ne Fas­zi­na­ti­on für Kom­post bringt mich dann manch­mal dazu, mir den Moment vor­zu­stel­len, in dem das gera­de bear­bei­te­te Bild wie­der zer­fal­len wird, ob es von selbst zer­brö­seln oder durch den unacht­sa­men oder gar geziel­ten Fuß­tritt eines Zukunfts­men­schen zer­legt wer­den wird.

Toma­ten und Eier, 2020, Oil on can­vas, 45 x 38 cm

Wlche Rol­le spielt die digi­ta­le Ver­net­zung für dich als Künstler?

Kei­ne so gro­ße. Da ich nicht vie­le Wer­ke pro­du­zie­re, bin ich auf eine „Mas­sen­ver­brei­tung“, um den Ver­kauf anzu­kur­beln, wenig ange­wie­sen. Ich habe zum Glück einen treu­en Samm­ler­stamm, der immer grö­ßer wird, und im Moment über­steigt zeit­wei­se gar die Nach­fra­ge das Ange­bot. Dies auch nur, weil Fré­dé­ri­que Hut­ter, mei­ne Gale­ris­tin und Mana­ge­rin, über Jah­re die­se Samm­ler­schaft auf­ge­baut hat.

Gibt es Men­schen oder auch Phä­no­me­ne, die dich beein­dru­cken und dich auch in dei­nem Schaf­fens­pro­zess inspirieren?

Gene­rell inter­es­siert mich das Abgrün­di­ge am Men­schen, wie es bei­spiels­wei­se in Kri­mi­nal­fäl­len zu Tage tritt, wo dann Din­ge offen­bart wer­den, die vor­her in Abstu­fun­gen bereits da waren und eigent­lich per­ma­nen­te Auf­merk­sam­keit ver­dient hät­ten. Auch Inter­net­phä­no­me­ne, wie das „Dra­chen­game“ oder Platt­for­men diver­ser Sub­kul­tu­ren fin­de ich ein­drück­lich. Als inspi­rie­rend für mei­ne Arbeit wür­de ich aber auch den Wort­witz eines Olli Dittrich nennen.

Du hast in Zürich stu­diert und arbei­test jetzt in der Schweiz. Hat dich jemals ein ande­rer Ort zum Arbei­ten interessiert?

Momen­tan arbei­te ich in der Schweiz und in Frank­reich jeweils in sehr länd­lich gele­ge­nen Ate­liers, was dazu führt, dass ich mich von Zeit zu Zeit schon dabei ertap­pe, mir ein Ate­lier in Vien­na City zu wünschen.

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