Über Kunst, Denken, Gott und den Sinn des Lebens

Fragmente eines Gesprächs mit dem Künstler Dirk Hessel

Das Sub­jekt als ers­ter und grund­le­gen­der Ort der Kunst ist ein leib­lich ver­mit­tel­tes. Der Leib ist eine gro­ße Ver­nunft, schreibt Nietz­sche in sei­nem Haupt­werk „Also sprach Zara­thus­tra“ in dem Kapi­tel: „Von den Ver­äch­tern des Lei­bes“. Das Gemein­sa­me einer inter­per­so­nell orga­ni­sier­ten Gemein­schaft, braucht etwas, das sie authen­tisch zu einer sol­chen macht. Wer­te, die in geleb­ter pro­zes­sua­ler Form gera­de das Gemein­sam­sein einer Gemein­schaft aus­ma­chen. Ein gemein­sa­mer sinn­stif­ten­der Ent­wurf, Arbeit an einem gemein­sa­men Werk.

Es ist der Stoff, das Wesen oder auch das dio­ny­sisch unhalt­bar drän­gen­de und trei­ben-de Wer­den­de, das in Bewe­gung Sei­en­de. Der leb­haf­te, leib­haf­te Stoff des lei­ben­den Lebens ist exis­ten­zi­el­ler Schöp­fungs­mäch­ti­ger jeg­li­cher künst­le­ri­schen Form. Ein Zusam­men­spiel Dio­ny­sos‘ und Apol­lons, die ein­an­der erzeu­gend und sich gegen­sei­tig zu immer neu­en Gebur­ten drän­gend Kunst­schaf­fen­de sind, die Nietz­sche in sei­ner Geburt der Tra­gö­die aus dem Geis­te der Musik“, sei­nem phi­lo­so­phi­schen Erst­lings­werk, als die Grund­säu­len von Kul­tur über­haupt beschreibt. Rausch­haf­te eksta­ti­sche Wir­bel­stür­me, die zer­stö­re­risch und das Neue und Hoff­nungs­tra­gen­de des mensch­li­chen Daseins glei­cher­ma­ßen sind. Eine Balan­ce zwi­schen bei­den, eine moment­haf­te Aus­söh­nung im Schaf­fens­pro­zess der Zeu­gung in Schön­heit. Das ist die Auf­ga­be und Pflicht des Künst­lers, der die Balan­ce zu hal­ten und zu garan­tie­ren hat. Jeden Tag aufs Neue. Dirk Hes­sel ist Künst­ler und er lebt samt Patch­work-Fami­lie am Ran­de Dres­dens auf sei­nem abge­le­ge­nen Grund­stück direkt am Wald­rand in einem klei­nen Schloss, dem „Trom­mel­schloß“. Im Künst­ler­haus arbei­tet er, allein und auch mit ande­ren Künst­lern, die teil­wei­se dort auf dem Grund­stück mit woh­nen und ist auch gern für sich. Viel­leicht für Momen­te der Frei­heit? Er sagt: Frei­heit im Sin­ne eines frei­en Wil­lens gebe es nicht, er sei Deter­mi­nist und das sei sei­ne Art, so etwas wie sich selbst zu fin­den. Im Ein­las­sen auf das ihn Umge­ben­de, ohne Abhän­gig­kei­ten, ohne so fixe Punk­te, dass er in sei­ner Lebens­art ein­ge­engt wür­de. Auch eine Form, frei für sich sein oder blei­ben zu wol­len, unter­stel­le ich jetzt ein­mal. Sich selbst per künst­le­ri­scher Ein­las­sung in das eige­ne Werk – das selbst gar nicht so wich­tig sei und auch anders hät­te sein kön­nen – ergrün­dend, pas­siv ande­rem gegen­über, sich aber bewusst und damit aktiv in eine Art unab­wend­ba­re Not­wen­dig­keit gebend. Eine Suche, eine Sehn­sucht. Sehn­sucht nach Sinn … Wo ist Sinn? Wo ist er zu suchen? Nicht im Jetzt, denn dann wäre er ja da und müss­te nicht gesucht wer­den. Also in dem, das noch kommt, auf ihn zukommt – auf dem Weg der Zukunft ent­ge­gen, sich auf sie „wil­len­los“ ein­las­send. Zukunft muss man auf sich zukom­men las­sen, sie nicht mit dem eige­nen Wil­len bedrän­gen, beein­flus­sen und so viel­leicht ver­drän­gen. Es gibt etwas Stär­ke­res, Grö­ße­res, Mäch­ti­ges als uns. Davon ist der Künst­ler über­zeugt und er expe­ri­men­tiert mit sei­ner Kunst der Zukunft als völ­lig Unbe­kann­te ent­ge­gen. Nicht aber gegen den Strom, nein: mit ihm. Hes­sel sagt, künst­le­ri­sches Arbei­ten ist etwas, das kommt als Ereig­nis­haf­tes – oder es kommt nicht. Je mehr man etwas will, des­to wahr­schein­li­cher sei es, genau das zu ver­hin­dern: das Ein­tre­ten des Ereig­nis­ses. Wer angeln gin­ge, sei schließ­lich auch abhän­gig von der Schwimm­lust der Fische. Es ist nicht ein Gott oder DER Gott, der mit Rau­sche­bart im Him­mel sitzt und Men­schen nach sei­nem Gut­dün­ken erschafft und ihre Lebens­auf­ga­be, den Sinn des Lebens des Men­schen über­haupt bestimmt. Aber eben­so wenig ist es, laut Dirk, der ratio­nal sich erken­nen wol­len­de und damit immer wesent­lich über­schät­zen­de Ein­zel­ne, der fest an sei­nen frei­en Wil­len glaubt. Die­sen Glau­ben aber gibt er nicht ein­mal zu, denn er „weiß“, dass er sich über den „Rest“ der Natur erha­ben und füh­len darf und sie nach eige­nem Gut­dün­ken beherrschen.

Die Ein­sicht aber, dass wir im Grun­de als Indi­vi­du­en gar nichts wis­sen über unse­re eige­ne Ent­ste­hung, nur dass wir uns nicht ganz aus eige­ner Kraft gebo­ren oder irgend­wie erzeugt haben kön­nen, ist Argu­ment gegen die Hybris eines anthro­po­zen­tri­schen Ratio­na­lis­mus. Der Künst­ler geschieht wie der Blitz, sein Wurf ist Ereig­nis. Das wür­de bedeu­ten, man könn­te gera­de im Frei­las­sen des Wil­lens, im Los­las­sen von selbst­ge­woll­ten Zie­len, in der Hin­ga­be an das Grö­ße­re, als man selbst, die Macht, die allein nicht wahr­nehm­bar wäre, erah­nen. Frei­wil­li­ges Die­nen einer Gewalt, der man ange­hö­ren will, emprak­tisch sei­ner gro­ßen Sehn­sucht fol­gend und unwi­der­ruf­lich schön im Strei­fen der­sel­ben. Die Berüh­rung ist gleich Eksta­se, die in ihrer Uner­mess­lich­keit jeden Ver-gleich hin­ter sich lässt und maß­fin­dend an sich selbst eige­ne Gren­zen über­win­det. Was tut der Eksta­ti­ker? Er tran­szen­diert Gren­zen, indem er sie auf­bricht und sich ent­schie­den ins Offe­ne wen­det – und damit zu sich selbst. Was dann kommt, ist das Offe­ne und der Exprak­ti­ker, der Eksta­ti­ker sei­nes Daseins, stellt sich dem Unbe­kann­ten und sucht die Bekannt­schaft mit ihm. Wenn er über­lebt, dann hat er in das bis­lang Unmög­li­che ein Mög­lich­keits­feld gebracht und einen Weg geeb­net, der auf­bricht, was erstarrt war und damit sei-ne Grenz­set­zung bewegt. Der Künst­ler hat, folgt man die­sem Gedan­ken, gera­de in der frei­wil­li­gen Kon­troll­lo­sig­keit über sich doch die größt­mög­li­che (Über-)Sicht, denn die Über­schrei­tung der ehe­ma­li­gen end­ziel­set­zen­den Gren­ze ermög­licht den Rück­blick auf das ehe­mals letz­te Ziel. Mit der Ver­schie­bung einer Gren­ze wir das Feld des Mög­li­chen erwei­tert und damit Erkennt­nis durch Erin­ne­rung ermög­licht. In der Auf­ga­be der Kon­trol­le durch Grenz­über­schrei­tung die Sehn­sucht und Erfül­lungs­mög­lich­keit wei­te­rer Ermäch­ti­gungs­fel­der. Durch Her­ge­ben von Selbst­macht mehr Selbst­herr­schaft gewinnen.

Dirk Hes­sel, Foto: Chris­ti­an Hostettler

Ein Thea­ter­stück, das ent­steht, ist zum einen die Ent­ste­hung selbst, der Pro­zess. Wenn es fer­tig ist, dann ist es ein Objekt, das da ist, das man sich gegen­über­stellt und das nun für sich ist. Dann erst kann eigent­lich der Künst­ler erken­nen, was es gewor­den ist. 

Der Phi­lo­soph Pir­min Ste­ke­l­er schreibt in dem Kapi­tel 9 „Ich und (Selbst)Bewußtsein“ in sei­nem Buch „Phi­lo­so­phie des Selbst­be­wußt­seins“ in sei­ner selbst­phi­lo­so­phisch erwei­ter­ten Hegel­in­ter­pre­ta­ti­on: „Frei­heit [sei] nur als Effekt huma­ner Pra­xis­for­men im Span­nungs­feld zur Eigen­erfah­rung des Indi­vi­du­ums, nicht als Eigen­schaft des ein­zel­nen Ich oder Sub­jekts in einem unmit­tel­bar auf sich selbst bezo­ge­nen Selbst­be­wusst­sein. Die Wirk­lich­keit des frei­en Wil­lens und die Wirk­lich­keit von Pra­xis­for­men“, inner­halb derer der Ein­zel­ne zwi­schen Mög­lich­kei­ten wäh­len kann, sind das­sel­be. Die End­lich­keit des Wis­sens sei letzt­gül­ti­ges Argu­ment gegen sowohl die theo­lo­gi­sche Got­tes­an­nah­me, als auch ein Glau­be an das Abso­lu­te. Ste­ke­l­er redu­ziert aber dann das mensch­li­che Wis­sen über­haupt auf ratio­na­les wis­sen­schaft­li­ches Wis­sen. Wohl spricht er von der Mög­lich­keit der Auf­lö­sung kau­sa­ler Zeit­ver­hält­nis­se im Moment und der Unfä­hig­keit des Men­schen, dar­in zu leben, ver­gisst aber, dass es ein Moment sein kann, der als künst­le­ri­sches Moment das eige­ne Leben zum Kunst­werk tran­szen­diert und für die­sem Moment sein gesam­tes Leben als Lebens­kunst­werk kon­sti­tu­iert, auch wenn die Kau­sa­li­tät wei­ter all­täg­lich gelebt wer­den muss, um zu leben. Frei­heit wäre das Leben im Abso­lu­ten, die Auf­lö­sung der kau­sa­len und raum-zeit­li­chen Ver­hält­nis­se und damit die Auf­lö­sung der leib­li­chen Exis­tenz. Frei­heit ist dann mit dem Tod gleich­zu­set­zen, mit der Ver­ei­ni­gung mit dem Abso­lu­ten. Inso­fern gibt es im Leben kei­ne Frei­heit. Deter­mi­niert ist der Mensch meta­bo­lisch, als Orga­nis­mus und in der Not­wen­dig­keit, sich an Äuße­res anpas­sen zu kön­nen, mit zu leben. Das gelingt, wenn intra­per­so­nell eine ein­heit­li­che Hal­tung des Indi­vi­du­ums Tag für Tag erkämpft und an sich gear­bei­tet wird. For­men schaf­fen, dem inners­ten Erleb­nis Form geben – das ist die Arbeit des Künst­lers an sich selbst, emprak­tisch-leib­ver­mit­telt sein Leben zum Lebens­kunst­werk zu gestal­ten, ihm Stil zu geben.

Phi­lo­so­phin und Künst­le­rin Kon­stan­ze Caysa im Gespräch mit Dirk Hes­sel, Foto: Cil­ly Zimmermann

Ich hat­te kaum Eigen­an­trieb“, sagt Dirk Hes­sel und wei­ter sagt er, es habe sich in sei­nem Leben bis­her alles so erge­ben, wie es war. Er spricht von einem Leben, das er bejaht – sei-ne Wege pas­sier­ten ihm. Ein Thea­ter­stück, das ent­steht, ist zum einen die Ent­ste­hung selbst, der Pro­zess. Wenn es fer­tig ist, dann ist es ein Objekt, das da ist, das man sich gegen­über­stellt und das nun für sich ist. Dann erst kann eigent­lich der Künst­ler erken­nen, was es gewor­den ist. Wäh­rend der Arbeit dar­an, hat man im Gefühl, wann es stimmt, stim­mig ist, fer­tig. Ob das Gefühl sich bestä­tigt, das zeigt sich spä­ter. So beschreibt Dirk Hes­sel den Pro­zess der Ent­ste­hung eines Thea­ter­stü­ckes, das er als Bei­spiel für sei­ne viel­sei­ti­ge Arbeit anführt. Künst­ler sei, so Hes­sel, wer krea­tiv wird, Schaf­fen ist der künst­le­ri­sche Pro­zess. Was genau es ist, das geschaf­fen wird von dem Ein­zel­nen, sei nicht wich­tig, son­dern ein­zig, dass es geschaf­fen wird. Hes­sel selbst pro­bier­te in sei­nem Leben schon vie­les aus, das sei­ne krea­ti­ven Mög­lich­kei­ten for­der­te. Orte, an denen sich Sehn­sucht für eini­ge Zeit mani­fes­tie­ren kann und dann doch wei­ter strebt. Was sich an den Orten, an denen er inne­hielt und eine Wei­le blieb oder auch mal län­ger, immer erwies, betrach­te man es im Nach­hin­ein, war, dass es Orte der Kunst waren. Magi­sche Orte, die sich mit dem inne­ren Magi­schen des Ankom­men­den emprak­ti­scher Gewiss­heit eigen ver­bin­den. Sie sind Her­aus­for­de­rung, weil sie selbst nach Her­aus­for­de­run­gen suchen. Waren, die er annahm. Beru­fung, nicht Job­su­che, ist Trieb­stoff des Weges, den Hes­sel betritt.

Künst­ler zu sein, ist etwas, das man nicht wählt, das einen viel­leicht quält und auf­grund der letzt­end­li­chen Uner­reich­bar­keit eines fixen Zie­les ver­zwei­felt sein lässt. Aber endet nicht das Leben in einer die­ser Ver­zweif­lun­gen, so ist mit glei­cher Not­wen­dig­keit ein nächs­ter und her­aus­for­dern­de­rer Ort des Schaf­fens im nächs­ten Moment ein­fach da und für Momen­te auch Hei­mat. Das Selbst­be­wusst­sein als Künst­ler habe er v.a. auch durch vie­le schmerz­haf­te Erfah­run­gen, wenn bspw. kaum oder kein Publi­kum zu Auf­trit­ten da war, ein­ge­übt. Eine dicke Haut, die jetzt ermög­licht, sich tat­säch­lich auf die eige­nen Her­vor­brin­gun­gen, auf das eigent­li­che, auf die Kunst­schöp­fung, auf sich als Kunst­ma­chen­den, auf die Kunst zu kon­zen­trie­ren und so klar und unab­ge­lenkt bspw. die Kom­po­si­ti­on per Mikro­tech­no­lo­gie auf­neh­men und eine CD dar­aus pro­du­zie­ren oder mit ande­ren Künst­ler­freun­den, See­len­ver­wand­ten eigent­lich, die ein Gespräch auf höhe­rer Ebe­ne mit ihm füh­ren. Das sei genug, dann sei­en es ja sogar noch mehr Leute/Künstler als nur er allein, die die­se Erleb­nis­se tei­len. Nicht gegen den Strom, son­dern mit dem Strom schwim­men, sich mit­rei­ßen las­sen, weil man nach Selbst­er­kennt­nis strebt. Sich ein­las­sen in die Not­wen­dig­keit, sei­nen Ort zu fin­den, bar der akti­ven Suche, nicht pro­vo­zie­rend und – sei­ner Ansicht nach ver­fäl­schend – son­dern sich Pro­vo­ka­tio­nen aus­lie­fernd, sich aus­lie­fern und ver­trau-en, dass das Rich­ti­ge geschieht, dass man sei­nen Platz nicht per Wett­kampf erobert und ein­neh­men muss im Ver­gleich mit ande­ren, die auch höchs­tens Suchen­de sein kön­nen, son­dern sich von der Gewalt, die not­wen­dig ist, wei­sen zu las­sen. Das ist ein Mut, der nicht Auto­no­mie im selbst­ge­setz­ge­ben­den Wil­len des Indi­vi­du­ums aktiv wird, son­dern eine Sou­ve­rä­ni­tät, das Die­nen einer Herr­schaft gegen­über, die uner­gründ­lich und mehr als man selbst ist, ler­nen – auf­zu­hö­ren, unwis­send das „Wis­sen“ erzwin­gen Wol­len­de zu zap­peln. Das Zap­peln macht kraft­los und mür­be und ist letzt­lich nie­man­des Gewinn.

Dirk Hes­sels Her­aus­for­de­run­gen kom­men auf ihn zu, sind Ereig­nis­se und stif­ten mit ihrem Ein­tre­ten Zukunft. Man muss sie kom­men las­sen, um offen zu sein zur Begeg­nung mit den Momen­ten, die Ereig­nis­se sein kön­nen. Das Ein­las­sen, das in gegen­sei­ti­gem Frei­sein (also immer wie­der auch ein­sam-sein-kön­nen und müs­sen) ent­ste­hen kann, führt zu eigent­li­cher Ver­bin­dung, die in einer Art exis­ten­zi­el­ler Dia­lek­tik ein drit­tes Gemein­sa­mes und damit Neu­es gebä­ren kann. Was der Künst­ler aus eige­nem Schaf­fen erfährt, ist tran­szen­dier­bar in gemein­sa­mes und damit ech­te Gemein­schaft stif­ten­des Schaf­fen. Viel­leicht die Form frei­en und gleich­zei­tig selbst­be­stimm­ten Zusam­men­le­bens von Men­schen über­haupt. Das Maß, die Wer­te des Gemein­sa­men erge­ben sich nicht aus dem schnel­len Blick, der gegen­sei­tig dem Gegen­über oder Benach­bar­ten zuge­wor­fen wird, um sich selbst beur­tei­len zu kön­nen, son­dern das Maß ist der Ein­zel­ne selbst. Wer weiß, was er an sich selbst hat, wo er kri­ti­schen Bli­ckes arbei­ten soll­te und was er gern könn­te – selbst­ent­schlos­sen auf­rich­tig – der wird nie­man­den anders ver­däch­ti­gen, dass er anders urteile.

Selbst­maß ist der Maß­stab des Künst­ler­le­bens für sich und v.a. dar­aus resul­tie­rend mit ANDEREN: Selbst-„Wettkampf“ Tag für Tag schafft ein­zig Frei­heit. Gemein­sa­mes Arbei­ten sei, so Hes­sel, immer wich­tig gewe­sen für sei­ne eige­ne Kunst. Ent­in­di­vi­dua­li­sie­rung als Öff­nung ins Beson­de­re – das sei ein emprak­tisch voll­zo­ge­ner und noch im Nach­hin­ein befrie­di­gen­der Akt künst­le­ri­schen und dann eben auch gemein­sa­men Schaf­fens. Das Beson­de­re ent­steht dann, wenn eine Arbeit, die allein begann, in der Öff­nung beson­ders wird, weil sie eben inter­per­so­nell funk­tio­niert und sinn­stif­ten­de Gemein­schaft bil­det. Viel­leicht eine Künst­ler­freund­schaft – eine Arbeit, die sich nicht erschöpft im augen­blick­li­chen Pro­jekt. Wenn man bei­ein­an­der­bleibt, dann ist das etwas, das kei­ner wort­rei­chen Begrün­dung und Ver­ge­wis­se­rung bedarf, son­dern eine Art gegen­sei­ti­ge Gewiss­heit. Vor­aus­set­zung dafür ist aber auch immer wie­der das in sich gehen, ein­sam, mit sich eins sein. Ein Rück­zug, der für neue Begeg­nung und Offen­heit, ja Inter­es­se, wie­der zusam­men­zu­kom-men, Vor­aus­set­zung ist. Ver­ste­hen­de Ver­nunft ist das Ver­mö­gen, zu ver­neh­men, das erwei­ter­te Ein-Stim­mung in den mys­ti­schen Ein­klang mit sich in Ein­heit, ein­sam jeweils den ande­ren ein­be­zieht und ein gegen­sei­ti­ges Ein­ge­stimmt­sein, eine gemein­sa­me Stim­mung ent­ste­hen lässt. Für Momen­te funk­tio­niert Her­me­neu­tik in der Empra­xis gemein­sam erleb­ter Arbeit, gemein­sa­men Schaf­fens in eine Offen­heit hin­ein, die nicht zweck­ge­bun­den ist, son­dern als Mit­tel selbst Erfül­lung bringt. Hes­sel spricht von dem ent­ste­hen­den Beson­de­ren in der Ent­in­di­vi­dua­li­sie­rung. Das Unteil­ba­re, das In-Divi­du­um nicht in einem geteil­ten Zustand. Nein, es bleibt bei sich und der ande­re wird zum an-deren des Selbst, das eige­ne ande­re und erfährt Ganz­heit, auf eine Art und Wei­se, die es auch in der mys­ti­schen Ver­ei­ni­gung in sich nicht so erfah­ren kann. Das Beson­de­re ist Trans­for­ma­ti­on des Indi­vi­du­el­len als sich im gemein­sa­men Werk, im künst­le­ri­schen Schaf­fen um ein frem­des Erwei­tern-des. Allein zwei­stim­mig sin­gen kön­nen, ist etwas ande­res als gemein­sam mit einer zwei­ten Stim­me das­sel­be Lied zu sin­gen. Man kann nur ver­ste­hen, durch Ein­ver­lei­bung und Mit­voll­zug des Erle­bens des Ande­ren. Das ist immer ein ereig­nis­haf­tes, kri­tisch-künst­le­ri­sches Moment, ein Begrei­fen durch Auf-grei­fen des Ande­ren, schließ­lich durch das Hin­ein­grei­fen / sich-ein­brin­gen, für Momen­te sym­bio­tisch wahr­neh­men­de Not­wen­dig­keit der Geburt eines Wer­kes. Dies geht über das, was im all­täg­li­chen Wort­ge­brauch mit „Ver­ste­hen“ gemeint ist, hin­aus. Es ver­bleibt nicht in der Ana­lo­gie. Gilt in der Regel: „Ver­ste­hen ist das Miss­ver­ständ­nis, ver­stan­den zu haben“ – stellt sich in dem emprak­ti­schen Werk­schöp­fungs­akt ver­ei­nen­de Pra­xis ein, ohne gegen­sei­ti­ge In-Fra­ge­stel­lung – als Machen, Kön­nen, TUN. Die Selbst­ver­ständ­lich­keit, allein zwei­stim­mig zu sin­gen, erfüllt alles: die Kör­per, die See­len, den Geist – es bleibt für den Moment der Erfül­lung kei­ne schwar­ze Stel­le, kei­ne Spal­te, kei­ne Fuge, die zwi­schen­fra­gen könn­te. ES IST. Ein­fach. Unhin­ter­fragt. Sich-Selbst-Genug. ES STIMMT.

Mehr Information

Lau­fen­de Pro­jek­te: www.dirk-hessel.de

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Künstlerphilosophin. Sie promovierte zum Thema: „Sehnsüchtige Körper – Eine Metatropie“. Lehre seit 2006 an verschiedenen Hochschulen und Universitäten. Darunter: Philosophisches Institut der Universität Leipzig, Hochschule für Grafik und Buchkunst zu Leipzig, Kulturwissenschaftliches Institut der Uni Leipzig, Germanistische Institute der Universitäten Lodz, Piliscisiaba/Budapest und Sydney/Australien. Außerdem hielt sie Vorlesungen und Seminare vom WS 2012/13 – WS 2013/14 als Juniorprofessorin (i.V.) an der Sportwissenschaftlichen Fakultät der Uni Leipzig. Kolumnistin der Leipziger Zeitung seit 2015. Mitglied des kulturwissenschaftlichen Beirates Klinikum Bremen Ost. Von 2002 bis 2010 war sie Vorstandsmitgleid der Nietzsche Gesellschaft e.V.. Wichtigste Publikationen: Volker Caysa/ Konstanze Schwarzwald: Nietzsche – Macht – Größe (De Gruyter), Volker Caysa/ Konstanze Schwarzwald: Experimente des Leibes (Peter-Lang-Verlag 2008), Sehnsüchtige Körper – Eine Metatropie (2011), Askese als Verhaltensrevolte (2015), Denken des Empraktischen (2016). www.empraxis.net. Foto © Hagen Wiel

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