DIE „TOTE STADT“

ZUR ERMITTLUNG DES WERTES VON KUNSTWERKEN

VERSCHOLLENE BILDER: Nach dem Tod Olga Jägers im Jahr 1965 ent­deck­ten ihre Erben im Safe ver­gilb­te Zet­tel. Es han­del­te sich um Leih­schei­ne der Neu­en Gale­rie der Stadt Linz aus dem Jahr 1951. Danach hat Olga Jäger der Gale­rie die Klimt Zeich­nung „Zwei Lie­gen­de“ und drei Bil­der von Egon Schie­le, näm­lich die Zeich­nung „Paar“, das Ölge­mäl­de „Tote Stadt“ und das Aqua­rell „Jun­ger Mann“, als Leih­ga­be über­las­sen. Die Erben woll­ten die Leih­schei­ne ein­lö­sen, doch das Kunst­mu­se­um konn­te die Wer­ke nicht mehr fin­den. Die Erben for­der­ten dar­auf­hin Scha­den­er­satz, der Fall ging zu Gericht. Neben der Fra­ge, ob die Stadt Linz über­haupt haf­tet, ging es dar­um, wie hoch die Scha­den­er­satz­zah­lung denn aus­zu­fal­len hat. Mit ande­ren Wor­ten: Wel­chen Wert haben die Bilder?

Egon Schie­le

DER WERT EINES KUNSTWERKES: Im Fol­gen­den geht es nicht um den künst­le­ri­schen oder qua­li­ta­ti­ven Wert eines Kunst­wer­kes, son­dern um des­sen „Preis“, also den mone­tä­ren Wert. Der Wert eines Kunst­wer­kes ist für Ver­si­che­run­gen, in Scha­den­er­satz­pro­zes­sen, Insol­venz- und Erb­schafts­sa­chen, aber auch im Steu­er­recht von Bedeu­tung. Die jewei­li­gen Wert­an­sät­ze müs­sen nicht ident sein. Der steu­er­li­che Wert kann sich z. B. vom Ver­si­che­rungs­wert unter­schei­den. Bei Bil­dern han­delt es sich oft um Uni­ka­te, die viel­leicht noch nie oder nur vor lan­ger Zeit auf dem Markt gehan­delt wor­den sind. Die Ermitt­lung des Wer­tes ist daher kei­ne ein­fa­che Sache.

DER WERT DER VERSCHOLLENEN LINZER BILDER: Zunächst klag­ten die Erben die Stadt Linz auf € 100.000 Scha­den­er­satz für den Ver­lust von Schie­les Zeich­nung „Paar“. Das Lan­des­ge­richt (LG) Linz sprach die­sen Betrag zu und der Obers­te Gerichts­hof (OGH) bestä­tig­te die­ses Urteil. Der OGH stell­te 2013 wei­ters klar, dass die Stadt Linz auch für den Ver­lust der rest­li­chen drei Bil­der auf­kom­men muss. Die Höhe blieb jedoch offen. Das LG Linz muss­te in Fol­ge den Wert der drei ver­schol­le­nen Bil­der ermit­teln. Die Streit­par­tei­en gaben dazu Pri­vat­gut­ach­ten in Auf­trag. Die von der Stadt Linz beauf­trag­te ame­ri­ka­ni­sche Schie­le-Kapa­zi­tät Jane Kal­lir hielt das Bild „Tote Stadt“ zu 95% für gefälscht. Soll­te es echt sein, betra­ge der Wert US-$ 200.000 bzw. US-$ 800.000, je nach­dem, ob es aus der frü­hen oder „rei­fe­ren“ Schaf­fens­pe­ri­ode Schie­les stammt. Der ehe­ma­li­ge Direk­tor der OÖ Lan­des­mu­se­en, Peter Ass­mann, ging laut Medi­en­be­rich­ten von einem Wert von ledig­lich eini­gen hun­dert­tau­send Euro aus und bezwei­fel­te eben­falls die Echt­heit eines der Wer­ke. Der Pro­ve­ni­enz­for­scher des Leo­pold-Muse­ums, Robert Holz­bau­er, hielt die „Tote Stadt“ zu 99% für eine Fäl­schung. Ins­ge­samt ermit­tel­te er für alle drei Bil­der einen Wert von € 200.000 bis € 1,58 Mio.

Der vom Gericht beauf­trag­te Sach­ver­stän­di­ge Her­bert Gie­se schätz­te den Wert der Bil­der zunächst auf rund € 7 Mio., kor­ri­gier­te die­sen Wert spä­ter aber auf € 8,24 Mio., weil in New York 2014 ein Aqua­rell aus die­ser Werk­grup­pe um US-$ 2,9 Mio. ver­kauft wur­de. Allein die „Tote Stadt“ habe daher einen Wert von € 7,5 Mio. Das LG Linz hielt sich an das Gut­ach­ten Her­bert Gie­ses und sprach ins­ge­samt € 8,24 Mio. Scha­den­er­satz zu. Die Stadt Linz erhob dage­gen Beru­fung. Das Beru­fungs­ur­teil steht noch aus. Allein die­ses Gerichts­ver­fah­ren und die unter­schied­li­chen Gut­ach­tens­er­geb­nis­se zei­gen, wie schwie­rig die Wert­ermitt­lung bei­Kunst­wer­ken ist.

DER WERT IM SCHADENERSATZPROZESS: In ers­ter Linie sind Kunst­wer­ke daher zurück­zu­ge­ben. Wenn eine Rück­ga­be nicht mög­lich ist, soll der Geschä­dig­te einen finan­zi­el­len Aus­gleich erhal­ten. Ihm ist der gemei­ne Wert des Kunst­wer­kes zu erset­zen. Der gemei­ne Wert ist ver­ein­facht gesagt der Markt­wert des Kunst­wer­kes, also der Preis, den das Kunst­werk all­ge­mein und gewöhn­lich hat. Die­ser „Preis“ drückt sich häu­fig im soge­nann­ten Wie­der­be­schaf­fungs­wert aus. Das ist der Preis, den das Kunst­werk im Kunst­han­del hat und der vom Geschä­dig­ten auf­ge­wen­det wer­den muss, um das Kunst­werk oder ein gleich­wer­ti­ges Kunst­werk zu kau­fen. Im Fall der Lin­zer Bil­der ist eine Wie­der­be­schaf­fung zumin­dest gegen­wär­tig aus­ge­schlos­sen, weil die Bil­der ver­schol­len sind. Daher errech­net sich der gemei­ne Wert nicht am Wie­der­be­schaf­fungs­wert, son­dern am Ver­kaufs­er­lös, den der Geschä­dig­te erzie­len hät­te kön­nen. Der gemei­ne Wert, und zwar sowohl der Wie­der­be­schaf­fungs­wert als auch der erziel­ba­re Ver­kaufs­er­lös, kann sich im Lauf der Zeit ändern. Laut OGH sind Wert­än­de­run­gen zu berück­sich­ti­gen. Maß­geb­li­cher Zeit­punkt ist das Pro­zess­ende ers­ter Instanz. Daher bestimm­te sich die Höhe der Scha­dens­sum­me für die „Tote Stadt“ nach dem Wert im Jahr 2015.

DIE WERTERMITTLUNG DURCH SACHVERSTÄNDIGE: Wie ein Sach­ver­stän­di­ger letzt­lich zu einem Wert gelangt, ist für einen Lai­en meist nicht ganz ein­fach nach­zu­voll­zie­hen. Es gibt dafür auch kei­ne ver­bind­li­chen, objek­ti­ven Vor­ga­ben. Oft bie­tet jedoch ein von Heu­er ent­wi­ckel­tes metho­di­sches Grund­ras­ter einen Leit­fa­den. Danach führt der Sach­ver­stän­di­ge zunächst eine Ermitt­lung von Ver­gleichs­wer­ten durch. Je nach Künst­ler, Peri­ode, Tech­nik, Qua­li­tät, Pro­ve­ni­enz, Maß, Zustand und wei­te­ren Kri­te­ri­en macht er zeit­nah zum Bewer­tungs­stich­tag ver­äu­ßer­te Wer­ke und deren Ver­kaufs­preis (die Ver­gleichs­wer­te) aus­fin­dig. Im nächs­ten Schritt nimmt er allen­falls Abschlä­ge von die­sen Ver­gleichs­wer­ten vor, z. B. Auk­ti­ons­mar­gen. Anschlie­ßend erfolgt eine Fest­stel­lung und Gewich­tung der Ver­gleichs­wer­te. Alle wert­bil­den­den Fak­to­ren, also Echt­heit, Erhal­tungs­zu­stand, restau­ra­to­ri­scher Befund, Pro­ve­ni­enz, Markt­fri­sche und For­mat sowie Qua­li­tät, dar­ge­stell­tes Sujet und Markt­gän­gig­keit fin­den bei die­ser Bewer­tung Berück­sich­ti­gung. Abschlie­ßend sind wei­te­re Abschlä­ge bzw. eine End­be­wer­tung vor­zu­neh­men. Ist das Kunst­werk z. B. Teil einer Samm­lung eines bestimm­ten Künst­lers, kommt es häu­fig zu einem soge­nann­ten Paket­ab­schlag, weil hoch­spe­zia­li­sier­te Samm­lun­gen schwe­rer vom Markt auf­ge­nom­men wer­den. Der Nach­lass Andy War­hols umfass­te ca. 95.000 Wer­ke und wur­de auf US-$ 800 Mio. geschätzt. Unter Ein­be­zie­hung eines Paket­ab­schla­ges wur­de er aber mit nur US-$ 100 Mio. taxiert. Wie der Fall der ver­schol­le­nen Lin­zer Bil­der zeigt, ist die Ermitt­lung des Wer­tes von Kunst­wer­ken man­gels genau­er objek­ti­ver Kri­te­ri­en in der Pra­xis schwie­rig. Oft ist die Per­son des Sach­ver­stän­di­gen ausschlaggebend.

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Dr. Georg Huber, LL.M. ist Partner der Innsbrucker Rechtsanwaltskanzlei Greiter Pegger Kofler & Partner. Er hat in Innsbruck und Chicago studiert und ist sowohl in Österreich als auch New York als Rechtsanwalt zugelassen. Zu seinen bevorzugten Tätigkeitsgebieten zählen unter anderem IT- und IP-Recht, wobei er sich auch immer wieder mit urheberrechtlichen Fragen befasst.

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