Die Menschenmalerin

Susanne Kandt-Horn

Susan­ne Kandt-Horn wur­de 1914 gebo­ren und starb 1996. Sie hat­te zwei Welt­krie­ge im Lebens­ge­päck und ein gan­zes Zeit­al­ter welt­wei­ter Geno­zi­de und men­schen­ver­ach­ten­der Regime und Gulags. Sie wuchs in Eisen­ach auf, besuch­te das Lyze­um, nahm anschlie­ßend eine Buch­händ­ler­leh­re in Angriff und erhielt end­lich auf­grund ihrer außer­ge­wöhn­li­chen Mal­lei­den­schaft pri­va­ten Zei­chen­un­ter­richt bei dem nam­haf­ten Bild­hau­er Her­mann Hosäus in Ber­lin, Inha­ber eines Lehr­stuhls an der Char­lot­ten­bur­ger Kunsthochschule.

Sie hei­ra­te­te den Offi­zi er der Luft­waf­fe Johan­nes Horn, der kurz vor Ende des 2. Welt­kriegs und noch vor der Geburt ihres 2. Kin­des fiel. Spä­ter begeg­ne­te sie dem jun­gen Dan­zi­ger Maler Man­fred Kandt. Sie hei­ra­te­ten und zogen 1952 nach Ücke­ritz auf Use­dom. Der Ücke­rit­zer Maler­kreis, die zeit­wei­se täg­li­chen Treffs, die nie abrei­ßen­de lei­den­schaft­li­che­Dis­kus­si­on ver­schie­de­ner Pro­ble­me der zeit­ge­nös­si­schen Male­rei, die Lehr­stun­den im Ate­lier von Otto Nie­mey­er-Hol­stein, die künst­le­ri­sche Frei­heit, die sich die Ücke­rit­zer nah­men im stren­gen Besin­nen auf sich selbst und im Ver­trau­en auf die­ses ihr Selbst, wur­den zur Hohen Schu­le für Susan­ne Kandt-Horn. Hier brach sie mit allem, was sie bis­her gemacht hat­te, jenen kai­ser­zeit­lich gepräg­ten Roman­ti­zis­men und Klas­si­zis­men, inmit­ten derer sie auf­ge­wach­sen war, und rich­te­te nun den Blick auf den gro­ßen Fund der Moder­ne, auf das zu sei­ner zwei­di­men­sio­na­len Ana­to­mie befrei­te, aus Far­be, Licht, For­men gebau­te Bild und auf den Men­schen der Moder­ne, den indi­vi­du­el­len, den pri­va­ten, mit Stim­mun­gen und per­sön­li­chen Regun­gen, bis hin zu einem mit inti­mem Pathos aus­ge­stat­te­ten, unver­wech­sel­ba­ren Zeit­ge­nos­sen − all das von der offi­zi­el­len Kul­tur­po­li­tik der DDR als „bür­ger­lich, deka­dent und abster­bend“ klassifiziert.

Por­trait Susan­ne Kandt-Horn 1988

1979 wur­de sie mit dem Natio­nal­preis für den „Anteil an der Gestal­tung des Men­schen­bil­des in der Male­rei“ geehrt. 

Spä­ter nimmt sie die Über­hö­hun­gen aus der Eisen­acher Zeit wie­der auf und ver­schmilzt die­se mit den in Ücke­ritz hin­zu­ge­won­ne­nen Ein­sich­ten zu Bild­nis­sen von Freun­den, Bekann­ten und Fami­li­en­mit­glie­dern, von gro­ßen und klei­nen Men­schen, wel­chen bei aller unver­wech­sel­ba­ren Ähn­lich­keit und irdi­schen Prä­senz eine der­art hoch­of­fi­zi­el­le Ver­all­ge­mei­ne­rung zuge­spro­chen wird, als gin­ge es um Außer­ir­di­sche, als hand­le es sich um Gott­hei­ten, oder wenigs­tens doch um Wür­den­trä­ger. Und das war es wohl, wohin sie ihr Weg führ­te: zu der über allen Ver­stand und alle Sin­ne gehen­den, doch kraft einer gewis­sen fröh­li­chen Über­trei­bung nie dog­ma­tisch oder mora­li­sie­rend, ja, nicht ein­mal idea­lisch wir­ken­den Bot­schaft vom Men­schen als einem außer­or­dent­li­chen Ereignis.

Sie fei­ert das Ver­las­sen des eng gewor­de­nen Kokons der alt­her­ge­brach­ten Frau­en­rol­le wie eine Zei­ten­wen­de („Das Frau­en­fest“). Sie beginnt unmit­tel­bar nach dem Nato Dop­pel­be­schluss, inmit­ten des auf einen 3. Wel­ten­brand hin­steu­ern­den Kal­ten Krie­ges, das Gespräch von Freund und Feind an einem mehr oder weni­ger run­den Tisch zu malen, („Merk­wür­di­ge Zusam­men­kunft“) und ern­tet damit bes­ten­falls ein Lächeln. Kei­ner hät­te es für mög­lich gehal­ten, dass 8 Jah­re spä­ter eine soge­nann­te Wen­de mit eben der­ar­ti­gen Gesprächs­run­den, genannt „Run­de Tische“, die gan­ze Welt umkrem­peln würde.

Sie malt eine Rei­he Auf­se­hen erre­gen­der Anti­kriegs­bil­der und lässt Bekann­te und Unbe­kann­te, Kin­der, Alte, Ras­sen, Völ­ker und sich befein­den­de Natio­nen auf ihrem Monu­men­tal­bild­mit dem umstrit­te nen Titel „Eines Tages wer­den die Men­schen wie Brü­der leben…“ halb wie zum Mann­schafts­fo­to einer Fuß­bal­ler­elf, antre­ten, halb wie zu einer­Kund­ge­bung in der Art der fried­li­chen Demos, die 15 Jah­re spä­ter das DDR-Regime been­den wer­den. An eine Demo ist jedoch in der DDR 1975, als sie die­se Arbeit been­det, in kei­ner Wei­se zu den­ken. Bewusst oder unbe­wusst zeich­net sie mit dem Bild „Abschied von Odys­seus“ eine For­mel für das abend­län­di­sche Selbst­ver­ständ­nis als einen Span­nungs­bo­gen zwi­schen Sess­haf­tig­keit und Auf­bruch zu neu­en Ufern, d.h. zwi­schen Gesetz hier und Ver­än­de­rung als unbän­di­ge schöp­fe­ri­sche Kraft dort. Dass sie die­sen Loop aus­ge­rech­net in einem Lie­bes­paar auf­baut, ist dabei viel­leicht die eigent­li­che Botschaft.

Nach einer lan­gen Zeit des Schwei­gens und der Anfein­dun­gen von offi­ziö­ser Sei­te fand Susan­ne Kandt Horn in den 70ern, als sich die Kul­tur­po­li­tik der DDR von ihrem Dik­tat eines sozia­lis­ti­schen Rea­lis­mus zu lösen begann, mit ihren euro­pa­weit äußerst eigen­wil­li­gen Bild­nis­sen und the­ma­ti­schen Arbei­ten zuneh­mend öffent­li­che Auf­merk­sam­keit. Bis kurz vor ihrem Tod 1996 erkun­de­te sie neue Tech­ni­ken und Stil­mit­tel, wobei die gemein­sa­me Arbeit mit dem Künst­ler­freund Man­fred Kast­ner an groß­for­ma­ti­gen Zin­ko­gra­fien eine wei­te­re bedeu­ten­de Sta­ti­on auf ihrem Arbeits­weg bil­det, eben­so die spä­te Bild­se­rie „Hom­mage à Picas­so“ Ende der 80er. In den letz­ten Lebens­jah­ren malt sie das Fami­li­en­bild „Die Engel mei­ner Kind­heit“ und pro­biert sich aus an der Ver­nis­mous­tech­nik mit dem Dru­cker Ernst Lau.

Ihr Schrift­stel­ler-Freund Egon Rich­ter in Ban­sin schreibt 1981 über sie: „[…] Was bewegt mich am Werk der Susan­ne Kandt-Horn? Mich bewegt die Durch­sich­tig­keit der bild­ne­ri­schen Fül­le, die Klar­heit der Aus­sa­ge, die Erkenn­bar­keit der Idee, die Dies­sei­tig­keit und die Pracht der Far­ben, Blü­ten, Blu­men und Früch­te sowie der − fast archai­schen Göt­tern ähn­li­chen – Figu­ren, an die ich mich in unse­rer oft so trist gemach­ten oder emp­fun­de­nen Welt erst wie­der gewöh­nen musste […].“

Ihr Maler­freund Wolf­gang Mattheu­er in Leip­zig schreibt im glei­chen Jahr und lei­der bis heu­te zutref­fend: „[…] Ich mag ihre Bil­der, weil sie klar gedacht und tief gefühlt sind. Kein schö­nes Unge­fähr lallt auf ihren Tafeln. Deut­lich­keit ist ihre Schön­heit. Mir fiel aber auch ein, dass ein gewis­ses Nichtz­ur­ken­nt­nis-neh­men-Wol­len die­ser Male­rin hie  und da unüber­seh­bar ist − wenn man hin­sieht. Nun, es scheint mir, dass für sie in unse­rer hoch­ge­prie­se­nen Viel­falt und Wei­te, die lei­der an Belie­big­keit krän­kelt, der rich­ti­ge Platz noch nicht gefun­den ist.“

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1944*: Eisenach, 1953 -62: Ückeritz, 1.Saxophonist Peenewerft-Tanzorchester, Abitur, 1962 – 93: Halle/S., Studium Theologie, Diplom, Jobs, Malerei, Geburt der Tochter, Leitung 1.Büro Neues Forum, Bundessprecherrat NF, hauptamtliche Bundessprecherin Bündnis 90, Abgeordnete Stadtparlament Halle, 1993 -2012: Umzug nach Ückeritz, Unterstützung der Mutter, Vorsitz Usedomer Kunstverein, Leitung Kunstpavillon Heringsdorf, ab 2012: Vortrags-Kleinunternehmen.

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