Rolf Ohst
Malerei ist mein Kokain, sagt Rolf Ohst, wenn man ihn nach der atemberaubenden Geschwindigkeit befragt, in der seine Bilder entstehen. Wer ihn beim Malen beobachtet, kommt schnell auf den Begriff Highspeed-Malerei. Er ist kein Künstler, der zurücktritt, sinniert, versucht, korrigiert und verwirft. Er hat das Bild in seinem Kopf vollständig entwickelt und malt es nur noch fertig. „Alles eine Frage des Fühlens, des Zentrierens und der Konzentration“, meint er. Dieses Vorgehen bildet sich auch auf seiner Palette ab. Übersichtliche neun Farben finden sich darauf; daraus mischt er mit routinierter Sicherheit alle Nuancen, die benötigt werden, um seine frappierend realistischen Gemälde entstehen zu lassen.
Was man heute in Achtsamkeitsseminaren lernt, praktiziert Rolf Ohst in seiner Malerei schon sein Leben lang. Wenn er malt, dann malt er. Er telefoniert nicht, er spricht nicht – er ist allein. Das Fühlen spiele dabei eine wichtige Rolle, so der Künstler. Die Stofflichkeit der Dinge, die Struktur von Materialien, die Haptik von Haut – alles gefiltert, gefühlt und fast körperlich erfahren durch die Person des Malers sei es letztendlich, was die Pinselführung ausmacht. „Eine Weintraube muss man schmecken, wenn man sie malt.“ Dieses „Fühlen“ schlägt sich auch in seiner Maltechnik nieder. Die ist keinesfalls klassisch.
Das Prinzip vom Hintergrund in den Vordergrund gilt für Rolf Ohst nicht. Der Hausner-Schüler wirft viele Grundtechniken über Bord, so malt er beispielsweise das Hauptmotiv zuerst. Lasiert wird wenig bis gar nicht. Alle Farben werden gemischt und in Prima-Malerei deckend gesetzt. Dazu benutzt er Pinsel, Spachtel und immer wieder auch Federn von Gänsen und Krähen. Beeindruckend ist die Bandbreite seiner Malmaterialien und ‑mittel. Für den größten Teil seiner neueren Arbeiten hat er Ölfarben verwendet. Mit der gleichen Virtuosität malt er aber auch in Acryl, Aquarell oder zeichnet große Portraits und Akte mit Kohle. Der Grund für diese Vielseitigkeit könnte in den achtziger Jahren liegen, in denen er sich der Trompe‑l’oeil Malerei gewidmet hat, die häufig eine breite Palette verschiedener Techniken und Materialien erfordert.
Alles eine Frage des Fühlens, des Zentrierens und der Konzentration.
Neben Wand- und Deckengemälden – überwiegend in Schlössern und privaten Anwesen – hat Rolf Ohst auch das Marmorieren mit Farbe und Stuck-Marmor perfektioniert. Aus dieser Tätigkeit entwickelte sich auch seine bildhauerische Arbeit, der er sich bis heute ebenfalls widmet. Als einer der wenigen Künstler*innen weltweit arbeitet er mit Scagliola, also Stuckmarmor, aus der er meist lebensgroße Plastiken formt. Einige dieser Werke sind seinem Thema „Gier“ untergeordnet, für das er „fette“ Menschen als Metapher für den alles verschlingenden Konsumhunger Modell stehen lässt.
Es entstehen aber auch Figuren von großer Anmut und sinnlicher Schönheit. Radierungen und Grafiken gehören ebenfalls zum Repertoire des Künstlers, auch wenn er sich heute vorwiegend auf die Malerei konzentriert. In seiner Kupfertiefdruck-Werkstatt sind über viele Jahre sehr detailreiche Radierungen entstanden. Vermutlich liegt in dieser Hingabe an die Kunst und der Ausschließlichkeit, mit der er sich ihr widmet, die Kraft seiner Werke. Die Sicherheit und Präzision in der Ausführung sind ganz bestimmt auch das Ergebnis lebenslanger Übung – und dennoch: Auch bei der Betrachtung früherer Arbeiten wird sein offensichtliches Talent für die Malerei deutlich. Gefördert wurde das nie. Kunstaffin war in seiner Familie niemand und dennoch wusste Rolf Ohst schon mit neun Jahren, dass er Künstler werden wird. Kunst ist allerdings nur in zweiter Linie handwerkliches Können und auch diese Erkenntnis lässt sich bereits an frühen Bildern des Künstlers ablesen.
„Mein erstes Geld habe ich mit Landschaftsbildern verdient, aber schon bald schlichen sich Ambosswolken ein. Die kündigen Unwetter an und erzeugen Spannung.“ Gesellschaftspolitische Wirksamkeit wollte Rolf Ohst mit seinen Arbeiten immer erzeugen, wehrte sich aber, die Malerei zu entmystifizieren. Seine Kunst kommt immer subtil daher, Störungen, Brüche, eine Meta-Ebene schleichen sich quasi von hinten an den*die Betrachter*in heran und sickern nur langsam hinter die Netzhaut. Viele seiner Bilder sind durchaus wohnzimmertauglich – sie fordern den*die Betrachter*in aber auch. Mit seiner Serie Gier hat er dann sein Lebensthema gefunden. Die Reihe großformatiger Akte schwer adipöser Menschen verhalf Rolf Ohst auch international zu Aufmerksamkeit und Erfolg.
Er bildet damit die unersättliche Gier des Homo Sapiens ab, sich den ganzen Globus einzuverleiben und bis zum Platzen zu konsumieren. „Gier ist DAS Problem unserer Spezies, unserer Zeit und unseres Planeten“, so Rolf Ohst. Gemeint ist damit nicht nur die materielle Gier, sondern auch die nach Macht, Sex, Ruhm, Anerkennung und natürlich auch grenzenlosem Reichtum. Seine neuen Arbeiten mit dem Titel So isSt der Mensch sind ebenfalls vor diesem Hintergrund zu sehen. Auch die Esskultur der westlichen Welt spiegelt den Hunger auf mehr als da ist und mehr als gut ist. Wie so oft machen die Bilder Lust aufs Anschauen. Die Portraitierten vermitteln fast den Eindruck, als säße man ihnen am Tisch gegenüber. Man kann sich vorstellen, was sie erzählen würden, wie sie sich ausdrücken und wie sie über das Leben denken. Oder über uns. Auch das Essen, das sie auf dem Teller haben, lässt Rückschlüsse zu. Es zeigt aber auch, in welchem Überfluss wir schwelgen. Dass Essen in unserer westlichen Gesellschaft nicht nur Nahrungsaufnahme und Energiezufuhr bedeutet, ist offensichtlich – aber nicht selbstverständlich.
Nur wenige Flugstunden von unserem Lieblingsrestaurant entfernt lautet die Frage nicht, was wir essen, sondern ob. Hunger als Folge ungleicher Verteilung ist nur einen Kontinent weit weg. Dagegen kann man etwas tun, spenden, rücksichtsvoller konsumieren – oder mit den Mitteln der Kunst dazu beitragen, dass die Welt zu einem gerechteren Ort wird. Sofort stellt sich die Frage: Muss Kunst das? Was ist mit „L‘art pour l‘art“, der Zweckfreiheit der Kunst? Rolf Ohst stellt dem ein anderes Prinzip der Kunst entgegen: „Die Kunst darf alles. Meine Kunst darf für den Rezipienten schön in seiner banalsten Bedeutung sein, sie darf aber auch Seele und Geist in sich tragen. Sie darf von Bedeutung sein, sonst ist sie belanglos. Ich habe sie mit Bedeutung gemalt – aber ich zwinge niemanden, sie auch zu sehen.“
Auch im Fall der Serie „So isSt der Mensch” ist die Wahl der Speisen, die der Künstler seinen Modellen vorsetzt, keine Laune. Dass dem Schauspieler im weinroten Samtjackett mit goldener Pfeffermühle und viel Schmuck ein Goldsteak als Gipfel der Dekadenz serviert wird, unterstreicht, wohin das Fehlen von Ernährungs-Ethik uns führt. Ganz im Gegensatz dazu steht Max, der mit Wein und Brot sowie seiner undefinierbaren Nationalität und Religionszugehörigkeit für das Menschsein an sich steht. Dass Can, ein kräftiger Kerl mit breiten Schultern, vor einer Mohrrübe sitzt, ist ebenfalls kein Zufall. Der Künstler wollte ihn eigentlich mit einem Burger beglücken – aber Can ist Vegetarier und protestierte aufs Heftigste. Auch Robinho, der an einen Wikinger erinnert, bestand auf sein Lieblingsessen – Pellkartoffeln. Auf diese Weise flossen die Wünsche der Modelle hin und wieder in die Bildkomposition ein. Es entstand eine zeitgemäße Momentaufnahme der vorherrschenden Essgewohnheiten unserer Gesellschaft.
Dabei stand vermutlich nicht immer der Geschmack der Speisen im Vordergrund. Die Entscheidung, mit welchem Mahl man für alle Ewigkeit auf Leinwand gebannt werden will, ist sicher auch eine Frage des Stils. Ob Kaviar und Champagner der Fürstin mit großem Hut wirklich am besten schmecken, sei dahingestellt. In jedem Fall repräsentiert diese Wahl den „guten Geschmack“. Aber auch der Verzicht auf jegliche Esskultur ist weit verbreitet. Pommes Frites aus der Pappschale und Power-Cola aus der Dose scheinen für Lina total okay zu sein. Für Ines standen ganz andere Kriterien bei der Auswahl der Speise im Mittelpunkt. Das Hähnchen auf ihrem Teller ist nämlich ein Broiler und erinnert sie an ihre Kindheit in der DDR. Warum wir essen, was wir essen, hat viele Gründe und absolut nicht immer sind wir uns ihrer bewusst. Die Frage des Künstlers: „Was möchtest Du essen?“ hat alle Modelle bis auf einen jungen Mann („mir egal!“) intensiv beschäftigt.
Mit welcher Art von Essen möchte ich assoziiert werden? Was ist politisch korrekt, was sieht gut aus, was unterstreicht meine Persönlichkeit, macht meine Werte deutlich oder ist nun mal mein Lieblingsgericht? Selten denken wir so tiefgehend über das nach, was wir uns einverleiben. Wir sollten aber öfter darüber nachdenken, findet Rolf Ohst und beißt auf dem letzten Bild der 24 Arbeiten umfassenden Serie in eine Frikadelle. Für die musste ein Schwein leiden und sterben, gesund ist sie auch nicht, aber das Atelier liegt einsam und der Schlachter ist noch am dichtesten dran. „Fast Food” eben, das schnell zwischen zwei Pinselstrichen verschlungen werden kann. Es geht ihm da wie vielen von uns, die wir in einer schnelllebigen Zeit leben. Highspeed ist nicht nur der Titel dieser Ausgabe, es ist die Überschrift für das (Über)Leben in einer Industrienation. Die Gleichzeitigkeit der Ereignisse, die Parallelität von medialer und realer Wahrnehmung, digitaler und analoger Information zwingt uns, effiziente Multitasking-allround- Perfektionist*innen zu werden, Selbstoptimierung inklusive. Sinnlichkeit, Sinnhaftigkeit, Lust, Ethik und Besinnung bleiben dabei nur allzu leicht auf der (Renn)strecke. Auch die Kunst hat ihren Herzschlag erhöht. Gleichzeitig führt sie uns zum Innehalten, das liegt in ihrem Wesen. Und an Künstler*innen wie Rolf Ohst. Wenn er malt, dann malt er.