Sein im Frieden
Die Etrusker sahen in Blitzen Orakel, durch die sie die Gegenwart und Zukunft deuten konnten. In der griechischen Antike wurden sie Zeus zugeordnet, bei den Römern Jupiter. In der Bibel werden Blitze unter anderem als Metapher für Gottes Offenbarung an die Menschen, für das Kommen des Menschensohnes oder für das Wesen der Engel und Auferstandenen eingesetzt.
Die Materialanmutung auf der Leinwand ist von einer spektakulären Dichte und zugleich von der Wahrnehmung her nahezu schwerelos wie die Beschaffenheit von Zuckerwatte – fast reflexartig möchte man hingreifen und da ertönt bei der ersten Andeutung schon die Stimme des Meisters: »Ich muss euch bitten, der Versuchung zu widerstehen. Die Bilder sind noch ganz frisch, ich kann die Pigment-Schichten nicht reparieren. Sobald man mit dem Finger reinkommt, ist der Abdruck drin und der bleibt.« Eigner ist diese Reaktion bekannt, denn er legt es als Künstler durchaus darauf an, dass die Betrachter:innen sein Werk »begreifen« möchten. Motivisch strotzt das Werk regelrecht vor Kraft und Stärke, doch das Material ist fragil, hält keine Berührung aus. Ein Widerspruch, der neugierig macht und der in Friedrich Eigners Werk und Technik keine Seltenheit darstellt, denn der gebürtige Salzburger sucht seit jeher die Herausforderung.
Naturwissenschaftlich betrachtet, handelt es sich beim Blitz um eine Funkenentladung, einen kurzzeitigen Lichtbogen zwischen Wolken oder zwischen Wolken und der Erde. In aller Regel tritt ein Blitz während eines Gewitters infolge einer elektrostatischen Aufladung der wolkenbildenden Wassertröpfchen oder der Regentropfen auf. Dabei fließen elektrische Ströme. Stehen wir in Friedrich Eigners Atelier vor einer Gewitterstimmung in der Lagune von Venedig, so ist der Blitz im großformatigen Pastell weder als mystisches noch als naturwissenschaftliches Phänomen einzuordnen. Vielmehr erfasst uns eine friedvolle Emotion und versetzt uns in einen Zustand, der berührt und beruhigt, der begreift und klärt, ein Geheimnis zu entschlüsseln vermag.
Von Kindesbeinen an wollte Friedrich Eigner Maler werden. Mit dem Rote-Beete-Saft aus Großmutters Garten hat er die Salzburger Volksblätter bemalt. »Meine Großmutter sagte zu mir: ‚Das sieht alles gleich aus.‘ und ich entgegnete ihr: ‚Nein, Oma, das sieht nicht alles gleich aus.‘ Die Transparenz war bei jedem Farbauftrag anders und die grafische Gestaltung darunter sowieso.« Damals schon standen die Farbe und deren Charakter für ihn im Vordergrund und bieten sich bis heute als Denkraum für Assoziationen an.
Ein Künstler in der Familie war zu dieser Zeit nicht unbedingt wünschenswert. Also fügte sich Eigner anfänglich den Vorstellungen der Großeltern, maturierte und studierte in Graz Philosophie. Erst im Anschluss wechselte er zum Studium der Malerei.
Von dort aus holte ihn der österreichische Schriftsteller und Theaterkritiker Hans Weigel nach Wien, danach folgte eine für Eigners Entwicklung prägende Zeit in Venedig, wo er 1986 gemeinsam mit Roberto Mazzetto die »Stamparia del Tintoretto« gründete, die heute nach wie vor als Ausbildungsstätte für künstlerische Druckgrafik betrieben wird. »Als ich mit der Malerei begonnen habe, war die Druckgrafik eine sehr geschätzte Möglichkeit der Vervielfältigung. Die Radierplatte wurde immer wieder neu eingestrichen, somit hatte die Radierung auch etwas Originales.« Was die Malerei anging, lag die Latte in Venedig enorm hoch und Eigner wollte es wissen. Die Malerei machte ihn »süchtig«. »Ich hab damals noch gegenständlich und in Aquarell gearbeitet. Bis ich schließlich den Malerischen Nebenraum entdeckte, also das, was übrigbleibt, wenn ich alle Farben wegdenke. Da hat sich Venedig enorm hervorgehoben, denn schließlich wurde dort zuerst das Fundament gebaut.« Über Jahre hat sich der Künstler die Farbe verboten und widmete sich der abstrakten Reduktion.
Schließlich ist ein New Yorker Galerist auf sein Werk aufmerksam geworden und Friedrich Eigner zog in das »Mekka« der Kunst. In seinem New Yorker Atelier malte er »Strukturschatten-Bilder« in Öl- und Pigment-Überblendungen. Es entstanden monochrome Arbeiten sowie Objekte mit Pigment und er entdeckte Öl, Pastell und Acryl auf Leinen wieder. »Nach New York musste ich, um mich zu relativieren, diese Polarisierung hautnah zu erfahren. Die Architektur der Stadt ist unheimlich dankbar als grafisches Gebilde. In meiner Wahrnehmung ist es zugleich die Form einer Täuschung. New York ist unheimlich schnelllebig und es geht weniger um eine Entwicklung, sondern um die kurzfristige Sensation. Somit haben modische Durchlaufbilder eine enorme Chance.« Eigners OEuvre ist alles andere als schnelllebig. Über Jahrzehnte hinweg bis heute wird seine Kunst in nationalen und internationalen Einzelausstellungen gezeigt und wertgeschätzt. Seine Werke befinden sich mittlerweile sowohl in bedeutenden öffentlichen und privaten Sammlungen als auch in Museen.
»Der Schweizer Kunsthistoriker Jean-Christophe Ammann meinte mir gegenüber einmal, dass ein Kunstanspruch erst dann entsteht, wenn vergangenes Erlebtes in die Gegenwart transportiert und daraus ein sinnlich wahrnehmbarer Denkgegenstand erzeugt wird«, sagt Eigner nachdenklich und zeigt uns einige Werke mit der Technik »Öl auf Glas«. Als Kind in Salzburg im amerikanischen Sektor, im sogenannten Glasscherbenviertel, bei den Großeltern aufgewachsen, faszinierte ihn die Schokolade aus Brooklyn: »Ich meine nicht den Geschmack der Schokolade, sondern die Farbe.« An der Technik »Öl auf Glas« hat Eigner lange getüftelt. »Es ist ähnlich, wie ein Japan-Stäbchen durch die Sojasoße zu ziehen. Das schokoladebraune Öl lege ich wieder frei und mit einem selbst erfundenen Trockenbeschleuniger gelingt es mir diesen Zustand zu erhalten.« So lässt er mit seiner Technik in Ölmalerei und mit Polymeren auf Glas Schichtlinien plastisch werden. Die Schwierigkeit besteht darin, dass der einmal gezogene Strich nicht mehr korrigiert werden kann. Zeichnerisches Talent und eine konkrete Vorstellungskraft sind hierfür unabdingbar.
»Ich glaube, dass man als Maler die Sinnlichkeit der Farbe und das Material mögen muss. Man darf keine technischen Schwierigkeiten haben und seine Palette muss man kennen. Aber nur weil man das beherrscht, ist man eben noch lange kein guter Künstler.« Bekannterweise ist die Geschicklichkeit der Tod der Kunst. Also hat Friedrich Eigner die Hand gewechselt und malt mit der linken. Es ist die Form einer Selbstüberlistung. Auch die Leinwand kauft er in unterschiedlichen Ausführungen, damit nichts automatisiert wird und dass der Zufall als Gestaltungselement ausgeschlossen wird, um als Künstler selbst den Zufall zu gestalten. Einer seiner Professoren meinte einmal: »Deine Stühle, die du zeichnest, sind alle schief.« Und der junge Eigner entgegnete: »Mein Weltbild ist schief.« Er musste den Stuhl tausend Mal zeichnen, bis er gerade war, aber sein Weltbild war immer noch schief. Der Kunsttheoretiker Stefan Lindl bezog sich darauf in einer Rede bei der Ausstellungseröffnung »Morning Frost« in Hamburg und brachte das Wesentliche treffend auf den Punkt: »Friedrich Eigner hat dem ‚Zwischen‘ ein künstlerisches Denkmal gesetzt. Nicht nur dem ‚Zwischen‘ an sich, sondern auch der umfassenden Frage: ‚Was ist das pure Leben?‘ – Er gibt in seinen Monumenten eine Antwort: Es ist das Zwischen zwischen den Mustern, das nur derjenige entdecken kann, der frei genug ist, an dem Offensichtlichen und Gewohnheitsmäßigen vorbeizublicken!«
Für Eigner kommt Kunst aus einem inneren Müssen, einem »Sendebedürfnis«. Durch die Distanz wird schließlich die Qualität sichtbar: »Die Inhaltlichkeit vermittelt ein Sein im Frieden, selbst dann, wenn sie provokant ist. Das ist das, was mich bewegt.« Das Entscheidende für ihn ist es, mit Nichts alles gemacht zu haben. Die Botschaft, die dahintersteckt, muss jeder für sich entdecken.
Friedrich Eigner identifiziert sich selbst als der größte Widerstand in seiner Malerei und verrät uns sein Geheimnis: »Ich muss in einen Zustand kommen, dass nicht ich derjenige bin, der malt, sondern, dass es in mir malt. Ich muss mich vergessen. Komme ich in diesen Zustand, geht es mit einer Leichtigkeit und ich weiß, es ist fertig.«
An diesem Punkt fragen wir uns: Ist man als Künstler jemals am Ziel? »Man lügt sich an, wenn man sagt, man kann sich frei malen. Dass jemand sagt, so, das war das letzte Bild und aus. Es reicht nie, denn das nächste muss besser werden. Und das nächste wird nicht besser.« Wenn Hirn, Herz und Hand zusammenstimmen, dann wird es laut Friedrich Eigner eine sehr gute Arbeit. »Dann kommt aber noch dieses gewisse Etwas dazu, das geheimnisvolle ‚Hu‘, über das keiner so richtig Bescheid weiß und es wird ein Meisterwerk, das in diesem einmaligen Ausdruck nicht wiederholbar ist.« So interagieren beispielsweise Nacht- und Dämmerlicht auf Eigners Leinwänden und verschmelzen förmlich Schicht für Schicht zu einer endlosen und zugleich vertrauten Raumdimension.
Erneut zieht uns das große Gemälde mit der Gewitterstimmung in Venedigs Lagune in seinen Bann: ein Meisterwerk. Ergriffen von der Tiefe und dem gewissen Etwas, fühlen wir uns nach dem bewegten Austausch mit seinem Schöpfer dem Geheimnis eine Spur näher.
Der Artikel ist in der Print-Ausgabe 3.22 REFLECTION erschienen.