Ein Atelierbesuch bei Friedrich Eigner

Sein im Frieden

Die Etrus­ker sahen in Blit­zen Ora­kel, durch die sie die Gegen­wart und Zukunft deu­ten konn­ten. In der grie­chi­schen Anti­ke wur­den sie Zeus zuge­ord­net, bei den Römern Jupi­ter. In der Bibel wer­den Blit­ze unter ande­rem als Meta­pher für Got­tes Offen­ba­rung an die Men­schen, für das Kom­men des Men­schen­soh­nes oder für das Wesen der Engel und Auf­er­stan­de­nen eingesetzt.

Die Mate­ri­al­an­mu­tung auf der Lein­wand ist von einer spek­ta­ku­lä­ren Dich­te und zugleich von der Wahr­neh­mung her nahe­zu schwe­re­los wie die Beschaf­fen­heit von Zucker­wat­te – fast reflex­ar­tig möch­te man hin­grei­fen und da ertönt bei der ers­ten Andeu­tung schon die Stim­me des Meis­ters: »Ich muss euch bit­ten, der Ver­su­chung zu wider­ste­hen. Die Bil­der sind noch ganz frisch, ich kann die Pig­ment-Schich­ten nicht repa­rie­ren. Sobald man mit dem Fin­ger rein­kommt, ist der Abdruck drin und der bleibt.« Eig­ner ist die­se Reak­ti­on bekannt, denn er legt es als Künst­ler durch­aus dar­auf an, dass die Betrachter:innen sein Werk »begrei­fen« möch­ten. Moti­visch strotzt das Werk regel­recht vor Kraft und Stär­ke, doch das Mate­ri­al ist fra­gil, hält kei­ne Berüh­rung aus. Ein Wider­spruch, der neu­gie­rig macht und der in Fried­rich Eig­ners Werk und Tech­nik kei­ne Sel­ten­heit dar­stellt, denn der gebür­ti­ge Salz­bur­ger sucht seit jeher die Herausforderung.

Ful­mi­ne III, 2022, Öl-Pas­tell-Koh­le 170 x 185 cm

Natur­wis­sen­schaft­lich betrach­tet, han­delt es sich beim Blitz um eine Fun­ken­ent­la­dung, einen kurz­zei­ti­gen Licht­bo­gen zwi­schen Wol­ken oder zwi­schen Wol­ken und der Erde. In aller Regel tritt ein Blitz wäh­rend eines Gewit­ters infol­ge einer elek­tro­sta­ti­schen Auf­la­dung der wol­ken­bil­den­den Was­ser­tröpf­chen oder der Regen­trop­fen auf. Dabei flie­ßen elek­tri­sche Strö­me. Ste­hen wir in Fried­rich Eig­ners Ate­lier vor einer Gewit­ter­stim­mung in der Lagu­ne von Vene­dig, so ist der Blitz im groß­for­ma­ti­gen Pas­tell weder als mys­ti­sches noch als natur­wis­sen­schaft­li­ches Phä­no­men ein­zu­ord­nen. Viel­mehr erfasst uns eine fried­vol­le Emo­ti­on und ver­setzt uns in einen Zustand, der berührt und beru­higt, der begreift und klärt, ein Geheim­nis zu ent­schlüs­seln vermag.

Von Kin­des­bei­nen an woll­te Fried­rich Eig­ner Maler wer­den. Mit dem Rote-Bee­te-Saft aus Groß­mutters Gar­ten hat er die Salz­bur­ger Volks­blät­ter bemalt. »Mei­ne Groß­mutter sag­te zu mir: ‚Das sieht alles gleich aus.‘ und ich ent­geg­ne­te ihr: ‚Nein, Oma, das sieht nicht alles gleich aus.‘ Die Trans­pa­renz war bei jedem Farb­auf­trag anders und die gra­fi­sche Gestal­tung dar­un­ter sowie­so.« Damals schon stan­den die Far­be und deren Cha­rak­ter für ihn im Vor­der­grund und bie­ten sich bis heu­te als Denk­raum für Asso­zia­tio­nen an.

Ein Künst­ler in der Fami­lie war zu die­ser Zeit nicht unbe­dingt wün­schens­wert. Also füg­te sich Eig­ner anfäng­lich den Vor­stel­lun­gen der Groß­el­tern, matu­rier­te und stu­dier­te in Graz Phi­lo­so­phie. Erst im Anschluss wech­sel­te er zum Stu­di­um der Malerei.

Von dort aus hol­te ihn der öster­rei­chi­sche Schrift­stel­ler und Thea­ter­kri­ti­ker Hans Weigel nach Wien, danach folg­te eine für Eig­ners Ent­wick­lung prä­gen­de Zeit in Vene­dig, wo er 1986 gemein­sam mit Rober­to Maz­zet­to die »Stam­pa­ria del Tin­to­ret­to« grün­de­te, die heu­te nach wie vor als Aus­bil­dungs­stät­te für künst­le­ri­sche Druck­gra­fik betrie­ben wird. »Als ich mit der Male­rei begon­nen habe, war die Druck­gra­fik eine sehr geschätz­te Mög­lich­keit der Ver­viel­fäl­ti­gung. Die Radier­plat­te wur­de immer wie­der neu ein­ge­stri­chen, somit hat­te die Radie­rung auch etwas Ori­gi­na­les.« Was die Male­rei anging, lag die Lat­te in Vene­dig enorm hoch und Eig­ner woll­te es wis­sen. Die Male­rei mach­te ihn »süch­tig«. »Ich hab damals noch gegen­ständ­lich und in Aqua­rell gear­bei­tet. Bis ich schließ­lich den Male­ri­schen Neben­raum ent­deck­te, also das, was übrig­bleibt, wenn ich alle Far­ben weg­den­ke. Da hat sich Vene­dig enorm her­vor­ge­ho­ben, denn schließ­lich wur­de dort zuerst das Fun­da­ment gebaut.« Über Jah­re hat sich der Künst­ler die Far­be ver­bo­ten und wid­me­te sich der abs­trak­ten Reduktion.

Gesprächs­si­tua­ti­on im Ate­lier: Fried­rich Eig­ner (links) und Hugo V. Ast­ner, Fotos: stayinart

Schließ­lich ist ein New Yor­ker Gale­rist auf sein Werk auf­merk­sam gewor­den und Fried­rich Eig­ner zog in das »Mek­ka« der Kunst. In sei­nem New Yor­ker Ate­lier mal­te er »Struk­tur­schat­ten-Bil­der« in Öl- und Pig­ment-Über­blen­dun­gen. Es ent­stan­den mono­chro­me Arbei­ten sowie Objek­te mit Pig­ment und er ent­deck­te Öl, Pas­tell und Acryl auf Lei­nen wie­der. »Nach New York muss­te ich, um mich zu rela­ti­vie­ren, die­se Pola­ri­sie­rung haut­nah zu erfah­ren. Die Archi­tek­tur der Stadt ist unheim­lich dank­bar als gra­fi­sches Gebil­de. In mei­ner Wahr­neh­mung ist es zugleich die Form einer Täu­schung. New York ist unheim­lich schnell­le­big und es geht weni­ger um eine Ent­wick­lung, son­dern um die kurz­fris­ti­ge Sen­sa­ti­on. Somit haben modi­sche Durch­lauf­bil­d­er eine enor­me Chan­ce.« Eig­ners OEu­vre ist alles ande­re als schnell­le­big. Über Jahr­zehn­te hin­weg bis heu­te wird sei­ne Kunst in natio­na­len und inter­na­tio­na­len Ein­zel­aus­stel­lun­gen gezeigt und wert­ge­schätzt. Sei­ne Wer­ke befin­den sich mitt­ler­wei­le sowohl in bedeu­ten­den öffent­li­chen und pri­va­ten Samm­lun­gen als auch in Museen.

»Der Schwei­zer Kunst­his­to­ri­ker Jean-Chris­to­phe Ammann mein­te mir gegen­über ein­mal, dass ein Kunst­an­spruch erst dann ent­steht, wenn ver­gan­ge­nes Erleb­tes in die Gegen­wart trans­por­tiert und dar­aus ein sinn­lich wahr­nehm­ba­rer Denk­ge­gen­stand erzeugt wird«, sagt Eig­ner nach­denk­lich und zeigt uns eini­ge Wer­ke mit der Tech­nik »Öl auf Glas«. Als Kind in Salz­burg im ame­ri­ka­ni­schen Sek­tor, im soge­nann­ten Glas­scher­ben­vier­tel, bei den Groß­el­tern auf­ge­wach­sen, fas­zi­nier­te ihn die Scho­ko­la­de aus Brook­lyn: »Ich mei­ne nicht den Geschmack der Scho­ko­la­de, son­dern die Far­be.« An der Tech­nik »Öl auf Glas« hat Eig­ner lan­ge getüf­telt. »Es ist ähn­lich, wie ein Japan-Stäb­chen durch die Soja­so­ße zu zie­hen. Das scho­ko­la­de­brau­ne Öl lege ich wie­der frei und mit einem selbst erfun­de­nen Tro­cken­be­schleu­ni­ger gelingt es mir die­sen Zustand zu erhal­ten.« So lässt er mit sei­ner Tech­nik in Ölma­le­rei und mit Poly­me­ren auf Glas Schicht­li­ni­en plas­tisch wer­den. Die Schwie­rig­keit besteht dar­in, dass der ein­mal gezo­ge­ne Strich nicht mehr kor­ri­giert wer­den kann. Zeich­ne­ri­sches Talent und eine kon­kre­te Vor­stel­lungs­kraft sind hier­für unabdingbar.

»Ich glau­be, dass man als Maler die Sinn­lich­keit der Far­be und das Mate­ri­al mögen muss. Man darf kei­ne tech­ni­schen Schwie­rig­kei­ten haben und sei­ne Palet­te muss man ken­nen. Aber nur weil man das beherrscht, ist man eben noch lan­ge kein guter Künst­ler.« Bekann­ter­wei­se ist die Geschick­lich­keit der Tod der Kunst. Also hat Fried­rich Eig­ner die Hand gewech­selt und malt mit der lin­ken. Es ist die Form einer Selbst­über­lis­tung. Auch die Lein­wand kauft er in unter­schied­li­chen Aus­füh­run­gen, damit nichts auto­ma­ti­siert wird und dass der Zufall als Gestal­tungs­ele­ment aus­ge­schlos­sen wird, um als Künst­ler selbst den Zufall zu gestal­ten. Einer sei­ner Pro­fes­so­ren mein­te ein­mal: »Dei­ne Stüh­le, die du zeich­nest, sind alle schief.« Und der jun­ge Eig­ner ent­geg­ne­te: »Mein Welt­bild ist schief.« Er muss­te den Stuhl tau­send Mal zeich­nen, bis er gera­de war, aber sein Welt­bild war immer noch schief. Der Kunst­theo­re­ti­ker Ste­fan Lindl bezog sich dar­auf in einer Rede bei der Aus­stel­lungs­er­öff­nung »Mor­ning Frost« in Ham­burg und brach­te das Wesent­li­che tref­fend auf den Punkt: »Fried­rich Eig­ner hat dem ‚Zwi­schen‘ ein künst­le­ri­sches Denk­mal gesetzt. Nicht nur dem ‚Zwi­schen‘ an sich, son­dern auch der umfas­sen­den Fra­ge: ‚Was ist das pure Leben?‘ – Er gibt in sei­nen Monu­men­ten eine Ant­wort: Es ist das Zwi­schen zwi­schen den Mus­tern, das nur der­je­ni­ge ent­de­cken kann, der frei genug ist, an dem Offen­sicht­li­chen und Gewohn­heits­mä­ßi­gen vorbeizublicken!«

Für Eig­ner kommt Kunst aus einem inne­ren Müs­sen, einem »Sen­de­be­dürf­nis«. Durch die Distanz wird schließ­lich die Qua­li­tät sicht­bar: »Die Inhalt­lich­keit ver­mit­telt ein Sein im Frie­den, selbst dann, wenn sie pro­vo­kant ist. Das ist das, was mich bewegt.« Das Ent­schei­den­de für ihn ist es, mit Nichts alles gemacht zu haben. Die Bot­schaft, die dahin­ter­steckt, muss jeder für sich entdecken.

Fried­rich Eig­ner, Kvar­ner-Bucht, 2021, Tem­pe­ra-Acryl auf Lei­nen, 85 x 96 cm

Fried­rich Eig­ner iden­ti­fi­ziert sich selbst als der größ­te Wider­stand in sei­ner Male­rei und ver­rät uns sein Geheim­nis: »Ich muss in einen Zustand kom­men, dass nicht ich der­je­ni­ge bin, der malt, son­dern, dass es in mir malt. Ich muss mich ver­ges­sen. Kom­me ich in die­sen Zustand, geht es mit einer Leich­tig­keit und ich weiß, es ist fertig.«

An die­sem Punkt fra­gen wir uns: Ist man als Künst­ler jemals am Ziel? »Man lügt sich an, wenn man sagt, man kann sich frei malen. Dass jemand sagt, so, das war das letz­te Bild und aus. Es reicht nie, denn das nächs­te muss bes­ser wer­den. Und das nächs­te wird nicht bes­ser.« Wenn Hirn, Herz und Hand zusam­men­stim­men, dann wird es laut Fried­rich Eig­ner eine sehr gute Arbeit. »Dann kommt aber noch die­ses gewis­se Etwas dazu, das geheim­nis­vol­le ‚Hu‘, über das kei­ner so rich­tig Bescheid weiß und es wird ein Meis­ter­werk, das in die­sem ein­ma­li­gen Aus­druck nicht wie­der­hol­bar ist.« So inter­agie­ren bei­spiels­wei­se Nacht- und Däm­mer­licht auf Eig­ners Lein­wän­den und ver­schmel­zen förm­lich Schicht für Schicht zu einer end­lo­sen und zugleich ver­trau­ten Raumdimension.

Erneut zieht uns das gro­ße Gemäl­de mit der Gewit­ter­stim­mung in Vene­digs Lagu­ne in sei­nen Bann: ein Meis­ter­werk. Ergrif­fen von der Tie­fe und dem gewis­sen Etwas, füh­len wir uns nach dem beweg­ten Aus­tausch mit sei­nem Schöp­fer dem Geheim­nis eine Spur näher.

Der Arti­kel ist in der Print-Aus­ga­be 3.22 REFLECTION erschienen.

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