Der Künstler. Ein Seelenintelligenzler?

Interview mit Robert Deutsch

Ein span­nen­der phi­lo­so­phi­scher Dia­log zwi­schen Kunst­phi­losphin und Künst­ler über The­men wie selbst­ge­macht, die künst­le­ri­sche Avant­gar­de, Alan Turing, Gefüh­le und Mastermind.

Robert, war­um hast du als Gegen­stand dei­ner augen­blick­li­chen künst­le­ri­schen Akti­vi­tä­ten Alan Turing ausgesucht??

Vor allem hat mich die Fra­ge inter­es­siert, wie man eigent­lich dazu kommt, künst­li­che Intel­li­genz schaf­fen zu wol­len, als nor­ma­ler Mensch, als Mathe­ma­ti­ker dar­an zu den­ken, Künst­li­ches zu schaf­fen, das genau­so ticken könn­te wie ein Mensch. Das hat mich sehr fas­zi­niert, und ich fand, dass es ein­mal von mei­ner Sei­te aus beleuch­tet wer­den muss. Die­ser Schöp­fungs­an­spruch ist doch ein Wahnsinn!

Daran möch­te ich gleich anschlie­ßen: Turing ist ja qua­si der Vater des moder­nen Com­pu­ters. Wäre es für dich eine ver­lo­cken­de Vor­stel­lung, wenn es ein „rei­nes“, abso­lu­tes Gehirn gäbe, frei von Gefüh­len? Die tota­le Bere­chen­bar­keit ohne Emotions-Wirrwarr?

Mei­ner Mei­nung nach gibt es einen fal­schen Begriff der Intel­li­genz in der Intel­lek­tua­li­täts­for­schung, der auf den Ver­stand redu­ziert wird. Es gibt aber auch eine Form der Intel­li­genz, der Ver­nunft, wel­che die Künst­ler als See­len­in­tel­li­genz ahnen. Natür­lich gibt es auch eine maschi­nel­le Intel­li­genz, die sich der Mensch zunut­ze machen kann, um mehr Raum für ande­re Din­ge zu haben, um sich nicht mit irgend­wel­chen Rech­ne­r­ei­en beschäf­ti­gen zu müs­sen. Das kann ja der Com­pu­ter machen. Auch von der Geschwin­dig­keit her oder, was auch heut­zu­ta­ge schon viel geschieht: dass vie­le Sachen im Hin­ter­grund lau­fen, die wir gar nicht mehr so wahrnehmen.

Das heißt aber nicht, dass der Com­pu­ter ein Ersatz für den Men­schen sein könnte?

Nein, nicht als Ersatz. Ich glau­be auch nicht, dass es eine Maschi­ne in naher Zukunft leis­ten könn­te, einen Men­schen zu ersetzen.

Was macht es für den Künst­ler aus, dass er Gefüh­le hat? Dass er Fan­ta­sie hat und dass er eben nicht die rei­ne Rechen­ma­schi­ne ist? Wel­che Bedeu­tung hat das Unbe­re­chen­ba­re für den Künstler?

Das ist es ja. In der Kunst arbei­te ich intui­tiv, was eine Maschi­ne nicht könn­te. Es spie­len Ein­drü­cke dei­nes Lebens eine Rol­le: Din­ge, die du erfah­ren hast oder was du gele­sen hast etc. und die du dann neu inter­pre­tierst… Ich den­ke, dass der Mensch in die­ser Hin­sicht der Maschi­ne weit vor­aus ist und auch blei­ben wird.

Porträt fotografiert von Yvonne Most
Robert Deutsch

Kunst lebt immer auch von der Pro­vo­ka­ti­on. Es kann nicht immer alles schön ange­passt und kom­mer­zi­ell ver­markt­bar sein. 

Dein Gen­re ist die gra­phic nou­vel, und du arbei­test mit Stil­mit­teln wie dem Mär­chen, der Fan­ta­sie, ande­ren Wel­ten, Leib­lich­keit, Sex, Rausch, Eksta­se. Denkst du, dass die­se Wis­sens­form des Künst­lers die Grund­la­ge jeg­li­cher ratio­na­lis­ti­scher Her­an­ge­hens­wei­se an eine Bio­gra­phie wie der Turings sein sollte?

Ich habe extra eine emo­tio­na­le Ebe­ne v.a. mit dem Mär­chen auch gewählt, um in mei­ner Geschich­te eine Par­al­lel­welt zu schaf­fen zu der Turings, die auch stark ratio­nal geprägt war. Es war wich­tig für mich, ein Span­nungs­feld zu erschaf­fen zwi­schen die­sem rein geis­ti­gen Genie und dem Mär­chen. Es ging mir um die Nai­vi­tät die­ser Geschich­te, die ja doch einen sowohl hoch­ra­tio­na­len als auch fan­ta­sie­be­gab­ten Künst­ler und Den­ker vor­stellt, viel­leicht in einer Art und Wei­se, die so neu daher­kommt wie er in sei­nem Werk selbst.

Viel­leicht schöpft der Künst­ler gera­de aus die­ser schein­bar irra­tio­na­len Welt die Kraft, um wie­der ratio­nal han­deln zu kön­nen, um wie­der „den­ken“ zu kön­nen. Damit wäre eben die­se dio­ny­si­sche Welt die Bedin­gung der Mög­lich­keit für den Künst­ler, den Über­blick über sich und sein Werk, über sein Leben zu bekom­men und zu behal­ten. In die­sem Sin­ne kann ja der Künst­ler erst Genie oder Vor­den­ker sei­ner Welt und der Welt der ande­ren sein – Mastermind!

Das Mär­chen steht auch für eine Welt, die sich der Welt der gesell­schaft­li­chen Demü­ti­gun­gen und kör­per­li­chen Bestra­fun­gen, in Turings Fall bezo­gen auf sei­ne Homo­se­xua­li­tät, zu ent­zie­hen ver­sucht. Aber aus der er auch wie­der Kraft zum Kämp­fen gewinnt. Wei­ter­ma­chen, wei­ter arbei­ten – die Kraft schöp­fend aus der Vor­stel­lung, es könn­te doch eines Tages alles gut enden, wie im Märchen.

Was ver­stehst du unter der Selbst­macht des Künstlers?

Ich den­ke, ein Künst­ler hat immer die Macht, der Öffent­lich­keit einen gewis­sen Spie­gel vor­zu­hal­ten. Ich konn­te bei­spiels­wei­se anhand von Turing bestimm­te Sach­ver­hal­te aus der Geschich­te, die uns heu­te nicht mehr so geläu­fig sind, ja fast ver­ges­sen, wie­der auf­rol­len. Inso­fern hat der Künst­ler die Macht, ande­re wie­der wach­zu­rüt­teln, indem wie­der und auch neu dar­über gespro­chen wird. Din­ge, über die ein­fach nicht mehr gespro­chen wird, gera­ten zu oft in Ver­ges­sen­heit oder wer­den auch oft mit Vor­ur­tei­len belegt. Der Künst­ler kann dazu bei­tra­gen, eine gewis­se Auf­klä­rung zu schaf­fen bei den Men­schen. Es ist noch lan­ge nicht soweit, dass wir sagen kön­nen, Homo­se­xua­li­tät sei bei allen Men­schen ange­kom­men und es sei etwas völ­lig Nor­ma­les, wor­über man gar nicht mehr redet, so wie die Bezie­hung von Mann und Frau. Des­we­gen ist es auch wich­tig, dass man dar­über berich­tet, denn man hat dann auch die Macht, Vor­ur­tei­le aus der Welt zu schaf­fen, Schritt für Schritt. Gera­de jetzt geschieht es ja auch, dass wie­der Geset­ze erlas­sen wer­den, dass jeder hei­ra­ten kann. Das ist schon inter­es­sant. Vor allem, dass es jetzt erst pas­siert, nach über 50 Jah­ren. Natür­lich gehen mich die The­men, die ich mir aus­wäh­le, auch selbst exis­ten­zi­ell an. Man beschäf­tigt sich mit ver­schie­de­nen Din­gen, die dann natür­lich Ein­fluss auf die eige­ne Arbeit haben. Inso­fern ist mein Werk immer grund­le­gend auch Erzeug­nis oder Pro­zess mei­ner Selbst­mäch­tig­keit als Künstler.

Lässt du dich in der Ver­wirk­li­chung dei­ner Arbei­ten eher trei­ben oder hast du einen indi­vi­du­el­len „Werk­plan“?

Es gibt natür­lich immer ver­schie­de­ne Pro­jek­te, die ich im Kopf habe und die ich gern ver­wirk­li­chen wür­de. Einer­seits las­se ich mich schon trei­ben, aber ande­rer­seits möch­te ich z.B. in Zukunft viel in eige­nes For­mat malen. Ich arbei­te ja im Moment viel mit klei­nen Bil­dern. Das soll durch grö­ße­re Bil­der erwei­tert wer­den. Dann gibt es aber auch die Sachen, mit denen ich mich frei beschäf­ti­ge, die viel­leicht am Ende gar kei­nen Sinn für jemand ande­ren oder die ande­ren haben, wo ich mich trei­ben las­sen kann. Das Gan­ze pas­siert natür­lich immer auch in einem bestimm­ten Rah­men, also soweit es auch geht.

Der Maß­stab aber bleibst du? Das ist ja die eigent­li­che künst­le­ri­sche Selbst­macht. Oder?

Ja, da stim­me ich dir zu. Ich wür­de mich jetzt nicht für eine bestimm­te Gale­rie oder für den Markt so ver­bie­gen, dass es am Ende nichts mehr mit mir als Künst­ler zu tun hat bzw. mit mei­nem künst­le­ri­schen Werk.

Seit dem 9. Febru­ar 2017 exis­tiert in Leip­zig ein „Forum für Kunst und Phi­lo­so­phie“, das ich zusam­men mit der Künst­le­rin Brit­ta Schul­ze ins Leben geru­fen habe und lei­te. Die Grund­fra­ge in die­sem Forum ist die nach der Not­wen­dig­keit einer künst­ler­phi­lo­so­phi­schen Avant­gar­de. Was hältst du davon? Ist eine künst­le­ri­sche Avant­gar­de not-wendend?

Ich den­ke, es gibt immer einen gewis­sen Avant­gar­dis­mus in der Kunst, es gab immer Strö­mun­gen, in die vie­le mit hin­ein­ge­zo­gen wer­den. Dass es von­nö­ten wäre, wür­de ich gar nicht sagen. Ich den­ke, so etwas muss man lau­fen las­sen und man darf sich gar nicht groß ein­mi­schen. Es sind sehr vie­le momen­tan. Das ist ver­rückt, dass man sich in der Gesell­schaft die­sen Raum neh­men kann, die­sen Luxus, sich mit sich selbst zu beschäf­ti­gen und frei zu schaf­fen. Es gab aber auch immer Köp­fe, die die­se Strö­mun­gen und Ten­den­zen erkannt und the­ma­ti­siert haben. Das Gesche­hen in Wor­te gefasst haben, lan­ge bevor man von die­ser oder jener Strö­mung offi­zi­ell sprach. Heu­te ist es wie­der­um auf­grund der vor­herr­schen­den „poli­ti­cal cor­rect­ness“ und des fal­schen, damit in Zusam­men­hang ste­hen­den Genie­be­griffs schwie­rig, mit dem Begriff der Avant­gar­de umzu­ge­hen. Ja, das ist eben auch die Gefahr: die Ein­schrän­kun­gen, die sich dadurch erge­ben. Kunst lebt immer auch von der Pro­vo­ka­ti­on. Es kann nicht immer alles schön ange­passt und kom­mer­zi­ell ver­markt­bar sein. Es ist wich­tig, eine gewis­se Radi­ka­li­tät zuzu­las­sen, Gren­zen zu über­schrei­ten, die von den Vor­den­kern, den Phi­lo­so­phen und Künst­ler­phi­lo­so­phen als Form­ge­ber kommt.

Womit beschäf­tigst du dich außer mit Alan Turing noch in dei­nem künst­le­ri­schen Werk?

Ich spie­le viel mit Gen­der-Sachen. Es ist noch nicht klar, in wel­che Rich­tung das geht in den Bil­dern. Ich zitie­re viel aus der Kunst­ge­schich­te und aus der Reli­gi­on, beleuch­te das sar­kas­tisch, grei­fe das auch an, indem ich bei­spiels­wei­se Anti­hel­den kreiere…

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Künstlerphilosophin. Sie promovierte zum Thema: „Sehnsüchtige Körper – Eine Metatropie“. Lehre seit 2006 an verschiedenen Hochschulen und Universitäten. Darunter: Philosophisches Institut der Universität Leipzig, Hochschule für Grafik und Buchkunst zu Leipzig, Kulturwissenschaftliches Institut der Uni Leipzig, Germanistische Institute der Universitäten Lodz, Piliscisiaba/Budapest und Sydney/Australien. Außerdem hielt sie Vorlesungen und Seminare vom WS 2012/13 – WS 2013/14 als Juniorprofessorin (i.V.) an der Sportwissenschaftlichen Fakultät der Uni Leipzig. Kolumnistin der Leipziger Zeitung seit 2015. Mitglied des kulturwissenschaftlichen Beirates Klinikum Bremen Ost. Von 2002 bis 2010 war sie Vorstandsmitgleid der Nietzsche Gesellschaft e.V.. Wichtigste Publikationen: Volker Caysa/ Konstanze Schwarzwald: Nietzsche – Macht – Größe (De Gruyter), Volker Caysa/ Konstanze Schwarzwald: Experimente des Leibes (Peter-Lang-Verlag 2008), Sehnsüchtige Körper – Eine Metatropie (2011), Askese als Verhaltensrevolte (2015), Denken des Empraktischen (2016). www.empraxis.net. Foto © Hagen Wiel

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