Stolz & Zier
Man sieht ihm seine Leidenschaft, aber auch den Stolz darauf an, ein so seltenes und aussergewöhnliches Kunsthandwerk wie das des Federkielstickens zu beherrschen. Ulrich Thaler, Jg. 1978, braucht nicht viele Handwerksgeräte, um aus Rinds- oder Kalbsleder und den Kielen von Pfauenfedern wahre Kleinodien zu zaubern: eine Ahle mit flach zugeschliffener Spitze, Punziereisen, ein eigenes scharfes Messer zum Spalten der Federkiele und eine kleine Werkbank aus Holz. Auch das alles selbst gemacht. Die perfekt aufgeräumte, saubere kleine Werkstatt, in der Ulrich zusammen mit seinem Vater Johann, seinen Geschwistern Andrea und Georg und ihren Mitarbeiter/innen diese Kleinkunstwerke in 100-prozentiger Handarbeit fertigt, liegt in Sarnthein im Sarntal, das sich nördlich der Südtiroler Hauptstadt Bozen Richtung Sterzing zieht. Seit ca. 150 Jahren wird hier dieses Kunsthandwerk gepflegt. Auch wenn federkielgestickte Gebrauchsgegenstände und Trachtenteile außer in Tirol auch in Oberbayern, in Oberösterreich, in Salzburg und im Kärntner Gailtal eine lange Tradition haben, so findet sich das Zentrum der Produktion heute eindeutig im Sarntal.
Die Federkielstickerei erfordert Kunsthandfertigkeit, Kreativität, ein scharfes Auge und nicht zuletzt jahrelange Übung und Erfahrung.
Der in Südtirol anerkannte Lehrberuf des Federkielstickers beruht auf einer 4−5‑jährigen Lehrzeit. Aber für Ulrich Thaler ist auch die Auswahl der traditionsreichen Motive und deren Symbolik wichtig. „Auf den historischen Stücken finden sich oft Symbole für die Bauernschaft und Zunftzeichen, wie die der Zimmerleute, Schreiner, Metzger, Fuhrleute oder der Innflößer“, erklärt er, „aber auch Sinnsprüche, religiöse und Jagdmotive, Löwen, Adler, Salomonssiegel und Lebensbäume.“ Nicht selten haben die Rankwerke und Bordüren sogar klingende Namen wie „Laufender Hund“. Die Schwanzfedern von 60 Pfauen verarbeitet die Familie Thaler im Jahr. Wenn diese majestätischen Vögel zur Zeit der Mauser im Juli/August die Schwanzfedern verlieren, übergeben sie Bauern aus dem ganzen Land den Federkielstickern für ihre edlen Produkte.
Nur bei Engpässen wird auch auf Pfauenfedern aus Tierparks zurückgegriffen. „Im Gegensatz zu früher bleiben die Kiele heute fast durchwegs naturweiß; nur für kleine Kontraste werden einzelne Federkielfäden vor der Verarbeitung mit Lebensmittelfarben rot, gelb oder grün eingefärbt“, erklärt Thaler. Mit spitzer Feder und weißer Tusche werden die traditionsreichen Motive auf das gefirnisste braune oder schwarze Leder aufgetragen, bevor die Schlitze für die Stickerei schräg eingestochen werden. Dann werden die zugespitzten Federkielsteifen ohne Nadel so durchgeführt, dass jeweils die glänzende Seite nach oben und die matte nach unten zeigt. „Ein möglichst breiter, reich bestickter Gurt galt seit jeher als Statussymbol“, erklärt Ulrich Thaler, der zu bedenken gibt, dass der Wert eines solchen Einzelstückes bereits vor 200 Jahren bei 2−3 guten Milchkühen oder 2 Pferden lag.
Bis zu 2 Jahren dauert die Wartezeit für einen reich bestickten Trachtengurt, in den bis zur Fertigstellung an die 100−200 Arbeitsstunden investiert werden. Die Herstellung des Trachtengurts für Männer − Fatschen, Blattlranzen, Riemen und Doppelzwickel, wie sie je nach Gegend, Form und Machart genannt werden − ist nach wie vor die Königsdisziplin der Federkielstickerei. Allen gemeinsam ist eine von Hand gravierte Messing- oder Silberschließe. Aber auch federkielgestickte Trachtenschuhe, Geldtaschen, Glocken- und Schellenriemen, Gürtel und Gürtelschnallen, die so genannten „Metzgertaschen“, Hochzeitsalben, Speisekarten und Schlüsselanhänger entstehen unter den geübten Fingern der Meister ihres Fachs. „Meinem Großvater, der das Kunsthandwerk des Federkielstickens nach dem 2. Weltkrieg erlernt hat und der es als erstes hier im Tal hauptberuflich ausgeübt hat, steht das Verdienst zu, diese Technik verfeinert zu haben“, erzählt Ulrich Thaler. Weiter perfektioniert hat sie dann sein Vater Johann, der dieses Kunsthandwerk ebenso wie dessen Bruder Luis von Ulrichs Großvater Johann Thaler sen. erlernt hat.