Nachgefragt bei Gabriele Schor Gründungsdirektorin der Sammlung Verbund
17 Jahre Sammlungsaufbau, 159 Positionen, 840 Werke und 13 Publikationen – so lässt sich die SAMMLUNG VERBUND in Zahlen auf den Punkt bringen. Doch hinter diesen Zahlen steckt viel mehr: Die konsequente Auseinandersetzung mit dem Dialog zwischen der Kunst aus den 70er Jahren und gegenwärtigen Positionen. Vor rund einem halben Jahrhundert lösten sich viele Künstlerinnen und Künstler von der Malerei und schufen völlig neue Ausdrucksformen. Sie begannen ihren eigenen Körper als Medium zu entdecken. Fotografie, Video, Film und Performance etablierten sich als eigenständige Kunstformen. Aktuell zeigt das Lentos (Linz) in der Ausstellung „Female Sensibility“ mit über 200 Kunstwerken aus der Wiener SAMMLUNG VERBUND, wie 82 Künstlerinnen die Konstruktion des Weiblichen in den 1970er-Jahren hinterfragten. Die Ausstellung hebt die Pionierleistung der „Feministischen Avantgarde“ hervor. Erstmals in der Geschichte der Kunst zeigten viele Künstlerinnen auf verschiedenen Kontinenten die Unterdrückung der Frau.
Die SAMMLUNG VERBUND arbeitet mit Direktorin Gabriele Schor seit ihrer Gründung daran, diese Pionierleistungen in der Kunstgeschichte zu verankern. Gabriele Schor lehrte davor an der Universität in Wien, Salzburg und Graz über Fotografie und Kunstkritik und schrieb regelmäßig für die NZZ. Wir treffen Gabriele Schor in einem virtuellen Raum, um uns mit ihr über die Sammlung zu unterhalten.
Die SAMMLUNG VERBUND hat sich zum Ziel gesetzt künstlerische Positionen, die bisher verborgen waren, zu entdecken und sichtbar zu machen – können Sie uns den Gründungsgedanken und die Entwicklung bis heute kurz skizzieren?
GABRIELE SCHOR: Im Jahre 2004 hat der damalige Vorstand mich eingeladen, ein Konzept für den Aufbau einer Sammlung zu erstellen. Es gab dann Überlegungen, wie man 2004 eine Firmensammlung gründet. Begonnen habe ich also mit einer Analyse und einer daraus folgenden Zielformulierung. Es war uns von Anfang an wichtig, eine Identität und einen Wiedererkennungswert zu schaffen und dass klar nachvollzieh-bar ist, wofür die Sammlung steht. Dafür galt es Rahmenbedingungen festzulegen. Ich fand es interessant, mit 1970 zu beginnen. Zu dieser Zeit haben sich viele Künstlerinnen mit neuen, nicht erprobten Medien versucht. Es herrschte eine Aufbruchsstimmung: Feminismus, Post-moderne, Anti-War-Bewegung und diese haben auch in der bildenden Kunst ihren Ausdruck gefunden. Von Anfang an war es essentiell für mich, dass wir auch forschen und in die Tiefe gehen. So fanden wir auch zu einer Maxime: »Tiefe statt Breite.« Im Gegensatz zu den Museen, die einen anderen Auftrag haben und verschiedene Jahrzehnte abdecken müssen, konnten wir hier anders herangehen. Natürlich war das auch nur mit einem entsprechenden Ankaufsbudget möglich. Das Konzept ist sehr wohlwollend angenommen worden. Es gab auch ein hochkarätiges Advisory Board und das war am Anfang sehr wichtig, in seiner Funktion als Türöffner, um auch das Vertrauen aufzubauen, gerade im Kontakt mit den Galerien. Relativ schnell hatten wir 2010 im MAK die erste Sammlungsausstellung und anschließend in Istanbul. Es hat sich vor allem im Ausstellungskontext bewährt, dass wir in die Tiefe sammeln, eben auch mehrere zentrale Werke einer Position. In Rom hatten wir die erste Themenausstellung zum Schwerpunkt Feministische Avantgarde. Damals hatten wir ungefähr 200 Werke von 25 Künstlerinnen und jetzt, 10 Jahre später, haben wir Werke von 82 Künstlerinnen und insgesamt 600 Werke, die Sammlung ist also schon ziemlich gewachsen.
Insgesamt haben wir in der Sammlung Künstler und Künstlerinnen aus drei Generationen und vereinen diese unter drei Schwerpunkten.
Das klingt auch nach sehr viel Detailarbeit?
Ja, in der Tat, das ist sehr viel Research-Arbeit. Wir mussten manch-mal erst die Kontaktdaten herausfinden. Manche Künstlerinnen waren auch überrascht, dass wir sie überhaupt kontaktieren. Dieser Umstand hat mich auch durchaus nachdenklich gemacht, denn es sind sehr starke Werke und im Kontext sprechen sie eine klare Sprache. Dass diese Künstlerinnen teilweise wenig Selbstbewusstsein hatten, hat mich anfangs erstaunt. Dann ist mir aber bewusst geworden, dass es in dieser Zeit schwierig war, als Künstlerin wahrgenommen zu werden. Dadurch sind Künstlerinnen in den Folgejahrzehnten oft in Vergessenheit geraten und deren Werke hatten zum Teil einen zu geringen bis gar keinen Marktwert. Das hat sich nun durch das Zutun von uns und jenes vieler Museen und Galerien verbessert.
Äußerst spannend. Daraus schließen wir, dass Sie einige künstlerische Positionen entdeckt bzw. wiederentdeckt haben?
Genau. Renate Bertlmann zum Beispiel. Sie war ja schließlich als erste Frau mit einer Soloshow an der Biennale in Venedig. Oder auch Birgit Jürgenssen. Die ersten Monografien dieser beiden Künstlerinnen haben wir erarbeitet und vor allem nicht nur in deutscher Sprache, sondern auch auf Englisch. Weder Renate noch Birgit hatten Bücher auf Englisch. Da wird man aufgrund der Sprache international zu wenig wahrgenommen. Wir haben auch 80 Werke von Francesca Woodman. Ein weiteres Prestige Projekt war die Publikation mit Cindy Sherman. Als ich beispielsweise bei ihr in New York war, hatte sie ihre 70er-Jahre in Schuhschachteln verstaut. Auch so eine berühmte Künstlerin hat ihre 70er-Jahre nicht als wichtig angesehen. Unabhängig von den Künstle-rinnen wurde dieses Jahrzehnt nicht ausreichend rezipiert. Es war also sehr wichtig, dass wir unsere Forschung initiiert haben, weil wir so einen sinnvollen Beitrag liefern und Kunstgeschichte mitschreiben. Interessant ist, dass viele Künstlerinnen sich untereinander nicht kannten, aber eine ähnliche Ästhetik verfolgten. Das ist natürlich sehr spannend, wenn man diese Parallelen entdecken kann. Das hat jetzt auch ein Echo erfahren. Die Institutionen und Universitäten zeigen großes Interesse und manche Künstlerinnen können bereits höhere Preise für ihre Werke erzielen.
Was muss man beachten, wenn man eine Sammlung für ein Unternehmen aufbaut, ist die Vorgangsweise und die notwendige Expertise eine andere als bei einer privaten Sammlung?
Ja, etwas anders. Der Vorstand gab mir sein Vertrauen, dass ich die Kunstankäufe gemeinsam mit dem Advisory Board entscheide. Das ist eine unglaublich großzügige Geste, die ich sehr zu schätzen weiß. Man hat sich daran gehalten. Dadurch hatte ich freie Hand und konnte mir ein Konzept überlegen. Mit privaten Sammlern hätte man mehr Austausch, muss sich mit deren Gedanken auseinandersetzen und er oder sie wird vermutlich mitsprechen. Man braucht als privater Sammler nicht unbedingt ein Konzept, sondern man kann mehr aus dem Bauch heraus entscheiden. Als private Sammlerin, privater Sammler braucht man sich nicht gegenüber anderen Sammlungen zu behaupten. Bei einer Firmensammlung habe ich eine Verantwortung gegenüber VERBUND, unsere Kunstwerke und Publikationen in die Öffentlichkeit zu bringen, daher ist eine Strategie wichtig. Welches Alleinstellungsmerkmal hat man? Welchen Fokus? Was ist der Anspruch der Sammlung Verbund?
Warum wollte Verbund eine eigene Sammlung aufbauen?
Solche Entscheidungen haben natürlich immer mit dem Vorstand zu tun, da muss ein entsprechender Wille vorhanden sein. VERBUND über-nimmt gesellschaftliche Verantwortung, im Bereich Klimaschutz sowie im Sozialen, im Sport und in der Kultur. Im kulturellen Bereich hat sich der Vorstand für den Aufbau einer Firmenkunstsammlung entschieden.
Welchen Stellenwert hat die Sammlung in der Unternehmenskultur von VERBUND?
Wir haben sehr viele Gespräche mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wir führen sie durch die Vertikale Galerie im Stiegenhaus über 8 Etagen, sie bekommen auch das jeweilige Buch geschenkt und der Aus-tausch ist sehr rege. Das Schöne ist, dass man mit den Menschen hier verbunden ist und auch diskutieren kann. Wenn Sexualität als Thema im Spiel ist, gibt es großen Bedarf an Kunstvermittlung. Das ist gut! Das Publikum vor Ort wird mit Werken konfrontiert, die es eben nicht erwartet und das macht den Dialog sehr spannend.
Als Gründungsdirektorin der Sammlung prägten Sie den Begriff der „Feministischen Avantgarde“, um die Pionierleistung der Künstlerinnen der 1970er-Jahre hervorzuheben. Gibt es Positionen, die Sie in der Sammlung noch vermissen?
Ich bin mir sicher, dass es in dieser Zeit noch viele Unentdeckte gibt. Manche Werke können wir nicht erwerben, weil sie unser Budget übersteigen und andere sind noch nicht entdeckt. Mit 82 Künstlerinnen schaffen wir historische Zusammenhänge, die wir ausstellen können. Wir wollen ja auch ausstellen. Ich kann nicht sagen, dass unsere Forschung beendet ist, aber man kann diesen Korpus jetzt sichtbar machen, man kann mit dem arbeiten und das ist sehr wertvoll.
Ein weiterer Schwerpunkt der Sammlung ist „Wahrnehmung von Räumen und Orten“ und stellt Querverbindungen zwischen Werkgruppen her. Können Sie uns diesen Schwerpunkt anhand einiger Beispiele erklären?
Der US-Amerikanische Künstler Fred Sandback beispielsweise. Der kommt in den Raum und spannt ein riesengroßes U mit schwarzen Fäden. Er wollte nicht mehr Skulpturen schaffen aus Masse und ist auf den Faden gekommen, mit dem er Volumen ohne Masse schafft. Man hat das Gefühl, man steht vor einem Spiegel, durch den man sich nicht durchzugehen traut. Sandback ist gekommen, mit einem kleinen Koffer, seine Fäden darin, saß im Raum, hat meditiert und dann hat er die Fäden gespannt.
Oder Gordon Matta-Clark, ein Konzeptkünstler, der beispielsweise ein Haus in zwei Teile geteilt hat. Diese Teilung hat den Raum komplett verändert. Er hat damit ein anderes Raumgefühl erschaffen. Da war auf ein-mal dieses Licht. Er ist genial. Er verfolgte den Ansatz, dass je nachdem in welchem Raum man lebt, so fühlt man sich und entwickelt seine dement-sprechende Wahrnehmung.
Und natürlich auch unser Yellow Fog. Der gelbe Nebel von Olafur Eliasson. Jeden Tag kann man dieses Werk entlang der 40m langen Fassade unseres Firmengebäudes »Am Hof« in Wien erleben. Die Idee ist, dass gelber Nebel aufsteigt, eine Stunde lang während der Abenddämmerung. Das ist eine sehr ephemere Arbeit. Jeden Tag ändert sich der Nebel. Wir nehmen somit auch den Platz immer anders wahr. Eliasson hat hier etwas geschaffen, das sich mit uns und unserer Wahrnehmung verbindet.
Gut zu wissen, da müssen wir unbedingt einmal hin!
Wir danken Ihnen herzlich für diesen Einblick in die Sammlung und wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg!
AKTUELLE AUSSTELLUNG:
Female Sensibility
Feministische Avantgarde aus der SAMMLUNG VERBUND
24.9.2021 – 09.01.2022
Lentos Kunstmuseum Linz