Sein Leben war glanzvoll
Antwerpen, 2. Juni 1640. 60 Fackeln begleiten einen Leichenzug. Eine Krone wir auf schwarzem Samtpolster dem Sarg vorangetragen. Der Apelles der Neuzeit wird mit klingendem Spiel zum ewigen Leben begleitet. Hinter dem Sarg schreitet im Trauerschleier Helana, die junge Witwe des „Meistgesichten Mannes Europas“. Sie trägt in ihrem Leib das 7. Kind von Pieter Paul Rubens. Maria Constantia Albertina wird in 8 Monaten zur Welt kommen und mit 16 Jahren ins Kloster gehen, um das künstlerische Testament des Vaters freizugeben zum Verkauf in alle Welt.
Rubens − das Banner der Gegenreformation, obwohl Sohn evangelischer Emigranten − war mehr als ein Genie: Rubens ist ein Phänomen. Humanist, Philosoph, Diplomat, Geheimagent, Taktiker, Stratege, Pädagoge, Sekretär der Regentin, Millionär, Kaufmann, Firmenchef, Finanzmann und Lebemann, zweimal zum Ritter geschlagen, Schlossbesitzer. Und der berühmteste Maler seiner Zeit. Absolutismus, Feudalismus und Merkantilismus bekämpften sich blutig, seit Europa die Neue Welt entdeckt hatte. Rubens suchte in einer zweiten, europäischen Renaissance im Geiste der klassischen Antike ein neues Europa mit den Mitteln der Kunst und der Farben in Schönheit zu einen, mit Pinsel und Feder.
SEDES FORTUNAE ROTUNDAE SUNT
WER IST RUBENS?
Kunst kommt von Können, Können ist Gönnen, und Kunst kommt von Gunst! Gewahren und Gewähren: Die Gabe der Musen ist das Glück der Schönheit. Wen die Musen lieben, dem schenken sie den Augenblick des Glücks. Rubens empfing, wie jeder Mensch, den Blick − und er gibt ihn bis heute zurück! Der Maler ist ein Diener des Augenglücks im Augenblick. Er vermag ihn festzuhalten, den Blick, immer weiter wirkend in der Kraft der Begegnung der Augen mit den Augen. Dies ist die Brücke zwischen innen und außen. Rubens Augen sind unsere Augen, und wir schauen in die Augen, die Rubens sahen und die Rubens sah. Rubens malte uns leuchtende Augen.
NOMEN EST OMEN
Das 6. Kind von Jan Rubens und Maria Pipelincks, aus Patrizierfamilien Antwerpens, dem damaligen „nordischen Rom“, wurde in Siegen in Westfalen am 28. Juni geboren, offenbar nach Mitternacht, denn er wurde Peter und Paul getauft, den Namenspatronen des 29. Juni. Somit war sein Schicksal Rom geweiht. Rubens bedeutet im Hebräischen: „Schau, ein Sohn!“ Das Sehen ist die Gabe des ersten Sohnes Jakobs. (PPR wurde ja auch folgerichtig in der St. Jakobskerk beigesetzt.) „RU“ klingt auch wie „Ruach“ − der göttliche Hauch. Das lateinische „rubeo“ bedeutet aber: rot werden, von Leben erfüllt gedeihen. Die Rose kündet davon. Rot ist auch das Blut des Lebens. Man kann es als „florieren“ deuten. Auserwählte der Menschheitsgeschichte wie Tizian, Leonardo, Michelangelo, Kepler oder Platon brauchen kein Binom.
RUBENS MUSEN
Zur Zeugung neuen Lebens ist der erste Funke, dass ein Augenpaar ein anderes Augenpaar findet in einer Begegnung des liebenden Blickes. Liebe geht durch die Augen. Und diese Augenbegegnung wiederholt sich mit dem Neugeborenen. Der liebende Blick gibt das Leben weiter. Die Welt, deren Licht das Neugeborene erblickt, ist der Augenblick der Augen, die in seine Augen schauen. Liebe des liebenden Blickes trägt das künftige Leben bis zum physischen Tod. Der Maler vermag diesen Blick noch weiterzugeben, über Jahrtausende. Wir dürfen annehmen, dass Rubens als erstes den liebenden Blick seiner Mutter Maria empfing, den seines Vaters, den seines Bruders Philipp. Diese ersten Blicke finden wir in seinen Bildern immer wieder. Die Familie lebte − der Vater ist dem Tod im Gefängnis entkommen − im Exil. Alle mögen sich mit leuchtenden Augen über den Neugeborenen gebeugt haben. Maria Pipelincks, die Schriftstellerin war, hat die Geschicke der Familie Rubens zum Glück gelenkt. Die Mutter war Pieter Paul Rubens’ erste Muse. Ihre Liebe trug ihn weit über ihren Tod hinaus − durchs ganze Leben.
Die unbekannte Muse des pubertierenden Pieter Paul Rubens, Marguerite de Ligne-Arenberg, Tochter eines Ritters vom Orden zum Goldenen Vlies, mag als 37-jährige Witwe dem Pagen auch innige AugenBlicke gewährt haben. Sie habe ihn geliebt, wie einen eigenen Sohn. Italiens lebendige und gemalte Musen füllten Rubens Augen mit großem Glanz. Rubens avanciert zum Maler der leuchtendsten Augen weltweit. Antike und Renaissance − und jetzt und hier! Das ist Leben! Farbe, Licht! Pieter Paul Rubens malt es euch! Nach dem Tod der geliebten Mutter heiratet er Isabella Brant, die Nichte seines Bruders. Die Muse mit schrägen, orientalischen Augen, in Antwerpen. Die Frau seines Lebens! Rubens baut ihr einen italienischen Palast in Antwerpen. Sie gebiert ihm Kinder mit strahlenden Augen! Rubens blüht. Der Krebsgeborene hat Familie, das ist die Neugeburt der Renaissance. Der Bürger wird zum Fürsten. Die Fürsten kommen zum Bürger, der Handwerker wird Minister, Hofmaler. Nach 17 glücklichen Ehejahren stirbt Isabella an der Pest. Pieter Paul Rubens reist als Diplomat durch Europa, um die Einigung der Niederlande voranzubringen. Dieses Lebensziel sollte er nie erreichen.
Die 17-jährige Helene Fourment, mit den strahlend blonden Haaren das verkörperte Ideal der venezianischen Malerei eines Tizian, heiratet der nun von zwei gegnerischen Königen zum Ritter geschlagene Maler Europas im Alter von 53 Jahren. Mit ihr lebte er auf Schloss Stehen. Sie gebar ihm wiederum blühende Kinder. Ihr vermachte er die „Venus im Pelz“. Sie war die schwangere Muse, die dem Sarg von Rubens durch Antwerpen folgte, das ihr Mann zur neuen Blüte gebracht hatte − Zentrum der Kunst, der Gunst der Musen, deren Augen Rubens der Welt weitergab in Liebe. Die Schönheit zu schauen, malte Rubens die schönsten Augen, die Gabe der Musen allen zu geben. Die Lebenskraft der Liebe. Das ewige Glück im Augenblick. Rubens fand es im Augenglanz seiner Lieben, seiner Kinder.
Auf den Außenflügeln des Ildefonso-Altars greift das goldlockige Kind nach dem Zweig mit zwei Äpfeln: Es sind die Augäpfel, die allen geschenkt sind, als Gabe des Lebens. Zeitlos ist das Augenlicht. Rubens hat es gemalt, das Glück. Die Einigung der Heimat, der geteilten Niederlande, er gab sie als Hoffnung dem Diluvium der leonardesken „Gewitterlandschaft“: als siebenfarbigen Regenbogen über dem Katarakt, links unten im Wiener Gemälde. Es ist der Bogen der Iris, der Brücke der Götterbotin − die Farben des Lichtes, mit denen Rubens Gegenwart und Zukunft schuf, die sieben Farben, mit denen er all seine Werke schuf, mit den Augen. Es sind die Augen, die uns aus Tizians „Schäfer und Nymphe“ treffen − es ist die Muse! −, weiter aus der goldenen Zeit des Friedens. Ruhend in Liebe und Glück. Rubens bringt sie zum vollen strahlenden Glanz.