Annabelle Headlam
In meinen arbeiten geht es um Schönheit – aber nicht im Sinne einer ornamentalen Ästhetik, sondern vielmehr als inneren Prozess, als ein sich zuwenden dem Höheren. Wenn diese Geisteshaltung eingenommen wird, kann man Schönheit in den einfachsten Dingen des Alltags wiederfinden.”
Annabelle Headlams Denken orientiert sich an den Prinzipien der fernöstlichen Philosophie. Ob Tattoo Art oder Malerei, dieser Ansatz spiegelt sich auch in ihren Arbeiten wider. Nicht von ungefähr erinnern viele ihrer Tätowierungen – sowohl formell als auch theoretisch – an japanische Tuschezeichnungen. Sowohl Tattoo als auch Sumie sind kaum im Nachhinein veränderbar, viele visuelle Entscheidungen prägen den Arbeitsprozess. Beim Tattoo ist jede dieser Entscheidungen zwar scheinbar mit dem Punktieren der Epidermis fixiert, aber das augenscheinlich Endgültige zerfließt bei genauerer Betrachtung. Die in Schichten gelagerte Haut nagt an der Tätowierung, der alternde Körper bäumt sich auf gegen diese Illusion des Absoluten. Oder, wie Annabelle Headlam es ausdrückt:
Skin is a fickle medium
Obwohl viele ihrer Kunden ihr Motiv selbst aussuchen, hat der Akt der Tätowierung für Annabelle Headlam etwas Rituelles, wie bei vielen Naturvölkern, die damit einen “Rite of Passage” verbanden, den Übergang in einen neuen Lebensabschnitt. Sie selbst versteht sich als Medium, das die individuelle Bedeutung des Tattoos für seinen Träger visualisiert.
Die Suche nach Ausdrucksmöglichkeiten ihres Ichs, ein Aspekt, der beim Tätowieren in den Hintergrund tritt, führte Annabelle Headlam schließlich zur Malerei. „Hier geht es darum, was ich zu sagen habe. Painting is about me. Tattooing is not.” Was ihr anfangs Freiraum neben der Tattoo Art gab, hat mit der Zeit eine starke Eigendynamik entwickelt. Nach einer kurzen Phase abstrakter Malerei entdeckt die Künstlerin das Portrait für sich. Es entstehen Kohlezeichnungen, balancierte Arbeiten mit sanften Übergängen zwischen Licht und Schatten, unter anderem von Hollywood Stars der Zwischenkriegszeit. In ihren neuesten Arbeiten dient das Instagram-Selfie als Inspirationsquelle. „Selfies faszinieren mich, weil sie ausdrücken, wie Menschen sich selbst sehen, beziehungsweise wie sie empfunden werden möchten, und weil sich in ihnen manchmal etwas zeigt, das über das Gewollte hinausgeht.” Dieser Funke, der dem Subjekt innewohnt und quasi auf den Betrachter überspringt, nennt Annabelle Headlam Resonanz. „Resonanz“ bedeutet, dass die Bedeutung dieser Bilder in einer Art Gleichklang steht mit meinen eigenen Empfindungen.
Es ist, als ob man mit einer völlig fremden Person einen gemeinsamen Nenner entdeckt. Das macht die Welt kleiner und zeigt, dass wir letztendlich Eins sind.” Um diese Andeutung des Transzendenten zu fokussieren, sind die Gesichter auf den Selfie-Portraits in einem Kreis im Zentrum des Bildes platziert. Dadurch entsteht eine starke visuelle Abgrenzung zu Kontext und Betrachter. Einzelne Gesichtspartien – oftmals Augen und Nase – werden fast fotorealistisch ausgeführt, das meiste ist bewusst reduziert und verwischt gehalten. Ein Hintergrund ist, wenn überhaupt, nur minimal zu erkennen, Referenzen auf die Außenwelt fehlen.
Auffallend ist der Blick der Darsteller, ihre jugendliche Sinnlichkeit, die sich ihrer Wirkung auf andere nur teilweise oder gar nicht bewusst sind. Diese bewusste Selbst-Verlorenheit will Annabelle Headlam darstellen, ein Ich, das sich im Bild zeigt, indem es sich darin verliert. Es ist eine Selbstdarstellung, die eine innere Ruhe ausstrahlt, und genau darum geht es der Künstlerin letztendlich: „I need art to transpire calmness. I am not interested in painting a state of the world. Because, after all, art is not a substitute for the news.” Kunst, die kein Ersatz sein will für die Tagesschau: Was für ein schönes Motto in einer reizüberfluteten Zeit!