Revolution und Kultur

Eine Revo­lu­ti­on, das Auf­be­geh­ren gegen die bestehen­de Gesell­schafts­ord­nung, wird zumeist aus poli­ti­schen Grün­den und unter Nut­zung sozia­ler Män­gel aus­ge­löst. Radi­ka­les, gewalt­sa­mes Vor­ge­hen ist die Regel, um die Macht­über­nah­me und deren Aus­übung zu sichern. Das Schick­sal des Ein­zel­nen zählt nichts, die geis­ti­ge Auf­fas­sung, dass das mensch­li­che Han­deln von Ver­nunft getra­gen sein soll­te, hat im poli­ti­schen Macht­den­ken kei­nen Platz.

Die Fran­zö­si­sche Revo­lu­ti­on von 1789 ersetz­te den König durch eine repu­bli­ka­ni­sche Regie­rung, bis der Füh­rer der Armee, Napo­le­on Bona­par­te, die Macht an sich riss und Allein­herr­scher wur­de, der sich schließ­lich selbst zum Kai­ser erhob. Die Ver­diens­te Napo­le­ons für die Ent­wick­lung Euro­pas sind nicht zu unter­schät­zen. Der Ruf nach Liber­té, Ega­li­té, Fra­ter­ni­té drang in die umlie­gen­den Län­der und führ­te zum Ruf nach Ver­än­de­run­gen. Die mili­tä­ri­schen Sie­ge Napo­le­ons ende­ten schließ­lich mit sei­nem Russ­land-Feld­zug und er wur­de von den ver­ei­nig­ten Hee­ren Eng­lands, Deutsch­lands und Russ­lands geschla­gen. Im Geden­ken an Napo­le­ons Nie­der­la­ge in Russ­land kom­po­nier­te Peter Tschai­kow­sky die Ouver­tu­re 1812, eine Schlach­ten­sze­ne­rie, in der das rus­si­sche Heer mit der Melo­die des Lie­des Gott sei des Kai­sers Schutz gegen die Melo­die der Mar­seil­lai­se kämpft, bis unter Kano­nen­don­ner und Glo­cken­ge­läut Napo­le­on geschla­gen ist. Lud­wig van Beet­ho­ven kom­po­nier­te 1805 sei­ne 3. Sin­fo­nie, Eroi­ca, die er Napo­le­on wid­me­te, dann aber, als der sich selbst zum Kai­ser erhob, die Wid­mung zer­riss. In der fran­zö­si­schen Male­rei wur­de Jac­ques Lou­is David der bedeu­tends­te Ver­tre­ter, der auch selbst an der Revo­lu­ti­on betei­ligt war.

Völ­ker der Erde, ver­ei­nigt euch, um die ame­ri­ka­ni­schen Inva­so­ren und ihre Lakai­en zu besiegen. 

Mit sei­nem Gemäl­de Tod von Marat schuf er ein Denk­mal für einen Revo­lu­ti­ons­hel­den. Die rus­si­sche Revo­lu­ti­on 100 Jah­re spä­ter ermor­de­te die Zaren­fa­mi­lie. Der Revo­lu­tio­när Lenin kehr­te aus der Schweiz nach Mos­kau zurück. Die kom­mu­nis­ti­sche Par­tei gelang­te an die Macht. Das übli­che Vor­ge­hen: Mord und Tot­schlag Anders­den­ken­der und alles wur­de nach Lenins Tod noch grau­sa­mer, als Sta­lin der Dik­ta­tor wur­de. Vor nun 50 Jah­ren, im Mai 1966, wur­de in Chi­na die soge­nann­te Kul­tur­re­vo­lu­ti­on aus­ge­ru­fen, sie hielt 10 Jah­re an. Es war eine poli­ti­sche Kam­pa­gne von Mao Zedong, die ihm zur Besei­ti­gung der alten Kader der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei (KP) dien­te und sei­ne unum­schränk­te Macht sichern soll­te. Die Kul­tur­re­vo­lu­ti­on wur­de schon eini­ge Jah­re vor ihrem radi­ka­len Aus­bruch vor­be­rei­tet. Auf Wei­sung von Mao Zedong und sei­ner Frau Jian Qing soll­te zunächst die tra­di­tio­nel­le Peking-Oper erneu­ert wer­den. Die Büh­ne wur­de von den klas­si­schen Prot­ago­nis­ten gesäu­bert. Kai­ser, Herr­scher, Gelehr­te wur­den durch Arbei­ter, Bau­ern, Sol­da­ten ersetzt.

Es soll­ten pro­le­ta­ri­sche Hel­den durch die pro­le­ta­ri­sche Mas­se gefei­ert wer­den. Das poli­ti­sche Gesche­hen soll­te im Sinn der KP dar­ge­stellt wer­den, auf der Büh­ne soll­te Klas­sen­kampf herr­schen. Zum effek­ti­ven Aus­bruch der Kul­tur­re­vo­lu­ti­on wur­de eine Viel­zahl unter­schied­li­cher Mas­sen­kam­pa­gnen aus­ge­löst. Am 16. Mai 1966 wur­de in Peking die vom Mao­is­mus indok­tri­nier­te Jugend mobi­li­siert, die Gesell­schaft von „bour­geoi­sen und  reak­tio­nä­ren Ele­men­ten“ zu befrei­en, in deren Fol­ge nach ver­läss­li­chen Quel­len wohl gegen zwei Mil­lio­nen Men­schen ermor­det wur­den, rund 30 Mil­lio­nen poli­tisch ver­folgt und 100 Mil­lio­nen Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge in Sip­pen­haft genom­men wur­den. Unglaub­li­che Grau­sam­kei­ten wur­den began­gen. Stu­den­ten erschlu­gen ihre Pro­fes­so­ren, die Uni­ver­si­tä­ten wur­den für 10 Jah­re geschlos­sen, west­li­che Güter zer­stört und ein Vio­lin­leh­rer, der sein Instru­ment ver­steckt hat­te, wur­de gefol­tert, bis er aus Rück­sicht auf die Fami­lie das Ver­steck ver­riet, wor­auf das Instru­ment zer­stört und er erschla­gen wur­de. Die KP gab nicht nur Anwei­sun­gen zur Erneue­rung der Peking-Oper, son­dern auch für die Kom­po­si­ti­on von Sin­fo­nien und Kla­vier­stü­cken. Als ein Haupt­werk gilt das 1968/69 von einem Kol­lek­tiv von vier Kom­po­nis­ten ver­fass­te Kla­vier­kon­zert Der Gel­be Fluss, mit gro­ßem Pathos, sehr laut, mit Melo­die­fet­zen, die an Rach­ma­nin­off und Tschai­kow­sky erin­nern und bei dem man nur Bedau­ern mit dem miss­han­del­ten Kla­vier haben kann, ein Mach­werk, das glück­li­cher­wei­se wohl nie in einem euro­päi­schen Kon­zert­saal zu hören sein wird. Und heu­te? Was ist aus der Kul­tur­re­vo­lu­ti­on geworden?

Der einst ver­hass­te Kapi­ta­lis­mus mit sei­nem treu­en Beglei­ter Kor­rup­ti­on ist all­ge­gen­wär­tig. Stän­dig ver­grös­sert sich die Zahl der Mil­lio­nä­re und Mil­li­ar­dä­re. Das Polit­bü­ro der KP hat nichts gelernt. Das schlimms­te Kapi­tel der chi­ne­si­schen Geschich­te wur­de nicht auf­ge­ar­bei­tet, nost­al­gi­sche Natio­na­lis­ten stim­men die alten Lobes­hym­nen auf den heu­ti­gen Prä­si­den­ten Xi Jin­ping an. Anläss­lich einer Gala zum 50. Jah­res­tag der Kul­tur­re­vo­lu­ti­on konn­te man auf Pla­ka­ten lesen: „Völ­ker der Erde, ver­ei­nigt euch, um die ame­ri­ka­ni­schen Inva­so­ren und ihre Lakai­en zu besie­gen.“ Die Gala fand im Mai 2016 statt. Fana­tis­mus und Men­schen­ver­ach­tung prä­gen auch eine Revo­lu­ti­on, die der­zeit im Namen eines Got­tes began­gen wird. Das ist zwar nicht neu und war bei man­chen Reli­gi­ons­ver­tre­tern üblich, aber dass ein sich so nen­nen­der Isla­mi­scher Staat und die Grup­pie­rung der Tali­ban in unse­rer Zeit Men­schen und Kul­tu­ren ver­nich­ten, zeigt, dass die Mensch­heit nur sehr begrenzt lern­fä­hig ist. Es gab aber auch ein­mal eine Revo­lu­ti­on, die kein Men­schen­le­ben aus­lösch­te: 1989, beim Fall der Ber­li­ner Mau­er, der zur Wie­der­ver­ei­ni­gung des seit 1945 geteil­ten Deutsch­land führte.

Den Diri­gen­ten Leon­hard Bern­stein ver­an­lass­te das zur Text­än­de­rung in Fried­rich Schil­lers Ode an die Freu­de anläss­lich der Auf­füh­rung von Beet­ho­vens 9. Sin­fo­nie: Anstatt Freu­de, schö­ner Göt­ter­fun­ken muss­ten die Sän­ger Frei­heit, schö­ner Göt­ter­fun­ken sin­gen. Mit die­sem Bei­trag bin ich Gedan­ken nach­ge­gan­gen, die mir beim Wort Revo­lu­ti­on gekom­men sind. Erin­ne­run­gen an einst Gelern­tes, an Gele­se­nes, an Erleb­tes. Der Leser möge ange­regt sein, das The­ma mit eige­nen Gedan­ken fortzuführen.

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Jahrgang 1939, Erstausbildung kaufmännische Lehre, anschließend private Gesangsausbildung und kunstgeschichtliche Studien in Leipzig. 1961 erstes Engagement (Bass-Bariton) als Solist am Theater in Eisenach. Nach 12 Jahren an verschiedenen Theatern, 1973 Eröffnung einer Kunstgalerie in Basel. Seitdem im Kunsthandel, als Experte für Versicherungen und Berater privater Sammler tätig. Gleichzeitig und bis heute als Sänger in Oratorium, Kirchenmusik und besonders im Liedgesang aktiv.

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