Die Wirkkraft der Zurückhaltung

Resonating Spaces

Die Aus­stel­lung der Fon­da­ti­on Beye­ler ist fünf zeit­ge­nös­si­schen Künst­le­rin­nen gewid­met: Leo­nor Antu­nes, Sil­via Bäch­li, Toba Khe­doo­ri, Sus­an Phil­ipsz und Rachel White­read. Zum ers­ten Mal stel­len Künst­le­rin­nen gemein­sam aus. Anders als bei einer umfas­sen­den Grup­pen­schau liegt der Fokus auf exem­pla­ri­schen Wer­ken, die in sehr unter­schied­li­cher Form eine eige­ne Qua­li­tät von Räum­lich­keit ent­fal­ten – als Skulp­tur, Zeich­nung oder Soundinstallation.

In vie­ler­lei Hin­sicht sind die fünf Künst­le­rin­nen äußerst ver­schie­den: Sie leben nicht nur an unter­schied­li­chen Orten auf der Welt, auch ihre Aus­drucks­mit­tel und künst­le­ri­schen Her­an­ge­hens­wei­sen, ihre Beschäf­ti­gung mit bestimm­ten The­men­be­rei­chen und ihre Arbeits­kon­tex­te unter­schei­den sich von­ein­an­der. Doch gemein­sam ist ihren Wer­ken, dass sie exem­pla­risch für ein Raum­emp­fin­den ste­hen, um das sich die Aus­stel­lung dreht. Der Titel der Aus­stel­lung lehnt sich an die Bedeu­tun­gen der bei­den eng­li­schen Begrif­fe „reso­na­ting“ und „reso­nan­ce“ an, die offe­ner sind als die deut­sche Bezeich­nung des Reso­nanz­raums. In der Aus­stel­lung geht es jedoch nicht um einen the­ma­ti­schen Zugang zum Raum. Viel­mehr zielt sie dar­auf, anhand von fünf Posi­tio­nen Inhal­ten oder Gege­ben­hei­ten Anschau­lich­keit zu ver­lei­hen, die zwar in den Arbei­ten der Künst­le­rin­nen eine kon­kre­te Prä­senz haben, gewöhn­lich aber nicht wahr­nehm­bar sind. Die Instal­la­tio­nen, Skulp­tu­ren und Zeich­nun­gen erschei­nen zunächst zurück­hal­tend und unauf­dring­lich, doch gera­de dar­in liegt ihre Wirk­kraft, die es uns ermög­licht, Raum gleich­sam zu empfinden.

Klän­ge: Sus­an Philipsz
Die schot­ti­sche Künst­le­rin Sus­an Phil­ipsz (*1965) erkun­det die plas­ti­schen Eigen­schaf­ten von Klän­gen – meist unter Ein­be­zie­hung des Raums oder der kon­kre­ten Umge­bung. Als Aus­gangs­punk­te ihrer Sound­in­stal­la­tio­nen die­nen ihr sowohl voka­le als auch instru­men­ta­le Ton­auf­nah­men. Dazu greift Phil­ipsz auf bereits exis­tie­ren­de Musik­stü­cke, etwa Pop­songs, Volks­lie­der und neu­zeit­li­che Cho­rä­le, zurück, die sie mit ihrer unaus­ge­bil­de­ten Stim­me und ohne Beglei­tung into­niert. Seit eini­gen Jah­ren sind auch Instru­men­tal­wer­ke ein wich­ti­ger Teil ihres künst­le­ri­schen Schaf­fens, wobei unter ande­rem Funk­si­gna­le, sin­gen­de Glä­ser oder im Krieg beschä­dig­te Blas­in­stru­men­te Ver­wen­dung fin­den. Aus­ge­hend von inten­si­ven Recher­che­ar­bei­ten, eröff­net die Künst­le­rin Bezü­ge zu bestimm­ten his­to­ri­schen oder lite­ra­ri­schen Gege­ben­hei­ten des jewei­li­gen Ortes. Dank der über­ra­schen­den, auf die Ört­lich­keit abge­stimm­ten Klän­ge wird die Auf­merk­sam­keit auf die unmit­tel­ba­re Umge­bung gerich­tet, sodass die­se in neu­er Wei­se erfah­ren wird.

Spu­ren: Toba Khedoori
Toba Khe­doo­ri (*1964) fer­tigt groß­for­ma­ti­ge Zeich­nun­gen und seit eini­gen Jah­ren auch klei­ne­re For­ma­te sowie Wer­ke auf Lei­nen. Seit Mit­te der 1990er-Jah­re zeich­net die aus­tra­li­sche Künst­le­rin, die heu­te in Los Ange­les lebt und arbei­tet, archi­tek­to­ni­sche Gebil­de, die sie als Ein­zel­ob­jek­te oder in seri­el­ler Rei­hen­fol­ge ohne vor­ge­ge­be­nen Kon­text minu­ti­ös ins Bild setzt. Dabei tritt das gro­ße For­mat der wachs­über­zo­ge­nen Papier­bah­nen stets in Kon­trast zur zeich­ne­ri­schen Prä­zi­si­on. In jüngs­ter Zeit hat Khe­doo­ri ihren Fokus jedoch geän­dert, indem sie ihre Bild­ob­jek­te nicht mehr aus der Fer­ne, son­dern aus unmit­tel­ba­rer Nähe erfasst. Über die natur­be­zo­ge­nen Moti­ve wie Zwei­ge, Ber­ge oder Wol­ken hin­aus wird das Clo­se-up-Prin­zip in eini­gen Wer­ken so gestei­gert, dass die Dar­stel­lun­gen nahe­zu ins Abs­trak­te kip­pen. Was die Arbei­ten Khe­doo­ris ver­bin­det, sind ver­schie­de­ne Spu­ren, die auf eine Rea­li­tät außer­halb der Bil­der deu­ten: Staub, Haa­re und klei­ne Schmutz­par­ti­kel in der Wachs­schicht sowie unge­wöhn­li­che Licht­re­fle­xe und Schat­ten­wür­fe fun­gie­ren als sub­ti­le Hin­wei­se auf die Außen­welt jen­seits der von Khe­doo­ri gestal­te­ten Assoziationsräume.

Erin­ne­run­gen: Rachel Whiteread
Seit den frü­hen 1990er-Jah­ren hat die bri­ti­sche Künst­le­rin Rachel White­read (*1963) ein außer­or­dent­li­ches plas­ti­sches OEu­vre her­vor­ge­bracht. Ihre Skulp­tu­ren ent­ste­hen aus Abdrü­cken und Abgüs­sen von ver­trau­ten Gegen­stän­den, etwa archi­tek­to­ni­schen Struk­tu­ren oder Hohl­kör­pern, die in ihrer Mate­ria­li­tät redu­ziert wer­den und dadurch meist fremd wir­ken. White­read ver­leiht den Nega­tiv­räu­men von Objek­ten – zum Bei­spiel von einer Wär­me­fla­sche, einem Schrank oder einem Bücher­ge­stell – Gestalt, sodass eigen­stän­di­ge Skulp­tu­ren ent­ste­hen. Dabei sind nicht nur Ein­zel­ob­jek­te fes­ter Bestand­teil ihres Werks, son­dern auch ein­drucks­vol­le Abgüs­se gan­zer Wohn­räu­me. Stets ver­wei­sen ihre Wer­ke auf die Abwe­sen­heit der Aus­gangs­ob­jek­te und damit auf Innen‑, Zwi­schen- und Umräu­me, die im All­tag meist unbe­ach­tet blei­ben. So wird White­reads Schaf­fen glei­cher­ma­ßen Bezugs­punkt für eige­ne Erinnerungen.

Leer­stel­len: Sil­via Bächli
Das OEu­vre von Sil­via Bäch­li (*1956) umfasst eine Viel­falt von klein- und groß­for­ma­ti­gen Zeich­nun­gen. Cha­rak­te­ris­tisch für ihre frü­hen Wer­ke, die zu Beginn der 1980er-Jah­re ent­stan­den, sind figu­ra­ti­ve eben­so wie abs­trak­te Dar­stel­lun­gen im Klein­for­mat. Seit etwas mehr als zehn Jah­ren wen­det sich die Schwei­zer Künst­le­rin auch grö­ße­ren Papier­ar­bei­ten zu, die sich zuse­hends von Ver­wei­sen auf gegen­ständ­li­che Moti­ve lösen. Die Kon­zen­tra­ti­on liegt nun auf Lini­en­ge­fü­gen und redu­zier­ten Pin­sel­bah­nen, deren Wirk­kraft im stän­di­gen Aus­ta­rie­ren von Papier­flä­che und Gezeich­ne­tem wur­zelt. Von Anbe­ginn an hat Bäch­li ihre Wer­ke als wan­del­ba­re Grup­pen in Form von oft auch wand­fül­len­den Instal­la­tio­nen prä­sen­tiert. Das Zusam­men­spiel von Zeich­nung, Bild­rand, Papier­grund und den wei­ßen Wän­den der Aus­stel­lung­räu­me ist dabei von ent­schei­den­der Bedeu­tung. Mit­tels jener Leer­stel­len ent­fal­tet sich ein Raum, der auch die Betrach­te­rin­nen und Betrach­ter miteinbezieht.

Wand­lungs­fä­hig­keit: Leo­nor Antunes
In ihren raum­grei­fen­den Instal­la­tio­nen setzt sich die por­tu­gie­si­sche Künst­le­rin Leo­nor Antu­nes (*1972) mit der Wand­lungs­fä­hig­keit der Skulp­tur und der moder­nen For­men­spra­che aus­ein­an­der. Seit den spä­ten 1990er-Jah­ren hat die Künst­le­rin orts­spe­zi­fi­sche Wer­ke geschaf­fen, deren geo­me­tri­sche For­men und Viel­falt des Mate­ri­als, dar­un­ter Leder, Nylon und Mes­sing, auch für ihre aktu­el­len Arbei­ten kenn­zeich­nend sind. Par­al­lel zur Erkun­dung der Mate­ria­li­tät und zum Wech­sel­spiel zwi­schen Skulp­tur und Archi­tek­tur erforscht Antu­nes auch die his­to­ri­schen und sozia­len Hin­ter­grün­de von Per­sön­lich­kei­ten aus Archi­tek­tur, Design und Kunst jen­seits des gän­gi­gen Kanons. Moti­ve und Ele­men­te, die sie unter ande­rem Möbel­stü­cken, Tex­ti­li­en oder Druck­gra­fi­ken ent­leiht, bil­det sie maß­stabs­ge­treu nach und löst sie von ihrer ursprüng­li­chen Funk­ti­on. Auf die­se Wei­se ver­ar­bei­tet Antu­nes die­se spe­zi­fi­schen Refe­ren­zen und ver­leiht ihnen eine skulp­tu­ra­le Gestalt.

Reso­na­ting Spaces
bis zum 26.1.2020
Fon­da­ti­on Beyeler
täg­lich 10.00–18.00 Uhr, mitt­wochs bis 20.00 Uhr

www.fondationbeyeler.ch/resonatingspaces

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