Das »unschuldige« Geschenk von Francis Bacon an Cristiano Lovatelli Ravarino.
Vor einigen Jahren veröffentlichte Bruno Sabatier in Frankreich das Werkverzeichnis der grafischen Arbeit von Francis Bacon: Francis Bacon. Oevre graphique – Graphic works – Catalogue raisonnè, Bruno Sabatier, Vorwort von Eddy Batache, Januar 2012.
Auf den ersten Seiten heißt es: „Nach einer Karriere als Rechtsanwalt mit Spezialisierung auf geistiges Eigentum, in der er sich mit vielen Fällen befasste, an denen die wichtigsten Künstler seiner Zeit beteiligt waren, war Bruno Sabatier zunächst Kunstverleger, dann Inhaber einer Kunstgalerie, und konzentriert sich nun fast ausschließlich auf das Werk von Francis Bacon, dem er 1976 zum ersten Mal begegnete.“ Anscheinend bin ich nicht der einzige Anwalt, der sich für die Kunst von Francis Bacon interessiert.
Seit 1997 beschäftige ich mich professionell mit den von Francis Bacon an Cristiano Lovatelli Ravarino verschenkten Zeichnungen. Im Laufe dieser zwanzig Jahre habe ich auch sein Leben und sein Werk studiert. Ich habe sowohl die Interviews mit David Sylvester als auch mit anderen wie Michel Leiris, Michael Archinbaud und Michael Peppiat studiert. Ich habe mir alle Sendungen der BBC angesehen. Ich habe mit einigen seiner engsten Freunde und einigen seiner Liebhaber gesprochen. Ich habe die Kataloge seiner Ausstellungen gelesen und studiert, sowohl von denen zu Lebzeiten als auch Ausstellungen, die nach seinem Tod stattfanden. Ich habe die Biografien von Peppiat, Farson und Russel gelesen. Und noch viel mehr. Dies hat mich nicht zu einem „Kunstwissenschaftler“ gemacht, was ich auch nicht zu sein behaupte. Aber es hat mich zu einem Anwalt gemacht, der sich mittlerweile nach vielen Jahren der Auseinandersetzung mit dem Leben und der Kunst von Francis Bacon auskennt. Mit einem Zusatz: Ich bin ein „Gelehrter“ im Strafrecht und habe mich unter anderem mit der Geschichte des Strafrechts befasst, wobei ich mich mit einer Methode vertraut gemacht habe, die allen Wissensgebieten gemein ist. In der Tat folgt eine gerichtliche Ermittlung eines Verbrechens derselben Logik, die auch Archäologen und Historiker leitet, und das so sehr, dass man gemeinhin von „Gedankensbewegungen“ im Sinne der einzigartigen „erkenntnistheoretische Grundlage“ des Wissens spricht, insbesondere nach den diesbezüglichen Überlegungen von Karl Popper. Wie wir wissen, folgt nur der „Glaube“ verschiedenen Grundsätzen und ist deshalb „etwas völlig anderes“. Der gegenseitige Austausch zwischen verschiedenen Wissensgebieten ist unerlässlich für die Erkenntniserlangung. Deshalb bin ich keineswegs beschämt, mich mit den Zeichnungen von Francis Bacon zu befassen, indem ich in das Feld der Kunsthistoriker hineinschnuppere und über das, was ich bisher geschrieben und gesagt habe, hinausgehe. Aus diesem Grunde bin ich mir sicher, dass die Zeichnungen in der Sammlung von Cristiano Lovatelli Ravarino von Francis Bacon stammen, und verweise in diesem Hinblick auf die zahlreichen Veröffentlichungen, die online unter francisbaconcollection.com archiviert und öffentlich zugänglich sind.
Diese Zeichnungen sind Rebellion und Liebe. Rebellion gegenüber Frank Lloyd, Gründer und Inhaber der Marlborough Gallery in London, einem Mann mit einer sehr ausgeprägten Persönlichkeit, dem alleinigen Inhaber der Zeichnungen von Francis Bacon von 1958 bis zu seinem Tod. Liebe zu Cristiano Lovatelli Ravarino. Francis und Cristiano trafen sich 1977 in Rom im Schatten von Balthus. Baron Balthasar Klossowski de Rola, bekannt als Balthus, hatte seine Freunde in die Villa Medici berufen, um sich von ihnen zu verabschieden, da er zum Kulturattaché der französischen Botschaft berufen worden war und daher Rom verlassen würde. Auch Francis Bacon war anwesend, und, anstelle seiner Mutter, Cristiano. Für Francis war es Liebe und Leidenschaft auf den ersten Blick. Für Cristiano war es das Treffen eines jungen Journalisten mit einem der Genies der Malerei des 20. Jahrhunderts: eine intellektuelle Leidenschaft. Die an Cristiano Lovatelli Ravarino verschenkten Zeichnungen sind nicht nur Geschenke an einen besonders lieben Freund: ihre Qualität und Anzahl machen sie, wie gesagt, zum Inbild von Rebellion und Liebe.
Sie sind aber auch ein Bekenntnis und eine Herausforderung, und vielleicht auch ein posthumer Streich. Bekenntnis, dass seine Malerei das Ergebnis einer methodischen Studie ist, deren Grundlage eine zeichnerisch ausgebildete Hand ist. Zum einen der technische Hintergrund, zum anderen der des Kunstzeichnens nach dem Besuch einer Ausstellung mit 101 Zeichnungen Picassos in der Paul Rosenberg Gallery in Paris: es war das Jahr 1927 und Francis Bacon war 18 Jahre alt. Eine Herausforderung für alle, die noch nie verstanden haben, dass seine Kunst das Ergebnis einer tiefgreifenden Reflexion des Seins ist, die von der griechischen Philosophie und vom Theater bis zu Heidegger und dessen „Sein und Zeit“ reicht. Und vor allem, dass sie das Ergebnis einer Studie und einer Disziplin ist, die es einem Künstler erlaubt, mit den wichtigsten Techniken zu experimentieren und sich dadurch zeichnerisch auszudrücken.
Und zum Schluss der Streich: Mit seinem Geschenk von Hunderten von Zeichnungen an Cristiano, nach der Behauptung, dass seine Malerei nicht auf vorbereitenden Zeichnungen beruhte und dass er nie gezeichnet hätte, wollte er der Welt klar zeigen, dass selbst obwohl seine Bilder nicht auf vorangehenden Skizzen beruhen, seine Zeichnungen dennoch eine wichtige Rolle in seiner Kunst spielten. In Hinblick auf die von Francis Bacon an Cristiano Lovatelli Ravarino geschenkten Zeichnungen wurde eine klare Entscheidung getroffen: sie bekannt zu machen, ohne etwas von ihrer Geschichte zu verbergen, damit sie frei beurteilt werden können.
Deshalb haben wir vor zehn Jahren damit begonnen, sie in die ganze Welt zu tragen. Von Venedig aus reisten sie nach Zürich, dann nach Mailand, Buenos Aires und Evora in Portugal; danach nach Berlin, Paris und Santiago de Chile. Sie wurden zweimal in London, einmal im Kaushiung Museum of Fine Art in Taiwan und in der Gate Gallery in Prag ausgestellt, danach in São Paulo, Brasilien und erneut in London. Anschließend in Lugano und in Triest. Dann in Treviso, in Madrid, in Valencia und im Niemeyer Center in Avilés: Eine Reise voller Begegnungen, die überall Interesse gefunden und Debatten und Diskussionen ausgelöst hat, von denen sich einige zu echten kulturellen Auseinandersetzungen entwickelten.
Ich möchte die „militanten Kritiker“ beruhigen – nicht diejenigen, die im Bereich der „Kultur“ tätig und unabhängig sind, sondern diejenigen, die kommerziell tätig sind und daher nur mit Einschränkungen handeln können. Ich möchte ihnen sagen, dass diese Zeichnungen unschuldig sind. Sie sind Werke, die gegen die Vorurteile, die ihnen aus einem trivialen Grund begegnen, immun sind: Es handelt sich um vom Markt entfernte Werke, die, wie gesagt, Reflexionen und Vergleiche der Mittel und Inhalte der Geschichte von Francis Bacon, einem der größten Künstler des 20. Jahrhundert, darstellen. Ein Jahrhundert, das, wie Eric Hobswbaum schreibt, „kurz“ war, jedoch sicherlich nicht geizig mit Ereignissen, einschließlich derer, die die Kunstwelt aufgerüttelt haben und an denen Francis Bacon beteiligt war. Zeichnungen, die nicht nur zu seiner künstlerischen Geschichte gehören, sondern zu jener seines Lebens, und die ausgestellt werden, um zunächst die Wahrheit ihrer Existenz zu bestätigen, indem sie sich selbst betrachten lassen; um die Leute dazu anzuregen, sich mit sich selbst und einem tiefgründigen Intellektuellen zu befassen, der seine Hände nicht dem Verfassen von philosophischen Aufsätzen widmete – wie etwa Jahrhunderte zuvor sein gleichnamiger Vorfahre, Sir Francis Bacon, von dem viele denken, er sei der echte Shakespeare – sondern der Erschaffung eines wahren Kompendiums von Bildern.
Lassen Sie uns die Zeichnungen so betrachten, wie sie es verdienen, und uns dabei von unseren Gefühlen leiten.
Von Umberto Guerini, ein „Gelehrter“ im Strafrecht.