Architektur ist die Kunst des 21. Jahrhunderts

Interview

Coop Himmelb(l)au setzt zwei­fels­oh­ne Mass­stä­be in der Archi­tek­tur. Inter­na­tio­na­ler Durch­bruch war der Dach­aus­bau in der Fal­kestras­se in Wien (1987), das ers­te rea­li­sier­te Dekon­struk­ti­vis­ti­sche Pro­jekt welt­weit. Wir tref­fen Wolf d. Rrix in sei­nem Ate­lier in Wien. Als Prix gemein­sam mit Hel­mut Swic­zinsky und Micha­el Hol­zer Coop Himmelb(l)au grün­de­te, woll­te er Archi­tek­tur mit Phan­ta­sie leicht und ver­än­der­bar wie Wol­ken machen. Fast 50 jah­re spä­ter ist man dem Ziel sehr nahe gekommen.

Hat sich die ursprüng­li­che Visi­on von Coop Himmelb(l)au weiterentwickelt?

Die Wol­ken, die wir damals bau­en woll­ten, die­se Idee ver­fol­gen wir nach wie vor. Denn die per­fek­te Wol­ke, so wie wir sie damals ange­dacht haben, haben wir noch nicht gebaut und ich beto­ne NOCH NICHT. Ich glau­be nach wie vor, dass wir davon aus­ge­hen kön­nen, dass es irgend­wann eine stüt­zen­lo­se Archi­tek­tur gibt, also eine, die wirk­lich fliegt wie eine Wol­ke und das wird viel­leicht der nächs­te Schritt bei uns sein. Die Ver­än­der­bar­keit der Archi­tek­tur ist bis jetzt aus vie­ler­lei tech­ni­schen Grün­den noch nicht gelun­gen. Den­ke ich jedoch dar­an, dass der nächs­te Schritt im Bau­en jener ist, Gebäu­de mit Robo­tern zu bau­en, dass wir 3Dprinten und 3D-frä­sen, kann ich mir vor­stel­len, dass wir dem Ziel einer ver­än­der­ba­ren Archi­tek­tur schon sehr nahe kommen.

Die Grün­dung von Coop Himmelb(l)au erfolg­te am 08. Mai 1968, ein Tag, der sym­bo­lisch ist für den Umbruch. Wie haben Sie das damals in Wien erlebt?

In Wien hat man von der Stu­den­ten­re­vo­lu­ti­on gar nichts erlebt. Wir haben nur vol­ler Sym­pa­thie bewun­dert, mit wel­cher Schlag­kraft Ideen prä­sen­tiert wur­den. Das woll­ten wir auf dem Gebiet der Archi­tek­tur auch – näm­lich die Archi­tek­tur sofort radi­kal verändern.

Gab es Vorbilder?

Die Vor­bil­der fan­den wir in der Musik, im Film, in der Lite­ra­tur und Phi­lo­so­phie und auch in der Erzie­hung, die damals im Umbruch war, von der auto­ri­tä­ren zur anti­au­to­ri­tä­ren. Wir woll­ten nicht nur Gebäu­de bau­en, son­dern einen Bei­trag zur Gesell­schaft und deren Ent­wick­lung leis­ten. Wir haben uns auch einen Grup­pen­na­men gege­ben, weil wir genau so berühmt und reich wie die Stones wer­den woll­ten. Im Nach­hin­ein war das eine Fehl­ein­schät­zung. Als Archi­tekt wirst du den Wir­kungs­kreis der Musik nie erreichen.

Der Turm­bau zu Babel zieht sich glei­cher­ma­ßen durch Ihre Bio­gra­phie, wie der Wunsch nach selbst­be­stimm­ter offe­ner Archi­tek­tur. Sind Sie hier bereits kurz vor dem Ziel?

Wir wer­den durch den der­zei­ti­gen Trend, der zu tota­li­tä­rem Gedan­ken­gut sowohl in der Poli­tik als auch in der Archi­tek­tur führt, wie­der zurück­ge­wor­fen. Sowohl der Turm­bau zu Babel als auch die Geschich­te vom Ika­rus sind Sym­bol einer Bestra­fung für die Selbst­be­stim­mung des Men­schen. Den Turm­bau zu Babel durf­te man nicht fer­tig­stel­len, weil die Auto­ri­tät Gott sich dage­gen gewen­det hat, und Ika­rus ist abge­stürzt, weil er höher geflo­gen ist als vom Vater befoh­len. Ich möch­te dazu aber sagen: Hät­te Ika­rus statt Wachs Sili­kon ver­wen­det, dann wür­de er heu­te noch flie­gen. Also der Fort­schritt der Erfin­dun­gen gibt uns die Mög­lich­keit, uns gegen die­se tota­li­tä­ren Ansprü­che zu wehren.

Unse­re Arbeit ist die Gleich­zei­tig­keit von Sys­te­men, ein Sowohl­als-auch. Kom­ple­xe Gesell­schaf­ten erfor­dern kom­ple­xe Sys­te­me. Das ist auch der Punkt, der mich an der dies­jäh­ri­gen Bien­na­le stört: Sie fokus­siert den sozia­len Aspekt und ver­gisst, dass Archi­tek­tur nicht nur Sozi­al­ar­beit ist, son­dern Räu­me für eine grö­ße­re Gesell­schaft bil­den muss.“

Welcher ist der aus­schlag­ge­bends­te Para­me­ter für die Rea­li­sie­rung einer anspruchs­vol­len Archi­tek­tur fern vom Mittelmaß?

Die Zusam­men­ar­beit zwi­schen Auf­trag­ge­ber und Archi­tekt. Nur wenn bei­de auf der glei­chen Wel­len­län­ge lie­gen, bzw. wenn der Auf­trag­ge­ber sich den rich­ti­gen Archi­tek­ten, der mehr als nur das Gebäu­de im Kopf hat, sucht, dann kann unter Umstän­den gegen alle Wid­rig­kei­ten Archi­tek­tur ent­ste­hen, die Maß­stä­be setzt.

Archi­tek­tur ist lei­der sehr will­kür­lich gewor­den und Ästhe­tik scheint nicht mehr das Maß aller Din­ge zu sein. Ist das tat­säch­lich so?

Ja. Wenn Ästhe­tik aus den Bedürf­nis­sen einer Gesell­schaft wächst, dann ist sie ein poli­ti­sches Instru­ment. Wenn man sich nur mit Ober­flä­chen­ver­schö­ne­rung begnügt und die­se dann mit sozia­len Inhal­ten fül­len will, dann ist es kei­ne Archi­tek­tur, son­dern Sozialbauwesen.

Sie bau­en auf der gan­zen Welt und fin­den unter­schied­li­che gesell­schafts­po­li­ti­sche Rah­men­be­din­gun­gen vor. Bleibt Ihre Archi­tek­tur unbe­ein­flusst davon?

Nein, sie wird durch die Rah­men­be­din­gun­gen leicht ver­än­dert, ohne dass die Grund­sät­ze, die wir ver­tre­ten, über Bord gewor­fen wer­den. Wir bau­en öffent­li­che Gebäu­de in Chi­na ohne geschmack­lich chi­ne­sisch zu bau­en. Eines gilt aber über­all: Im anony­men Netz­werk einer Stadt sind iden­ti­fi­zier­ba­re Gebäu­de not­wen­dig, damit sie sich in die men­ta­le Land­kar­te der Bewoh­ner und Nut­zer ein­prä­gen. Es ist ganz wich­tig, dass Leu­te beschrei­ben kön­nen, wo sie woh­nen und wel­chen Bezug die­ses unter Anfüh­rungs­zei­chen „Gol­de­ne Dachl“ für die Stadt hat.

Warum sind Ihre Gebäu­de so stim­mig, har­mo­nisch und für den Besu­cher pure Wohlfühl-Atmosphäre?

Das ist ratio­nal nur schwer erklär­bar. Unse­re Bau­ten wer­den am Anfang immer abge­lehnt, aber wenn das Gebäu­de dann steht und die Leu­te spü­ren, dass es funk­tio­niert, dann über­wiegt das Gefühl der Ver­traut­heit. Die Syn­the­se zwi­schen Form und Inhalt funk­tio­niert. Ich woll­te immer ande­re Archi­tek­tur machen, eine, die Emo­tio­nen weckt, ähn­lich wie Musik, die natür­lich wesent­lich emo­tio­na­ler ist als Archi­tek­tur es jemals sein kann. Viel­leicht ist das der Grund, war­um sich die Leu­te in den Gebäu­den wohlfühlen.

Sie spre­chen von Musik. Heißt das, Musik spielt in Ihrer Archi­tek­tur eine Rolle?

Sehr asso­zia­tiv. Ich glau­be nicht, dass man Bach in Archi­tek­tur über­set­zen kann. Ich den­ke, dass gewis­se Metho­den über­tra­gen wer­den kön­nen. Es gibt die offen gestimm­te Gitar­re bei Keith Richards, der lässt eine Sei­te weg und stimmt sie anders. Das ist ähn­lich wie auch beim Fuß­ball, wenn Guar­dio­la Spiel­zü­ge eines Bas­ket­ball-Match in den Fuß­ball über­setzt. Was mich im Übri­gen sehr fas­zi­niert. Man sieht in unse­ren Kon­struk­tio­nen Span­nungs­bö­gen, die mich an Keith Richards Riffs erin­nern. Es gibt Töne, die mich an Mate­ri­al den­ken las­sen, aber das ist sehr persönlich.

Sehen Sie sich eher als Künst­ler oder als Architekt?

Die Archi­tek­tur ist die Kunst des 21.Jahrhunderts.

Nach wel­chen Kri­te­ri­en wäh­len Sie Ihre Pro­jek­te aus?

Uns inter­es­siert die Auf­ga­be. Der Stand­ort ist nicht rele­vant, auch nicht die Grö­ße oder das Bud­get, aber das The­ma und der Auf­trag­ge­ber. Eine stand­ort­be­zo­ge­ne Sache gibt es: Ich wür­de ger­ne in Rio bau­en, aber sicher kein Mili­tär­camp. Wenn ich ein Strand­ho­tel in Rio bau­en könn­te, wäre das sehr inter­es­sant für mich.

Das The­ma die­ser Aus­ga­be ist Revo­lu­ti­on. Was ver­bin­den Sie damit?

Das Umstür­zen bestehen­der Para­dig­men, das ist Revo­lu­ti­on und das schritt­wei­se Umden­ken der bestehen­den Zwän­ge ist Evo­lu­ti­on. Also ich fra­ge mich immer wie­der: Wie kommt die­ser schwar­ze Punkt auf die Flü­gel des Schmet­ter­lings? Durch Zufall ent­steht der schwar­ze Punkt, der bewährt sich und der wird dann immer grö­ßer. Bei der Revo­lu­ti­on wür­de man den Schmet­ter­ling ein­fan­gen und ihm den schwar­zen Punkt drauf­ma­len. Wir pen­deln mit unse­rer Arbeit in der Archi­tek­tur zwi­schen bei­den Dingen.

Hat Coop Himmelb(l)au eine Art der Revo­lu­ti­on initiiert?

Da müs­sen Sie einen Kunst­his­to­ri­ker fra­gen. Das, was wir damals erträumt haben, haben wir zum Teil bau­en kön­nen. Wie­so? Weil ich dar­auf bestan­den habe, dass ich das „Kar­ten­spiel“ zu Ende spiele.

Wett­be­wer­be sind in der Archi­tek­tur sehr gän­gig. Wie erlebt ein Archi­tekt sol­che Aus­wahl­ver­fah­ren, bei­spiels­wei­se jenes des neu­en „Haus der Musik“ in Inns­bruck, an dem Sie teil­ge­nom­men haben?

Also prin­zi­pi­ell hal­te ich Wett­be­wer­be die­ser Art für eine Belei­di­gung der Archi­tek­ten, für Ener­gie­ver­wüs­tung und Geld­ver­nich­tung. War­um? Bei die­sem Wett­be­werb haben 120 Büros mit­ge­macht. Einem Büro kos­tet das rund 50.000 Euro. Mul­ti­pli­ziert man das, sind es 6 Mil­lio­nen. Das war, glau­be ich, ein Drit­tel vom Bau­bud­get. Zwei Tage à 10 Stun­den hat­te die Jury Zeit, also wur­den pro Stun­de 300.000 Euro ver­nich­tet, nur um die ande­ren Büros raus­zu­wäh­len. Kön­nen Sie sich vor­stel­len, dass 120 Chir­ur­gen an Gum­mi­pup­pen ihr Kön­nen zei­gen, und der Pati­ent geht durch und sagt: „Ach ja, der ist der bes­te.“ Nie im Leben. Da sieht man, dass die Archi­tek­ten Sar­di­nen im Hai­fisch­be­cken der Inves­to­ren sind, aber lei­der kei­ne Schwarm­in­tel­li­genz besitzen.

Und was hal­ten Sie vom Siegerprojekt?

Das Sie­ger­pro­jekt passt zu Inns­bruck. (län­ge­re Pau­se) Inns­bruck hät­te sich etwas Bes­se­res verdient.

Gibt es Anre­gun­gen, Gedan­ken oder Emp­feh­lun­gen, die Sie jun­gen ambi­tio­nier­ten Archi­tek­ten mit auf den Weg geben möchten?

Ja (lacht), stay cool and car­ry on! Es ist heu­te kei­ne ein­fa­che Zeit: Wie man auch an der dies­jäh­ri­gen trost­lo­sen Bien­na­le sieht, haben sich die Archi­tek­ten bereits ihr eige­nes Grab gegra­ben, sich hin­ein­ge­legt und die Medi­en schau­feln es gera­de zu. Es gibt kei­ne Bau­kul­tur mehr. Das ist kei­ne Pole­mik, das ist Tatsache.

Zur Person

Prof. Wolf D. Prix © Zwefo

Wolf Die­ter Prix (* 13. Dezem­ber 1942 in Wien) ist ein öster­rei­chi­scher Archi­tekt. Er war 1968 Mit­be­grün­der der Archi­tek­ten­ko­ope­ra­ti­ve Coop Himmelb(l)au, die inter­na­tio­nal einen Ruf als wich­ti­ge Ver­tre­te­rin des Dekon­struk­ti­vis­mus genießt. Prix stu­dier­te an der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien, der Archi­tec­tu­ral Asso­cia­ti­on in Lon­don und dem Sou­thern Cali­for­nia Insti­tu­te of Archi­tec­tu­re in Los Ange­les.  1968 grün­de­te er zusam­men mit Hel­mut Swic­zinsky und Micha­el Hol­zer die Wie­ner Archi­tek­ten­grup­pe Coop Himmelb(l)au. Seit dem Aus­schei­den von Hol­zer (1971) und Swic­zinsky (2001) ist Prix der ein­zig ver­blie­be­ne Grün­dungs­part­ner des Büros, dem er der­zeit als Design Prin­ci­pal und CEO vorsteht.

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