Künstlergemeinschaften im Zeitalter der sozialen Medien
Künstlergemeinschaften waren einst auf Treffen und Gespräche im realen Leben angewiesen. Die Künstler*innen teilten sich Ateliers, unternahmen gemeinsame Ausflüge, formulierten Programme mit Zielen und warben aktiv um Mitglieder. Künstlergemeinschaften im Zeitalter der sozialen Medien vernetzen sich online miteinander und treten in direkten Austausch.
Sie lassen die akademische Herangehensweise hinter sich und finden wie die Young British Artists neue Wege und Strategien, um die eigenen Arbeiten zu zeigen und zu vertreiben. Sie teilen ihre Kunst über das soziale Netzwerk Instagram, geben Einblicke in die Entstehung ihrer Werke und unterhalten sich öffentlich in Livestreams über ihren Arbeitsprozess. Im Gegensatz zu den Netzkünstler*innen, die seit den 1990er Jahren netzbasierte und digitale Werke schaffen, arbeiten die Künstler*innen in der Ausstellung „Friends and Friends of Friends“, Schlossmuseum Linz, im Medium der Malerei und Skulptur. Ihre Bezugspunkte sind die Pop Art von Andy Warhol bis Cindy Sherman und die Post-Internet Art. Ihre Themen sind Konsum und Identität, Technologie und Sexualität, Medien und Privatsphäre. Intuitiv schaffen junge Künstler*innen, die als Digital Natives mit dem Internet aufgewachsen sind, wieder physische Werke. Fake News und Deepfakes, Fehlinformation und Medienmanipulation führen zu Unsicherheit im Umgang mit Informationen und zum Verlangen nach empirischer Sicherheit und haptischen Erfahrungen.
Im Jahr 2017 prägte der Brite Oli Epp den Begriff Post-Digital Pop und beschrieb damit seine Malerei, die eine Reaktion auf das Leben vor und hinter den Bildschirmen von Smartphones, Tablets und Laptops ist. Gemeinsam mit der britischen Autorin und Kuratorin Aindrea Emelife wählte Epp die 20 Künstler*innen in der Ausstellung aus, die in ihren Werken direkt oder indirekt Position beziehen zu aktuellen Debatten um Black Lives Matter, Netzfeminismus, Geschlechtsidentität und Internetkultur.
Die Ausstellung „Friends and Friends of Friends“ (bis zum 6. Jänner 2021 – www.ooelkg.at) hebt das Potential einer global vernetzten Welt am Beispiel einer Gemeinschaft von jungen Künstler*innen hervor, die online und offline künstlerische und gesellschaftliche Debatten vorantreiben. Während soziale Medien von Reaktionären genutzt werden, um die Demokratie zu schwächen, nutzen junge Künstler*innen Plattformen wie Instagram, um die Kunstwelt zu demokratisieren. Mit der Ausstellung „Friends and Friends of Friends. Künstlergemeinschaften im Zeitalter der sozialen Medien“ präsentiert das Linzer Schlossmuseum 20 Künstler*innen, die eine weltweit agierende, kreative Community mit Social Media geschaffen haben. Der Londoner Künstler Oli Epp und seine Künstler*innen-Generation ist virtuell vernetzt und nutzt die digitalen Medien erfolgreich als autarke Plattform zum Austausch und zur Popularitätssteigerung. Im Interview mit Inga Kleinknecht spricht Oli Epp über seine Erfahrung mit Instagram, die Möglichkeiten, die Plattformen wie diese bieten und die Fallstricke der virtuellen Sichtbarkeit, seine Kunst und sein künstlerisches Selbstverständnis.
Interview mit Oli Epp
INGA KLEINKNECHT: Du bist jung, berühmt und wurdest über Instagram entdeckt. Viele sprechen von dir als „Instagram-Star der Kunstwelt“. Wie sieht so eine Entdeckung aus?
OLI EPP: Mit Instagram konnten Menschen überall auf der Welt meine Kunst entdecken, die sie sonst wohl nie gesehen hätten. Die Reichweite von Instagram macht es möglich, dass ein Post meiner Arbeit von bis zu 20.000 Menschen gesehen werden kann, während im Vergleich dazu eine Offline-Pressemitteilung nicht mehr als ein paar hundert erreicht. Die Chance, sich mit so vielen Menschen vernetzen zu können, hat mir als Künstler sehr dabei geholfen mich zu etablieren. Wenn ich vor drei Jahren nicht online entdeckt worden wäre, würde ich jetzt vielleicht gar nicht dieses Interview führen! Aber ich gehe vorsichtig mit dem Label „Instagramstar der Kunstwelt“ um. Diese Plattform ist relativ neu und man kann nicht wirklich sagen, wie sie sich in den kommenden Jahren verändern und weiterentwickeln wird. Darum halte ich es für wichtig, dass ich mich, als ein Künstler, der auf der Instagram Welle erfolgreich wurde, auch außerhalb der virtuellen Welt der sozialen Medien etablieren muss, um meinen langfristigen Erfolg zu sichern und mein inneres Gleichgewicht zu bewahren. Ich glaube es ist unerlässlich, sich daran zu erinnern, dass Instagram ein Mittel ist, das Künstler* innen benutzen können, aber nicht etwas, das deine Kunstpraxis oder dich definiert.
Du trägst meistens eine Baseballkappe. Gehört das zu deinen Hobbys?
Ich trage gerne Kappen, vor allem gute Fake-Designerkappen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich das zu meinen Hobbies zählen würde, das wären eher auf den Flohmarkt gehen oder Vögel im St. James’s Park füttern, was ich vor allem dann gerne mache, wenn ich einen Kater habe. Die aufgesetzte Kappe erinnert mich an eine frühere Selbstporträtserie, die einen entscheidenden Moment in meiner Karriere markiert. Das flache, menschenähnliche Gesicht in diesen Gemälden schmückt immer eine Designerkappe, normalerweise Nike oder Lacoste, die zugeschnitten und wie ein Selfie bearbeitet ist. Ohne irgendwelche markanten Gesichtszüge werden die Figuren durch die Logos definiert oder die Objekte, die sie verwenden. Ich glaube, dass das irgendwie auch bei mir passiert, wenn ich eine Kappe trage – meine wahre Identität kann sich hinter dem Nike-Swoosh verstecken, was mir Raum zum Atmen gibt.
Kannst du kurz eines deiner Werke in der Linzer Ausstellung beschreiben? Wie wäre es zum Beispiel mit „Divorce Cake“ von den Ausstellungsplakaten?
Divorce Cake wirft einen satirischen Blick auf die Realität einer Tradition, die sich eigentlich überlebt hat. Heute feiern genauso viele Paare ihre Scheidung mit einer Party und einer Torte, wie ihren Hochzeitstag. Ich wollte rüberbringen, wie skurril und ironisch das ist. Das abstoßende, schokoverschmierte Grinsen der Gestalt und die gewaltigen Schokoschlieren an der weißen Wand hinter ihr stehen im Gegensatz zu der eleganten weißen Glasur, den roten Zuckerrosen und dem goldglänzenden Ring im Vordergrund. Dieses Gemälde ist Teil einer Reihe von Arbeiten, die die Paradoxien, Widersprüche und Eigentümlichkeiten des Menschseins widerspiegeln, und dazu gehört eben auch das Feiern der Scheidung von einem Menschen, den man mal geliebt hat. Quarantine ist ein neueres Bild, das ich zu Beginn des Lockdowns gemalt habe. Ich war fasziniert vom Wahnsinn der Panikkäufe, der ganz Großbritannien ergriffen hat und davon, wie sich unser Verhalten und unsere Beziehungen zueinander augenblicklich verändert haben. Was in der Welt vor sich geht, zeigt sich auch in unserem Verhalten als Konsumenten, und ich wollte ein Bild malen, das unsere Entschlossenheit widerspiegelt, das Virus durch unser absurdes Kaufverhalten zu bekämpfen – ein Kaufverhalten, das in vielerlei Hinsicht selbstzerstörerisch war, wie etwa das Stapeln von Toilettenpapier und Händedesinfektionsmittel. Die Frau in diesem Bild versucht ihre Umgebung zu desinfizieren, sterilisieren, dekontaminieren und keimfrei zu machen. Sie ist eine panische Konsumentin, voll ausgerüstet mit Schutzequipment, aber auch eine clevere, sexy Superheldin, die in gelbem Latex und oberschenkelhohen Lederstiefeln ihre Mission verfolgt. Ich finde, dass selbst angesichts einer globalen Pandemie Humor ein wirkungsvolles Mittel sein kann, um mit lebensverändernden Ereignissen fertig zu werden und ich hoffe, dass das Bild in Zeiten wie diesen mit einem Schmunzeln tröstet und Geborgenheit bietet.
Du hast deinen eigenen einzigartigen Malstil entwickelt, der oft mit amerikanischer Pop Art verglichen wird. Im Schlossmuseum haben wir neulich die Ausstellung „Von Andy Warhol bis Cindy Sherman“ gezeigt. Siehst du Parallelen zwischen deiner Kunst und Pop Art?
Ich sehe einige wichtige Parallelen zwischen meinen Arbeiten und dem, was wir als Pop Art kennen. Stilistisch etwa die Unterteilung der Bildfläche in große, flächige Felder aus lebendigen Farben und auch die Komprimierung dreidimensionaler Formen in grafische, zweidimensionale Bilder. Außerdem den Siebdruck, mit dem auch ich arbeite, um schnelle Reproduktionen machen zu können, also ganz ähnlichen Techniken, die zum Beispiel auch Warhol genutzt hat. Auf einer eher konzeptuellen Ebene gibt es Ähnlichkeiten im Einsatz von Humor und Satire als Methode, sich kritisch mit aktuellen Ereignissen auseinanderzusetzen und auf die gegenwärtige Konsumkultur zu reagieren. Die Verwendung von Markenlogos erinnert an die Einarbeitung der Symbolik und Bildsprache aus der Werbeindustrie zur Zeit des frühen Pops. Ich glaube, die Art und Weise, wie Pop Art sich mit dem Verhältnis zwischen Kunst, Fernsehen und den Printmedien auseinandergesetzt hat, entspricht meinem Umgang mit dem Verhältnis von Malerei zum Internet und zur Digitaltechnik.
Du und Aindrea Emelife habt die Künstler*innen ausgesucht, die in Linz gezeigt werden. Die Ausstellung heißt „Friends and Friends of Friends“. Sind alle Künstler*innen in der Ausstellung Freunde von euch, oder kennt ihr euch über die digitalen Medien? sagen?
Ursprünglich haben wir eine Einzelausstellung mit Künstler*innen angedacht, die ich bewundere und die meine Arbeit in den letzten Jahren stark beeinflusst haben. Aber angesichts der neuesten kulturellen Entwicklungen auf globaler Ebene, sowie der Einfluss des Coronavirus, aber auch die Paradigmenwechsel, die innerhalb der kollektiven Glaubenssysteme entstehen, wie es die Black Lives Matter-Bewegung zeigt, hielten wir es alle für unglaublich wichtig, das Narrativ der Ausstellung neu auszurichten. Das Museum hat Aindrea eingeladen, um bei der Auswahl von Künstler*innen mitzuhelfen, womit auch eine größere Diversität unter ausgestellten Künstler*innen entstanden ist, sowohl was ihre Identität als auch ihre künstlerische Herangehensweise betrifft. Obwohl einige der Künstler*innen nicht zu meinem unmittelbaren sozialen Umfeld gehören, sind wir alle durch ein starkes virtuelles und physisches Netzwerk verbunden. Die Beziehungen, die wir online über die sozialen Medien geknüpft haben, sind ein Teil dieser Kette. Aber noch wichtiger ist, dass wir auch offline in Kontakt sind, zum Beispiel durch die PLOP Residency, eine Organisation, die Aindrea und ich gegründet haben, die mehr als vierzig Künstler*innen in London unentgeltlich Ateliers, Mentoring und Gruppenkritik zur Verfügung stellt. Von den Künstler*innen der Ausstellung in Linz haben wir Sarah Slappey, Roxanne Jackson, Brandon Lipchik und Harrison Pearce mit PLOP Residency gehostet. Al Freeman habe ich online kennengelernt, sie hat mich meiner jetzigen Galerie, Carl Kostyál, empfohlen. Dale Lewis war mein Mentor an der Kunsthochschule und ich habe meine Abschlussarbeit über seine Bilder geschrieben. Harrison Pearce und Jebila Okongwu stellen beide bei der Baert Gallery in Los Angeles aus. Daniel Boccato und Al Freeman hatten eine gemeinsame Zwei-Personenausstellung in der Carl Kostyál Gallery in London. Ich habe neulich Devan Shimoyamas Arbeit in der De Buck Galerie in New York gesehen und mich verliebt. Das sind ein paar von vielen Verbindungen, die wir geknüpft haben als Künstler*innen, die durch das digitale Zeitalter steuern.
Ich habe den Eindruck, dass sich in den letzten Jahren mit Künstler*innen wie dir eine neue künstlerische Bewegung entwickelt hat, die in die Kunstgeschichte eingehen wird. Wie würdest du diese Kunstrichtung nennen?
diesem neuen Begriff bringt es mit sich, dass meine Kunst mit den Besonderheiten des Post-Digital Pop verbunden wird. Sie veranschaulicht die Dynamiken in einer schnellen, oberflächlichen Konsumkultur, begrüßt aber auch den digitalen Handel als Bestandteil ihrer kritischen und konzeptuellen Beschaffenheit. Kritiker haben gesagt, dass es eine verfälschte Version der Post-Internet-Kunst gibt, die steril gemacht wird, damit sie für Galerien geeignet ist – genau für den institutionellen Raum, dem sie sich zu widersetzen versucht. Aber Post-Digital Pop verspricht das eben nicht. Eigentlich steckt das Leben des Werks in seinem Potenzial, online zu reisen. Es ist die Vereinigung von realen und digitalen Welten. Der Begriff „Instagram-Kunst“ ist eher spöttisch und suggeriert, dass Kunst, die viel Aufmerksamkeit auf Instagram bekommt, bloß auf schnellen Konsum von Bildern ohne kritischen Inhalt ausgerichtet ist. Die neue Strömung so darzustellen würde für die Künstler*innen, die die Plattform nutzen aber bedeuten, sich weit unter ihrem Wert zu verkaufen. Obwohl es stimmt, dass Instagram einen nicht zu leugnenden Einfluss darauf hat, wie Kunst gesehen, gemacht, und entdeckt wird, ist das inzwischen allgemein bekannt und muss nicht weiter erklärt werden – vor
allem, wenn dieser Raum auf so viel klügere Weise genutzt wird, wie es der Post-Digital Pop tut.
Wen hältst du für die Vertreter*innen dieser Kunstrichtung?
Viele der Künstler*innen dieser Ausstellung sind Vertreter*innen der neuen Kunstrichtung. Austin Lees Arbeit fällt in den Bereich des Post-Digital Pop. Er setzt verschiedene Digitaltechniken in seiner Arbeit ein, indem er Gemälde auf dem i‑Pad entwirft und für einige seiner Skulpturen Virtual-Reality-Technologie benutzt. Gina Beavers viszerale, körperliche Gemälde sind unheimliche Visionen unserer digital bestimmten Leben. Sie verarbeitet Bilder aus den sozialen Medien in Gemälden, die fast schon skulptural wirken. Devan Shimoyama malt den schwarzen, queeren, männlichen Körper und verwendet Materialien und einen Malstil, der an die Post-Digital Pop Sensibilität erinnert. Außerdem untersuchen Harrison Pearces große, kinetische Skulpturen die Biomechanik der Aufmerksamkeitsökonomie und vernetzten Systeme durch eine konzeptuelle Linse, die den Anliegen des Post-Digital Pop in Bezug auf Verbreitung durch Online-Kanäle entspricht.
Manchmal ist die Instagram Welt selbst zynisch übertrieben und wird kritisch dargestellt. Was würdest du an Instagram kritisieren?
Mein Hauptkritikpunkt an den sozialen Medien ist, wie leicht man von Apps wie Instagram abhängig wird. Es gab Tage, an denen ich mehr als neun Stunden vor dem Bildschirm verbracht habe, verloren im endlosen Dopaminzyklus. Die Apps sind so konzipiert, dass das Wischen, Tippen und Schauen zu einer toxischen Gewohnheit wird. Ich habe das Gefühl, dass wir durch diese Apps ständig abgelenkt werden, indem wir von einem Hyperlink zum nächsten gezogen werden. Ihre Auswirkungen sind flach und kurzlebig, schaffen es aber dich so zu fesseln, dass die virtuelle Realität unserer Bildschirme realer erscheint als die physische Welt.
Glaubst du, dass Smartphones und Instagram unsere visuelle Wahrnehmung verändern werden und damit auch unseren Kunstgeschmack?
Ich glaube, das haben sie schon. Am Wiederaufleben von Künstler*innen wie Yayoi Kusama im digitalen Zeitalter kann man sehen, wie sehr eine neue Generation darauf aus ist, auf Künstler*innen zu reagieren, die eine unverwechselbare Ästhetik haben, normalerweise farbenfroh, leicht erkennbar, und gut geeignet für ein erfolgreiches Bild auf Instagram. Smartphones und Instagram haben die Art, wie wir Kunst betrachten, demokratisiert. Die unterschiedlichen Qualitäten von Kunst sind nicht mehr voneinander getrennt, sondern werden gleichzeitig in einer Einheits-Misch-Internetsuppe angeschaut. Ich glaube, das verändert auf jeden Fall, wie wir traditionelle Kunstrichtungen sehen. Die Möglichkeit, zu twittern, zu kommentieren, zu liken und Hashtags und Memes usw. zu setzen, haben auch die künstlerische Debatte und Kritik auf eine Weise verjüngt, die dazu passt, wie Millenials und die Generation Z online kommunizieren. Ich bin davon überzeugt, dass das Konzept dieser Ausstellung ein jüngeres Publikum anziehen wird und damit auch eine andere Auseinandersetzung mit Kunst möglich macht, wie das vielleicht bei früheren Ausstellungen im Schlossmuseum stattgefunden hat. Aber woher soll ich unseren Kunstgeschmack in den nächsten fünf/zehn Jahren vorhersagen können? Wir leben in einem ständigen Wandel, und bald werden Smartphones und Instagram durch eine Diskussion über den Einfluss von 5G, virtueller Realität und Online-Betrachtungsräumen auf unsere visuelle Wahrnehmung ersetzt werden. Ich glaube sogar, dass das bereits passiert.
Die Ausstellung nimmt die Kunstwerke aus ihrem Kontext der sozialen Medien heraus und präsentiert sie im Setting eines Museums. Welchen Unterschied macht es für dich, deine Bilder in einem Museum zu präsentieren?
Dass meine Arbeiten in einem Museum gezeigt werden, hebt meine Arbeit schon auf eine andere Ebene, die weit über den kommerziellen Verkauf in einer Galerie hinausgeht. An einer Ausstellung teilzuhaben bedeutet, dass ein Kunstwerk zu einem bestimmten Zeitpunkt kunsthistorisch archiviert wird, was ihm eine Verbreitung ermöglicht, die es sonst vielleicht nicht hätte. Für mich als Künstler, dessen Gemälde mehr online als im Original gesehen werden, hilft es in einem Museum gezeigt zu werden. Das Leben eines Kunstwerks das online überwiegend kurzlebig und vergänglich ist, etabliert sich dadurch.
Wir stehen vor neuen Herausforderungen, vor allem in Zeiten der Coronapandemie. Siehst du darin auch eine neue Chance für Museen?
Ich glaube, es ist für Museen eine neue Herausforderung, ihre Ausstellungen auch virtuell zugänglicher zu machen. Mit Apps wie Artland, die Online-Ausstellungen in 360 Grad Sicht anbieten, indem sie die Google-Maps-Technologie für den virtuellen Galeriebesuch nutzen, bewegen sie sich bereits konsequent in die virtuelle Richtung. Ein anderes Beispiel ist Vorteq, das dich virtuell wie in Echtzeit durch die Galerie führt. Aber um ehrlich zu sein, ich bin es verdammt leid, diese endlos vielen Online-Betrachtungsräume zu sehen. Für einen Künstler gibt es einfach nichts besseres, als ein Kunstwerk im echten Leben zu sehen ist und sich damit auseinanderzusetzen, und ich glaube, dieser Erfahrungswert sollte immer an erster Stelle stehen. Eine andere Sache, die erwähnt werden muss, ist, dass die Pandemie Galerien und Institutionen gezwungen hat, sich mit ihren CO2-Fußabdrücken auseinanderzusetzen. Sie hat außerdem die umweltschädliche Praxis infrage gestellt, tausende physische Kunstwerke für Kunstmessen, Biennalen und Museumsausstellungen um die ganze Welt zu schicken. Hier gibt es eine Möglichkeit für die Kunstwelt, sich neu zu strukturieren, um nachhaltiger, ethischer und umweltbewusster zu werden. Ich will selbst als Künstler auch nach neuen Wegen suchen, um grüner zu arbeiten.
Wie schätzt du das Publikum ein? Werden Follower zu Besucher*innen oder umgekehrt Besucher* innen zu Followern?
Ich kann nicht behaupten, dass es mich je interessiert hat ob Besucher*innen meiner Ausstellungen zu Online-Followern werden. Mich interessiert es, wie sich die Besucher*innen mit dem Kunstwerk auseinandersetzen, und ob es Fragen, Gedanken oder bestimmte Gefühle hinterlässt. Ich hoffe, dass diese Ausstellung ein Publikum aus allen Altersgruppen anlockt, aber hoffentlich wird sie mehr Resonanz bei den Millenials und der Generation Z finden. Sie haben eine neue Art zu sehen, zu denken und zu kommunizieren, die von der Allgegenwärtigkeit des Internets geprägt ist, und können deshalb eine prägende Erfahrung mit dem ausgestellten Stück machen. Ich will, dass sich das Publikum mit der Ausstellung auseinandersetzt und Bilder davon mit anderen teilt und neu postet. Was ich aber auch betonen möchte, ist das Potential der Ausstellung, dass – wenn Handys in der Tasche bleiben – wirklich gesehen wird, was vor uns ist. Wir verpassen so viel vom Leben, wenn wir nur auf unsere Handys schauen. Ich wünsche mir, dass die Chance genutzt wird, hier das Gegenteil zu tun. Ich gehe sicher davon aus, dass die gezeigten Arbeiten dem Publikum einen Dopamin-Kick geben werden, der weitaus intensiver sein wird als das, was das Wischen durch Instagram-Feeds zu bieten hat. Und der hoffentlich auch lange nach dem Ausstellungsbesuch noch anhält.
Hast du noch einen Tipp für junge Künstler*innen?
Mein Rat an junge Künstler*innen ist, bedingungsloses Vertrauen in die eigenen Ideen zu haben, und einfach Arbeiten online zu posten ohne die Kritik von Gleichaltrigen zu fürchten. Aber noch wichtiger: nutzt die sozialen Medien als eine Möglichkeit, eine kreative Community aufzubauen und euch mit anderen Künstler*innen zu vernetzen. Kontaktiert Künstler*innen, deren Arbeit ihr toll findet, organisiert Atelierbesuche oder verabredet euch sogar auf einen Drink. Sprecht mit Kuratoren, Kritikern, Galeristen. Engagiert euch, konzentriert euch auf eure Kunst, seid positiv und hört nicht auf, neue Freunde zu finden.
Autor: Alfred Weidinger / Er ist seit dem 1. April 2020 Geschäftsführer der OÖ Landes-Kultur GmbH, zuvor war er Direktor im MdbK Leipzig. 2007 kam er als Chefkurator und Vizedirektor an das Belvedere in Wien, nachdem er zuvor als Vizedirektor für die Albertina tätig war. Seine Forschungsschwerpunkte sind die klassische Moderne und zeitgenössische Kunst. Zu seinen zahlreichen Publikationen zählen die Werkverzeichnisse der Zeichnungen von Oskar Kokoschka und der Gemälde von Gustav Klimt, Monografien über Medienkünstler*innen wie Peter Weibel und Ausstellungskataloge wie Virtual Normality. © Hubertus v. Hohenlohe
Autorin: Inga Kleinknecht / Sie ist Kuratorin und leitet die Sammlung für Moderne und Zeitgenössische Kunst der OÖ Landes-Kultur GmbH. Sie war zuvor künstlerische Leiterin der Kunstsammlung des Landes Oberösterreich. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Skulptur, Medienkunst und Malerei der Moderne. Zu den Künstler*innen ihrer zahlreichen Ausstellungprojekte zählen VALIE EXPORT, Lena Göbel, Stefan Balkenhol und Julian Rosefeldt. Themenschwerpunkte ihrer Publikationen sind unter anderem Neue Sachlichkeit und Bauhausbeziehungen Oberösterreichisch sowie Monografien über Bildhauer*innen wie Osamu Nakajima.