Oli Epp

Künstlergemeinschaften im Zeitalter der sozialen Medien

Künst­ler­ge­mein­schaf­ten waren einst auf Tref­fen und Gesprä­che im rea­len Leben ange­wie­sen. Die Künstler*innen teil­ten sich Ate­liers, unter­nah­men gemein­sa­me Aus­flü­ge, for­mu­lier­ten Pro­gram­me mit Zie­len und war­ben aktiv um Mit­glie­der. Künst­ler­ge­mein­schaf­ten im Zeit­al­ter der sozia­len Medi­en ver­net­zen sich online mit­ein­an­der und tre­ten in direk­ten Austausch.

Sie las­sen die aka­de­mi­sche Her­an­ge­hens­wei­se hin­ter sich und fin­den wie die Young Bri­tish Artists neue Wege und Stra­te­gien, um die eige­nen Arbei­ten zu zei­gen und zu ver­trei­ben. Sie tei­len ihre Kunst über das sozia­le Netz­werk Insta­gram, geben Ein­bli­cke in die Ent­ste­hung ihrer Wer­ke und unter­hal­ten sich öffent­lich in Live­streams über ihren Arbeits­pro­zess. Im Gegen­satz zu den Netzkünstler*innen, die seit den 1990er Jah­ren netz­ba­sier­te und digi­ta­le Wer­ke schaf­fen, arbei­ten die Künstler*innen in der Aus­stel­lung „Fri­ends and Fri­ends of Fri­ends“, Schloss­mu­se­um Linz, im Medi­um der Male­rei und Skulp­tur. Ihre Bezugs­punk­te sind die Pop Art von Andy War­hol bis Cin­dy Sher­man und die Post-Inter­net Art. Ihre The­men sind Kon­sum und Iden­ti­tät, Tech­no­lo­gie und Sexua­li­tät, Medi­en und Pri­vat­sphä­re. Intui­tiv schaf­fen jun­ge Künstler*innen, die als Digi­tal Nati­ves mit dem Inter­net auf­ge­wach­sen sind, wie­der phy­si­sche Wer­ke. Fake News und Deepf­akes, Fehl­in­for­ma­ti­on und Medi­en­ma­ni­pu­la­ti­on füh­ren zu Unsi­cher­heit im Umgang mit Infor­ma­tio­nen und zum Ver­lan­gen nach empi­ri­scher Sicher­heit und hap­ti­schen Erfahrungen.

Im Jahr 2017 präg­te der Bri­te Oli Epp den Begriff Post-Digi­tal Pop und beschrieb damit sei­ne Male­rei, die eine Reak­ti­on auf das Leben vor und hin­ter den Bild­schir­men von Smart­phones, Tablets und Lap­tops ist. Gemein­sam mit der bri­ti­schen Autorin und Kura­to­rin Ain­drea Eme­li­fe wähl­te Epp die 20 Künstler*innen in der Aus­stel­lung aus, die in ihren Wer­ken direkt oder indi­rekt Posi­ti­on bezie­hen zu aktu­el­len Debat­ten um Black Lives Mat­ter, Netz­fe­mi­nis­mus, Geschlechts­iden­ti­tät und Internetkultur.

Die Aus­stel­lung „Fri­ends and Fri­ends of Fri­ends“ (bis zum 6. Jän­ner 2021 – www.ooelkg.at) hebt das Poten­ti­al einer glo­bal ver­netz­ten Welt am Bei­spiel einer Gemein­schaft von jun­gen Künstler*innen her­vor, die online und off­line künst­le­ri­sche und gesell­schaft­li­che Debat­ten vor­an­trei­ben. Wäh­rend sozia­le Medi­en von Reak­tio­nä­ren genutzt wer­den, um die Demo­kra­tie zu schwä­chen, nut­zen jun­ge Künstler*innen Platt­for­men wie Insta­gram, um die Kunst­welt zu demo­kra­ti­sie­ren. Mit der Aus­stel­lung „Fri­ends and Fri­ends of Fri­ends. Künst­ler­ge­mein­schaf­ten im Zeit­al­ter der sozia­len Medi­en“ prä­sen­tiert das Lin­zer Schloss­mu­se­um 20 Künstler*innen, die eine welt­weit agie­ren­de, krea­ti­ve Com­mu­ni­ty mit Social Media geschaf­fen haben. Der Lon­do­ner Künst­ler Oli Epp und sei­ne Künstler*innen-Generation ist vir­tu­ell ver­netzt und nutzt die digi­ta­len Medi­en erfolg­reich als aut­ar­ke Platt­form zum Aus­tausch und zur Popu­la­ri­täts­stei­ge­rung. Im Inter­view mit Inga Klein­knecht spricht Oli Epp über sei­ne Erfah­rung mit Insta­gram, die Mög­lich­kei­ten, die Platt­for­men wie die­se bie­ten und die Fall­stri­cke der vir­tu­el­len Sicht­bar­keit, sei­ne Kunst und sein künst­le­ri­sches Selbstverständnis.

Oli Epp in sei­nem Ate­lier, 2019 © Cour­te­sy of Oli Epp, Foto: Andy Parsons

Interview mit Oli Epp

INGA KLEINKNECHT: Du bist jung, berühmt und wur­dest über Insta­gram ent­deckt. Vie­le spre­chen von dir als „Insta­gram-Star der Kunst­welt“. Wie sieht so eine Ent­de­ckung aus?

OLI EPP: Mit Insta­gram konn­ten Men­schen über­all auf der Welt mei­ne Kunst ent­de­cken, die sie sonst wohl nie gese­hen hät­ten. Die Reich­wei­te von Insta­gram macht es mög­lich, dass ein Post mei­ner Arbeit von bis zu 20.000 Men­schen gese­hen wer­den kann, wäh­rend im Ver­gleich dazu eine Off­line-Pres­se­mit­tei­lung nicht mehr als ein paar hun­dert erreicht. Die Chan­ce, sich mit so vie­len Men­schen ver­net­zen zu kön­nen, hat mir als Künst­ler sehr dabei gehol­fen mich zu eta­blie­ren. Wenn ich vor drei Jah­ren nicht online ent­deckt wor­den wäre, wür­de ich jetzt viel­leicht gar nicht die­ses Inter­view füh­ren! Aber ich gehe vor­sich­tig mit dem Label „Insta­gram­star der Kunst­welt“ um. Die­se Platt­form ist rela­tiv neu und man kann nicht wirk­lich sagen, wie sie sich in den kom­men­den Jah­ren ver­än­dern und wei­ter­ent­wi­ckeln wird. Dar­um hal­te ich es für wich­tig, dass ich mich, als ein Künst­ler, der auf der Insta­gram Wel­le erfolg­reich wur­de, auch außer­halb der vir­tu­el­len Welt der sozia­len Medi­en eta­blie­ren muss, um mei­nen lang­fris­ti­gen Erfolg zu sichern und mein inne­res Gleich­ge­wicht zu bewah­ren. Ich glau­be es ist uner­läss­lich, sich dar­an zu erin­nern, dass Insta­gram ein Mit­tel ist, das Künst­ler* innen benut­zen kön­nen, aber nicht etwas, das dei­ne Kunst­pra­xis oder dich definiert.

Du trägst meis­tens eine Base­ball­kap­pe. Gehört das zu dei­nen Hobbys?

Ich tra­ge ger­ne Kap­pen, vor allem gute Fake-Desi­gner­kap­pen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich das zu mei­nen Hob­bies zäh­len wür­de, das wären eher auf den Floh­markt gehen oder Vögel im St. James’s Park füt­tern, was ich vor allem dann ger­ne mache, wenn ich einen Kater habe. Die auf­ge­setz­te Kap­pe erin­nert mich an eine frü­he­re Selbst­por­trät­se­rie, die einen ent­schei­den­den Moment in mei­ner Kar­rie­re mar­kiert. Das fla­che, men­schen­ähn­li­che Gesicht in die­sen Gemäl­den schmückt immer eine Desi­gner­kap­pe, nor­ma­ler­wei­se Nike oder Lacos­te, die zuge­schnit­ten und wie ein Sel­fie bear­bei­tet ist. Ohne irgend­wel­che mar­kan­ten Gesichts­zü­ge wer­den die Figu­ren durch die Logos defi­niert oder die Objek­te, die sie ver­wen­den. Ich glau­be, dass das irgend­wie auch bei mir pas­siert, wenn ich eine Kap­pe tra­ge – mei­ne wah­re Iden­ti­tät kann sich hin­ter dem Nike-Swoosh ver­ste­cken, was mir Raum zum Atmen gibt.

Kannst du kurz eines dei­ner Wer­ke in der Lin­zer Aus­stel­lung beschrei­ben? Wie wäre es zum Bei­spiel mit „Divorce Cake“ von den Ausstellungsplakaten?

Divorce Cake wirft einen sati­ri­schen Blick auf die Rea­li­tät einer Tra­di­ti­on, die sich eigent­lich über­lebt hat. Heu­te fei­ern genau­so vie­le Paa­re ihre Schei­dung mit einer Par­ty und einer Tor­te, wie ihren Hoch­zeits­tag. Ich woll­te rüber­brin­gen, wie skur­ril und iro­nisch das ist. Das absto­ßen­de, scho­ko­ver­schmier­te Grin­sen der Gestalt und die gewal­ti­gen Scho­ko­schlie­ren an der wei­ßen Wand hin­ter ihr ste­hen im Gegen­satz zu der ele­gan­ten wei­ßen Gla­sur, den roten Zucker­ro­sen und dem gold­glän­zen­den Ring im Vor­der­grund. Die­ses Gemäl­de ist Teil einer Rei­he von Arbei­ten, die die Para­do­xien, Wider­sprü­che und Eigen­tüm­lich­kei­ten des Mensch­seins wider­spie­geln, und dazu gehört eben auch das Fei­ern der Schei­dung von einem Men­schen, den man mal geliebt hat. Qua­ran­ti­ne ist ein neue­res Bild, das ich zu Beginn des Lock­downs gemalt habe. Ich war fas­zi­niert vom Wahn­sinn der Panik­käu­fe, der ganz Groß­bri­tan­ni­en ergrif­fen hat und davon, wie sich unser Ver­hal­ten und unse­re Bezie­hun­gen zuein­an­der augen­blick­lich ver­än­dert haben. Was in der Welt vor sich geht, zeigt sich auch in unse­rem Ver­hal­ten als Kon­su­men­ten, und ich woll­te ein Bild malen, das unse­re Ent­schlos­sen­heit wider­spie­gelt, das Virus durch unser absur­des Kauf­ver­hal­ten zu bekämp­fen – ein Kauf­ver­hal­ten, das in vie­ler­lei Hin­sicht selbst­zer­stö­re­risch war, wie etwa das Sta­peln von Toi­let­ten­pa­pier und Hän­de­des­in­fek­ti­ons­mit­tel. Die Frau in die­sem Bild ver­sucht ihre Umge­bung zu des­in­fi­zie­ren, ste­ri­li­sie­ren, dekon­ta­mi­nie­ren und keim­frei zu machen. Sie ist eine pani­sche Kon­su­men­tin, voll aus­ge­rüs­tet mit Schut­z­e­quip­ment, aber auch eine cle­ve­re, sexy Super­hel­din, die in gel­bem Latex und ober­schen­kel­ho­hen Leder­stie­feln ihre Mis­si­on ver­folgt. Ich fin­de, dass selbst ange­sichts einer glo­ba­len Pan­de­mie Humor ein wir­kungs­vol­les Mit­tel sein kann, um mit lebens­ver­än­dern­den Ereig­nis­sen fer­tig zu wer­den und ich hof­fe, dass das Bild in Zei­ten wie die­sen mit einem Schmun­zeln trös­tet und Gebor­gen­heit bietet.

Du hast dei­nen eige­nen ein­zig­ar­ti­gen Mal­stil ent­wi­ckelt, der oft mit ame­ri­ka­ni­scher Pop Art ver­gli­chen wird. Im Schloss­mu­se­um haben wir neu­lich die Aus­stel­lung „Von Andy War­hol bis Cin­dy Sher­man“ gezeigt. Siehst du Par­al­le­len zwi­schen dei­ner Kunst und Pop Art?

Ich sehe eini­ge wich­ti­ge Par­al­le­len zwi­schen mei­nen Arbei­ten und dem, was wir als Pop Art ken­nen. Sti­lis­tisch etwa die Unter­tei­lung der Bild­flä­che in gro­ße, flä­chi­ge Fel­der aus leben­di­gen Far­ben und auch die Kom­pri­mie­rung drei­di­men­sio­na­ler For­men in gra­fi­sche, zwei­di­men­sio­na­le Bil­der. Außer­dem den Sieb­druck, mit dem auch ich arbei­te, um schnel­le Repro­duk­tio­nen machen zu kön­nen, also ganz ähn­li­chen Tech­ni­ken, die zum Bei­spiel auch War­hol genutzt hat. Auf einer eher kon­zep­tu­el­len Ebe­ne gibt es Ähn­lich­kei­ten im Ein­satz von Humor und Sati­re als Metho­de, sich kri­tisch mit aktu­el­len Ereig­nis­sen aus­ein­an­der­zu­set­zen und auf die gegen­wär­ti­ge Kon­sum­kul­tur zu reagie­ren. Die Ver­wen­dung von Mar­ken­lo­gos erin­nert an die Ein­ar­bei­tung der Sym­bo­lik und Bild­spra­che aus der Wer­be­indus­trie zur Zeit des frü­hen Pops. Ich glau­be, die Art und Wei­se, wie Pop Art sich mit dem Ver­hält­nis zwi­schen Kunst, Fern­se­hen und den Print­me­di­en aus­ein­an­der­ge­setzt hat, ent­spricht mei­nem Umgang mit dem Ver­hält­nis von Male­rei zum Inter­net und zur Digitaltechnik.

Du und Ain­drea Eme­li­fe habt die Künstler*innen aus­ge­sucht, die in Linz gezeigt wer­den. Die Aus­stel­lung heißt „Fri­ends and Fri­ends of Fri­ends“. Sind alle Künstler*innen in der Aus­stel­lung Freun­de von euch, oder kennt ihr euch über die digi­ta­len Medi­en? sagen?

Ursprüng­lich haben wir eine Ein­zel­aus­stel­lung mit Künstler*innen ange­dacht, die ich bewun­de­re und die mei­ne Arbeit in den letz­ten Jah­ren stark beein­flusst haben. Aber ange­sichts der neu­es­ten kul­tu­rel­len Ent­wick­lun­gen auf glo­ba­ler Ebe­ne, sowie der Ein­fluss des Coro­na­vi­rus, aber auch die Para­dig­men­wech­sel, die inner­halb der kol­lek­ti­ven Glau­bens­sys­te­me ent­ste­hen, wie es die Black Lives Mat­ter-Bewe­gung zeigt, hiel­ten wir es alle für unglaub­lich wich­tig, das Nar­ra­tiv der Aus­stel­lung neu aus­zu­rich­ten. Das Muse­um hat Ain­drea ein­ge­la­den, um bei der Aus­wahl von Künstler*innen mit­zu­hel­fen, womit auch eine grö­ße­re Diver­si­tät unter aus­ge­stell­ten Künstler*innen ent­stan­den ist, sowohl was ihre Iden­ti­tät als auch ihre künst­le­ri­sche Her­an­ge­hens­wei­se betrifft. Obwohl eini­ge der Künstler*innen nicht zu mei­nem unmit­tel­ba­ren sozia­len Umfeld gehö­ren, sind wir alle durch ein star­kes vir­tu­el­les und phy­si­sches Netz­werk ver­bun­den. Die Bezie­hun­gen, die wir online über die sozia­len Medi­en geknüpft haben, sind ein Teil die­ser Ket­te. Aber noch wich­ti­ger ist, dass wir auch off­line in Kon­takt sind, zum Bei­spiel durch die PLOP Resi­den­cy, eine Orga­ni­sa­ti­on, die Ain­drea und ich gegrün­det haben, die mehr als vier­zig Künstler*innen in Lon­don unent­gelt­lich Ate­liers, Men­to­ring und Grup­pen­kri­tik zur Ver­fü­gung stellt. Von den Künstler*innen der Aus­stel­lung in Linz haben wir Sarah Slappey, Rox­an­ne Jack­son, Bran­don Lip­chik und Har­ri­son Pear­ce mit PLOP Resi­den­cy gehos­tet. Al Free­man habe ich online ken­nen­ge­lernt, sie hat mich mei­ner jet­zi­gen Gale­rie, Carl Kos­tyál, emp­foh­len. Dale Lewis war mein Men­tor an der Kunst­hoch­schu­le und ich habe mei­ne Abschluss­ar­beit über sei­ne Bil­der geschrie­ben. Har­ri­son Pear­ce und Jebi­la Okongwu stel­len bei­de bei der Baert Gal­lery in Los Ange­les aus. Dani­el Boc­ca­to und Al Free­man hat­ten eine gemein­sa­me Zwei-Per­so­nen­aus­stel­lung in der Carl Kos­tyál Gal­lery in Lon­don. Ich habe neu­lich Devan Shi­moy­a­mas Arbeit in der De Buck Gale­rie in New York gese­hen und mich ver­liebt. Das sind ein paar von vie­len Ver­bin­dun­gen, die wir geknüpft haben als Künstler*innen, die durch das digi­ta­le Zeit­al­ter steuern.

Ich habe den Ein­druck, dass sich in den letz­ten Jah­ren mit Künstler*innen wie dir eine neue künst­le­ri­sche Bewe­gung ent­wi­ckelt hat, die in die Kunst­ge­schich­te ein­ge­hen wird. Wie wür­dest du die­se Kunst­rich­tung nennen?

die­sem neu­en Begriff bringt es mit sich, dass mei­ne Kunst mit den Beson­der­hei­ten des Post-Digi­tal Pop ver­bun­den wird. Sie ver­an­schau­licht die Dyna­mi­ken in einer schnel­len, ober­fläch­li­chen Kon­sum­kul­tur, begrüßt aber auch den digi­ta­len Han­del als Bestand­teil ihrer kri­ti­schen und kon­zep­tu­el­len Beschaf­fen­heit. Kri­ti­ker haben gesagt, dass es eine ver­fälsch­te Ver­si­on der Post-Inter­net-Kunst gibt, die ste­ril gemacht wird, damit sie für Gale­rien geeig­net ist – genau für den insti­tu­tio­nel­len Raum, dem sie sich zu wider­set­zen ver­sucht. Aber Post-Digi­tal Pop ver­spricht das eben nicht. Eigent­lich steckt das Leben des Werks in sei­nem Poten­zi­al, online zu rei­sen. Es ist die Ver­ei­ni­gung von rea­len und digi­ta­len Wel­ten. Der Begriff „Insta­gram-Kunst“ ist eher spöt­tisch und sug­ge­riert, dass Kunst, die viel Auf­merk­sam­keit auf Insta­gram bekommt, bloß auf schnel­len Kon­sum von Bil­dern ohne kri­ti­schen Inhalt aus­ge­rich­tet ist. Die neue Strö­mung so dar­zu­stel­len wür­de für die Künstler*innen, die die Platt­form nut­zen aber bedeu­ten, sich weit unter ihrem Wert zu ver­kau­fen. Obwohl es stimmt, dass Insta­gram einen nicht zu leug­nen­den Ein­fluss dar­auf hat, wie Kunst gese­hen, gemacht, und ent­deckt wird, ist das inzwi­schen all­ge­mein bekannt und muss nicht wei­ter erklärt wer­den – vor
allem, wenn die­ser Raum auf so viel klü­ge­re Wei­se genutzt wird, wie es der Post-Digi­tal Pop tut.

Wen hältst du für die Vertreter*innen die­ser Kunstrichtung?

Vie­le der Künstler*innen die­ser Aus­stel­lung sind Vertreter*innen der neu­en Kunst­rich­tung. Aus­tin Lees Arbeit fällt in den Bereich des Post-Digi­tal Pop. Er setzt ver­schie­de­ne Digi­tal­tech­ni­ken in sei­ner Arbeit ein, indem er Gemäl­de auf dem i‑Pad ent­wirft und für eini­ge sei­ner Skulp­tu­ren Vir­tu­al-Rea­li­ty-Tech­no­lo­gie benutzt. Gina Bea­vers vis­ze­ra­le, kör­per­li­che Gemäl­de sind unheim­li­che Visio­nen unse­rer digi­tal bestimm­ten Leben. Sie ver­ar­bei­tet Bil­der aus den sozia­len Medi­en in Gemäl­den, die fast schon skulp­tu­ral wir­ken. Devan Shi­moy­a­ma malt den schwar­zen, quee­ren, männ­li­chen Kör­per und ver­wen­det Mate­ria­li­en und einen Mal­stil, der an die Post-Digi­tal Pop Sen­si­bi­li­tät erin­nert. Außer­dem unter­su­chen Har­ri­son Pear­ces gro­ße, kine­ti­sche Skulp­tu­ren die Bio­me­cha­nik der Auf­merk­sam­keits­öko­no­mie und ver­netz­ten Sys­te­me durch eine kon­zep­tu­el­le Lin­se, die den Anlie­gen des Post-Digi­tal Pop in Bezug auf Ver­brei­tung durch Online-Kanä­le entspricht.

Manch­mal ist die Insta­gram Welt selbst zynisch über­trie­ben und wird kri­tisch dar­ge­stellt. Was wür­dest du an Insta­gram kritisieren?

Mein Haupt­kri­tik­punkt an den sozia­len Medi­en ist, wie leicht man von Apps wie Insta­gram abhän­gig wird. Es gab Tage, an denen ich mehr als neun Stun­den vor dem Bild­schirm ver­bracht habe, ver­lo­ren im end­lo­sen Dopa­min­zy­klus. Die Apps sind so kon­zi­piert, dass das Wischen, Tip­pen und Schau­en zu einer toxi­schen Gewohn­heit wird. Ich habe das Gefühl, dass wir durch die­se Apps stän­dig abge­lenkt wer­den, indem wir von einem Hyper­link zum nächs­ten gezo­gen wer­den. Ihre Aus­wir­kun­gen sind flach und kurz­le­big, schaf­fen es aber dich so zu fes­seln, dass die vir­tu­el­le Rea­li­tät unse­rer Bild­schir­me rea­ler erscheint als die phy­si­sche Welt.

Glaubst du, dass Smart­phones und Insta­gram unse­re visu­el­le Wahr­neh­mung ver­än­dern wer­den und damit auch unse­ren Kunstgeschmack?

Ich glau­be, das haben sie schon. Am Wie­der­auf­le­ben von Künstler*innen wie Yayoi Kusa­ma im digi­ta­len Zeit­al­ter kann man sehen, wie sehr eine neue Gene­ra­ti­on dar­auf aus ist, auf Künstler*innen zu reagie­ren, die eine unver­wech­sel­ba­re Ästhe­tik haben, nor­ma­ler­wei­se far­ben­froh, leicht erkenn­bar, und gut geeig­net für ein erfolg­rei­ches Bild auf Insta­gram. Smart­phones und Insta­gram haben die Art, wie wir Kunst betrach­ten, demo­kra­ti­siert. Die unter­schied­li­chen Qua­li­tä­ten von Kunst sind nicht mehr von­ein­an­der getrennt, son­dern wer­den gleich­zei­tig in einer Ein­heits-Misch-Inter­net­sup­pe ange­schaut. Ich glau­be, das ver­än­dert auf jeden Fall, wie wir tra­di­tio­nel­le Kunst­rich­tun­gen sehen. Die Mög­lich­keit, zu twit­tern, zu kom­men­tie­ren, zu liken und Hash­tags und Memes usw. zu set­zen, haben auch die künst­le­ri­sche Debat­te und Kri­tik auf eine Wei­se ver­jüngt, die dazu passt, wie Mil­le­ni­als und die Gene­ra­ti­on Z online kom­mu­ni­zie­ren. Ich bin davon über­zeugt, dass das Kon­zept die­ser Aus­stel­lung ein jün­ge­res Publi­kum anzie­hen wird und damit auch eine ande­re Aus­ein­an­der­set­zung mit Kunst mög­lich macht, wie das viel­leicht bei frü­he­ren Aus­stel­lun­gen im Schloss­mu­se­um statt­ge­fun­den hat. Aber woher soll ich unse­ren Kunst­ge­schmack in den nächs­ten fünf/zehn Jah­ren vor­her­sa­gen kön­nen? Wir leben in einem stän­di­gen Wan­del, und bald wer­den Smart­phones und Insta­gram durch eine Dis­kus­si­on über den Ein­fluss von 5G, vir­tu­el­ler Rea­li­tät und Online-Betrach­tungs­räu­men auf unse­re visu­el­le Wahr­neh­mung ersetzt wer­den. Ich glau­be sogar, dass das bereits passiert.

Die Aus­stel­lung nimmt die Kunst­wer­ke aus ihrem Kon­text der sozia­len Medi­en her­aus und prä­sen­tiert sie im Set­ting eines Muse­ums. Wel­chen Unter­schied macht es für dich, dei­ne Bil­der in einem Muse­um zu präsentieren?

Dass mei­ne Arbei­ten in einem Muse­um gezeigt wer­den, hebt mei­ne Arbeit schon auf eine ande­re Ebe­ne, die weit über den kom­mer­zi­el­len Ver­kauf in einer Gale­rie hin­aus­geht. An einer Aus­stel­lung teil­zu­ha­ben bedeu­tet, dass ein Kunst­werk zu einem bestimm­ten Zeit­punkt kunst­his­to­risch archi­viert wird, was ihm eine Ver­brei­tung ermög­licht, die es sonst viel­leicht nicht hät­te. Für mich als Künst­ler, des­sen Gemäl­de mehr online als im Ori­gi­nal gese­hen wer­den, hilft es in einem Muse­um gezeigt zu wer­den. Das Leben eines Kunst­werks das online über­wie­gend kurz­le­big und ver­gäng­lich ist, eta­bliert sich dadurch.

Wir ste­hen vor neu­en Her­aus­for­de­run­gen, vor allem in Zei­ten der Coro­na­pan­de­mie. Siehst du dar­in auch eine neue Chan­ce für Museen?

Ich glau­be, es ist für Muse­en eine neue Her­aus­for­de­rung, ihre Aus­stel­lun­gen auch vir­tu­ell zugäng­li­cher zu machen. Mit Apps wie Art­land, die Online-Aus­stel­lun­gen in 360 Grad Sicht anbie­ten, indem sie die Goog­le-Maps-Tech­no­lo­gie  für den vir­tu­el­len Gale­rie­be­such nut­zen, bewe­gen sie sich bereits kon­se­quent in die vir­tu­el­le Rich­tung. Ein ande­res Bei­spiel ist Vor­teq, das dich vir­tu­ell wie in Echt­zeit durch die Gale­rie führt. Aber um ehr­lich zu sein, ich bin es ver­dammt leid, die­se end­los vie­len Online-Betrach­tungs­räu­me zu sehen. Für einen Künst­ler gibt es ein­fach nichts bes­se­res, als ein Kunst­werk im ech­ten Leben zu sehen ist und sich damit aus­ein­an­der­zu­set­zen, und ich glau­be, die­ser Erfah­rungs­wert soll­te immer an ers­ter Stel­le ste­hen. Eine ande­re Sache, die erwähnt wer­den muss, ist, dass die Pan­de­mie Gale­rien und Insti­tu­tio­nen gezwun­gen hat, sich mit ihren CO2-Fuß­ab­drü­cken aus­ein­an­der­zu­set­zen. Sie hat außer­dem die umwelt­schäd­li­che Pra­xis infra­ge gestellt, tau­sen­de phy­si­sche Kunst­wer­ke für Kunst­mes­sen, Bien­na­len und Muse­ums­aus­stel­lun­gen um die gan­ze Welt zu schi­cken. Hier gibt es eine Mög­lich­keit für die Kunst­welt, sich neu zu struk­tu­rie­ren, um nach­hal­ti­ger, ethi­scher und umwelt­be­wuss­ter zu wer­den. Ich will selbst als Künst­ler auch nach neu­en Wegen suchen, um grü­ner zu arbeiten.

Wie schätzt du das Publi­kum ein? Wer­den Fol­lower zu Besucher*innen oder umge­kehrt Besu­cher* innen zu Followern?

Ich kann nicht behaup­ten, dass es mich je inter­es­siert hat ob Besucher*innen mei­ner Aus­stel­lun­gen zu Online-Fol­lo­wern wer­den. Mich inter­es­siert es, wie sich die Besucher*innen mit dem Kunst­werk aus­ein­an­der­set­zen, und ob es Fra­gen, Gedan­ken oder bestimm­te Gefüh­le hin­ter­lässt. Ich hof­fe, dass die­se Aus­stel­lung ein Publi­kum aus allen Alters­grup­pen anlockt, aber hof­fent­lich wird sie mehr Reso­nanz bei den Mil­le­ni­als und der Gene­ra­ti­on Z fin­den. Sie haben eine neue Art zu sehen, zu den­ken und zu kom­mu­ni­zie­ren, die von der All­ge­gen­wär­tig­keit des Inter­nets geprägt ist, und kön­nen des­halb eine prä­gen­de Erfah­rung mit dem aus­ge­stell­ten Stück machen. Ich will, dass sich das Publi­kum mit der Aus­stel­lung aus­ein­an­der­setzt und Bil­der davon mit ande­ren teilt und neu pos­tet. Was ich aber auch beto­nen möch­te, ist das Poten­ti­al der Aus­stel­lung, dass – wenn Han­dys in der Tasche blei­ben – wirk­lich gese­hen wird, was vor uns ist. Wir ver­pas­sen so viel vom Leben, wenn wir nur auf unse­re Han­dys schau­en. Ich wün­sche mir, dass die Chan­ce genutzt wird, hier das Gegen­teil zu tun. Ich gehe sicher davon aus, dass die gezeig­ten Arbei­ten dem Publi­kum einen Dopa­min-Kick geben wer­den, der weit­aus inten­si­ver sein wird als das, was das Wischen durch Insta­gram-Feeds zu bie­ten hat. Und der hof­fent­lich auch lan­ge nach dem Aus­stel­lungs­be­such noch anhält.

Hast du noch einen Tipp für jun­ge Künstler*innen?

Mein Rat an jun­ge Künstler*innen ist, bedin­gungs­lo­ses Ver­trau­en in die eige­nen Ideen zu haben, und ein­fach Arbei­ten online zu pos­ten ohne die Kri­tik von Gleich­alt­ri­gen zu fürch­ten. Aber noch wich­ti­ger: nutzt die sozia­len Medi­en als eine Mög­lich­keit, eine krea­ti­ve Com­mu­ni­ty auf­zu­bau­en und euch mit ande­ren Künstler*innen zu ver­net­zen. Kon­tak­tiert Künstler*innen, deren Arbeit ihr toll fin­det, orga­ni­siert Ate­lier­be­su­che oder ver­ab­re­det euch sogar auf einen Drink. Sprecht mit Kura­to­ren, Kri­ti­kern, Gale­ris­ten. Enga­giert euch, kon­zen­triert euch auf eure Kunst, seid posi­tiv und hört nicht auf, neue Freun­de zu finden.

Autor: Alfred Wei­din­ger / Er ist seit dem 1. April 2020 Geschäfts­füh­rer der OÖ Lan­des-Kul­tur GmbH, zuvor war er Direk­tor im MdbK Leip­zig. 2007 kam er als Chef­ku­ra­tor und Vize­di­rek­tor an das Bel­ve­de­re in Wien, nach­dem er zuvor als Vize­di­rek­tor für die Alber­ti­na tätig war. Sei­ne For­schungs­schwer­punk­te sind die klas­si­sche Moder­ne und zeit­ge­nös­si­sche Kunst. Zu sei­nen zahl­rei­chen Publi­ka­tio­nen zäh­len die Werk­ver­zeich­nis­se der Zeich­nun­gen von Oskar Kokosch­ka und der Gemäl­de von Gus­tav Klimt, Mono­gra­fien über Medienkünstler*innen wie Peter Wei­bel und Aus­stel­lungs­ka­ta­lo­ge wie Vir­tu­al Nor­ma­li­ty. © Huber­tus v. Hohenlohe

Autorin: Inga Klein­knecht / Sie ist Kura­to­rin und lei­tet die Samm­lung für Moder­ne und Zeit­ge­nös­si­sche Kunst der OÖ Lan­des-Kul­tur GmbH. Sie war zuvor künst­le­ri­sche Lei­te­rin der Kunst­samm­lung des Lan­des Ober­ös­ter­reich. Ihre For­schungs­schwer­punk­te sind Skulp­tur, Medi­en­kunst und Male­rei der Moder­ne. Zu den Künstler*innen ihrer zahl­rei­chen  Aus­stel­lung­pro­jek­te zäh­len VALIE EXPORT, Lena Göbel, Ste­fan Bal­ken­hol und Juli­an Rose­feldt. The­men­schwer­punk­te ihrer Publi­ka­tio­nen sind unter ande­rem Neue Sach­lich­keit und Bau­haus­be­zie­hun­gen Ober­ös­ter­rei­chisch sowie Mono­gra­fien über Bildhauer*innen wie Osa­mu Nakajima.

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